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Pogrome in Kosovo rufen Gleichgültigkeit hervor

Von Boris Kargarlitsky - ZNet 28.03.2004

Wieder einmal haben Pogrome den Balkan erschüttert. Diesmal zerstörten randalierende Kosovaren serbische Häuser und zündeten orthodoxe Kirchen an. Der aufgeklärte Westen schaute mit einer Mischung aus Befremden und Gleichgültigkeit zu. Die Menschen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten derart an humanitäre Katastrophen auf dem Balkan gewöhnt, dass man die jetzigen als nicht unerwartet betrachtet.

Die aktuelle Krise im Kosovo entfaltete sich weder mitten in einem Bürgerkrieg noch als Ergebnis der nationalistischen Politik Slobodan Milosevics oder eines Diktators vor Ort. Der Pogrom geschah in einer Provinz, die von der UNO verwaltet und seit 1999 von NATO-Truppen kontrolliert wird. Er geschah nach der Schaffung von Übergangsstrukturen, die in Einklang mit westlichen Richtlinien stehen, nachdem Wahlen für ein neues Parlament abgehalten wurden, nach zahllosen Konferenzen, die das Ziel hatten, die Region wiederaufzubauen etc. Es wird jetzt offensichtlich, dass all das nicht funktioniert hat. Die Intervention des Westens hat das Problem nicht gelöst, sie hat es nur modifiziert.

Trotzdem ist der Westen nicht gewillt, die Schuld für die Verwandlung des Balkans in ein permanentes Katastrophengebiet zu akzeptieren. In den 1990ern war es gängige Praxis den Serben die Schuld für alles in die Schuhe zu schieben. Wohlgemerkt nicht dem Milosevic-Regime, sondern dem serbischen Volk. Die Schilderung von Serben als Vergewaltiger und Aggressoren wurde genauso zu einem Klischee der westlichen liberalen Propaganda wie es das Leiden des orthodoxen slawischen Bruders in der russisch-nationalistischen Mythologie wurde. Serben waren bis 2001 die geborenen Bösewichte in Hollywood-Filmen und Fernsehsendungen, bis sie schnell durch muslimische Terroristen ersetzt wurden.

Sobald die Ereignisse im Irak anfingen zu eskalieren, verschwand der Balkan in den Hintergrund - aber die Tragödie ging dort wie zuvor weiter.

Es ist bezeichnend, dass sogar die öffentliche Meinung in Russland durch die aktuellen Nachrichten aus dem Kosovo nicht besonders wachgerufen wurde. Vor fünf Jahren brachten sich Russen vor Sorge um das Schicksal ihrer serbischen Brüder um. Als die USA mit der Bombardierung Belgrads begannen, bewarfen Demonstranten die US-Botschaft in Moskau mit Steinen und viele Russen träumten davon, in die serbische Armee einzutreten. Moskau reagierte offiziell mit scharf formulierten Stellungnahmen, die umso bemerkenswerter waren, als sie ein Abgehen von der prowestlichen Rhetorik bedeuteten, die zu diesem Zeitpunkt im Kreml vorherrschte.

Diesmal ist nichts Vergleichbares geschehen. Die Regierung hat ihre Reaktion auf eine Reihe von zurückhaltenden, zahnlosen, äußerst unverständlichen Stellungnahmen beschränkt. Selbst Politiker von der Opposition scheinen nicht besonders besorgt zu sein. Die meisten von ihnen werden von ihren internen Streitigkeiten verzehrt und scheinen noch gar nicht mitbekommen zu haben, dass die aktuelle Krise überhaupt stattgefunden hat. Selbst die extremen Nationalisten haben keine Zeit mehr, für ihre slawischen Brüder einzutreten.

In den 1990ern konnten die Russen das serbische Thema gut für innenpolitische Zwecke nutzen. Der Mythos eines kleinen heroischen Volkes wurde mit der krassen Hilflosigkeit des offiziellen Russlands und seiner Gefälligkeit gegenüber dem Westen kontrastiert. Slobodan Milosevic wurde die Rolle des positiven Helden zugeteilt, des Verteidigers der slawischen Rechte und das genaue Gegenteil des “westlich ausgerichteten Verräters” Boris Jelzin. Die russische Elite, die in die “nach Westen Ausgerichteten” und die “Patrioten” gespalten war, befand sich in einer Identitätskrise und die Serben wurden als Mittel zur Lösung dieser Krise betrachtet.

In seiner ersten Regierungszeit löste Wladimir Putin diese Krise mit verschiedenen Mitteln: Die russische Elite hat sich um den Kreml herum konsolidiert. Obwohl die Regierung und die Streitkräfte nach vier Jahren Putinscher Verwaltung nicht mehr wirkungsvoll sind, haben die Propagandisten im Kreml neue Wege entdeckt, das Volk mit dem Status quo in Einklang zu bringen: Putins hypnotische Wirkung kombiniert mit dem schmerzstillenden Effekt der hohen Ölpreise hat ein Gefühl der Verjüngung geschaffen. Die Serben wurden überflüssig.

In Westeuropa findet sich ein bedeutender Teil der liberalen und sogar linken Politiker, welche die Bombardierung Belgrads und die Besetzung des Kosovo vor fünf Jahren mit Beifall aufnahmen, im Antikriegs-Lager. Die Politik von Präsident George W. Bush im Irak hat viele Europäer, die bis vor kurzem noch die Vorstellung einer humanitären Intervention unterstützt hatten, befremdet. Aber auch jetzt sind wenige dieser neugeprägten Pazifisten bereit, zuzugeben, dass ihre Haltung in den späten 90ern tragisch und verbrecherisch falsch war.

Das würde nichts ausmachen. Es geht nicht darum, dass der Westen die falsche Seite in diesem Konflikt unterstützt hat. Serbische Nationalisten sind nicht anständiger und ehrenvoller als Albaner, die zu Aufruhr und Mord anzetteln. In Fehden wie dieser gibt es keine guten Jungs, nur die schlechten und die sehr schlechten. Und mit Gewissheit zu bestimmen, wer hier wer ist, ist unmöglich.

Boris Kagarlitsky ist Direktor des Instituts für Globalisierungsstudien (IPROG) in Moskau.

Quelle: ZNet Deutschland vom 01.04.2004. Übersetzt von: Tony Kofoet. Orginalartikel: “Pogroms Evoke Indifference”.

Veröffentlicht am

01. April 2004

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