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Anti-israelisch - pro-israelisch - der Nahostkonflikt in den deutschen Medien

Von Bettina Marx - ARD-Hörfunk Studio Tel Aviv. Vortrag am 29. Oktober bei einer Tagung des DIAK zusammen mit der Böll-Stiftung in der Evangelischen Akademie Arnoldshain.

Prolog

Am Sonntag, den 14. Oktober erschien in der israelischen Tageszeitung Haaretz ein Artikel, in dem über die Probleme des langjährigen Israelkorrespondenten der FAZ, Jörg Bremer berichtet wurde. Die israelischen Behörden wollten ihm sein Visum nicht mehr verlängern. Sie stützten sich damit auf eine neue Bestimmung, nach der Gastarbeiter nicht länger als maximal fünf Jahre in Israel leben und arbeiten dürfen. Bremer - und mit ihm viele andere ausländische Korrespondenten in Israel - lebt aber schon viel länger, nämlich 15 Jahre in Jerusalem und berichtet von dort.

Danny Seaman, der Chef des Government Press Office, des Presseamtes der israelischen Regierung, der von der Zeitung dazu befragt wurde, reagierte ausgesprochen wütend, bezeichnete Bremer als “ein Stück Scheiße” und bediente sich weiterer Kraftausdrücke, die ich hier nicht wiederholen möchte. In einem Gespräch mit dem ARD-Hörfunk wies Seaman darauf hin, dass er diese Ausdrücke “off the record” benutzt habe, dass es sich bei dem Gespräch mit Haaretz nicht um ein offizielles und autorisiertes Interview gehandelt habe. Er unterstrich außerdem, dass Bremer und andere betroffene Korrespondenten in diesem Jahr noch einmal ihr Visum verlängert bekämen, dass die neue 5-Jahres-Regelung ab dem nächsten Jahr ausnahmslos für alle gelten werde.

Ich stelle diese kurze Geschichte meinem Vortrag voran, um damit deutlich zu machen, wie problematisch das Arbeiten für ausländische Korrespondenten in Israel ist. Dass Bremer eine große deutsche Zeitung vertritt und nicht etwa Le Monde oder The Guardian, mag eine Rolle gespielt haben. Auch diese Zeitungen aber hatten in der Vergangenheit große Probleme mit den israelischen Behörden. Denn die ausländischen Berichterstatter werden in Israel, zumindest bei den offiziellen Stellen, gemeinhin als feindselig und anti-israelisch angesehen. Man wirft ihnen einseitige Parteinahme für die Palästinenser vor und mangelndes Verständnis für Israel, das von einer feindlichen arabischen Welt umgeben sei und sich in seiner schieren Existenz bedroht sehe. Dabei spielt es keine Rolle, dass Israel mit zwei Nachbarstaaten Friedensverträge geschlossen hat und die arabische Initiative Israel Anerkennung und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen anbietet, wenn Jerusalem die UNO-Resolutionen umsetzt und sich aus den besetzten Gebieten zurückzieht. Dabei spielt auch keine Rolle, dass ein Großteil der ausländischen Korrespondenten in Israel jüdisch ist, mit jüdischen Ehepartnern verheiratet oder auf eine ähnliche Art und Weise dem jüdischen Staat und dem jüdischen Volk verbunden ist. Die Vorurteile gegen die ausländischen Journalisten existieren und richten sich in besonderer Weise gegen deutsche Korrespondenten - zumindest was die offizielle Politik des Government Press Office angeht. Das führt dazu, dass das GPO immer wieder einmal den Besuch eines deutschen Politikers zum Anlass nimmt, um antideutsche Artikel aus der israelischen Presse per E-Mail an alle ausländischen Journalisten zu versenden.

Ein paar Vorbemerkungen zu den Arbeitsbedingungen für ausländische Journalisten im Allgemeinen und deutsche Radiokorrespondenten in Israel im Besonderen.

Ausländische Journalisten müssen sich in Israel beim Government Press Office akkreditieren. Ohne den vom GPO ausgestellten Presseausweis können sie praktisch nicht arbeiten. Denn nur dieser Ausweis erlaubt es ihnen, in die palästinensischen Gebiete zu fahren. Für entsandte Korrespondenten ist es nicht besonders schwierig, einen solchen Ausweis zu bekommen. Allerdings können sie mit der Drohung, ihnen die Karte zu entziehen, unter Druck gesetzt werden. Missliebige Journalisten, die nach Auffassung des Presseamtes und seines Direktors zu kritisch berichten, können sich so ganz schnell großen Schwierigkeiten gegenüber sehen. Im Jahr 2002 erklärte der Direktor des Presseamtes Danny Seaman die Pressausweise der palästinensischen Korrespondenten pauschal für ungültig.

Wenn man eine Pressekarte hat, ist das Arbeiten in der Regel - zumindest formal - nicht schwierig. Gesprächspartner lassen sich leicht finden. Die meisten Israelis sind ausgesprochen mitteilungsbedürftig und lassen sich gern interviewen. Professoren, Multiplikatoren, Wissenschaftler, Publizisten sind in der Regel sehr bereitwillige Gesprächspartner, die auch vor einem deutschen Journalisten nicht zurückschrecken. Ganz selten ist es mir in vier Jahren passiert, dass man mit mir nicht sprechen wollte, weil ich Deutsche bin und ein deutsches Medium vertrete.

Bei Politikern sieht es etwas anders aus. Die haben gemeinhin überhaupt kein Interesse daran, vom deutschen Hörfunk interviewt zu werden.

Insgesamt kann man sagen, dass die journalistische Arbeit relativ unbehindert vonstatten geht. Dem ausländischen Journalisten bietet sich in Israel ein sehr breites Spektrum an Themen, Meinungen, Vielfalt und multikulturellem Pluralismus. All dies wird natürlich überschattet von dem Nahostkonflikt, der den Blick auf die Breite der gesellschaftlichen Entwicklungen stark verengt.

Die beiden ARD-Hörfunkkorrespondenten sind für Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete zuständig. Sie bedienen 65 Programme, von SWR 3 mit seinem Jugendprogramm über den WDR 3 mit seinem Kulturschwerpunkt bis hin zu den fünf Inforadios, dem Deutschlandfunk und der Deutschen Welle. In den letzten vier Jahren schwankten die wöchentlich gesendeten Beiträge zwischen 30 in ruhigen Zeiten bis zu 300 in Zeiten besonderer Vorkommnisse wie schweren Selbstmordanschlägen und israelischen Militäroperationen. Das macht das Studio Tel Aviv trotz des geographisch engen Berichterstattungsgebiets zu dem ARD-Studio mit dem größten Output.

Für meinen Vortrag wurden mir einige Leitfragen mitgegeben. Ich will versuchen, mich daran zu orientieren. Die erste Frage lautet:

“Möglichkeiten und Grenzen der deutschen Berichterstattung in Israel und Palästina im Schatten der NS-Vergangenheit und ist eine objektive Berichterstattung überhaupt möglich?”

Ich muss offen zugeben, dass ich mit der Frage zunächst nichts anfangen konnte. Vielleicht liegt es daran, dass ich nun schon vier Jahre lang in Israel arbeite und zuvor einige Jahr in Israel gelebt habe, mich also dementsprechend nicht wirklich fremd fühle und fast als schon Teil der dortigen Gesellschaft. Die NS-Vergangenheit spielt in dieser Hinsicht in meiner täglichen Arbeit keinerlei Rolle. Natürlich ist man sich als Deutscher der deutschen Vergangenheit ständig bewusst. Es kann sich aber nicht auf die Berichterstattung auswirken. Wie sollte das auch gehen und wozu sollte das führen? Dass man über eine israelische Invasion im südlichen Gazastreifen nicht berichtet? Oder über die israelische Absperrungspolitik, die mehr als 3 Millionen Palästinenser in kleine Enklaven einsperrt?

Objektive Berichterstattung: das ist eine fast schon philosophische Frage, die sich sicher nicht nur an die deutschen Journalisten in Israel richtet, sondern an Journalisten überall auf der Welt und besonders in Krisenregionen. Was ist objektiver Journalismus? Allein durch die Auswahl an Themen und durch die Wahl der Gesprächspartner trifft man eine Vorentscheidung, färbt man das Bild, das man darstellt, ein. Deswegen ist es natürlich die Aufgabe eines jeden Journalisten, sich immer wieder der eigenen Vorurteile bewusst zu werden und sie zu hinterfragen, immer wieder auch solche Gesprächspartner zu Wort kommen zu lassen, deren Auffassungen man selbst nicht teilt.

Die zweite Frage lautet: “Deutsche Medien zwischen Informationsauftrag, Politik und Diplomatie.”

Auch das ist eine Frage, die sich mir überhaupt nicht stellt. Ich habe nur einen einzigen Auftrag, das ist der Informationsauftrag. Ich bin als Journalistin weder Repräsentantin meines Landes, noch Diplomatin. Auf politische Konstellationen oder diplomatische Einwände nehme ich keine Rücksicht. Ich bin weder Israel noch den deutsch-israelischen Beziehungen verpflichtet. Mein Auftrag ist ein Informationsauftrag. Ich bin ganz allein meinen Hörern verpflichtet, die von mir eine ehrliche und vorurteilsfreie Berichterstattung erwarten dürfen.

Und dies führt mich zur nächsten Frage: “Welche Vorurteile beherrschen die deutsche Berichterstattung? Was ist mit Zensur und oder Selbstzensur? Gibt es eine Schere im Kopf?”

Deutschen Journalisten wird sicher mehr als anderen ausländischen Korrespondenten Sensibilität und korrektes Auftreten abverlangt. Das gilt natürlich ganz besonders im Umgang mit Überlebenden des Massenmordes an den Juden und ihren Angehörigen. Aber auch im Nahostkonflikt stoßen wir deutsche Journalisten manchmal an Grenzen. Zum Beispiel habe ich immer das Problem, wenn ich meine palästinensischen Gesprächspartner zitiere, die nie von den Israelis und immer von den Juden sprechen. Das schafft natürlich Probleme, wenn nicht die Israelis, oder die israelischen Soldaten als Besatzer, Invasoren etc bezeichnet werden, sondern die “Juden”.

In Israel gibt es keine formale Zensur, außer: es gibt eine Militärzensur, der sicherheitsrelevante Berichte unterliegen. Es gibt aber keine - formale - Unterdrückung von Meinungen oder Gesinnungsschnüffelei. Das heißt nicht, dass nicht die israelische Regierung durch das Government Press Office, die israelische Botschaft oder die Pressure groups immer wieder versuchen, Druck auszuüben und die Berichterstattung zu beeinflussen. Dieser Druck kann sich sehr massiv manifestieren.

Das heißt auch nicht, dass nicht missliebigen Journalisten immer wieder das Leben schwer gemacht wird, sei es bei der Einreise am Flughafen, sei es durch Leserbriefkampagnen und Druck auf die Chefredakteure und Herausgeber. Die Kritik an unserer Berichterstattung ist dabei in den seltensten Fällen sachlich oder gar konstruktiv, sondern meistens bösartig und verleumderisch.

In der Vergangenheit wurden ausländische Korrespondenten durch den permanenten Druck sogar aus dem Land gedrängt.

Schere im Kopf

Es gibt natürlich diese Schere im Kopf. Immer wieder fragt man sich: kann ich, als deutsche Journalistin, so etwas schreiben? Darf ich beispielsweise über das Leid der Palästinenser berichten, ohne immer im gleichen Bericht auch auf das Leid der Israelis hinzuweisen, auch wenn mir dies sehr viel geringer erscheint?

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Im letzten Jahr, vor dem Rückzug der Israelis aus dem Gazastreifen und der Auflösung der dortigen Siedlungen, bot das Studio Tel Aviv ein ganzes Paket mit Hintergrundberichten an. Einer der Berichte befasste sich mit der Geschichtsverfälschung, mit der Tendenz rechtsgerichteter Kreise in Israel, immer alles mit dem Holocaust zu vergleichen, Kritiker als Nazis zu titulieren und arabische Herrscher mit Hitler zu vergleichen. Zahlreiche Siedlerführer hefteten sich damals gelbe Sterne ans Revers, um eine Parallele zwischen dem Verlust ihrer Siedlungen und der deutschen Ausgrenzungspolitik gegen die Juden herzustellen. Wir haben lange darüber diskutiert, ob wir einen solchen Beitrag anbieten sollen und können. Schließlich kamen wir zu dem Schluss, dass es zum umfassenden Bild der aktuellen politischen Diskussion gehört.

Ein anderes Beispiel: wann immer mein Kollege oder ich einen kritischen Kommentar zur israelischen Politik anbieten, bekommen wir und unsere Sender hinterher körbeweise Hörerpost, die meisten sind voller Schmähungen. Ich frage mich, ob der Korrespondent in Paris, der einen kritischen Kommentar über die Politik von Jacques Chirac schreibt, auch mit solchen Konsequenzen rechnen muss. Die schlechte Nachricht für die Hörerbriefschreiber: man gewöhnt sich dran! Und je schlimmer die Beschimpfungen ausfallen, desto weniger ist man geneigt, sie auch nur noch ernst zu nehmen, geschweige denn, sich davon zu einer anderen Kommentierung hinreißen zu lassen.

Unterschiede in den Medien: Print, Radio und TV.

Das ist eine ganz wichtige Frage, denn diese drei Medien funktionieren unterschiedlich, bedienen sich unterschiedlicher Instrumente und werden auch sehr unterschiedlich wahrgenommen.

Fernsehen und Printmedien genießen dabei gemeinhin den Ruf, einflussreich zu sein und die Meinungsbildung entscheidend mitzuprägen. Dadurch wirken sie natürlich schnell auch bedrohlich. Dem Radio dagegen wird eine solche Macht offenbar kaum zugeschrieben. Es gilt als ein relativ belangsloses Nebenbei-Medium, das nicht ernst genommen werden muss und auch kaum bedrohlich wirkt. Dies liegt möglicherweise daran, dass sich der deutsche Hörfunk in den letzten Jahren nicht gerade als investigatives Medium hervorgetan hat. Es gäbe viel dazu zu tagen, warum das so ist. Aber dafür ist hier nicht die Zeit und nicht der Ort. Übrigens ist das in Israel ganz anders. Das israelische Radio ist ausgesprochen einflussreich, es arbeitet investigativ und prägt damit auch die öffentliche Meinung und die politischen Diskussionen in Israel.

Dieser unterschiedlichen Wahrnehmung ist es wohl zu verdanken, dass in Deutschland und auch in anderen westlichen Ländern immer wieder die Printmedien und das Fernsehen auf Mängel in der Berichterstattung untersucht werden, selten oder nie aber das Radio. (von einer Studie über das National Public Radio abgesehen, die von der Electronic Intifada Website untersucht wurde und erschreckende Einseitigkeit zugunsten Israels belegte.)

In Deutschland gab es in den letzten Jahren zwei Studien zur Nahostberichterstattung deutscher Medien, die das exemplarisch zeigen und die Ihnen sicherlich bekannt sind: Eine Studie, die das American Jewish Committee in Auftrag gegeben hat und die vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung durchgeführt wurde. Sie befasste sich mit der Berichterstattung über den Nahostkonflikt zwischen dem 28. 10. 2000, dem Ausbruch der 2. Intifada also und dem 8.8.2001. Untersucht wurden die großen deutschen Tageszeitungen und der Spiegel. Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass die deutschen Printmedien nicht durchgängig antisemitisch sind, dass sie sich aber antisemitischer Vorurteile bedienen. Sie werfen den Journalisten vor, die israelische Politik negativ darzustellen. Ganz grundsätzlich stelle ich die Gegenfrage: wie und warum soll man etwas, das negativ ist und negative Auswirkungen hat, denen man als Journalist jeden Tag begegnet, positiv darstellen?

Ich will hier nicht näher auf diese äußerst umstrittene Studie eingehen. Kommunikations- und Medienwissenschaftler, die dazu berufener sind als ich, haben das schon zu Genüge getan. Nur soviel: Wenn ich versuchen würde, alle als antisemitisch charakterisierten Ausdrücke - wie alt, einsam, blutig etc. aus meiner Berichterstattung zu streichen, wäre das Ergebnis eine ziemlich farblose und trockene Darstellung von sehr dramatischen Ereignissen.

Die zweite Studie wurde von der Bundeszentrale für politische Bildung in Auftrag gegeben und vom Kölner Institut für empirische Medienforschung erarbeitet. Sie widmet sich der Berichterstattung des Fernsehens in der Zeit zwischen 1999 und 2002. Der Direktor der Bundeszentrale Thomas Krüger kommt in einem Interview zu dieser Studie zu dem Schluss “Durch die Fokussierung der Bildberichterstattung auf Gewalt und Aggression, auf spektakuläre Bilder der Gewalt und ihrer Folgen, entsteht eine “Assymetrie der Konfliktstruktur und der Konfliktparteien”. Es entstehen also Bilder, die sozusagen Tendenzen und Wertungen enthalten. Man sieht zum Beispiel nie einen terroristischen Akt im Fernsehen, man sieht nur die Folgen. Hingegen sieht man die rollenden Panzer, die in ein Flüchtlingslager hineinfahren. So entsteht beim Zuschauer der Eindruck, Israel sei Täter, Palästina sei Opfer.”

Dazu ist folgendes anzumerken: erstens handelt es sich tatsächlich um einen assymetrischen Konflikt, in dem eine große, gut ausgestattete Armee einer Fülle von kleinen, schlecht organisierten Guerillaverbänden und einer verarmten Zivilbevölkerung gegenübersteht. Es geht nicht um einen “Krieg zwischen Israel und Palästina” mit zwei gleich starken Gegnern. Ja, es gibt ja noch nicht einmal ein solches “Palästina”. Es gibt den starken israelischen Staat auf der einen Seite und eine Vielzahl von auseinander gerissenen kleinen armseligen palästinensischen Inseln auf der anderen Seite.

Außerdem stimmt auch die Behauptung nicht, es würden auf der einen Seite nur die Aggressoren und auf der anderen Seite nur die Opfer gezeigt. Die Bilder, die die Agenturen jeden Tag zum Beispiel aus dem Gazastreifen überspielen, und auf denen zerfetzte Leichen und weinenden Angehörige zu sehen sind, finden nie den Weg auf die Bildschirme. Stattdessen sehen wir Palästinenser fast immer vermummt, martialisch Waffen schwenkend und fanatische Parolen rufend.

In Großbritannien und in den USA wurden in den vergangenen Jahren ebenfalls immer wieder Studien über die Nahostberichterstattung erstellt. Diese Untersuchungen förderten überraschendes zutage: so stellte sich heraus, dass die Berichterstattung sich ungleich mehr und häufiger mit dem Leid der Israelis als mit der Palästinenser beschäftigt. Der Tod eines jüdischen Kindes findet bis zu 250-mal mehr Niederschlag in den Medien als der Tod eines palästinensischen Kindes. Das ergab eine Studie der Berichterstattung des San Franciso Chronicle und der San Jose Mercury News vor vier Jahren. Inzwischen dürfte sich diese Kluft noch einmal vergrößert haben.

Sogar die britische BBC, die gemeinhin als pro-palästinensisch und ausgesprochen Israel-kritisch gilt, berichtet viel mehr, viel ausführlicher und viel eingehender über Israel als über die Palästinenser. Im Libanon-Krieg hatten britische Medien bis zu viermal so viele Reporter in Israel stationiert wie im Libanon.

Und auch in unserer eigenen Berichterstattung in der ARD wurde sehr genau Wert darauf gelegt, dass jeder Bericht aus dem Libanon mit einem Bericht aus Israel ergänzt wurde.

Und das bringt mich jetzt zum Radio, meinem eigenen Medium.

Um bei dem Beispiel des Libanon-Krieges zu bleiben: in Tel Aviv wurden in den ersten vier Wochen des Krieges an die 600 Berichte erstellt und gesendet. Im Studio Amman, das für den Libanon zuständig ist, waren es knapp mehr als 300 Das macht schon deutlich, welchen Stellenwert Israel und die Israel-Berichterstattung in Deutschland - im deutschen Radio immer noch einnimmt. Israel ist eigentlich immer von Interesse. Themen, die niemanden interessieren würden, wenn sie aus Neuseeland, aus Polen oder aus den USA angeboten würden, interessieren die deutschen Redakteure. Der Sommerhit des Jahres, das Nachtleben in Tel Aviv, langer Schultag ja oder nein und die Qualität des Weines von den besetzten Golanhöhen.

Manchmal erscheint das schon fast zwanghaft: zum Beispiel, wenn es in Deutschland wieder mal einen antisemitischen oder rechtsextremen Übergriff zu beklagen gibt. Dann treffen bei uns im Studio Tel Aviv die Anfragen ein, wie man in Israel darauf reagiert (meistens reagiert man in Israel darauf überhaupt nicht, weil es in Israel niemanden interessiert). Die Meinung in Israel über Ereignisse und Entwicklungen in Deutschland ist für die deutschen Redakteure wichtig. Israel gilt in diesem Sinn als das moralische Gewissen in vielen Fragen.

Having said that - oder: Trotz alldem: das Interesse an Israel nimmt beständig ab. Im Verlauf meiner Arbeit in den letzten vier Jahren habe ich Änderungen festgestellt. So erstreckte sich die Berichterstattung über Anschläge gegen israelische Zivilisten in den ersten Jahren der Intifada über viele Tage: man berichtete zunächst aktuelle über das Geschehen, dann über einzelne Schicksale mit Reportagen vom Ort des Anschlags, dann noch einmal über die Beerdigungen usw. Inzwischen interessiert ein Anschlag nur noch am Tag, an dem er geschieht. Schon am nächsten Tag ist das kein Thema mehr, es sei denn, die israelische Armee holt mal wieder zum massiven Gegenschlag aus.

Auch das Leid der Palästinenser interessiert nicht mehr sehr. Seit die Hamas die Wahl gewonnen hat, ist die Nachfrage nach Berichterstattung aus den palästinensischen Gebieten stark zurückgegangen. Man hat den Eindruck, dass sich die Deutschen langweilen und immer mehr Abstand bekommen zum Nahen Osten. Und das ist vielleicht auch gut so.

Deutsche Medien im internationalen Vergleich

Es wäre vermessen von mir, wenn ich diese Frage umfassend beantworten wollte. Ich bin keine Medienwissenschaftlerin. Ich untersuche nicht, wie ausländische Kollegen über Israel berichten. Dazu habe ich weder die Zeit noch die notwendigen Vorkenntnisse. Das einzige, was ich dazu sagen kann, ist, dass für Deutsche, Journalisten und ihr Publikum, Israel immer noch, wenn auch abnehmend, von besonderem Interesse ist. Dass die Israelberichterstattung immer noch einen herausgehobenen Stellenwert einnimmt. Und dass kritische Kommentare über die israelische Politik möglicherweise auf mehr Resonanz stoßen - vorwiegend negative Resonanz - als in anderen Ländern.

An dieser Stelle will ich aber auf ein Phänomen hinweisen, das mir bemerkenswert erscheint: immer wieder wird uns Israel-Korrespondenten von Hörern vorgeworfen, dass wir bestimmte Begriffe benutzen oder nicht benutzen. Zum Beispiel der Begriff “Terroristen”.

Die BBC hat für ihre Reporter eine Liste erstellt mit den “politisch korrekten Ausdrücken”. Darin heißt es zum Begriff Terrorist: “Wir sollten die Bezeichnungen, die andere verwenden, nicht als unsere übernehmen. Das Wort “Terrorist” kann eine Barriere sein und das Verständnis eher behindern. Wir sollten versuchen, es zu meiden.”

Die Israelis werfen den britischen Reportern aber genau deswegen vor, Terrorismus zu verharmlosen und die Sicherheitsbedürfnisse Israels nicht angemessen darzustellen.

(In den israelischen Medien wird übrigens fast ausnahmslos von Terroristen gesprochen, wenn von bewaffneten Palästinensern die Rede ist.)

In den USA geht die Entwicklung oft in eine andere Richtung. Ein langjähriger Israel-Korrespondent beklagte, dass er zum Beispiel nicht mehr über “besetzte Gebiete” sprechen dürfe, sondern den neutralen und völlig unzutreffenden Begriff “umstrittene Gebiete” verwenden müsse. Das hat natürlich Folgen für die Berichterstattung. Denn es ist etwas ganz anderes, ob Kinder in besetzten Gebieten Steine gegen Panzer werfen oder in umstrittenen Gebieten.

Die israelische Politik ist sehr kreativ, was die Neuschöpfung von Begriffen angeht. Der Rückzug aus dem Gazastreifen beispielsweise wurde “Abtrennung, Entflechtung” genannt, de geplante einseitige Rückzug aus teilen des Westjordanlandes dagegen “Versammlung” - weil sich Israel hinter den selbst definierten Grenzen “versammeln” wollte. Mordanschläge auf mutmaßliche palästinensische Terroristen oder Personen, die des Terrorismus verdächtig sind, werden “gezielte Tötungen” oder “Liquidierungen” genannt. Als Berichterstatter muss man sich davor hüten, solche Begriffe unkritisch zu übernehmen.

Ein weiteres Beispiel für die Wandlung von Bedeutungen und politische Absichten, die dahinter stecken, sind alle Bezeichnungen für die palästinensische Regierung, streng genommen: die Regierung der palästinensischen Autonomiebehörde. In den ersten Jahren nach Oslo achtete Israel peinlich genau darauf, dass an der Spitze der Autonomiegebiete eine Autonomiebehörde stand mit einem Vorsitzenden und Beauftragten für einzelne Politikbereiche. Natürlich gab es keinen Außenminister. Es gab ja auch keinen Staat Palästina. Heute ist das völlig auf den Kopf gestellt: es gibt eine palästinensische Regierung, einen Ministerpräsidenten und einen Präsidenten und immer häufiger werden die völlig unzusammenhängenden palästinensischen Enklaven “Palästina” genannt. Damit wird suggeriert, dass die Palästinenser ja schon einen Staat haben. In der amerikanischen Politik wird das besonders deutlich, wenn Condoleezza Rice von “The Gaza” spricht und die Palästinenser im Gazastreifen “The people of the Gaza” nennt. In der Öffentlichkeit setzt sich so leicht der Eindruck fest, die Palästinenser in Gaza und im Westjordanland seien zwei verschiedene Völker und zumindest die Palästinenser in Gaza lebten nicht länger unter Besatzung.

Dürfen die deutschen Medien kritischer gegenüber israelischer Politik sein als die Politik?

Sie dürfen es nicht nur, sie müssen es. Noch einmal: Journalisten sind keine Politiker und keine Diplomaten. Sie müssen Bericht erstatten und informieren und sie dürfen durch ihre Kommentare an der Meinungsbildung mitwirken. Ihr wichtigstes Instrument ist notwendigerweise die Kritik. Ein Journalist, ganz gleich ob er Deutscher ist oder nicht, der die israelische Politik a priori nicht kritisch beleuchtet, hat seinen Beruf verfehlt. Wer denkt, dass er als deutscher Journalist nicht das Recht und sogar die Pflicht hat, kritisch über Israel zu berichten, der sollte nicht Korrespondent in Israel sein.

Dr. Bettina Marx studierte in Bonn, Heidelberg, Jerusalem und Köln Judaistik, Islamwissenschaften und Geschichte. Nach ihrem Volontariat bei der Deutschen Welle arbeitete sie zehn Jahre lang als Parlamentskorrespondentin in Bonn und dann Berlin mit dem Schwerpunkt Außenpolitik. Seit dem 1. Januar 2003 ist sie ARD-Hörfunk-Korrespondentin in Tel Aviv. Israel und die angrenzenden Länder des Nahen Ostens kennt sie durch zahlreiche Reisen und Studienaufenthalte.

Veröffentlicht am

03. Januar 2007

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