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Der zwecklose Krieg

Der US-Journalist Chris Hedges fordert dazu auf, den sinnlosen Krieg in Afghanistan schnellstmöglich zu beenden.

Von Chris Hedges, truthdig, 20.07.09

Al-Qaida braucht sich keine Sorgen über das zu machen, was wir in Afghanistan tun. Wir können afghanische Dörfer bombardieren, die Taliban in der Provinz Helmand jagen, eine 100.000 Mann starke afghanische Vasallenarmee aufbauen, wegschauen, wenn afghanische Warlords Hunderte, vielleicht sogar Tausende gefangene Taliban umbringen, wir können riesige, ausgeklügelte Militärbasen errichten und Drohnen zum Bombenwerfen nach Pakistan schicken. Damit werden wir nichts erreichen. Dieser Krieg wird die Anschläge islamistischer Radikaler nicht stoppen. Terroristische und aufständische Gruppen sind keine konventionellen Streitkräfte. Sie halten sich nicht an die Spielregeln der Kriegsführung, die unseren Kommandeuren in Kriegsschulen und Militärakademien eingepaukt wurden. Die im Untergrund operierenden Gruppen sind wandelbar, sie ändern ständig ihre Form und ihre Erscheinung, wenn sie von einem gefährdeten Staat in den nächsten überwechseln, einen Terroranschlag planen und dann wieder wie Schatten verschwinden. Wir kämpfen mit den falschen Waffen. Wir bekämpfen die falschen Leute. Wir stehen auf der falschen Seite der Geschichte. Und wir werden in Afghanistan wie im Irak besiegt werden.

Der Afghanistan-Krieg kostet immer mehr Menschen das Leben. Mehrere zehntausend afghanische Bürger sind bereits getötet oder verwundet worden. Der Juli ist der bisher verlustreichste Monat dieses Krieges für die NATO-Truppen gewesen - mit mindestens 50 Toten, von denen 26 Amerikaner waren. Vor allem Sprengfallen am Straßenrand (engl. Roadside Bombs) ließen die Anzahl der Getöteten und Verwundeten bei den Koalitionsstreitkräften anschwellen. Im Juni sind die Anschläge mit Sprengfallen, die auch Detonationen improvisierter Explosivkörper / IEDs genannt werden, auf 736 angestiegenSiehe IED incidents up dramatically in Afghanistan ., das ist der vierte Rekord in vier aufeinander folgenden Monaten; die Anzahl dieser Anschläge war von 361 im März über 407 im April auf 465 im Mai gestiegen. Die Entscheidung des Präsidenten Barack Obama, 21.000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan zu schicken, hat die Gesamtzahl der dort eingesetzten US-Truppen auf 57.000 Mann anwachsen lassen. Es wird erwartet, dass sie bis Ende 2009 auf mindestens 68.000 Mann ansteigt. Das wird nur zu mehr Toten und heftigeren Kämpfen führen, und die Sinnlosigkeit wird noch deutlicher werden.

Wir sind in eine verwirrenden Mischung bewaffneten Gruppen gestolpert, die sich aus kriminellen Banden, Rauschgifthändlern, Milizen der Paschtunen und der Tadschiken, Kidnapper-Ringen, Todesschwadronen und Söldnerhaufen zusammensetzt. Wir stecken mitten in einem Bürgerkrieg. Die Paschtunen, aus denen die meisten Taliban kommen, sind die traditionellen Herren AfghanistansSiehe Pashtun people .; sie kämpfen gegen die Tadschiken und Usbeken, aus denen sich die Nordallianz zusammensetztSiehe United Islamic Front for the Salvation of Afghanistan .; diese hat mit ausländischer Unterstützung (vor allem durch US-Bombenangriffe) im Jahr 2001 den Bürgerkrieg (gegen die Taliban) gewonnen. Die alte Nordallianz beherrscht jetzt die korrupte und unfähige Regierung, die sehr verhasst ist und mit uns untergehen wird.

Wir werden den Krieg in Afghanistan verlieren. Als wir das Land vor acht Jahren überfielen, kontrollierten die Taliban ungefähr 75 Prozent Afghanistans. Heute haben sie etwa die Hälfte das Landes wieder unter Kontrolle. Die Taliban beherrschen den Rauschgifthandel, der ihnen einen Erlös von rund 300 Millionen Dollar pro Jahr einbringt. Sie führen in der Hauptstadt Kabul dreiste Anschläge durch, und Ausländer sind in den Straßen der meisten afghanischen Städte nur noch selten anzutreffen, weil sie befürchten müssen, entführt zu werden. Es ist lebensbedrohend, sich aufs flache Land zu wagen, wo 80 Prozent der Afghanen leben, wenn man nicht von NATO-Truppen eskortiert wird. Aber unerschrockene Reporter können Talibanvertreter in Innenstadt-Cafés in Kabul interviewen. Über die Suche nach Osama bin Laden macht sich alle Welt lustig, weil er zum Waldo (einer in Kinderbuch-Wimmelbildern zu suchenden Figur) des Mittleren Ostens geworden ist. Denken Sie sich die Kugeln und Bomben weg, und Sie haben eine Gilbert and Sullivan-Farce. (Der Komponist Arthur Sullivan und der Schriftsteller und Librettist William Schwenck Gilbert haben in London zusammen 14 Operetten verfasst. Das Namensduo Gilbert und Sullivan steht als Schlagwort für die englische Operette des 19. Jahrhunderts.Quelle:  Gilbert und Sullivan .

Niemand scheint in der Lage zu sein, zu begründen, warum wir in Afghanistan sind. Geht es darum, Bin Laden und seine Al-Qaida zu jagen? Haben wir den Taliban den Krieg erklärt? Wollen wir eine Demokratie errichten? Bekämpfen wir die Terroristen dort, damit wir sie nicht zu Hause bekämpfen müssen? "Befreien" wir die afghanischen Frauen? Die Absurdität dieser Fragen, die uns als ständig wiederkehrende Klischees vor allem am Nachdenken hindern sollen, belegen doch nur die Absurdität dieses Krieges. Die Konfusion bei der Begründung unserer Absichten spiegelt die Konfusion in unserem Bodenkrieg wider. Wir wissen nicht, was wir dort tun.

Der neue Kommandeur der US- und NATO-Truppen in Afghanistan, (US-)General Stanley McChrystal, gab kürzlich bekannt, die Koalitionsstreitkräfte würden in Afghanistan eine "kulturelle Wende" einleiten. (Das soll wohl heißen, dass der berüchtigte Mord-General den Afghanen jetzt gnädigst zugesteht, eine eigene Kultur zu haben.Siehe dazu auch McChrystal erlässt Direktive zur Vermeidung ziviler Opfer . Die ausländischen Truppen müssten von ihrer normalen Kampftaktik abrücken und sich stärker auf den Schutz der Bürger orientieren. Der General scheint erkannt zu haben, dass die Luftangriffe, die Hunderte von Zivilsten getötet haben, den Taliban nur immer neue Rekruten zutreiben. Diese löbliche Absicht wird aber in der Realität des Krieges nicht zu verwirklichen sein. Die NATO-Streitkräfte werden wie bisher Luftunterstützung anfordern, wenn aus Hinterhalten auf sie gefeuert wird. Das tun Truppen immer, wenn sie unter Beschuss geraten. Sie können sich nicht den Luxus leisten, vorher die örtliche Bevölkerung zu befragen. Fragen werden erst später gestellt. Bei dem Luftangriff am 4. Mai in der Provinz Farah, bei dem Dutzende Zivilisten getötet wurden, wurden die neuen Direktiven über Luftangriffe verletzt.Siehe Report points to irregularities in Farah air strike incident . Das geschah auch bei dem Luftangriff in der Provinz Kandahar, bei dem letzte Woche vier Zivilisten getötet und 13 verwundet wurden.Siehe U.S. airstrike in Afghanistan tests McChrystal’s new order . Der NATO-Luftangriff nahm ein Dorf im Bezirk Shawalikot ins Visier. Verwundete Dorfbewohner äußerten in einem Krankenhaus in der Landeshauptstadt gegenüber (der Presseagentur) AP, dass Kampfhubschrauber am Mittwoch gegen 22.30 Uhr anfingen, ihre Häuser zu bombardieren. Ein Mann berichtete, dabei sei auch seine 3-jährige Enkelin getötet worden. In Kämpfen gelten eben eigene Regeln, und die Verlierer sind fast immer Zivilisten.

Auch die Offensive der NATO-Streitkräfte in der Provinz Helmand wird dem üblichen Drehbuch von Militärkommandeuren folgen, die viel über Waffensysteme und konventionelle Armeen, aber kaum etwas über die Nuancen der irregulären Kriegsführung wissen. Die Taliban werden sich wahrscheinlich in ihre Schlupfwinkel in Pakistan zurückziehen, und wir werden die Operation zum Erfolg erklären. Wenn wir anschließend den Großteil unserer Truppen abziehen, sickern die Taliban wieder in die Gebiete ein, die wir gerade "gesäubert" haben. Sprengfallen am Straßenrand werden wie vorher ihren Blutzoll fordern. Die Soldaten der Army und der Marines werden, frustriert durch erfolglose Kämpfe mit einem schwer zu fassenden und häufig unsichtbarem Feind, mit noch größerer Wut auf Gespenster einschlagen, und die Zahl der getöteten Zivilisten wird weiter steigen. Es ist das gleiche Spiel wie bei allen Aufständen, obwohl jede neue Soldatengeneration glaubt, den magischen Schlüssel zum Sieg gefunden zu haben.

Wir haben einfach festgelegt, dass der Irak und Afghanistan gescheiterte Staaten sind. Der nächste (gescheiterte Staat) auf unserer Liste scheint Pakistan zu sein. Pakistan ist wie der Irak und Afghanistan eine bizarre Konstruktion der Westmächte, die willkürliche und künstliche Grenzen gezogen haben, durch die Clans und ethnische Gruppen einfach auseinander gerissen wurden. Pakistan hat zugegeben, dass seine Armee den militanten Islamisten zur Macht verholfen hat. Es war das pakistanische Militär, das die Taliban geschaffen hat. Die Pakistaner bestimmten, wer die Milliarden an US-Militärhilfe erhielt, mit denen der afghanische Widerstand während des Krieges gegen die sowjetischen Besatzer finanziert wurde. Fast das ganze Geld ging an die extremistischsten Flügel der afghanischen Widerstandsbewegung. Die Taliban sind in Pakistans Augen nicht nur eine wirksame Waffe gegen ausländische Eindringlinge, gleichgültig ob es sich dabei um Russen oder Amerikaner handelt, sie bilden auch ein Bollwerk gegen Indien. Muslimische Radikale in Kabul werden niemals eine Allianz mit Indien gegen Pakistan eingehen. Und Indien, nicht Afghanistan, ist Pakistans primäre Sorge. Pakistan wird, egal wie viele Milliarden wir ihm geben, immer die Taliban fördern und schützen, weil es weiß, dass sie Afghanistan wieder beherrschen werden. Und das von lauten propagandistischen Tönen begleitete Vorgehen der (pakistanischen) Regierung gegen die Taliban im Swat -Tal in Pakistan, ist kein Zeichen für eine neue Politik, sondern Teil einer inszenierten Scharade, welche die unheilige Allianz (zwischen der pakistanischen Armee und den Taliban) keinesfalls zerbrechen wird.Siehe dazu auch 23 militants dead in NW Pakistan clashes .

Die einzige Möglichkeit, Terroristengruppen zu besiegen, besteht darin, sie innerhalb ihrer eigenen Gesellschaften zu isolieren. Man muss die Bevölkerung von den Radikalen weglocken. Dazu ist ein politischer, wirtschaftlicher und kultureller Krieg notwendig Die schreckliche Algebra militärischer Besetzung und Gewalt ist in dieser Art des Kampfes immer kontraproduktiv. Sie schafft immer mehr Aufständische, als sie tötet. Außerdem legitimiert sie den Terrorismus (als Notwehr). Und während wir Mittel und Leben verschwenden, hat sich der wahre Feind Al-Qaida ausgebreitet, hat Netzwerke in Indonesien, Pakistan, Somalia, im Sudan und in Marokko geschaffen und muslimische Gemeinschaften wie im französischen Lyon und oder in Londons Brixton angesteckt. Es gibt keinen Mangel an brackigen Gewässern und verwüsteten Flecken auf der Erde, wo sich Al-Qaida verbergen und agieren kann. Al-Qaida braucht Afghanistan nicht, und wir brauchen es auch nicht.

Kommentar von LUFTPOST

Die von Chris Hedges eindringlich geschilderte Sinnlosigkeit des völkerrechtswidrigen Afghanistan-Krieges macht auch alle Rechtfertigungsversuche deutscher Politiker für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan zunichte. Mit Schützenpanzern und Mörsern kann man nur Menschen umbringen oder ihre Häuser und ihre Lebensgrundlage zerstören. Die Mär von der "Aufbauarbeit" der Bundeswehr ist jetzt wirklich nicht mehr zu halten. Die Bundestagsabgeordneten, die erfolglos gegen die Entsendung von "Aufklärungs"-Tornados nach Afghanistan geklagt haben, müssen erneut das Bundesverfassungsgericht anrufen, weil sich die dem damaligen Urteil zugrunde gelegten Prämissen grundlegend geändert haben Siehe Persönliche Erklärung zum Urteil des Zweiten Senates des Bundesverfassungsgerichts 2 BvE 2/07 vom 3. Juli 2007 und Die neue Kommandostruktur in Afghanistan verändert Prämissen, von denen das Bundesverfassungsgericht im "Tornado"-Urteil 2 BvE 2/07 vom 03.07.07 ausgegangen ist .Politiker und Parteien, die den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr immer noch befürworten und noch mehr deutsche Soldaten und eigene Kampfjets zur "Bodenunterstützung der kämpfende Truppe" entsenden wollen, dürften im neuen Bundestag eigentlich kaum noch vertreten sein, wenn die fast 70 Prozent der Bundesbürger, die den völkerrechtsund verfassungswidrigen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ablehnen, sie einfach nicht mehr wählen.

Quelle: LUFTPOST vom 24.07.2009. Originalartikel:  War Without Purpose . Übersetzung und Anmerkungen: LUFTPOST.

Fußnoten

Veröffentlicht am

25. Juli 2009

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