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Die Abrüstungsarchitektur bricht zusammen!

Von Wolfgang Kötter

Das Bauwerk internationale Abrüstung stürzt ein. In mühsamer Verhandlungstätigkeit waren in den vergangenen Jahrzehnten Abrüstungsverträge ausgehandelt und Baustein für Baustein zu einem komplexen Gebäude völkerrechtlicher Beschränkungen und Verbote für Waffen und Rüstungen zusammengefügt worden. Doch offenbar war es auf Sand gebaut. Wichtige Säulen sind bereits weggebrochen und die Abrüstung liegt zum großen Teil in Trümmern. Den Einsturz haben nicht höhere Mächte verursacht, sondern Politiker durch verantwortungslose und kurzsichtige Entscheidungen. Es begann vor sechs Jahren, als die USA für eine ungehinderte Entwicklung ihres Raketenabwehrschirms den russisch-amerikanischen ABM-Vertrag über die Beschränkung von Antiraketensystemen opferten. Damit verschwand nicht irgendein x-beliebiges Abkommen, sondern das zentrale Agreement des bipolaren Zeitalters. Er fixierte das strategische Gleichgewicht gegenseitiger Zerstörungsfähigkeit. Als Erbe der vergangenen Ost-West-Konflikts sahen beide Seiten es als Überlebensversicherung an. Der Abschreckungsmechanismus funktionierte nach dem makaberen Prinzip: “Wer als erster schießt, stirbt als zweiter!” Deshalb scheuten letztlich beide vor dem Wahnsinn eines atomaren Angriffs zurück.

Bei den gegenwärtigen Auseinandersetzungen, die zuweilen als Wiedergeburt des Kalten Krieges charakterisiert werden, geht es um nicht weniger als die Ausgestaltung der globalen Machtbalance für die kommenden Jahrzehnte. Russland kehrt nach dem Knockout im Ost-West-Konflikt gestärkt und mit nachdrücklichen Großmachtansprüchen auf die Weltbühne zurück. Dort aber fühlen sich die USA als alleiniger Sieger nach dem Duell und zimmern an ihrer Monopolstellung als übriggebliebene Supermacht. Die Absicht Washingtons, in Polen, Tschechien und im Kaukasus Elemente einer Raketenabwehr zu errichten, empfindet der Kreml als den Versuch, sich eine entwaffnende Erstschlagskapazität zu verschaffen und die strategische Stabilität zwischen beiden Mächten auszuhebeln. Gerade die Kombination von vor Ort stationierten Waffen zur Entschärfung gegnerischer Offensivraketen mit dem vermeintlichen Schutzschild zur Abschirmung des eigenen Territoriums vor feindlichen Antwortschlägen bildet den explosiven Mix. Eine funktionierende Raketenabwehr würde es den USA ermöglichen, in aller Welt auch dann ungestraft Angriffskriege zu führen, wenn die Gegner Massenvernichtungswaffen und Raketen als Trägermittel besitzen. Sie könnte zu Wahnwitz, Abenteurertum oder einfach nur zu technischen Pannen führen und die nukleare Katastrophe auslösen. Die US-Raketenabwehr erhöhe “die Gefahr der gegenseitigen Zerstörung und sogar der Vernichtung”, lautet deshalb das Verdikt des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Aber Moskau sieht sich noch durch eine weitere Expansion bedrängt. Die ehemals feindliche NATO rückt entgegen früheren Versprechungen Schritt für Schritt näher an die russischen Grenzen heran. Die Ausweitung des westlichen Bündnisses nach Osten soll demnächst mit der Aufnahme Georgiens und der Ukraine fortgesetzt werden. Außerdem weiten die USA ihre bereits in den zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken vorhandene Truppenstationierung durch neue Militärstützpunkte in Bulgarien und Rumänien aus. So zieht sich aus Moskauer Sicht ein bedrohlicher Ring militärischer Präsenz um Russlands Territorium. Verständlicherweise sieht Russland einer solchen Entwicklung nicht tatenlos zu. Da man weder Willens noch in der Lage ist, mit gleicher Münze heimzuzahlen, wird an “asymmetrischen” Antworten gearbeitet.

Die Bush-Regierung hat sich in den letzten Jahren schrittweise jeglicher völkerrechtlicher Beschränkungen ihrer militärischen und Rüstungsaktivitäten entledigt und die Politik der Missachtung internationaler Verträge fortgesetzt: Die Antiminen-Konvention gar nicht erst unterschrieben, die Ratifizierung des Teststopp-Vertrages verweigert, das Kontrollprotokoll zur Biowaffenkonvention blockiert, die Umsetzung des Chemiewaffenverbots sabotiert und einen Vertrag gegen die Militarisierung des Weltraums abgelehnt. Nun folgt Russland dem schlechten Beispiel. Neben dem Einfrieren des KSE-Vertrages über konventionelle Streitkräfte und Rüstungen in Europa haben die russischen Militärs den INF-Vertrag über die Beseitigung der nuklearen Mittelstreckenraketen ins Visier genommen, um diese als Vergeltungswaffen wieder zur Verfügung zu haben. Die wahrscheinliche Folge der destabilisierenden Entwicklung wird ein neues Wettrüsten sein. Die Symptome dafür sind bereits unübersehbar. Denn noch weitere Rüstungskontrollabkommen verschwinden nach und nach von der internationalen Bildfläche. Die START- und SORT-Verträge über strategische Offensivwaffen Russlands und der USA laufen ohne eine Nachfolgeregelung in 2009 bzw. 2012 aus. Wenn dann aus dem in Jahrzehnten errichteten Vertragswerk nur noch Ruinen bleiben, entsteht ein praktisch rechtsfreier Raum für die Aufrüstung. Ohne jegliche Verbote, Begrenzungen oder Regeln aber droht der bereits begonnene Rüstungswettlauf zukünftig in ungebremster Dynamik zu eskalieren und die Kriegsgefahr enorm anzusteigen. Erforderlich wäre hingegen, der grundlegenden Wahrheit zu folgen, dass es im nuklear-kosmischen 21. Jahrhundert nur eine gemeinsame Sicherheit gibt. Oder den gemeinsamen Untergang.

Erschienen in der Zeitschrift für internationale Politik und vergleichende Studien “WeltTrends”, (Jahrgang 15), Nr. 57, Winter 2007

Veröffentlicht am

30. November 2007

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