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Den “Volksparteien” fällt das Volk wieder ein

Abbau des Sozialstaats: Hartz IV wird zum dauerhaften Lebensstil ganzer Bevölkerungsgruppen


Von Michael Jäger

Nach dem Ende der Parlamentsferien ist die Hektik groß. Gewisse Umfragen, die zeigen, wie die Bevölkerung über den Abbau des Sozialstaats denkt, haben für Unruhe gesorgt. Selbst die FDP wendet sich jetzt gegen die Rente mit 67. Ob Hartz IV nicht erhöht werden könne, fragen Politiker der SPD und sogar der Union - jetzt, da die Butterpreise gestiegen sind. Führende Unionspolitiker halten gar nichts davon. Für die SPD hat Arbeitsminister Müntefering entschieden, eine Erhöhung von Hartz IV sei nur möglich, wenn zugleich der Mindestlohn komme. Das sage er, um die Erhöhung unmöglich zu machen, meint sein Parteifreund Dreßler. Denn der Widerstand der Union gegen den Mindestlohn sei ja bekannt.

Einig sind die Koalitionsparteien, den Kinderzuschlag für Geringverdiener aufzustocken, damit nicht immer mehr einkommensschwache Familien in den Hartz IV-Bezug abrutschen. Das heißt, sie sollen nicht schlechter dastehen als Hartz IV-Empfänger und auf keinen Fall so genannt werden. Doch was hilft die Benennung? Die hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti erinnert daran, “dass Kinder mit der Sozialhilfe nach Hartz IV nicht gesund genug ernährt werden können oder kein Geld für den Mittagstisch in der Schule haben”.

Rührend zu sehen, wie den “Volksparteien” das Volk wieder einfällt.

Dass die Hartz-Reformen falsch angelegt waren und ein Fehlschlag sind, wird inzwischen überall anerkannt. Nur warum es so ist, liest man selten. Von technischem Ungeschick ist die Rede, weil die Arbeitsvermittlung nicht so funktioniert, wie man es sich vorgestellt hatte. Oder von prognostischem Versagen: Arbeitslosigkeit sollte dem Staat durch die Reformen billiger kommen, tatsächlich ist sie teurer geworden, viel teurer. Aber das sind Oberflächen. Für den Irrweg der Reformen ist in Wahrheit ihre verlogene Fragestellung verantwortlich. Wie gelingt es, lautete sie, die Zeit zwischen verlorenem und neu gefundenem Job zu verkürzen? Dadurch wurde suggeriert, die Massenarbeitslosigkeit rühre von der Langsamkeit der Arbeitssuchenden her. Weil die Suggestion eine Lüge war, konnte die Arbeitsvermittlung gar nicht funktionieren, denn die Jobs, die schneller gesucht werden sollten, wurden durch die Reformen nicht zahlreicher. Andererseits hatte die Lüge ihren Preis, denn diese Vermittlung und viele andere Nutzlosigkeiten, die zur Verhüllung eingesetzt wurden, kosteten Geld. Es war auch verlogen, Hartz IV als Einstieg in eine Grundsicherung hinzustellen, obwohl nur die Zahl der Sozialhilfeempfänger erhöht wurde.

In diesen Tagen wird immerhin deutlicher, dass wir es mit einer Verlogenheit zu tun haben, in der sich zwei üble Wahrheiten verstecken. Da ist zum einen Münteferings Einspruch gegen eine kontextlose Erhöhung von Hartz IV. Der Mann hat die Logik auf seiner Seite, auch wenn es eine schlimme Logik ist: Eine Erhöhung, sagt er, dürfe nicht dazu führen, dass der Staat noch mehr Kompensation für Billiglöhne zahle, die dann noch tiefer unter dem Hartz IV-Niveau liegen. Dem könne nur ein Mindestlohn über diesem Niveau vorbeugen. Das leuchtet ein, obwohl auch Dreßler recht hat, einer solchen Politik in der großen Koalition keine Chance zu geben.

Woran werden wir hier erinnert? Daran, dass viele Unternehmer sich jetzt schon auf die staatlichen Doppelmogelpackung berufen, Hartz IV, wie es ist, sei existenzsichernd, und außerdem wolle der Staat ja Kombilöhne zahlen. Was soll sie dann noch abhalten, Löhne ganz gezielt unterhalb von Hartz IV zu kalkulieren? Der Fiktion, Hartz IV sei existenzsichernd, wird hier eine Art “Wirklichkeit” verschafft.

Zum andern hat eine eben veröffentlichte DGB-Studie gezeigt, dass die neue Arbeitsvermittlung auf ein neues Zwei-Klassen-System hinausläuft. Beschleunigt kommen Bezieher von Arbeitslosengeld I zu neuen Jobs. Die Bezieher von Arbeitslosengeld II hingegen, besonders die Langzeitarbeitslosen, sind auf einem neuen Ver- und Abschiebebahnhof gelandet. Das bedeutet, manche finden tatsächlich schneller Arbeit: diejenigen, die den Job schon im früheren System schnell wechselten. Diese Beschleunigung lag im Interesse der Unternehmer und wurde realisiert. Der ganze überzählige Rest von Arbeitslosen hat wenig davon. Ihn hat man mit denen gleichgesetzt, die früher Sozialhilfeempfänger hießen. Es wurde zwar behauptet, auch für diese suche man jetzt - das sei der Effekt der Gleichsetzung - ganz ebenso Jobs wie für alle, die früher Arbeitslosenhilfe erhielten. Tatsächlich wurden die umbenannten Gruppen aber nur in der Abschiebung gleichgesetzt. Die Zahl derer, die unter das Hartz IV-System fallen, wird nicht geringer. Zwei Drittel aller Arbeitslosen werden hier inzwischen erfasst. “Hartz IV wird zum dauerhaften Lebensstil von ganzen Bevölkerungsgruppen”, sagt die DGB-Studie.

Wir brauchen uns von dem Argument, die von Hartz IV bewirkte Zusammenlegung verschiedener Sozialsysteme sei modern und notwendig gewesen, nun nicht mehr verwirren lassen. Sie wäre modern. Sie steht aber noch aus. Was die angeblich existenzsichernde Höhe von Hartz IV angeht, so schlägt der DGB vor, sie von unabhängigen Gutachtern berechnen zu lassen.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   34 vom 24.08.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Michael Jäger und des Verlags.

Veröffentlicht am

24. August 2007

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