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Martin Luther King, Barack Obama und der Krieg

Von Dietrich Becker-Hinrichs

Auf der ganzen Welt hat der Wahlsieg Barack Obamas große Hoffnungen geweckt. Geradezu messianische Erwartungen werden an ihn herangetragen. Das ist verständlich nach der Ära Bush, die die Welt mit zwei Kriegen überzogen hat und das Ansehen der Vereinigten Staaten weltweit schrumpfen ließ. Als Kritiker der Politik von George Bush hat Barack Obama die Präsidentenwahl gewonnen. Das hat gerade in Europa große Hoffnungen auf eine Änderung in der amerikanischen Außenpolitik geweckt. Oft wird Barack Obama in einem Atemzug mit Martin Luther King genannt. Beide beziehen sich in ihren Reden auf den american dream. Barack Obama selbst sieht sich als Nachfolger Kings in Sachen Bürgererrechte für die Schwarzen.

Bei Obamas Siegesansprache weinte Bürgerrechtler Jesse Jackson, der Anfang der sechziger Jahre ein Mitstreiter von Martin Luther King war. Der Baptistenpastor und Friedensnobelpreisträger wäre am 15. Januar 80 Jahre alt geworden. King sprach von dem Traum, dass eines Tages "die Söhne früherer Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter miteinander am Tisch der Brüderlichkeit sitzen" und "meine vier kleinen Kinder in einer Nation leben werden, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt, sondern nach ihrem Charakter."

Obama und King: Gemeinsame Visionen

Obama sagt oft, dass er "auf den Schultern" von schwarzen Aktivisten wie King stehe, die in der Bürgerrechtsbewegung große Opfer gebracht hätten. Sie seien die "Moses Generation" gewesen. Der biblische Moses hat die Israeliten aus der ägyptischen Gefangenschaft geführt, aber selber das "Gelobte Land" nicht mehr erreicht.

Kings Freund, der Entertainer Harry Belafonte, erinnert sich an Kings aufwühlende Rede am 3. April 1968 in Memphis. Dort predigte der 39-jährige Pastor auch vom "Gelobten Land", dem Land, das Gott dem Volk der Israeliten versprochen hatte und in dem Milch und Honig fließen sollten: "Ich bin auf dem Berggipfel gewesen, und habe das Gelobte Land gesehen", verkündete King. Er habe Tränen in den Augen gehabt, berichten Anwesende. "Vielleicht komme ich nicht mit euch dorthin. Aber ihr sollt heute Abend wissen, dass wir, als ein Volk, in das Gelobte Land gelangen werden." Und leiser sagte er: "Wie jeder andere würde ich gerne lange leben… Aber darüber mache ich mir jetzt keine Sorgen." Denn: "Meine Augen haben die Pracht des Kommen unseres Herrn gesehen." King wurde am folgenden Tag ermordet.

Belafonte meinte in einem Fernsehinterview, seit Obamas Wahlsieg wisse man, dass King "prophetisch" gesprochen habe. Ein Stück weit sei das "Gelobte Land" durch Obama Wirklichkeit geworden.

Man kann die Freude und den Stolz der Mitstreiter und Mitstreiterinnen Martin Luther Kings verstehen, die in dem ersten farbigen Präsidenten der Vereinigten Staaten einen großen Sieg für die Sache der Bürgerrechte sehen. In der Tat ist die Wahl Barack Obamas ein epochaler Sieg für die Bürgerrechte aller Menschen, die wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert wurden und werden.

Gravierende Unterschiede

Und doch trennen die beiden schwarzen Politiker Welten. Besonders deutlich wird dies in ihrer Einstellung zu Gewalt und Krieg.

Martin Luther King war ein Kämpfer für die Gleichberechtigung der Schwarzen. Er hatte von Gandhi gelernt, dass die Taktiken des gewaltfreien Widerstandes der Gewalt überlegen sind. Gewaltfreiheit als politisches Kampfmittel wurzelte bei ihm außerdem in einer tiefen christlichen Überzeugung. Die Feindesliebe war für ihn kein abgehobene weltfremde ethische Forderung, sondern eine Sache des praktischen Handelns. Als auf Kings Haus eine Bombe geworfen wurde, rief er der aufgeheizten Menge zu: "Jesus sagt uns: Wir sollen unsere Feinde lieben. Er will, dass wir auf Gewalt verzichten. Geht nach Hause." Martin Luther King war überzeugt, dass freiwilliges Leiden eine erlösende Kraft hat. Immer wieder ging er in seinen Reden und Predigten auf diesen Zusammenhang ein. "Wir setzen eurem Hass unsere Fähigkeit zu leiden entgegen". In der Tat verschaffte die konsequent gewaltfreie Haltung beim Marsch von Birmingham im Jahre 1963, der von der Polizeit in brutalster Weise niedergeknüppelt wurde, den Bürgerechtlern die Sympathien der Weltöffentlichkeit: Die brutale Gewalt der weißen Rassismus wurde vor der ganzen Welt aufgedeckt.

Gewaltfreiheit betrifft mehr als nur Bürgerrechte

Sein tiefer Glaube an die Gewaltlosigkeit führte Martin Luther King immer weiter in einen Kampf gegen alle Formen von Gewalt: die Armut der schwarzen Bevölkerung und die Ausbeutung der Müllarbeiter boten Anlass für weitergehenden Protest. Die ökonomische Frage trat immer mehr in den Mittelpunkt seiner Überlegungen.

Als sich Martin Luther King nach langem Zögern schließlich öffentlich gegen den Krieg in Vietnam aussprach, war er selbst innnerhalb der Bürgerrechtsbewegung isoliert. Nur eine kleine Minderheit brachte den Mut auf, die Ablehnung von Gewalt auch auf die Gewalt im Krieg zu übertragen.

Obama als Anhänger des "gerechten Kriegs"

Hier zeigt sich auch der Unterschied zu Obama. Barack Obama hat den Irakkrieg abgelehnt. Die Passage aus seiner Rede vor Kriegsgegnern aus dem Jahre 2002 offenbart aber auch, dass er den "gerechten" Krieg in keiner Weise ablehnt:
"Vor den 2000 Menschen, die sich auf der Federal Plaza in Chicago versammelt hatten, erklärte ich, dass ich im Gegensatz zu manchen anderen in der Menge nicht gegen jeden Krieg sei. Dass mein Großvater sich einen Tag nach der Bombardierung von Pearl Harbor freiwillig gemeldet und in General Pattons Armee gekämpft habe. Ich sagte auch, dass ich ‘nachdem ich Zeuge des Blutbads und der Zerstörung geworden war und den Staub und die Tränen gesehen hatte, das Versprechen dieser Regierung richtig fand, jene zur Strecke zu bringen und auszumerzen, die im Namen der Intoleranz Menschen abschlachteten’, und dass ich ‘gerne selbst zu den Waffen greifen würde, um zu verhüten, dass sich eine solche Tragödie wiederhole’. Was ich jedoch nicht unterstützen könne, sei ‘ein dummer Krieg, ein überhasteter Krieg, ein Krieg, der nicht auf Vernunft, sondern auf Leidenschaft beruht, und nicht auf Grundsätzen, sondern auf kurzsichtigem politischem Kalkül’."Barack Obama, Hoffnung wagen - Gedanken zur Rückbesinnung auf den American Dream, 9. Auflage, München 2008 S. 377.

Der amerikanische Mythos von der erlösenden Kraft der Gewalt

Während Martin Luther King von der Liebe zu den Feinden spricht, hält es Barack Obama für richtig, die Feinde Amerikas "zur Strecke zu bringen und auszumerzen". Dies deckt sich im Übrigen mit seiner Einstellung zur Todesstrafe, die er befürwortet.

Hier offenbart sich Obama ganz als ein Kind Amerikas, als Sohn einer Nation, die durchdrungen ist von dem Mythos des Glaubens an die erlösende Kraft der Gewalt. Dieser Mythos, den der Theologe Walter WinkWalter Wink, ENGAGING THE POWERS - Discernment and Resistance in a World of domination, 1992 Augsburg Fortress Press. eindrucksvoll analysiert und aufgedeckt hat, sitzt tief in den Herzen der amerikanischen Bürger, er ist Gegenstand ungezählter Filme und Comics. Der Mythos weist der Gewalt erlösende Kraft zu und gibt ihr dadurch Heilscharakter. Er bestimmt das Alltagshandeln vieler Menschen in einem Land, in dem man sich beim Einrichten eines neuen Bankkontos als Dreingabe eine Waffe aussuchen darfSo eindrucksvoll vorgeführt von Michael Moore in dem Film "Bowling for Columbine".. Unzählige Westernfilme zelebrieren diesen Mythos. Der Theologe Wink verortet ihn ursprünglich in der babylonischen Religion, in der die Schöpfung aus einem Gewaltakt der Götter hervorgeht.

Dieser Mythos prägt auch die amerikanische Außenpolitik (zunehmend auch wieder die deutsche und europäische!). Er postuliert den guten Gebrauch militärischer Gewalt für gerechte Zwecke. Das Böse soll mit Gewalt ausgerottet werden, damit es für immer aus der Welt geschafft ist. "Ausmerzen" sagt Obama, das klingt so, als ob man Insekten vertilgt. So ist zu befürchten, dass die Amerikaner auch unter Präsident Obama in Afghanistan weiter Krieg führen, bis die Taliban endgültig besiegt und "ausgemerzt" sind. Und die deutsche Bundeswehr wird ihnen bei diesem Geschäft hilfreich zur Seite stehen.

King als grundsätzlicher Pazifist

Martin Luther King war dagegen einer der wenigen großen Politiker, der dem Mythos von der erlösenden Kraft der Gewalt nicht erlegen ist, sondern ihn durchschaut hat. Er hat die tiefe Bedeutung der Gewaltlosigkeit Jesu begriffen. "Für mich ist die Beziehung zwischen meinem Priesteramt und dem Einsatz für den Frieden so offensichtlich, dass ich mich manchmal wundere, wenn man mich fragt, warum ich mich gegen den Krieg ausspreche."Predigt in der Ebenezer Baptist Church in Atlanta am 30. April 1967.
Martin Luther King kannte keine "gute" Gewalt.

Eine grundsätzliche Umkehr in der US-Außenpolitik ist nötig!

In einer Predigt in der Ebenezer Baptist Church in Atlanta am 30. April 1967 klagte er die Regierung an. King kritisierte die "tödliche westliche Arroganz, die die internationale Atmosphäre vergiftet", die "Überheblichkeit des Westens, der meint, alle anderen belehren zu müssen, ohne selbst von ihnen zu lernen". Er forderte, die Stimme für die zu erheben, "die als unsere Feinde bezeichnet werden" und "den Standpunkt des Gegners zu verstehen, seine Fragen zu hören und zu lernen, wie er uns einschätzt."

Kings Kritik richtete sich nicht nur gegen die Unterstützung der US-Regierung für die südvietnamesische Militärdiktatur, sondern gegen die Grundlage der Außenpolitik der USA, die im Bündnis mit den Reichen Kriege gegen die Armen in Asien, Afrika und Lateinamerika führten. Er forderte eine "Revolution der Werte". Denn wenn "Profitstreben und Eigentumsrechte für wichtiger gehalten werden als die Menschen, dann wird die schreckliche Allianz von Rassenwahn, Materialismus und Militarismus nicht mehr besiegt werden können".

King rief die jungen Männer in Amerika zur Kriegsdienstverweigerung auf und forderte sie auf, "niemandem zu glauben, der ihnen weismachen will, dass Gott Amerika als sein göttliches messianisches Werkzeug ausgesucht hat, um eine Art Weltpolizist zu sein."Ebd.

USA bleibt weiterhin "Weltpolizist"

Genau dies aber vertritt Barack Obama: "Solange Russland und China ihre großen militärischen Streitkräfte behalten und der Versuchung noch nicht ganz widerstehen können, ihr militärisches Gewicht auch zur Geltung zu bringen, und solange ein paar Schurkenstaaten bereit sind, andere souveräne Staaten anzugreifen, wie es Saddam 1991 mit Kuwait tat, solange werden wir immer wieder, wenn auch widerstrebend, den Weltpolizisten spielen müssen. Das wird sich nicht ändern, und es sollte sich auch nicht ändern."Barack Obama, Hoffnung wagen, S. 392. So fordert Obama konsequenterweise eine Erhöhung des Militärbudgets, um die Einsatzbereitschaft nach den Kriegen im Irak und Afghanistan wiederherzustellen und verbrauchte Ausrüstung zu ersetzten.

500.000 $ um einen Feind zu töten

Martin Luther King geißelte nicht nur den Krieg in Vietnam, er prangerte auch die Verschwendung der Ressourcen des Militärs an: "Wir wenden 500.000 Dollar auf, um einen feindlichen Soldaten zu töten, während wir gleichzeitig nur 53 Dollar für jeden Menschen ausgeben, der in unserem Land als arm eingestuft wird. Deshalb bin ich immer mehr zu der Überzeugung gekommen, dass dieser Krieg ein Feind der Armen ist und deshalb greife ich ihn an."Predigt in der Ebenezer Baptist Church in Atlanta am 30. April 1967. Und er fährt fort: "Eine Nation, die Jahr für Jahr mehr Geld für die militärische Aufrüstung ausgibt als für Programme, die die gesellschaftlichen Verhältnisse heben würden, nähert sich ihrem geistigen Tod."Ebd.

Resümee

Barack Obama beruft sich in seinen Reden oft auf Martin Luther King. Er zitiert wiederholt aus der großen Rede beim Marsch auf Washington aus dem Jahre 1963 "I have a dream". . Obama fordert einen grundlegenden Wandel auf vielen Gebieten: "change - yes we can". Wenn es ihm gelingt, den Niedergang der amerikanischen Wirtschaft zu stoppen und eine funktionierende Krankenversicherung einzuführen, ist für Amerika viel gewonnen. In außenpolitischer Hinsicht aber ist von Obama kein Wandel zu erwarten, solange er den Militarismus der amerikanischen Gesellschaft nicht grundsätzlich in Frage stellt. Die Antikriegspredigten Kings aus dem Jahre 1967 seien dem neuen amerikanischen Präsidenten sehr zur Lektüre empfohlen.

Quelle: Gewaltfrei Aktiv . Mitteilungen der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden. Ausgabe 35 - Februar 2009. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Dietrich Becker-Hinrichs.

Fußnoten

Veröffentlicht am

04. Februar 2009

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