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Hintergründe zum Protest gegen die Umleitung des Rio São Francisco

Der Hungerstreik von Bischof Cappio ist eine "Geste der Verzweiflung", wie er selbst sagt, angesichts der autoritären Vorgehensweise, mit der die Regierung Lula das Mega-Projekte der Flussumleitung durchsetzt. Seit nun zehn Tagen setzt er unerschütterlich dieses Zeichen des friedlichen Widerstands gegen die Zerstörung des Rio São Francisco in der Franziskus Kapelle der Gemeinde Sobradinho (Bahia), am Ufer des Sobradinho Stausees.

Es vergingen zwei Jahre vergeblicher Versuche von Organisationen der Zivilgesellschaft, einen demokratischen, transparenten und partizipativen Dialog über das Projekt zu erreichen. Die Landlosenbewegung MST, die Bewegung der Staudammbetroffenen, Bewegung der Kleinbauern, die Landpastoral CPT und die Pastoral für KleinfischerInnen sowie viele andere soziale Bewegungen haben sich in einem einzigartigen Bündnis mit den Fischergemeinden und der indigenen Bevölkerung der Region zusammengeschlossen, um den Bau des Mammutvorhabens zu stoppen. Doch die Regierung blieb taub gegenüber den Anliegen und Argumenten der Protestbewegung.

"Ein Kranker kann kein Blut spenden"

Seit seiner einjährigen Pilgerreise entlang des 2.800 km langen Flusses 1992/1993 weist Bischof Cápio auf die dramatische Situation des Flusses hin. Damals wanderte Bischof Cappio zusammen mit zusammen mit drei weiteren Aktivisten, dem Soziologen Adriano Martins, Schwester Conceição und dem Bauern Orlando de Araújo von der Quelle bis zur Mündung des Rio São Francisco und veröffentlichte seine Eindrücke in einem Buch. Seitdem hat sich die Situation des Flusses nur noch verschlechtert. Die geplante Ableitung von Flusswasser in die nördlichen semiariden Gebiete ist für Dom Luiz deshalb, als ob man einen Kranken zum Blutspenden zwingt.

In dem Ort Sobradinho, den der Bischof für seinen Hungerstreik ausgewählt hat, zeigen sich der gravierende Zustand des Rio São Francisco und seine fehlende Wasserkapazität besonders deutlich. Der riesige Sobradinho-Stausee (300 km lang, 50 km breit) ist derzeit auf lediglich 14% seiner Wasserkapazität reduziert. Dadurch sind auch schon die Wasserversorgung der anliegenden Städte und die Bewässerung der Felder der Kleinbauern beeinträchtigt.

Gründe für den Rückgang des Wasserstandes

Ein entscheidender Faktor für den Wasserrückgang ist die unkontrollierte Wassernutzung für Bewässerung. Bereits heute wird im Mittellauf des Flusses 65% des entnommenen Wassers für Bewässerung in großen Bewässerungsprojekten, vor allem für Obstplantagen, verwendet.

Die ungebremste Abholzung in den Einzugsgebieten des Rio São Francisco, vor allem in der Cerrado-Region, der Quellregion der wasserreichsten Zuflüsse des Rio São Francisco, führte in den letzten Jahren zum Austrocknen zahlreicher Nebenflüsse.

Besonders die Euphorie um die Agrotreibstoffe, vor allem Ethanol, führte jüngster Zeit zu einer Ausweitung der Zuckerrohranbauflächen im Oberlauf des Flusses mit fatalen Folgen für den Wasserhaushalt und die Erosion. Im Zentral-Westen des Bundesstaates Minas Gerais, der Quellregion des Rio São Francisco hat der Anbau von Zuckerrohr von Juli 2006 bis Juli 2007 um 58,31% zugenommen.Die Angaben sind von der Landwirtschaftsvereinigung des Bundesstaates Minas Gerais (Faemg), zitiert in dem Artikel A matéria "Canaviais sufocam o São Francisco" é de Luiz Ribeiro, publicada pelo Estado de Minas, caderno de Agronegócios, em 19/11/2007

Derzeit löst der explodierende Ethanol-Markt zusätzlichen Antrieb aus, neue Anbauflächen für bewässerte Zuckerrohrplantagen in semiariden Gebieten zu erschließen. Und für diese Bewässerungsflächen für Zuckerrohr, das zu den Kulturen mit dem höchsten Wasserverbrauch zählt, braucht man das Flusswasser des Rio São Francisco. Die Nachfrage nach geeigneten Flächen für Zuckerrohranbau entlang der geplanten Kanäle ist groß. Die Filetstücke sind bereits verteilt. So investiert der japanische Konzern Itochu bereits Millionen in Bewässerungsanlagen in Pernambuco in Erwartung des São Francisco Wassers.Artikel aus dem Jornal do Commércio, vom 27/7/2007: "Canal do Sertão: Obra estimulará produção de etanol" Das Ziel, das exportorientierte Agro-Business im Nordosten zu fördern, ist oberste Priorität der Regierung, ohne die sozialen und ökologischen Folgen zu beachten.

Das Mega-Projekt der Flussumleitung des Rio São Francisco

Das monströse Infrastruktur-Projekt, das in der offiziellen Diktion als "Integration der Wassereinzugsgebiete" bezeichnet wird, beinhaltet den Bau von zwei Kanälen von 400 km bzw. 220 km Länge, die 26,3 m³/s des Flusswassers in nördlich gelegene temporär austrocknende Flüsse leiten sollen (siehe Karte, in gelb sind die Kanäle dargestellt). Damit dies möglich ist, müssen durch Pumpen erhebliche Höhenunterschiede überwunden werden, beim Nordkanal 165, beim Ostkanal 364 Höhenmeter. Insgesamt sind neun Pumpstationen, 27 Aquädukte, acht Tunnel und 35 Wasserrückhaltebecken sowie zwei Wasserkraftwerke vorgesehen.

Nach der aktuellen Fassung des Projektes sollen 70% des Wassers zu Bewässerungszwecken dienen. 26% fließen in die Städte (hauptsächlich Fortaleza) und 4% bleiben für die diffus über den Landstrich verteilt Lebenden - den eigentlich Bedürftigen. Hauptabnehmer und Profiteur wird der exportorientierte industrielle Agrarsektor (z.B. Obst- und Zuckerrohrplantagen sowie Krabbenzucht) sein. Die Probleme der Wasserversorgung in der Region und die daraus resultierende Misere der Landbevölkerung werden dabei geschickt instrumentalisiert, um Akzeptanz für die milliardenschweren Investitionen zu schaffen.

Doch die internationalen Geldgeber haben sich bisher nicht von dieser Strategie überzeugen lassen. Eine Weltbank-Studie hat sich gegen eine Kreditvergabe für das Projekt ausgesprochen, da die positiven Effekte für die Armutsbekämpfung nicht belegt sind. Als hauptsächliches Finanzierungsinstrument ist die Umlegung der Kosten auf die Wassernutzer vorgesehen. Mit der Transposição ist mit einem Anstieg des Wasserpreises auf das Fünffache des bisherigen Preises zu rechnen. Das bedeutet, dass wieder einmal die brasilianische Gesellschaft für die Förderung des Exports landwirtschaftlicher Erzeugnisse bezahlen soll.

Es handelt sich insgesamt bei der Transposição um ein extrem kostspieliges Vorhaben mit sehr zweifelhaftem gesellschaftlichem Nutzen. In das Projekt fließt gut die Hälfte aller staatlichen Investitionsmittel für hydrologische Infrastruktur, die im Programm zu Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (PAC) festgelegt sind. Für die nächsten vier Jahre sind Investitionen von 6,6 Milliarden Reais (entspricht ca. 2,4 Mrd. Euro) vorgesehen. Dazu kommen noch Betriebskosten, die auf jährlich auf R$ 93,8 Millionen Reais (ca. 34.1 Mio. Euro) geschätzt werden.

Einer der zentralen Kritikpunkte der Projektgegner bezieht sich auf die vorhanden Wasserressourcen in den Regionen, in die das São Francisco Wasser geleitet werden soll. So verfügt das semiaride Gebiet insgesamt über 70.000 Wasserrückhaltebecken, kleinere und größere Stauseen mit einem Gesamtvolumen von 37 Milliarden m³ Wasser. Doch werden diese vorhandenen Ressourcen zum Großteil schlecht genutzt und verteilt. Das Hauptproblem des semiariden Nordostens ist nicht die Knappheit an Wasser, sondern das Fehlen von gerechter Verteilung der vorhandenen natürlichen Ressourcen.

Laut Regierungspropaganda soll das Vorhaben 12 Millionen Menschen zu Gute kommen. Doch der Oberste Rechnungshof hat diese Angaben in Frage gestellt, da in dem Projekt lediglich die Hauptkanäle veranschlagt sind. Für die Zuleitungssysteme für die Gemeinden müssten die jeweiligen Bundesstaaten, mit ihren sehr spärlichen Haushalten, selbst aufkommen. Nicht die Trinkwasserversorgung steht im Mittelpunkt des Projektes, sondern die Interessen der Bauindustrie, der exportorientierten Bewässerungslandwirtschaft und der Garnelenzuchtbranche.

Das formale Genehmigungs- und Ausschreibungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Der oberste Gerichtshof hat noch nicht über die laufenden Einspruchsverfahren gegen das Projekt entschieden. Zahlreiche Fachleute kritisieren die Umweltverträglichkeitsstudie des Projektes als unzureichend und fehlerhaft. Unter anderem werden die im langjährigen Durchschnitt sinkenden Wasserstände des Flusses nicht thematisiert. Unabhängige Studien zu den Auswirkungen des Klimawandels auf den Nordosten Brasiliens gehen sogar von einer Abnahme des Abflusses von bis zu 20% aus. Das staatliche Projekt blendet diese Problematik jedoch völlig aus.

Die Ergebnisse des Ausschreibungsverfahren, an welche Firmen die ersten Bauabschnitte vergeben werden, wurden vor wenigen Tagen veröffentlicht. Im Zusammenhang mit dieser Auftragsvergabe deckte die Bundespolizei noch im Juni zahlreiche Verwicklungen von Baufirmen und Politikern in Korruptionsnetzwerken auf. Diese Skandale bestätigen den Verdacht, dass es sich auch bei der Transposição einmal mehr um eines der Großprojekte handelt, die vor allem dazu dienen, öffentlicher Gelder in die mächtige Baubranche zu leiten, die oft im Dunstkreis von Korruptionspraktiken und illegaler Politikerfinanzierung agiert.

Was die Sicherung der Trinkwasserversorgung betrifft, so hat die nationale Wasserbehörde ANA erst im Dezember letzten Jahres eine Studie zu Alternativ-Projekten veröffentlicht. Mit einem Investitionsvolumen, das der Hälfte der Kosten der Transposição entspricht, könnte durch dezentrale Maßnahmen die Wasserversorgung von gut dreimal mehr Gemeinden verbessert werden. Außerdem entwickeln zahlreiche Nichtregierungsorganisationen im Nordosten Techniken der Regenwasserspeicherung, mit denen vor allem in den entlegenen ländlichen Siedlungen auf effiziente Weise die Wasserversorgung gesichert werden kann.


Siehe ebenfalls:

 

 

Fußnoten

Veröffentlicht am

07. Dezember 2007

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