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“Stalking” in Deutschland künftig strafbar

Von Michael Schmid

Nach jahrelanger kontroverser Diskussion in Politik und Rechtswissenschaft hat der Bundesrat im Februar endgültig einem Gesetz zugestimmt, das die in den vergangenen Jahren unter dem Begriff Stalking bekannt gewordene Gewalt zum Strafbestand erhebt. Einem Täter, der jemandem nachstellt, drohen damit bis zu drei Jahre Haft. In besonders schweren Fällen - wenn Gesundheit oder Leben des Opfers in Gefahr sind, oder der Betroffene zu Tode gekommen ist - können bis zu zehn Jahre Haft verhängt werden.

Stalking-Übergriffe sind alles andere als selten. Harald Dressing, Leiter der Forensischen Psychiatrie des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim erklärt: “Etwa 11 Prozent aller Menschen in Deutschland werden mindestens einmal in ihrem Leben gestalkt. Auf Deutschland hochgerechnet sind das ungefähr 800.000 Fälle pro Jahr.”

Woran ist Stalking zu erkennen? Um Stalking kann es sich handeln, wenn jemand meine Nähe sucht, obwohl ich das nicht will. Wenn er mich mit ständigen Telefonanrufen terrorisiert, mir E-Mails, SMS oder Faxe schickt. Oder jemand sucht die Nähe eines anderen, indem er jemandem an der Arbeitsstätte, zuhause, beim Spaziergang oder bei einem anderen Hobby auflauert, ihn verfolgt, hinterherfährt. Es werden Nachrichten an der Haustür oder am Auto hinterlassen. Zum Stalking kann die Verbreitung von Diffamierungen und Unwahrheiten auf jegliche Art gehören. Jemand schleicht sich in meine Familie ein oder sucht Kontakt zu meinen Freunden. Manchmal gehen Stalker auch weiter, sie brechen bei den Opfern ein, lauern ihnen auf, schlagen sie. In seltenen Fällen geht dies bis zur Tötung.

Um Stalking handelt es sich erst dann, wenn die Belästigung einer Person über längere Zeit anhält und deren physische und psychische Unversehrtheit dadurch unmittelbar, mittelbar oder langfristig bedroht sind. Meist erstreckt es sich über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren.

Stalking-Opfer leiden unter einer Form privaten Terrors mit massiven Eingriffen in ihre Lebensführung. Häufige Folgen sind vegetative Erscheinungen wie etwas Unruhe, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Albträume, Angst bis hin zu panikartigen Zuständen. Viele sind schnell gereizt und reagieren dann situationsbedingt unbegründet aggressiv. Ein nicht geringer Teil der Opfer leidet unter depressiven Verstimmungen, einige darunter unter Depressionen. Öfter müssen die Opfer ihre Wohnung und Arbeitsstelle wechseln und können ohne Schutz nicht mehr in die Öffentlichkeit gehen.

Stalking vollzieht sich in der Regel im Freundes- und Bekanntenkreis. Oft bestand zuvor zwischen Täter und Opfer eine enge Beziehung. Stalker sind also häufig der Expartner des Opfers, der ehemalige Freund, ein Arbeitskollege, flüchtiger Bekannter. Es kann auch ein Prominenter oder ein vollkommen Unbekannter sein.

Das Verhalten von Stalkern unterliegt einem massiven Realitätsverlust. Sie empfinden weder ihre Wahrnehmung noch ihr Verhalten als problematisch, vielmehr stellt dies in ihren Augen eine gerechtfertigte Reaktion auf die vom Opfer verschuldeten Ursachen dar. Das Opfer ist schuld an einer Kränkung, einer Provokation, einer falschen Diagnose. Deshalb ist Psychoterror mehr als berechtigt. Stalker sind leicht kränkbar. Sie wollen Aufmerksamkeit um jeden Preis, wollen Kontrolle und Macht über andere ausüben.

Kein Allheilmittel

Das neue Anti-Stalking-Gesetz verspricht nun Hilfe gegen die massiven Auswirkungen durch die ständige Verfolgung für die Opfer. Allerdings wird es kein Allheilmittel sein können. Denn mit dem Strafrecht lässt sich nur gegen wirklich hartnäckige Stalker vorgehen. Ein Opfer muss erst beweisen, dass es hartnäckig verfolgt wird und diese Nachstellung seine Lebensgestaltung “schwerwiegend und unzumutbar beeinträchtigt”.

Nicht ohne Grund hat z.B. Bundesjustizministerin Zypries an Polizei und Justiz appelliert, die Strafvorschrift angemessen und wirkungsvoll umzusetzen. Denn bisher besteht insbesondere bei Gerichten und Staatsanwaltschaften häufig genug kein Interesse, Stalking-Fälle adäquat zu behandeln. Häufig werden Opfer nicht ernst genommen. Laut den Ergebnissen einer Studie der TU Darmstadt hatte sich deutlich mehr als ein Drittel der Betroffenen an die Polizei gewandt, um eine Anzeige zu erstatten. Das Resultat war oftmals ernüchternd, denn die Opfer gaben in 69 Prozent der Fälle an, dass sie Schwierigkeiten hatten, der Polizei den Ernst ihrer Situation zu vermitteln. Manche Beamte sagten, sie könnten schlichtweg nichts tun, dem Opfer müsse erst ein Messer im Rücken stecken. Andere bagatellisierten das Problem (“Freuen Sie sich doch über Ihren Verehrer”) oder taten es als Privatsache ab (“Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.”). So beurteilten dann auch 80 Prozent der Opfer die Maßnahmen der Polizei als nicht ausreichend oder unangemessen.

In Bezug auf die Justiz meint der Stalking-Experte Rechtsanwalt Dr. Volkmar von Pechstaedt aufgrund seiner reichhaltigen einschlägigen Erfahrung: “Manchmal sind Richter geradezu arrogant, wenn man versucht, Details der Fälle mit ihnen zu besprechen. In dieser Hinsicht kann ich keinen Unterschied zwischen älteren, erfahrenen Richtern und jungen Proberichtern feststellen. Es kommt immer wieder vor, dass sie in bewährter Form gestellte Anträge ohne sachlichen Grund abändern und dadurch sogar gravierende Fehler mit fatalen Folgen in den Tenor ihrer Entscheidung bringen.”

Insgesamt braucht es also einen deutlichen Zuwachs an Sensibilität und Kompetenz für die Behandlung von Stalking-Fällen bei Polizei und Justiz. Dass der Gesetzgeber jetzt durch einen Anti-Stalking-Paragrafen deutlich macht, dass er in Stalking strafbares Verhalten sieht, könnte zu einem sensibleren und kompetenteren Umgang mit dieser Gewalt beitragen. Dafür wären auch eine intensive Schulung und die Einrichtung von Sonderzuständigkeiten wichtig. Für Täter steigt mit dem neuen Gesetz die Gefahr, dass sie eine empfindliche Strafe erhalten könnten. Es muss jetzt abgewartet werden, wie viele sich davon abschrecken lassen werden.

Es braucht sensible Menschen

Weil sich von Stalking Betroffene oft alleine gelassen fühlen, sind Menschen sehr wichtig, denen sie vertrauensvoll ihre Sorgen und Ängste mitteilen können. Seelische Wunden sind nicht zu sehen und häufig werden psychische Verletzungen heruntergespielt mit der Begründung, man solle sich nicht so anstellen. Zusätzlich belastend sind für Stalking-Betroffene Ratschläge wie etwa, doch mit dem Täter ein klärendes Gespräch zu führen. Oder das Anbringen von “Weisheiten”, dass zu einem Streit immer zwei gehören. Hilfreich sind dagegen Menschen, die nicht mit oftmals unbedachten Banalisierungen dem Opfer Schuldgefühle einreden und zu weiteren Verletzungen beitragen, sondern sehr sensibel wahrnehmen, was dem Betroffenen widerfährt und eindeutig Partei für diesen ergreifen. Solche Menschen könnten Betroffene auch darin unterstützen, eine Selbsthilfegruppe oder psychotherapeutische Unterstützung aufzusuchen, um Ihre Belastungen abzumildern. Solche hilfreichen Menschen könnten wir alle sein, wenn wir mit offenen Augen und Ohren aufnehmen, was anderen Menschen passiert, teilweise mit höchst subtilen Gewaltmitteln. Es gibt jedenfalls eine erschreckend hohe Zahl von Menschen, die von dieser und von anderen Formen des Psychoterrors betroffen sind.

Opfer und Täter

An der Arbeitsstelle für Forensische Psychologie der Technischen Universität Darmstadt wurde im Zeitraum von 2002 bis 2005 die bisher größte wissenschaftliche Studie zum Thema Stalking im deutschsprachigen Raum erstellt. Dabei wurden Fragebögen von 551 Opfern und 98 Stalkern ausgewertet. Die Forscher fanden heraus, dass Stalking im Schnitt 28 Monate dauert. In nur neun % der Fälle war der Stalker ein Fremder, in 49 % hingegen der Ex-Partner.

80 % der Opfer, die zur Polizei gingen, fanden die Reaktion ungenügend oder unangemessen. Die Auswirkungen des Stalking auf die Betroffenen waren beträchtlich. Zwei Drittel wurden von Schlafstörungen und Alpträumen geplagt. 92 % berichteten über Angst während der Verfolgung bis hin zu panikartigen Zuständen. Nur 9% der Opfer gaben an, nach Beendigung des Stalking völlig angstfrei zu sein. Nahezu jedes vierte Opfer (23 %) war wegen der Verfolgung und Belästigung krankgeschrieben. Die Folgen waren auch aus wirtschaftlicher Perspektive immens, denn die Fehlzeit betrug im Durchschnitt 61 Tage.

Bei Stalkern handelt es sich häufig um Personen mit einem höheren Bildungsabschluss. 55 % von ihnen hatten Abitur gemacht oder sogar ein Studium absolviert. Als Gründe für ihre Beharrlichkeit nannten sie, dass sie davon ausgingen, dass das Opfer schicksalhaft für sie bestimmt sei (42 %), dass sie glaubten für das Opfer sorgen zu müssen (32 %), dass sie an ihr Glück und ihre Bedürfnisse denken müssten (31 %), dass ihnen von der Person Unrecht angetan wurde (28 %) oder in selteneren Fällen, dass sie ein Gefühl der Macht oder Kontrolle haben möchten (14 %). Hier wird das ganze Ausmaß der Realitätsverzerrung von Stalkern im Blick auf das Opfer deutlich, was auch der Grund dafür sein dürfte, dass klärende Gespräche so gut wie nie zu einer Beendigung der Belästigung führen.

 

Veröffentlicht am

24. Februar 2007

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