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Muss man nicht Krieg führen gegen solche Ungeheuer?

Kosovo, Irak, Afghanistan, Sudan: Am Gängelband unserer Gefühle betreibt man Politik

Von Eugen Drewermann

Für die westlichen Staaten wird der asymmetrische Krieg, wie sie ihn im Irak und Afghanistan und möglicherweise bald im Sudan führen, zur Spirale ohne Ende. Mit dem größten militärischen Übergewicht lassen sich Anschläge und Entführungen nicht verhindern. Die Antwort darauf sind Durchhalteparolen und eine Vergrößerung des militärischen Übergewichts. Der Gegner stellt sich darauf ein. Er tut das mit keinem vom Irrsinn verzerrten Blick, sondern im Bewusstsein der Möglichkeiten, diesen Krieg als seinen Krieg fortzusetzen.

Die Bewahrung des Menschen konzentriert sich wie im Brennglas in einem einzigen Konflikt, dessen Wort heißt: Krieg! Ein Albtraum, mitgeschleppt aus den Tagen der Vorzeit; eine Überlebensnotwendigkeit im Schlachthaus der eigenen Epigenese zur Evolution der Spezies homo sapiens; ein Versuch, Reviere zu verteidigen, jagbares Wild zu erbeuten, Wasserstellen zu halten zum Schutz einer begrenzten Zahl heranwachsender Kinder und gebärtüchtiger Frauen; Männerwerk; Gruppenpsychologie. Das alles mag einmal einen Sinn gehabt haben. In unseren Tagen ist es nichts weiter, als der Ausweis einer noch nicht überwundenen Barbarei.

Wir morden alle Traurigen, und die Welt wird fröhlicher

1990/91 gab es keinen Marktplatz in Deutschland, auf dem nicht Hunderte oder Tausende demonstrierten gegen den Krieg von Bush senior im Irak. Dann aber erlebten wir, was ganz normal geworden ist nach dem verlorenen Vietnam-Krieg der Amerikaner: Man muss die Journaille so einbetten, nicht nur, dass sie schläfrig wird, sondern süchtig nach den Informationen, die man ihr gibt wie dem Haifisch das Futter. Man zeigte Bilder aus einem kuwaitischen Hospital: Irakische Soldaten - diese Barbaren - hielten Säuglinge aus den Brutkästen hoch und warfen sie auf die Erde! Darüber lag die Frage: Muss man nicht Krieg führen gegen solche Ungeheuer? Wir waren sprachlos, und die Aufklärung kam zu spät, dass diese Machwerke in London gedreht worden waren mit der Tochter eines kuwaitischen Diplomaten in der Rolle einer Krankenschwester.

Spricht es nicht für uns, die ganz normalen Bürger, dass man uns belügen muss, um uns kriegsfertig zu machen?

1999 hatte die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright bei den Verhandlungen in Rambouillet die Serben so in die Enge getrieben, dass Milosevic´ in Antwort auf die NATO-Bombardements die Vertreibung der Albaner im Kosovo anstrengte. Unser eigener Außenminister tischte uns die Lüge auf von einem immer schon vorhandenen "Hufeisen-Plan", den es tatsächlich nie gegeben hatte. Aber seitdem sind wir Deutsche kriegswillig. Originalton Joschka Fischer aus der Zeit des Kosovo-Krieges: "Wir haben eine Weltverantwortung. Das habe ich gelernt aus Auschwitz."

Konnte man die Vertreibungen im Kosovo verrechnen gegen Auschwitz? Hatte das eine mit dem anderen irgendeinen erkennbaren Zusammenhang? Kann man das Töten von Menschen instrumentalisieren und rechtfertigen als Rettung von Menschen? Das ganze Orwell´sche Neusprech sollten wir in keiner Zeitung mehr hinnehmen, in keiner Sendung mehr dulden. Krieg ist nicht Frieden, Kriegsvorbereitung keine Sicherheitspolitik. Katzen sind nicht Mäuse, und Lügen keine Wahrheit. Aber so - am Gängelband unserer Gefühle - betreibt man Politik.

Denn die erste Waffe, um die Friedensbewegung unschädlich zu machen, ist die verordnete Lüge, ist die political correctness, die Willfährigkeit der Medien - den Sponsoren hinterher zu eilen und nur noch zu schreiben, was man hören will, damit man seinen Platz behält. Gibt es in Deutschland noch eine Presse, die wirklich kritisch ist, und nicht schon weil sie das ist, lächerlich wäre? Man muss bei allem, was man hört - fast wie im Kabinett der Paranoia - das Gegenteil von dem denken, was gesagt wird. Wie in den Tagen Orwells: "Wir wollen keinen Krieg" bedeutet: "Wir bereiten ihn ganz sicher vor!". "Wir setzen auf die Mittel der Politik" heißt: "Wir schicken gerade Schiffe in den Golf (um dem Iran schon mal zu zeigen, wie es weiter gehen könnte)". "Wir wollen keine Atomwaffen" heißt "Wir stellen gerade robuste nukleare Erdpenetrationswaffen her".

Wie vermeiden wir, zu Opfern dieses gigantischen Spektakels zu werden? Was uns bleibt, ist ein Teil der Aufklärung über unsere eigene Psyche. Und diese Art der Aufklärung spricht im Grunde für uns selber. Diesen Rest von Stolz, den wir vermitteln können, sollten wir uns nicht rauben lassen.

Grund für den Krieg ist niemals der Einzelne, selbst, wenn er wahnsinnig wird vor Hass und Verzweiflung. Selbst, wenn er Amok läuft. Selbst wenn er sich mit dem Gürtel um den Bauch in die Luft jagt. Viel mehr als 40 oder 50 Menschen wird er auf diese Weise nicht töten können. Aber der organisierte Hass, das - was wir Krieg nennen - ist eine sozialpsychologische Angelegenheit, und sie macht aus dem Einzelnen - schon, weil er mitwirkt - das erste Opfer. Die Schichten, in denen das geschieht, lassen sich zeigen. Viel zu einfach wäre es zu erklären, dass der Erste Weltkrieg zurück ging auf Wilhelm II., der Zweite auf Adolf Hitler, der Irak-Krieg 1991 auf Saddam Hussein. Ständig machen wir uns die Analyse zu leicht - oder lassen wir sie uns viel zu leicht machen, indem wir komplexe Probleme individualisieren und dann zum Abschuss frei geben: "Saddam Hussein - ein zweiter Hitler!" Wir müssen nur genügend töten! Rotten wir die Bösen aus, wird die Welt von allein besser! Ein Programm - so verrückt, als würden wir sagen: "Wir morden alle Traurigen dahin, und die Welt wird fröhlicher."

Weil wir den Frauen keine Burka überziehen

Die Wirklichkeit ist, dass der Krieg geboren wird aus rein sozialpsychologischen Dynamismen - sie lassen sich so einfach durchschauen, wie es nur irgend geht. Sie bestehen darin, das Beste in uns, unsere Tradition, unsere religiösen Werte, unsere moralischen Inhalte zu Propagandawaffen umzuschmieden. Krieg ist nur zu führen, wenn sich eine Gruppe gegen die andere einschließt, mit einem bestimmten Autostereotyp, das ihr versichert, besser zu sein als die andere - die Konkurrenz- und Bezugsgruppe. Diese Gruppe fühlt sich besser, weil sie die richtigen Werte hat, weil sie demokratisch ist, weil sie menschlich ist, weil sie überlegen ist, weil sie den Frauen keine Burka überzieht, weil sie das allgemeine Wahlrecht hat, weil weil weil … und deshalb müssen wir jetzt Krieg führen zugunsten der Gerechtigkeit, der Menschlichkeit, des Fortschritts - was auch immer.

Der Aberwitz liegt darin, dass man Werte, die allen gehören, weil sie Menschen sind, fraktioniert und verabsolutiert zur Durchsetzung von speziellen gruppenegoistischen Einzelinteressen. Moral ist nichts für ein einzelnes Volk, sondern für alle Menschen, weil sie Menschen sind. Im Krieg aber werden daraus Waffen zum absoluten Rechthaben. Kein Krieg, der nicht geführt würde entweder für Gott oder für säkulare Ersatzstücke davon. "Kann denn" - meinte Erasmus von Rotterdam im 16. Jahrhundert - "irgendein Krieg geführt werden, ohne dass jeder der beiden Kombattanten seine Sache für die gerechte halten würde?"

Der Aberwitz des Krieges besteht darin: Nachdem man sich über das, was Recht ist, nicht hat einigen können, soll dann im Ausstoß der schlimmsten Vernichtungskapazität industrialisierter Staaten am Ende nach einem massenhaften Morden der eine - nur weil er der Sieger ist - diktieren können, was als Recht zu gelten hatte? Soll er das Recht haben, alles zu verleugnen, was bis dahin Menschlichkeit geheißen hat? Genau das ist Krieg!

Im so genannten Kalten Krieg hatten wir Regierende, die es für Weisheit erachteten, die Menschheit bedrohen zu können mit der sekundenschnellen Ausrottung von Hundertmillionen Menschen - per Knopfdruck. Und dazu brauchte man junge gesunde Leute in den Strategic Air Commands, die in den Tests nachweisen konnten, dass sie beim Angriff auf Moskau oder Peking, beim Ausschalten von beliebig vielen Millionen Menschen nicht eine Nacht schlecht schlafen oder einen Albtraum produzieren würden.

"Der Scheißkrieg war danach zu Ende", sagte Major Sweeney

Ich entsinne mich - 1995 - eines kleinen Interviews auf RTL. Günter Jauch befragte mit Major Sweeney den Kommandanten der Maschine, die am 9. August 1945 die Atombombe über Nagasaki abwarf. "Major, was haben Sie 50 Jahre danach gedacht?" (Jauch fragte nicht, was nahe lag: "Sie, Major Sweeney, haben zusammen mit Ihrem Kameraden Major Tibbets drei Tage vorher über Hiroshima in Sekunden mehr Menschen gemordet als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Wie geht man damit um, wie lebt man damit?") Major Sweeny antwortete sinngemäß und im entsprechenden Tonfall: "Was soll das? Befehl ist Befehl! Jeder Soldat der Welt hätte das genauso gemacht. Außerdem: Der Scheißkrieg war danach ja zu Ende." Aber der Zweite Weltkrieg war längst zu Ende. Die Amerikaner wollten lediglich den Sowjets noch zeigen, wer Herr im Pazifik und Nachfolger des japanischen Imperialismus sein würde.

Aber - wo Sweeney recht hat, hat er recht: Jeder Soldat der Welt hätte genau dasselbe getan. Es gibt keine Armee der Welt, die das befolgt, was sie erklärt: Der Bürger in Uniform dürfe einen unmenschlichen Befehl verweigern. So siehst du aus! Denn dann müsste ja trainiert werden, wie man Befehle verweigert. Stattdessen aber heißt es: "Jetzt wird nicht diskutiert, sondern marschiert! Du bist nicht verantwortlich für den Inhalt des Befehls, sondern für die Korrektheit seiner Ausführung."

Alle Kriege laufen darauf hinaus, den Schrecken, den man für das Eigene befürchtet, auf das Andere zu übertragen. Die besten Werte werden umformiert zur Lüge und zur Farce. Deswegen ist es ein Stück der Selbstbehauptung, der Ehrlichkeit, der Würde vor sich selber, Nein zu sagen dem Krieg gegenüber, keine Entschuldigung mehr gelten zu lassen, unter keiner Farbe mehr sich etwas vorschmieren zu lassen. Die einzige Art, auf den Krieg zu reagieren, besteht darin, ihn zu verweigern!

Und dennoch haben wir diese ungeheure Geduld. Wir erlauben den Amerikanern, die Hälfte aller Rüstungsgelder selber auszugeben auf diesem Globus - jeden Tag mehr als eine Milliarde Dollar. Wir Deutsche brauchen anderthalb Monate, um an diese Summe heranzukommen, aber wir sind mit dabei. Das alles treiben wir bei über 50 Millionen Verhungernden, in einer Zeit, in der wir jedes Jahr 150 Tier- und Pflanzenarten ausrotten, nur um gesiegt zu haben. Selbst der Nicht-Krieg, diese Art von Rüstung, dieser Militär-Keynesianismus, mit dem die Mächtigen die Waffenlobby sponsern und unterschwellig - freier Markt hin und her - in jeder Weise bevorzugen, ist Mord an den Menschen, die nicht weiter wissen.

Aber so leben wir! 100.000 Menschen - schätzt man - stehen in Nordafrika und möchten einfach nach Europa, auf der Flucht vor Hunger in ein Land, in dem die Balken sich biegen von nahrhaften Gütern. Und wir lassen die Marine ins Mittelmeer, damit wir sie abfangen, damit sie Europa gar nicht erst sehen. Wir errichten Grenzen wie zwischen Ost und West in den Tagen der DDR oder wie die Amerikaner 1.200 Meilen an der Grenze zu Mexiko - nur, um sich abzuschotten.

Wolfgang Borchert schrieb 1947: "Was soll ich denn tun und wo soll ich hin, wenn alles, was ich mache, auf einen Mord hinausläuft?" Ich muss ehrlicherweise zugeben, dass ich darauf keine Antwort weiß. Wir sind nicht dabei, auch nur die Geschwindigkeit in immer rasendere Formen der Gewalt ein wenig aufzuhalten. Von einer Schubumkehr kann weit und breit keine Rede sein. Die Machthaber haben aus dem Schock von Vietnam das für sie Richtige und für uns absolut Verkehrte gelernt: Es soll so weiter gehen! Und es wird so weiter gehen, muss ich fürchten, solange es überhaupt noch gehen kann.

In dieser Lage ist es sehr wichtig, eine Dimension im Leben zu fühlen oder einzuführen, die das Absurdum erträglich macht. Ich stehe nicht an, es eine religiöse Dimension zu nennen. Die Dinge sind wahr - einfach, weil sie menschlich stimmen. Ob wir damit reüssieren, wie viel Widerspruch wir uns dafür einhandeln, ob uns irgendeine Zeitung dafür druckt oder verhöhnt, es ist absolut egal - wenn es nur stimmt.

Die Menschheit von morgen wird eine friedliche sein oder überhaupt keine sein! Deshalb werden wir - irgendwann - bestätigt werden in dem, was wir sagen. Nur - um welchen Preis, um wie viele Opfer? Ich weiß es nicht - und ehrlich gestanden: Ich möchte es gar nicht wissen.

 

Eugen Drewermann wurde nach dem Studium der Philosophie und Katholischen Theologie 1966 zum Priester geweiht. Er arbeitete als Studentenseelsorger, ab 1974 als Subsidiar in Paderborn. 1978 habilitierte er sich in Katholischer Theologie und erhielt die Lehrerlaubnis für Dogmatik. Im Oktober 1991 entzog ihm Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt die katholische Lehr- und Anfang 1992 die Predigtbefugnis, es folgte die Suspension vom Priesteramt. Ursache waren abweichende Ansichten Drewermanns in der Moraltheologie und Bibelauslegung. Am 20. Juni 2005, seinem 65. Geburtstag, trat er aus der römisch-katholischen Kirche aus. Heute arbeitet er als Lehrbeauftragter an der Universität Paderborn, als Schriftsteller, Redner und Seelsorger.

Zu seinen bekanntesten Büchern gehören: Glaube in Freiheit (2002); Wenn die Sterne Götter wären. Moderne Kosmologie und Glaube. Im Gespräch mit Jürgen Hoeren (2004) Heilende Religion. Überwindung der Angst (2006).

 

 

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung   31 vom 03.08.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

Veröffentlicht am

14. August 2007

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