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Gesetzentwurf für die Rente mit 67: Letzter goldener Handschlag

Programmierte Altersarmut mit Ausnahme-Zuckerl

Von Robert Kurz

Für Franz Müntefering ist das Gesetz ein “geschlossenes Konzept”. Der Vizekanzler scheint freilich im Rechnen ein wenig zu schwächeln. Die Erhöhung des Renteneintrittsalters kalkuliert nur die demographische Alterung ein, während die Rückwirkung auf den Arbeitsmarkt “vergessen” wird. Sinkende Geburtenraten, so die über den Daumen gepeilte Erwartung, würden das Beschäftigungsproblem schon entschärfen. Dummerweise hat das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) inzwischen herausgefunden, dass selbst bei gleichbleibenden Beschäftigungszahlen - ohnehin eine blauäugige Annahme - in der Zukunft ein “unglückliches Zusammentreffen” bevorsteht: 2030, wenn die volle Anhebung auf 67 Jahre greift, sind es ausgerechnet die Babyboomer, die zur Nachspielzeit auflaufen. Dadurch wird der Bevölkerungsrückgang überkompensiert und die Berufsanfänger stehen vor verschlossenen Toren, wenn nicht bis dahin etwa drei Millionen zusätzliche Jobs aus dem Nichts auftauchen. Aber diese Zukunft geht Müntefering wohl nichts mehr an.

Es könnte auch anders kommen, allerdings erst recht nicht besser. Wer garantiert, dass die Unternehmen überhaupt Seniorenbelegschaften dulden wollen? Die offizielle Rede von einer “altengerechten Gestaltung der Arbeitsplätze” klingt wie Hohn in der globalisierten Hochleistungsgesellschaft. 50 Prozent der Betriebe in der BRD beschäftigen heute niemanden mehr, der über 50 Jahre alt ist. Und gut die Hälfte der über 55-Jährigen ist nicht mehr berufstätig, die meisten keineswegs freiwillig. Münteferings Initiative 50 plus, die parallel zur Rente mit 67 vom Kabinett beschlossen wurde, soll die Einstellung Älterer durch staatliche Zuschüsse (Kombilöhne) und Beiträge zur Weiterbildung fördern. Aber die Unternehmerverbände winken ab - programmiert sind demzufolge durch das erhöhte Renteneintrittsalter eher ein massiver Anstieg der Altersarbeitslosigkeit, eine weitere Krise der Rentenversicherung und eine sich drastisch ausbreitende Altersarmut.

So schüttelt Müntefering aus seinem roten Schal noch ein Gerechtigkeits-Zuckerl. Es soll die große Ausnahmeregelung geben: Wer volle 45 Jahre in die Rentenkasse gezahlt hat, darf sich auch weiter ohne Abschläge mit 65 vom Acker machen. Belohnt und verschont werden soll der ewig treue Lohnarbeiter, der den Leistungswahn verinnerlicht hat und niemals aus der Reihe getanzt ist. Die männliche Form ist nicht zufällig, denn schon bei den Beschäftigungsverhältnissen der vergangenen Jahrzehnte erreichen Frauen ganz selten 45 Beitragsjahre. Zwar sollen Kindererziehungszeiten angerechnet werden, trotzdem kämen heute nach Berechnungen der deutschen Rentenversicherung nur vier Prozent der Frauen in den Genuss dieser Ausnahmeregelung - gegenüber 27 Prozent bei den Männern. Bei Behinderten, chronisch Kranken und nur teilweise Berufsfähigen sieht es wesentlich düsterer aus. Und wer soll in Zukunft noch 45 Beitragsjahre zusammenbringen? Die heute schon geringfügig Beschäftigten und die zwangsflexibilisierten Individuen der “Generation Praktikum” mit ständig unterbrochenen Erwerbsbiografien bestimmt nicht.

Begünstigt wird allein der männliche Vollzeitbeschäftigte im untergehenden Normalarbeitsverhältnis, der noch zu Wirtschaftswunderzeiten ins Erwerbsleben eingetreten ist, ohnehin aufgrund seiner langen Einzahlungszeit eine relativ hohe Rente bekommt und etliches auf die hohe Kante legen konnte. Alle anderen sind die großen Verlierer. Zwar regiert eine Kanzlerin, aber da hat sich wohl eine männliche Generationen-Solidarität zugunsten einer bröckelnden klassischen Klientel durchgesetzt. Die Arbeitssoldaten der alten BRD, die letzten Mohikaner der lebenslänglichen Kernbelegschaften, werden von ihren Altersgenossen in der politischen Klasse nicht bloß mit dem eisernen Leistungskreuz und einem klaren Schnaps, sondern auch mit dem letzten goldenen Handschlag verabschiedet. Wenn man unter seinem Revers nachschaut, könnte man bei Müntefering vielleicht eine Anstecknadel finden mit der fein ziselierten Aufschrift: Nach uns die Sintflut!

Quelle: Freitag - Die Ost-West-Wochenzeitung 49 vom 08.12.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Robert Kurz und des Verlags.

Veröffentlicht am

08. Dezember 2006

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