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Tödliche Ernte - die Clusterbomben-Saat auf Libanons Feldern

Von Patrick Cockburn - ZNet 25.09.2006

Nabatiyeh. Der Libanonkrieg ist nicht vorbei. Jeden Tag sterben vier Menschen durch jene Minibomben, die die israelische Artillerie in den letzten drei Tagen des Konflikts millionenfach auf den Südlibanon abfeuerte, viele Menschen werden durch sie verletzt.

Kommenden Monat wird die Opferzahl rapide ansteigen. Dann beginnen die Bewohner der Dörfer mit ihrer Olivenernte. Sie werden Oliven pflücken - wo, unter Ästen und Blattwerk verborgen, Bomben liegen, die bei der geringsten Bewegung explodieren. Die libanesischen Bauern befinden sich in einem großen Dilemma. Sollen sie die riskante Ernte wagen oder die Früchte, von denen sie abhängen, auf dem Feld verrotten lassen?

In einem Krankenhausbett in Nabatiyeh liegt ein 70-jähriger im Koma. Er stammt aus dem Dorf Yohmor. Letzte Woche pflückte der Mann Orangen von einem Baum vor seinem Haus, als plötzlich eine Minibombe ins Rutschen kam und explodierte. Bombensplitter drangen ihm in Gehirn, Lunge und Nieren. “Ich weiß, dass er mich hört. Sobald ich mit ihm spreche, drückt er meine Hand”, sagt seine Tochter Suwad, die am Krankenbett des Vaters sitzt. Seit der Waffenruhe starben bereits 83 Menschen durch Clustermunition, so unabhängige Beobachter.

Einige israelische Offiziere haben gegen den Einsatz von Clusterbomben protestiert. Jede Bombe enthält 644 kleine, nichtsdestotrotz tödliche Minibömbchen, die gegen zivile Ziele im Libanon gerichtet waren. Der Kommandeur einer Einheit der MLRS (Raketensysteme mit multipler Schlagkraft) sagte gegenüber der israelischen Tageszeitung Haaretz, die Armee habe insgesamt 1800 Raketen mit Clustermunition abgefeuert, das entspreche 1,2 Millionen Minibomben auf Häuser und Felder. “Wir haben im Libanon ganze Dörfer mit Clusterbomben bedeckt”, so der Kommandeur. “Was wir dort taten, war verrückt und monströs.” Was macht die Clusterbombe so gefährlich? 30 Prozent der kleinen Bömbchen detonieren beim Aufschlag nicht. Sie können jahrelang verstreut liegen - auf Dächern, in Gärten, auf Bäumen, am Straßenrand, im Abfall. Aufgrund ihrer geringen Größe sind sie oft schwer zu erkennen und lauern quasi darauf, bei Kontakt zu explodieren.

Das moderne 100-Betten-Krankenhaus von Nabatiyeh hat seit Kriegsende 19 Opfer von Clusterbomben aufgenommen. Bei unserer Ankunft wird gerade ein neuer Patient eingeliefert: Ahmad Sabah, ein Labortechniker des Krankenhauses. Rasch bringt man ihn in die Notfallambulanz. Sabah ist 45 Jahre alt, ein kräftiger Kerl. Jetzt liegt er bewusstlos auf der Bahre. Am frühen Morgen war Sabah auf das Flachdach seines Hauses gestiegen, um nach dem Wassertank zu sehen. Dort muss er an seinen Holzstapel gekommen sein - Feuerholz für den Winter. Was Sabah nicht wusste: Vor einem Monat war ein Minibömbchen zwischen den Stapel gerutscht. Der Holzstapel bewahrte Sabah jetzt vor der vollen Wucht der Explosion. Als wir in der Klinik waren, versuchten die Ärzte noch herauszufinden, wie schwer seine Verletzungen waren.

“Für uns geht der Krieg weiter - trotz des Waffenstillstands am 14. August”, so Dr. Hassan Wazni, der Leiter der Klinik. “Wären die Clusterbomben alle beim Aufprall explodiert, wäre es nicht so schlimm, so aber töten und verstümmeln sie weiter Menschen”.

Die Minibomben sind klein, aber sie explodieren mit verheerender Wirkung. Am Morgen des Waffenstillstands wurde der 11-jährige Hadi Hatab sterbend in die Klinik eingeliefert. “Er muss die Bombe eng an sich gehalten haben”, so Dr. Wazni. “Sie riss ihm Hände, Beine und den Unterleib weg”.

Wir fahren nach Yohmor, um zu sehen, wo der alte Hussein Ali Ahmad seine schrecklichen Verletzungen erlitten hat, als er von seinem Baum Orangen pflückte. Das Dorf liegt am Ende einer kaputten Straße, sechs Meilen südlich von Nabatiyeh. Darüber erheben sich - auf einem Bergrücken über einer tiefen Schlucht, durch die der Litani-Fluss fließt -, die Ruinen der alten Kreuzritterburg Beaufort.

Rund ein Drittel der Häuser des Dorfes sind durch explodierende israelische Bomben und Granaten in Beton-Sandwiches (ein Stockwerk klappt auf das andere) verwandelt worden. Einige Familien kampieren in den Ruinen. Die Dorfbewohner sagen, am meisten fürchten wir die Clusterbomben, die überall in unseren Gärten, auf unseren Dächern und in den Obstbäumen liegen. Auf der Dorfstraße begegnen wir den weißen Fahrzeugen des MAG, einer Minenberatungsfirma mit Sitz in Manchester. Die Teams versuchen, die Minibomben zu räumen.

Kein leichter Job. Sobald einer aus dem MAG-Team eine Minibombe gefunden und geräumt hat, steckt er einen Stock in die Erde. Die Stöcke sind markiert - oben rot, darunter gelb. Hier im Dorf sieht man so viele davon, dass es aussieht, als hätte in Yohmor ein übles Unkraut Wurzeln geschlagen und blühe nun im Dorf. “All diese Clusterbomben sind in den letzten Kriegstagen gelandet”, so Nuhar Hejazi, eine überraschend gut gelaunte 65-jährige. “Auf unserem Hausdach waren es 35, und 200 liegen in unserem Garten, daher können wir nicht zu unseren Olivenbäumen”. Die Menschen in Yohmor hängen von ihren Olivenbäumen ab. Die Ernte sollte noch vor dem Regen starten, aber noch hängen die Bäume voller Bomblets. “Mein Mann und ich produzieren 20 Kanister Öl im Jahr, das wir verkaufen müssen”, so Hejazi. “Jetzt wissen wir nicht, was wir machen sollen”. Die schiere Masse an Minibömbchen macht eine komplette Räumung fast unmöglich.

Der Minenräumexperte Frederic Gras ist Leiter des MAG-Teams in Yohmor. Früher war er bei der französischen Marine. Er sagt: “In der Region nördlich vom Litani-Fluss werden täglich drei bis vier Leute durch Clusterbomben getötet. Die israelische Armee weiß, dass 30 Prozent nicht explodieren, nachdem sie abgefeuert wurden, so dass sie zu Antipersonenminen werden.”

Warum handelt die israelische Armee so? Insgesamt müssen es mehr als 1,2 Millionen Bomben gewesen sein. Schließlich wurden sie nicht nur mit Raketen abgefeuert, sondern auch mittels Artilleriegranaten des Kalibers 155mm. Ein israelischer Grenadier sagte, er sei angewiesen worden, das Zielgebiet zu “überfluten”, spezifische Ziele seien nicht genannt worden. Frederic Gras - der persönlich täglich zwischen 160 und 180 Bomblets entschärft -, sagt, es sei das erste Mal, dass er sehe, wie Clusterbomben gegen dichtbesiedelte Dörfer eingesetzt wurden.

Laut eines Leitkommentars der Haaretz war der massive Einsatz der Clusterbomben durch die IDF (israelische Armee) ein verzweifelter Versuch in Torschlusspanik, das Raketenfeuer der Hisbollah auf Nordisrael zu stoppen. Was immer der Grund für den Beschuss gewesen sein mag: Im Südlibanon werden noch jahrelang Dorfbewohner durch Clusterbomben sterben oder verletzt werden, während sie ihre Oliven ernten und Orangen pflücken.

Quelle: ZNet Deutschland vom 25.09.2006. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: Deadly Harvest .

Veröffentlicht am

30. September 2006

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