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Das Richtige im Falschen

Modell für solidarische Ökonomie: Ein Ingenieurs-Projekt jenseits des Mainstreams

Von Wolfgang Neef

Weltweit leben zwei Milliarden Menschen in Regionen ohne Anbindung an ein Elektrizitätsnetz, das heißt im “Mikroenergie-Sektor”. Sie brauchen hoch entwickelte, zuverlässige und langlebige Systeme zur CO2-armen Energieversorgung, angepasst an die jeweilige Region. Sie brauchen auch Finanzierungsmodelle, die an ihre materielle Lage angepasst sind. Einen Lösungsweg bietet das Mikroenergie-Projekt an der TU Berlin, das die lokale Nutzung von Sonnenenergie voranbringen will. Neben der technischen Umsetzung soll die Mikrofinanzierung als ein Modell solidarischer Ökonomie verbreitet werden. Dies ist ein Ansatz, dem globalisierten kapitalistisch-industriellen Komplex in diesem Bereich den Boden zu entziehen. Die Menschen sollen die Technik schließlich vor Ort entwickeln und bauen können.

Eine tägliche Kanonade verbaler Kraftmeiereien zum Klimaschutz, verbunden mit technologischen Wahnsinnsprojekten wie dem geplanten Bau von 40 neuen Kohlekraftwerken in Deutschland zeigt, dass das Vertrauen in “Wettbewerb”, Markt und technische Wunderwaffen ungebrochen ist. Jeden Tag schmücken sich die Eliten mit neuen gigantomanischen Projekten: Gestern der Airbus 380 und die Elb-Philharmonie im Hamburger Hafen, heute der französische Rekord-Zug mit über 500 km/h Tempo, morgen CO2-Abscheidung, Kernfusions-Reaktoren oder das “technokratische Monstrum” (Fabio Longo, Eurosolar) des Vollpflasterns der Wüsten mit Solarkraftwerken. Letztere drei sind technologisch gesehen ungedeckte Schecks, deren Realisierung, wenn sie überhaupt möglich ist, mit enormen Problemen verbunden sein wird. Heute eignen sie sich aber gut dazu, das “Weitermachen!” und den Wettbewerb der Irren um ihre Fetische zu legitimieren. Ganz wie im 17. Jahrhundert die Häuptlinge und Priester auf den Osterinseln: Als längst die natürlichen Lebensgrundlagen im Eimer waren, wurden immer noch größere Statuen aus den Felsen gehauen.

Naturwissenschaftler und Techniker sind am heutigen Wettlauf der Machbarkeiten führend beteiligt und verdienen gut daran. Allerdings: Nicht mehr alle. In einigen relativ stillen Ecken arbeiten Ingenieurinnen und Ingenieure an Techniken, die sich vom Größenwahn des Ingenieur-Mainstreams bewusst entfernen. Da geht es um Lebensdauerverlängerung von PCs oder Waschmaschinen (“Remanufacturing”), um energetische Sanierung von alten Gebäuden, um lokale Vernetzungen zur Mehrfachnutzung technischer Geräte, also um unspektakuläre Projekte, die auch ökonomische Alternativen erfordern. Ihre Maxime: Praktisch etwas gegen die herrschenden Verhältnisse und die Umweltzerstörung tun, ohne lange zu räsonieren, ob das “Richtige im Falschen” möglich ist. Und: Angepasste Technik mit entsprechend angepasster Ökonomie verbinden, um auch ökonomische Zukunftsoptionen auszuprobieren und zu verbreiten.

Eines dieser Projekte ist die dezentrale ländliche Elektrifizierung mit Erneuerbaren Energien in den Ländern des Südens durch das “Mikroenergie-Projekt”. Es arbeitet nach dem Modell der Mikrofinanzierung des Friedensnobelpreisträgers von 2006, Muhammad Yunus, und des Tochterunternehmens der von ihm gegründeten Grameen-Bank, “Grameen Shakti” in Bangladesh. Grameen Shakti vertreibt über ein Netz von eigenen Filialen Solar Home Systems, das sind solarzellenbasierte Systeme zur häuslichen Energieversorgung. Das Verfahren entspricht einem Bedarf an dezentraler Energieversorgung. Es ist durch die Nutzung von Solarzellen von fossilen Energie-Ressourcen unabhängig und wird als Energiequelle vornehmlich im häuslichen Bereich für Licht und die Nutzung von Fernseher oder Radio eingesetzt. Darüber hinaus gibt es Anwendungen im Bereich der Mobiltelefone oder anderer Kleingeräte. Die Systeme ersetzen die bisherige ökologisch schlechte Energieversorgung durch Diesel-Generatoren, Kerosinlampen, Holz, Bleibatterien und so weiter.

Die herkömmliche Energieversorgung kostet umgerechnet etwa 1,50 Euro pro Kilowattstunde und muss von Haushalten bezahlt werden, die im Monat nur zwischen 30 und 60 Euro zur Verfügung haben. Mit dem Ölpreis wird der Kilowattstundenpreis weiter ansteigen. Das Produkt “Solar Home System” ist nicht nur ökologisch, sondern auch preislich günstiger. Es besteht zum einen aus dem technischen System und zum anderen aus einem Servicepaket von Finanzierung durch Mikro-Kredite, Installation vor Ort, Schulung und einer Servicegarantie von drei Jahren. Das Standardsystem hat eine Leistung von 50 Watt und einen marktüblichen Preis von ungefähr 400 Euro. Wird der Mikro-Kredit durch Raten in Höhe der bisherigen Energiekosten von 10 bis 20 Euro getilgt, sind die Systeme nach circa drei Jahren abbezahlt.

Grameen Shakti finanziert sich als Non-Profit-Unternehmen über die eigenen Einnahmen im operativen Geschäft und ist nicht auf dauerhafte Subventionen angewiesen. Es ermöglicht den Kunden, sich unabhängig von zentralen Lösungen der Energieversorgung zu machen und dadurch auch aus einer Wartehaltung dem Staat gegenüber zu kommen.

Perspektivisch soll das Konzept - allerdings mit mehrfacher Leistungsfähigkeit - auch auf strukturell schwache Regionen der Industrieländer ausgeweitet werden. Die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung hat an der TU Berlin ein Promotionskolleg “Mikroenergie-Systeme” eingerichtet und finanziert. Das interdisziplinäre Kolleg wird die technischen, ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Bedingungen und die Möglichkeiten praktischer Umsetzung in solchen strukturschwachen Regionen untersuchen.

Die IPCC-Studie zeigt, wie schnell wir auf die Klimaveränderung reagieren müssen. Technische Großprojekte zur Energieerzeugung, die wirklich zur CO2-Reduktion beitragen, kommen daher erst in zweiter oder dritter Linie infrage: Sie brauchen, selbst wenn sie realisierbar sind, einfach zu lange. Dagegen sind “Mikroenergie” und andere Projekte dezentraler erneuerbarer Energieumwandlung technisch sehr schnell, sozio-ökonomisch ziemlich schnell umsetzbar, wenn die großen Energiekonzerne entschlossen entmachtet werden. Sie tragen dazu bei, dem Süden materielle Entwicklungsmöglichkeiten zu geben, ohne den CO2-intensiven Wachstums-Wahnsinn global weiter anzuheizen. Dass als Pendant zu solchen Projekten die rabiate und sofortige Reduzierung des Energie- und Stoffumsatzes und damit die Veränderung der Lebensweise in den Industrieländern unverzichtbar ist, auch aus Gründen globaler Gerechtigkeit, muss aber immer wieder betont werden - denn das perpetuum mobile gibt es nicht.

Quelle: Freitag   - Die Ost-West-Wochenzeitung 16 vom 20.04.2007. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

22. April 2007

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