Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Angesichts von Armut und Unrecht: Solidarität üben, zumindest im Kleinen

Von Michael Schmid - (aus: Lebenshaus Schwäbische Alb, Rundbrief Nr. 54 vom September 2007Der gesamte Rundbrief Nr. 54 kann hier heruntergeladen werden  PDF-Datei , 420 KB)

Im LebenshausMehr zum Verein Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie findet sich hier  “Über uns” . begegnen wir vielen Menschen mit ihren individuellen Schicksalen. Menschen, die mit uns leben oder die sonstige Unterstützung erhalten. Wir hören ihre jeweiligen Geschichten, die sich oft ähneln. Dies ist kein Wunder. Denn das Schicksal liegt im Alltäglichen, zu dem in Deutschland gehört, dass Menschen sozial abstürzen. Elf Millionen sind arm oder von Armut bedroht, sieben Millionen leben auf Sozialhilfeniveau.

Dabei leben wir im Land, das stolz darauf ist, “Exportweltmeister” zu sein. Ein Land, in dem die Gewinne explodieren. So sind zum Beispiel seit 1980 die Bruttolöhne und -gehälter in der alten Bundesrepublik um ca. 15% gestiegen, während die Wirtschaftsleistung um 32% anstieg. Unternehmer und Vermögende konnten ihre Einkommen um durchschnittlich 100% steigern, veranlagten jedoch nicht 100% mehr, sondern erstaunlicherweise ca. 20% weniger Einkommens- und direkte Unternehmenssteuer. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger ist unterdessen um etwa 300% angestiegen - und sprengt die dafür vorgesehenen Sozialhaushalte.

Mehr als je zuvor werden die Einkommen und vor allem die Vermögen der Reichen und die Gewinne der Konzerne geschont. Diese stehlen sich aus ihrer sozialen Verantwortung davon. Und die politisch Verantwortlichen sehen beinahe einhellig und ausschließlich nur noch den Weg von solchen Verwaltungsreformen, die den darin steckenden Sozialabbau kaum noch maskieren können.

Armut per Gesetz: Fünf Jahre Hartz-Reformen

Ziemlich großspurig sind vor fünf Jahren, am 16. August 2002, die Hartz-Reformen angekündigt worden. Dies ist in einem weihevollen Akt im Berliner Dom geschehen, in dem der damalige VW-Manager Peter Hartz dann die 13 “Innovationsmodule” präsentierte, mit denen seine Kommission den deutschen Arbeitsmarkt revolutionieren wollte. “Es war durchaus passend, den Hartz-Bericht in einer Kirche vorzustellen”, schreibt die taz-Redakteurin Ulrike Herrmann. “Der Text war ein Heilsversprechen.” In dem Bericht wurde auf 343 Seiten ausgebreitet, wie sich die Zahl der Arbeitslosen von 4 auf 2 Millionen glatt halbieren ließe. Und zwar innerhalb von drei Jahren. Hartz meinte damals, dass vielleicht noch mehr Stellen geschaffen werden könnten.

Bekanntlich ist die Zahl der Arbeitslosen bisher nicht auf 2 Millionen gesunken. Stattdessen waren es im Juli noch immer 3,7 Millionen - trotz der Hochkonjunktur. Und auch sonst ist durch die Hartz-Reformen nichts besser geworden für die Menschen in unserem Land, dafür aber vieles schlechter. Denn fünf Jahre Hartz-Reformen - das heißt Arbeitszwang und hohe Langzeitarbeitslosigkeit, das heißt Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen in den Betrieben, das heißt Zunahme von Leiharbeit, Mini- und 1-Euro-Jobs, das heißt Enteignung der älteren Arbeitnehmer und vor allem heißt es: Armut per Gesetz! Eine soziale Absicherung derjenigen, die von den Arbeitgebern aufs Abstellgleis geschoben werden, wie Ältere, Frauen oder Migrantinnen und Migranten, wurde ebenfalls nicht erreicht.

Dagegen haben die Hartz-Reformen in Deutschland massive Ängste ausgelöst. Laut einer Emnid-Umfrage vom Juni 2007 empfinden 89,7 Prozent den sozialen Abstieg als größte Bedrohung. 70,5 Prozent fürchten ganz konkret, dass sie irgendwann einmal zum Hartz-IV-Empfänger werden könnten. 77,9 Prozent sehen wenig Chancen für ihre Kinder.

Sozialabbau, zunehmende Armut und Vergiftung des gesellschaftlichen Klimas in Deutschland, das sind Auswirkungen der Hartz-Reformen.

Zwar sind in Deutschland die Verhältnisse zwischen Armut und Reichtum nicht ganz so schrill wie im weltweiten Maßstab. Doch die sozialen Verwerfungen hierzulande nehmen zu. In unserem Land, das so reich wie nie zuvor ist, ist der Reichtum zunehmend ungleich verteilt. Das bedeutet, dass der Anteil der Menschen in Armut zunimmt.

“Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen”

Diese gesamte Entwicklung steht dem Ziel sozialer Gerechtigkeit komplett entgegen. Soziale Gerechtigkeit, das hat zu tun mit der Verwirklichung der Vision von “gutem Leben” aller Gesellschaftsglieder. Gutes und gelingendes Leben umfasst neben der materiellen Dimension auch ganz maßgeblich die soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Eine Gesellschaft ist also nur dann gut und gerecht, wenn die Einzelnen die sichere Chance haben, sich in Würde und Freiheit zu verwirklichen. Doch gerade diese Chance wird Menschen in Armut verweigert. Gemessen am Leitbild soziale Gerechtigkeit besteht hier also angesichts der sozialen Verwerfungen eine große Herausforderung. Es muss dafür gesorgt werden, dass niemand verloren geht und niemand unter ein bestimmtes Niveau in seiner Lebensführung absinkt, weil das seine Würde zerstört. Es bedarf einer Gesellschaft, die soziale Teilhabe im umfassenden Sinn ermöglicht. Es braucht Solidarität gerade mit Schwächeren. Und es braucht Rechtssicherheit und Unterstützung in verlässlichen Strukturen. Gleichzeitig verpflichtet das Leitbild der sozialen Gerechtigkeit zu der Aufgabe, den wachsenden Reichtum in unserem Land so zu verteilen, dass damit Armut deutlich minimiert werden kann. Allerdings ist die herrschende Politik von solchem Handeln weit entfernt.

Was also tun? Unser Handeln an sozialer Gerechtigkeit ausrichten. Solidarität üben zumindest im kleinen Rahmen. Und im Sinne der Philosophie John Holloways eine hoffende Haltung einnehmen: “Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen”. Es geht also nicht um die Eroberung der Macht, nicht um die Entwicklung von Gegen-Macht, um damit die Staatsmacht zu erobern. Vielmehr geht es um Experimente mit anderen gemeinschaftlichen, demokratischen und ökologischen Formen des Lebens und Arbeitens. Es geht zentral um die Wiederherstellung des freien Flusses des Daseins, der Gefühle, der Fähigkeiten, der Verantwortungen. Es geht darum, Freiräume zu schaffen, in denen der Kapitalismus nicht leben kann und somit kreative Macht zu ermöglichen. Diese Freiräume setzen gemeinschaftliche Organisationsformen voraus - als Zellen einer neuen Gesellschaft. Dem Götzen des Eigentums müssen das Knüpfen von Freundschaft, die Liebe, die Solidarität und die Gemeinschaft gegenüberstehen.

Mit dem Lebenshaus versuchen wir, diesen Weg der Veränderung zu gehen, der auf der Dialektik zwischen Analyse und Vision besteht. Wir befinden uns auf diesem Weg gemeinsam mit einer vielfältigen Bewegung, welche die Gesellschaftlichkeit ihres Tuns wie zu einem Flickenteppich zusammenfügt.

Fußnoten

Veröffentlicht am

01. September 2007

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