Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Bausoldatenzeit führte zum Friedensengagement in DDR

Im vergangenen September trafen sich ehemalige DDR-Bausoldaten zu einem Kongress in Potsdam. Einer der Teilnehmer war Rudolf Albrecht. Er war in den 60er Jahren Bausoldat in der DDR. Mit einem NEIN zur Waffe ging er zum “Dienst” und kam mit einem JA zum Friedensengagement zurück. Dieses war so, dass es auch die Aufmerksamkeit der Stasi auf sich zog. Rudolf Albrecht, fand später heraus, dass er von der “Staatssicherheit” als OV (= Operativer Vorgang) “Pazifist” beäugt wurde und freut sich, dass diese sein Anliegen mit dem richtigen Begriff verschlüsselt hat. Rudolf Albrecht antwortet in diesem Interview auf die Fragen von Michael Schmid.

Frage: Im vergangenen Jahr warst Du als Teilnehmer beim Bausoldatenkongress in Potsdam. Kannst Du unserer Leserschaft - überwiegend im Westen Deutschlands - erklären, was überhaupt Bausoldaten sind bzw. waren?

Rudolf Albrecht: 1964 wurde die “Anordnung über die Aufstellung von Baueinheiten” erlassen. Es war ein waffenloser Dienst innerhalb der “Nationalen Volksarmee”, einmalig im Warschauer Pakt. Dies war eine “Notgeburt” (B. Eisenfeld). Denn als die Allgemeine Wehrpflicht 1962 eingeführt wurde, erklärte das “Neue Deutschland”, das SED-Organ, dass die “Waffenführung” die “ehrenvollste Beschäftigung” sei, von der nur “Körpergebrechlichkeit, Blödsinn oder das Verbrechen ausschließen können.” Zu diesem ‘Sinneswandel’ kam es, weil 1.500 junge Leute trotz drohender Gefängnisstrafen den Wehrdienst bei der Musterung ablehnten. Es war ein bescheuerter Kompromiss. Wir Bausoldaten mussten fast ausschließlich ‘militärische Objekte’ (Flugplätze, Übungsanlagen für Panzer, usw.) bauen. Aber eine Totalverweigerung hätte bis zu 2 Jahre ‘sozialistischen Strafvollzug’ eingebracht.

Wir trafen uns in Potsdam unter dem guten Motto: “Zivilcourage und Kompromiss - Bausoldaten in der DDR 1964-1990”. Zweifellos waren ehemalige Bausoldaten die Wegbereiter der DDR-Friedensbewegung Anfang der 80er Jahre. Namen wie Rainer Eppelmann - letzter Verteidigungsminister der DDR -, Harald Bretschneider - Mitinitiator der Friedensdekade und Auftraggeber des Symbols “Schwerter zu Pflugscharen” - und Hansjörg Weigel - Gründer des 1. Friedensseminars nahe Zwickau - sprechen von Langzeitwirkung. Etwa die Hälfte der 27.000 gemusterten Bausoldaten wurden eingezogen, eigentlich verschwindend wenige. Aber in einem geschlossenen System können schon wenige, die eine Alternative anstreben, eine große Kraft entwickeln. Von den Bausoldaten erfuhr man nur durch “Flüsterpropaganda”, hauptsächlich in der evangelischen Kirche. Es dauerte 20 (!) Jahre, bis das Wort erstmals gedruckt werden durfte, und da auch nur in einer Kirchenzeitung.

Frage: Du selber warst auch Bausoldat. Wie ist es dazu gekommen? Was für Erfahrungen hast Du gemacht?

Rudolf Albrecht: Nach meinem 1. theologischen Examen wollte ich Erfahrungen im säkularen Bereich sammeln und arbeitete in einer LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft). Von dort wurde ich eingezogen, weil man vermutlich dachte, ich hätte meine Ausbildung zum Pfarrer abgebrochen. Die 18 Monate (1966/67) begannen mit einem Schock, als wir mitbekamen, zu welchen Arbeiten wir befohlen wurden. Acht von uns wollten total verweigern. Die Kirchenleitung warnte uns, dass es als Meuterei ausgelegt und mit fünf Jahren Gefängnis bestraft werden könnte. Einer verweigerte und bekam 26 Monate! Wir blieben mit schlechtem Gewissen zurück. Da half uns ein Pfarrer im Ausgangsbereich: “Wenn ihr schon bereit seid zu solchen Opfern, dann setzt euch jetzt hin, opfert eure Zeit und arbeitet, was ihr könnt, um Argumente zu haben, wenn ihr später mit anderen Jugendlichen sprecht.”

Während der Bausoldatenzeit hatten wir gute geistliche und geistige Möglichkeiten - heimlich oder geduldet: Gottesdienste, Posaunenchor (bis 14 Leute), Gesprächsabende, Gebetsgemeinschaften… Erstmals kam ich mit M.L. King in Berührung, weil sein Buch “Warum wir nicht warten können” und seine Friedensnobelpreis-Rede auch in der DDR erschienen (wenngleich in kleiner Auflage, “unter dem Ladentisch”). Und wir beobachteten aufmerksam, was sich im Nachbarland Tschechien seit 1967 als “Sozialismus mit menschlichem Gesicht” entwickelte auch in punkto gesellschaftliche Mitverantwortung. Die Bausoldaten - meist evangelische Verweigerer -, waren alles andere als eine homogene Gruppe. Aber ich war froh, dass wir uns am Ende als “Leib Christi” verstanden: die einen bereiteten Gebetsandachten vor, die anderen Gespräche mit Offizieren beim Politik-Unterricht.

Frage: Hat sich das Bausoldaten-Sein auf Dein weiteres Leben ausgewirkt? Wie?

Rudolf Albrecht: Die 18 Monate haben mich nachhaltig geprägt. Ich bin mit dem NEIN zur Waffe hingegangen und mit dem JA zum Friedensengagement zurückgekommen. Seelsorge an Bausoldaten, Beratung von Wehrpflichtigen, Beschäftigung mit Friedensethik bildeten seither Schwerpunkte meiner Arbeit, außerhalb der Kirchengemeinde. Mit 23 Jahren hatte ich das Theologiestudium beendet, aber die LPG- und die Bausoldatenzeit waren ebenfalls “meine Universitäten” (Maxim Gorki).

1970 wurde ich von der sächsischen Landeskirche delegiert in die Bezugsgruppe Friedensfragen beim Bund der Evangelischen Kirchen in Berlin. Das half mir sehr, an Informationen heranzukommen und sie für die Gemeindearbeit einzusetzen und weiterzugeben. Eine Fügung war es, dass ich im Lehrvikariat Ende 1967 Hermann Schäufele aus Stuttgart kennen lernte, damals der erste, der von einer Landeskirche beauftragt war, mit Zivis zu arbeiten. Der Austausch und die Verbindung Ost-West waren ungemein wichtig.

Frage: Du hast Dich in der DDR für den Frieden engagiert. Wie sah dies konkret aus? Was bedeutete es, in der DDR-Gesellschaft “Zivilcourage” zu üben und zu leben? Wie hast Du selber dies konkret erlebt?

Rudolf Albrecht: Einiges habe ich eben schon angedeutet. In einer Gesellschaft, in der die Militarisierung dominierte und militärische Erziehung von 0 bis 35 Jahren konsequent versucht wurde, war es wichtig, mögliche Alternativen aufzuzeigen und über etwaige Folgen nachzudenken. 1975 begann ich in Meißen mit einem Friedensseminar, zu dem 12 Leute kamen. Es waren dann zwei Wochenenden im Jahr, bis zum 50. hatte es Bestand. (Wir kürzten es später gern scherzhaft MFS ab - natürlich nicht Ministerium für Staatssicherheit, sondern Meißner Friedensseminar - auch wenn wir Vertreter von ersteren immer unter uns vermuteten und sie vorsorglich ab und zu freundlich mit begrüßten!). Das “Seminar” wurde wirklich eine “Pflanzschule”, wie es wörtlich übersetzt heißt. Als Anfang der 80er Jahre bis 350 überwiegend junge Leute kamen, wuchs die Ausstrahlung. Eine “Ermutigungsrunde” war immer dabei. Leute konnten berichten, was sie versuchten beim “Frieden schaffen ohne Waffen”. Ein holländischer Teilnehmer beschrieb sehr gut, was er in Meißen erlebte: Inspiration, Ermutigung, Geselligkeit. Ja, wir versuchten immer auch, Frieden zu leben und zu feiern. Seit 1973 konnte ich im Diakonenhaus Moritzburg mit Diakonenschülern über “Seelsorge an Wehrpflichtigen” arbeiten, später einen Tag über Friedensethik an einem Predigerseminar. In den 70er Jahren stellten wir eine Ton-Dia-Serie her: “Ohne kleine Leute - keine großen Kriege”, die u.a. auch ausführlich über Bausoldaten informierte und in allen Jungmännerwerken der acht DDR-Landeskirchen ausgeliehen werden konnte.

Als ich 1980 nach Dresden wechselte, war das Interesse groß, in Gemeindeabenden über Militarisierung und unsere Antwort darauf zu sprechen. (Seit 1978 gab es ja in den Schulen in der 9. Klasse das Fach Wehrerziehung; Lehrlinge mussten seit 1974 während ihrer Lehre 14 Tage “vormilitärische Ausbildung” absolvieren.) Ich war oft unterwegs mit den Themen “Ob Frieden wird, das liegt an mir” oder auch “Uniformierte und Uninformierte”. Aber jetzt höre ich auf, sonst wirkt es wie eine Selbstbeweihräucherung!

Apropos Staatssicherheit: Es freute mich natürlich, in den Stasi-Unterlagen zu finden, dass ich als OV (= Operativer Vorgang) “Pazifist” beäugt wurde - besser konnten sie mein Anliegen nicht codieren! Und im Nachgang finde ich, dass das afrikanische Sprichwort recht hatte: “Ein Floh macht einem Löwen mehr zu schaffen als ein Löwe einem Floh.”

Frage: Wie hast Du die Ereignisse, die zur “Wende” geführt haben, bzw. die “Wende” selber erlebt?

Rudolf Albrecht: Ich sage lieber “friedliche Revolution” als “Wende”. Die furchtbare Grenze ist weg - Gott sei Dank! - und Deutschland eins, aber gewendet hat sich nicht alles. Natürlich werde ich das Aufatmen, die tiefe Freude nie vergessen. Wenn ich darüber spreche, gehe ich gern von Psalm 126 aus: “Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden”! Ich erinnere heute, dass die Veränderung und das Erlebnis der Gewaltfreiheit nicht vom Himmel gefallen sind sondern eine lange Vorgeschichte haben. Kirchlicherseits die “Ökumenische Versammlung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung”, 13.2.88 - 30.4. 89. Und wenn Leipzig heute immer wieder als Ort des Umbruchs genannt wird, denke ich auch daran, was in Dresden initiiert wurde: 1980 wurde von hier aus die erste Friedensdekade vorbereitet. 1981 ging von hier die Forderung nach einem “Sozialen Friedensdienst” (soviel wie ein echter Zivildienst) aus. Es gab ca. 5.000 Eingaben an die Synoden, die sie nötigte, sich umfassend mit dem Thema Frieden zu befassen. Zwei Jahre später begannen wir - während der Zeit der Raketen-Stationierung - mit einem Tag-Nacht-Gebet, damals zwei Monate durchgehend, heute noch zehn Tage tagsüber während der Friedensdekade. Und es war ein Gottesgeschenk, dass während der Ökumenischen Versammlung 15 Monate lang Vertreter der Kirchenleitung und der Basis in Kommissionen zusammen arbeiteten, so dass kein Keil zwischen beide getrieben werden konnte.

1989 sehe ich drei Ereignisse, die das Ende der DDR beschleunigten: Gorbatschows Perestroika (und das Wissen, er schickt keine Panzer); der Wahlbetrug bei der Kommunalwahl im Mai, nachdem erstmals viele in die Kabine gingen und mit nein gestimmt hatten; die offene Grenze über Ungarn - alles gepaart mit dem Mut vieler einzelner, besonders junger Menschen!

Und dann: Was für eine Gnade, dass die Kirchen, die Gebetsandachten Ausgangspunkt der Demonstrationen wurden. Wo hätte man sich sonst treffen können? Was für eine Gnade, dass kein Blut floss - und dass die Kraft der Gewaltfreiheit zu spüren war. (Der Volkskammerpräsident Horst Sindermann sagte kurz vor seinem Tod im “Spiegel”-Interview: Der gewaltfreie Aufstand hat uns überrascht. Darauf waren wir nicht vorbereitet.)

Frage: Hast Du mit dem Fall der Mauer Hoffnungen verbunden? Haben sich diese erfüllt? Wenn ja, welche haben sich erfüllt, welche nicht?

Rudolf Albrecht: Ja, natürlich gab es Hoffnungen, die sich nicht erfüllten: eine neue Verfassung und - ganz hochgestochen - eine neue Fahne: Schwarz-rot-gold mit dem Emblem “Schwerter zu Pflugscharen”; nie mehr Auslandseinsätze deutscher Soldaten; drastische Reduzierung des Rüstungshaushalts zugunsten Projekten in der Zwei-Drittel-Welt… Aber die Dankbarkeit überwiegt: Ergebnisse der Ökumenischen Versammlung schlugen sich in den Programmen neuer Parteien nieder. Dass Gewaltfreiheit sinnvoll und überlebenswichtig ist, politisch umsetzbar, wurde vielen deutlich. Wenn ich zu DDR-Zeiten ärgerlich war über manche zögerliche Erklärung von Synoden, machte ich mir klar, wo wir theologisch am Anfang des 20. Jahrhunderts standen: “Gott mit uns” auf den Koppelschlössern der Soldaten bzw. in manchen Ausgaben des Kleinen Katechismus Luthers: “5. Gebot: Du sollst nicht töten’ (gilt nicht im Kriege)”! Das könnte sich heute keine Kirche mehr leisten, pauschal ein gutes Gewissen zu machen, wenn es darum geht, andere umzubringen. Für mich ging es auch nie bei der Verweigerung darum, eine “weiße Weste” zu behalten. Motiviert hat mich das Wort Jesu (Lukas 9,55f) “Wisst ihr nicht, wessen Geistes Kinder ihr seid? Der Menschensohn ist nicht gekommen, das Leben der Menschen zu vernichten, sondern zu erhalten.”

Frage: Wie kommt es, dass ein Sachse, der in Niedersachsen lebt, beim Lebenshaus Schwäbische Alb Fördermitglied geworden ist?

Rudolf Albrecht: Seit 1996, als ich nochmal geheiratet hatte, wechselte ich von Sachsen nach Niedersachsen; ich sage gern: Es war nicht direkt ein Abstieg! Hier kann ich eine ganze Menge für die West-Ost-Verständigung tun. Und bei der Dekade zur Überwindung der Gewalt gibt es genug Möglichkeiten, Gewaltfreiheit zu fördern. 2001 bei der unvergesslichen USA-Reise “Auf den Spuren von Martin Luther King” lernte ich Euch, Katrin und Michael (gemeint sind Katrin Warnatzsch und Michael Schmid >> Ueber uns ), kennen und war sehr angetan von Eurer Arbeit im Lebenshaus. Leider ist meine Unterstützung nicht so toll, weil ich noch in vielen ostdeutschen Projekten eingebunden bin. Aber ich finde es ermutigend, wie Ihr global denkt und lokal handelt, oder, um es nochmals mit einem Sprichwort, einem chinesischen, zu sagen: “Eine Reise von 1.000 Meilen beginnt mit dem ersten Schritt”.

Rudolf Albrecht, Jg. 1942, 4 Kinder; evangelischer Gemeindepfarrer von 1969-80 in Ziegenhain bei Meißen, 1980-96 in Dresden, jetzt in Langelsheim; 1992-96 im Vorstand des Internationalen Versöhnungsbundes - Deutscher Zweig, Fördermitglied beim Lebenshaus Schwäbische Alb.

Das Interwiew mit Rudolf Albrecht wurde ebenfalls veröffentlicht im Rundbrief 44, März 2005, Lebenshaus Schwäbische Alb.

Veröffentlicht am

04. Mai 2005

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