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Aufruf palästinensischer Intellektueller zu einer gewaltlosen Intifada - Palästinensische Medien über Gewaltlosigkeit

Am 27. März 2004 veröffentlichte die palästinensische Tageszeitung Al-Ayyam einen Aufruf von über hundert palästinensischen Intellektuellen und PLO-Politikern. 1 Darin verurteilen sie das Attentat auf Hamas-Führer Scheich Ahmad Yassin in scharfer Form, rufen aber die palästinensische Gesellschaft zu einer in der Bevölkerung verankerten und gewaltlosen Intifada auf. Wir dokumentieren hier zunächst diese Erklärung, die bei ihrer ersten Veröffentlichung am 25. März wurde von 70 Personen, die folgenden zwei Tage darauf von 155 Personen unterschrieben wurde.

Daran anschließend dokumentieren wir eine Reaktion der Al-Aqsa Märtyrer-Brigaden aus der palästinensischen Zeitung Al-Hayyat Al-Jadida, wo der Aufruf als weitere Kapitulation gegenüber der Besatzung bezeichnet und die Bevölkerung zur Unterstützung des ‘bewaffneten Kampfes’ aufgefordert wird. 2

Weiterhin dokumentieren wir Auszüge aus einer Rede des Premierministers der Palästinensischen Autonomiebehörde Ahmad Qurei’ (Abu Alaa), die er anlässlich der Vorstellung des Vierteljahresberichts über die Aktivitäten seiner Regierung vor dem Gesetzgebenden Rat (Palestinian Legilative Council) hielt. In seiner Rede kritisiert er Angriffe auf israelische Zivilisten und spricht über das Rückkehrrecht und die palästinensischen Bedingungen für einen Frieden mit Israel. Außerdem begrüßt Qurei den israelischen Plan zum Rückzug aus Gaza und verurteilt vehement die innenpolitische ‘Anarchie’ in den palästinensischen Gebieten. 3


Aufruf palästinensischer Intellektueller zu einer gewaltlosen Intifada

“Wir, die Unterzeichner dieser Erklärung, Kinder des palästinensischen Volkes aus verschiedenen politischen, ideologischen und sozialen Gruppen, vereint in ihrem gemeinsamen Kampf und ihrer Standhaftigkeit, verurteilen Israels offenkundige Aggression gegen unser Volk. Diese Aggressionen offenbarten sich vor einigen Tagen durch den kriminellen und niederträchtigen Akt von Scharon und seiner rechtsextremen Bande, die zum Märtyrertod des Führers Ahmad Yassin und der ihn begleitenden Kämpfer führte.

Noch einmal betonen wir, dass alle internationalen Verträgen die Rechte unseres Volkes bestätigen. Ebenso betonen wir das Recht, alle Mittel zu unserer Selbstverteidigung einzusetzen. Aber auch wenn uns der Schmerz über die Tragödie beinahe zerreißt, rufen wir die Kinder unseres Volkes in allen Regionen unseres Heimatlandes dennoch dazu auf, sich allein davon leiten zu lassen, was in unserem nationalen Interesse liegt. Und das heißt, der verbrecherischen Besatzerbande die Initiative aus der Hand zu nehmen, Racheakte im Zaum zu halten und eine gewaltfreie Intifada der breiten Masse zu initiieren - eine legitime und umfassende Intifada, die von klaren Zielen und vernünftigen Botschaften geprägt ist und ganz und gar von unserer um ihre Freiheit kämpfenden Bevölkerung initiiert und gelenkt wird. [Eine solche Intifada] wird Scharon nicht die Gelegenheit geben, seine Aggressionen gegen unsere Bevölkerung und ihre Heiligtümer zu krönen und letzte Hand an die Durchführung seines Sicherheitsplans zu legen.

Wir rufen also dazu auf, dass diese Intifada der Einheit zielgenaue und disziplinierte Aktivitäten wieder beleben soll, die von den Massen durchgeführt werden und sich an einem klaren Programm und am politischen Gewinn orientieren. Damit bekräftigen wir auch, dass wir uns unseren gerechten und legitimen Forderungen sowie unseren feststehenden Rechten verpflichtet fühlen.

Wir rufen zur Geschlossenheit auf der Grundlage der nationalen Einheit und der im Widerstand gegen die Besatzung vereinigten Führung auf.”

[Fett gedruckt und in großen Buchstaben:]
“Schluss mit den verbrecherischen Mordanschlägen. Schluss mit dem Blutvergießen? Schluss mir der Besatzung.”

[Es folgen die Namen der Unterzeichner des Aufrufs; unter anderem von:]

Sari Nusseibah, Al-Quds Universität
Yasser Abed Rabbo, ehemaliger Minister der PA
Zuheira Kamal, Ministerin für Frauenahngelegenheiten der PA
Abbas Zaki, Mitglied des Exekutivkomitee der Fatah
Azzam al-Ahmad, Kommunikations- und Technologieminister

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Palästinensische Medien über Gewaltlosigkeit und die Zukunft des Friedensprozesses

Reaktion auf den Aufruf zu einer gewaltfreien Intifada

“Unter der schwächlichen Parole einer ?gewaltfreien Intifada’ rief eine Gruppe dazu auf, die Intifada und den bewaffneten Kampf zu beenden. Der Aufruf begann mit einem Zugeständnis bezüglich des Rückkehrrechts und endete mit dem Appell, den Widerstand aufzugeben. Er wurde im Rahmen einer Kapitulationsinitiative veröffentlicht, die weitere Initiativen, Vorschläge und Friedens- bzw. Kapitulationsaufrufe auslöste.

Die Al-Aqsa Märtyrer-Brigaden wenden sich uneingeschränkt gegen den Aufruf von Sari Nusseibah und der “Volkskampagne für Frieden und Demokratie”, weil er die palästinensische Position schwächt und die Besatzung unterstützt.

Die Brigaden rufen die palästinensische Öffentlichkeit dazu auf, sich der Intifada der breiten Schichten der Bevölkerung und ihren Aktivitäten anzuschließen und diese [die Intifada] als lebensnotwendige Angelegenheit, die andere Formen des Widerstands und Kampfes ergänzt, zu betrachten. Genauso wie die Märsche und Demonstrationen im Kampf gegen den rassistischen Zaun wichtig waren, hat auch der bewaffnete Kampf dem Feind Selbstbewusstsein und Stabilität geraubt und ihm moralisch und ökonomisch geschadet. […] Eine echte Intifada ist eine kreative Kombination beider Wege.

Die Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden verurteilen besonders diejenigen Unterzeichner des Aufrufs, die als Kämpfer sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gefängnisse für ihre glanzvolle Vergangenheit bekannt sind. Gleichzeitig verurteilen sie die Veröffentlichung des Aufrufs in den Medien. Anstatt einen Dialog mit allen Organisationen und Fraktionen zu führen, um die Bevölkerung zu überzeugen, haben sie durch die Veröffentlichung in der Presse lediglich Verwirrung im nationalen Lager erzeugt.”


Die Rede von Ahmad Qurei’:

Verurteilung von Selbstmordattentaten

“Wir glauben, dass das Blut des Hamas-Führers Scheich Yassin nicht umsonst vergossen wurde. […] Dem Kampf gegen die Verbrechen der Besatzung wurde durch Attentate auf israelische Zivilisten geschadet. Diese Attentate dienten als Vorwand für weitere israelische Aggressionen. Wir haben diese [Attentate] verurteilt und wir müssen uns ihnen auch aus moralischen Gründen widersetzen. Wir betonen erneut unsere Ablehnung von [Attentaten] dieser Art, da sie dem Bild des nationalen palästinensischen Kampfes schaden und innerhalb der internationalen Gemeinschaft Verwirrung und Missverständnisse hervorrufen. Diese Attentate schaden uns auch ökonomisch und dienen der israelischen Regierung als Deckmantel, um ihre Siedlungspolitik und den Bau des Zauns fortzusetzen.

Die Ablehnung der Attentate [gegen israelische Zivilisten] beruht nicht nur darauf, dass sie der Road Map-Option widersprechen. Wir lehnen sie auch ab, weil sie zu weiterem Hass, Feindschaft und zum Vertrauensmangel beitragen […] und das Friedenslager schwächen.

Trotz des großen Schadens, der uns seit dem 28. September 2000 zugefügt wurde und der bis heute anhält, hat unser unerschütterliches Vertrauen und unser Festhalten an der Notwendigkeit, Verhandlungen wieder aufzunehmen, nicht gelitten. […] Wir wollen immer noch einen gerechten Frieden, der auf den UN-Resolutionen basiert. […] Wir sind immer noch der Ansicht, dass Verhandlungen der beste Weg sind, um unsere Ziele zu erreichen und das Blutvergießen zu beenden.”

Der Zaun

“Der Kampf gegen den Annexionszaun wurde für die palästinensische Regierung in dem Bewusstsein zur Priorität, dass sein weiterer Ausbau extrem schwere Folgen für alles haben wird, was mit der palästinensischen Sache zu tun hat. […] Dies ist der größte Raub palästinensischen Landes. Sollte der Bau des Zauns abgeschlossen werden, könnte die Errichtung eines palästinensischen Staates verhindert und die Chancen für eine dauerhafte (Friedens-)Lösung vertan worden sein. […]

“In ihrem Kampf gegen den Zaun und die Siedlungen, hat die palästinensische Regierung dem Kampf gegen israelische Pläne, Jerusalem zu isolieren und zu judaisieren, besondere Bedeutung beigemessen. […] Dazu wurde ein spezielles Ministerialkomitee eingerichtet, um alle Jerusalem betreffenden Angelegenheiten zu beobachten.”

Zum Rückzug aus Gaza

“Grundsätzlich befürworten wir Israels Rückzug von jedem Zentimeter palästinensischen Bodens, und das betrifft auch unsere Position gegenüber dem Rückzug aus Gaza. Aber damit [der Rückzug] einen realen Wert hat, muss der Friedensprozess wieder belebt werden und dafür müsste sich Israel aus der gesamten West Bank zurückziehen. […] Außerdem müssten die Siedler aus dem Gaza-Streifen nach Israel transferiert werden.

Zusätzlich müsste Israel [seine Truppen] von allen Grenzposten und den internationalen Grenzen abziehen, insbesondere von der Grenze zu Ägypten, und es müsste die Seeblockade vor der Küste Gazas aufheben. Die Kontrolle müsste der PA und internationalen Beobachtern in angemessener Weise übertragen werden. […] Dieser Schritt [sollte] nicht die Road Map oder Bushs Ansicht hinsichtlich eines palästinensischen Staates ersetzen.

Israel wird für diesen einseitigen Schritt, wie zum Beispiel den Transfer von Siedlern aus Gaza in die West Bank, keine Gegenleistung erhalten - keine Legitimierung von Siedlungen in der West Bank, keine Nachsichtigkeit gegenüber dem rassistischen Trennungszaun, gegenüber dem Schaden, den Israel den palästinensischen Rechten, die international anerkannt sind, zufügt oder gegenüber der Jerusalem- und der Rückkehrrechtsfrage. […]

Wir warnen die israelische Regierung und die internationalen Organisationen davor, dass jeder Plan, jeder Vorschlag und jede Lösung, die nicht mit der palästinensischen Seite abgesprochen wurde, von den Palästinensern als nicht als bindend betrachtet wird.

Wir wissen, dass keine der uns betreffenden Fakten darauf hindeutet, dass es die israelische Regierung wirklich ernst meint und die Feindseligkeiten und den Kreislauf der Gewalt wirklich beenden möchte. Überdies bedarf es eines Wunders, um auf dem Weg über Israels zweischneidigen Plan zu Verhandlungen und einem Friedensprozess zu kommen.

Nichtsdestotrotz werden wir, um [weiteres] Blutvergießen zu verhindern und um die Zerstörung zu beenden, nicht den kleinsten Hoffnungsschimmer aufgeben, der uns helfen kann, dies zu erreichen. Der Vorschlag eines Rückzugs aus Gaza ist eine Gelegenheit [dazu] und wir alle müssen eng zusammenarbeiten, um ihn weise und mutig zu nutzen. […] Somit wird dies ein Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung der legitimen, international anerkannten nationalen Rechte [der Palästinenser] sein. Dieser Schritt könnte aber auch zu einer Falle werden - um nicht hineinzutappen, müssen wir alle auf der Hut sein und zusammenarbeiten. […]

Wir haben dazu ein Ministerialkomitee zur täglichen Beobachtung der israelischen Pläne für den Gaza-Streifen eingerichtet und werden außerdem ein nationales Komitee installieren. […]”

Palästinensische Friedensbedingungen

“Wir haben nichts gegen Kontakte und Treffen mit dem israelischen Premierminister oder anderen Verhandlungspartnern, aber wir wollen gut darauf vorbereitet sein, und zwar durch Treffen, die sicherstellen, dass die Kontakte im Rahmen der UN-Resolutionen, der unterzeichneten Vereinbarungen und der Road Map stattfinden […]

Wir werden dem Einsatz von Gewalt, Befehlen und [von Israel] auf dem Boden geschaffenen Tatsachen nicht nachgeben. Es wird nicht eher Frieden geben, bis sich Israel nicht aus allen Gebieten, die es 1967 besetzt hat - inklusive Jerusalem -, zurückgezogen hat. [Weiter fordern wir] die Errichtung eines palästinensischen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt neben dem Staat Israel und eine auf der Resolution 194 beruhende Lösung des Flüchtlingsproblems.

Die palästinensische Regierung hat seine Kontakte zu Leuten und Parteien in Israel nicht aufgegeben und hat mehrere Treffen auf verschiedenen Ebenen und an unterschiedlichen Orten zugelassen, um die Option auf einen Frieden und für bessere Beziehungen mit den israelischen Gruppen, die an den Frieden glauben, zu verstärken. Die palästinensische Regierung begrüßt jede Bemühung, Aktivität und jeden Dialog von nicht offiziellen Persönlichkeiten und zivilen Institutionen beider Seiten, besonders von Organisationen innerhalb des Friedenslagers, vorausgesetzt, dass sie das Programm der PLO und die UN-Resolutionen akzeptieren. […].”

Anarchie in den palästinensischen Gebieten

“Die palästinensische Regierung wird den Dialog [mit den palästinensischen Fraktionen] fortsetzen, um die innenpolitische Bühne zu stabilisieren und mit der [gegenwärtigen] Situation der Anarchie, dem Mangel an Sicherheit sowie der Schwäche der Rechtsstaatlichkeit und der öffentlichen Ordnung fertig zu werden. Diese Situation ist zu einer ernsthaften Gefahr geworden, die unser nationales Vorhaben fundamental erschüttert. Ein Zögern in der Bekämpfung der Anarchie wäre schlimmer als der Schaden, der durch die Anarchie selbst entsteht. Das kann leicht zum Zusammenbruch der Palästinensischen Nationalen Autorität führen, schadet ihrer Glaubwürdigkeit und ebnet den Weg zur Niederlage auf der innenpolitischen Bühne.

Wir müssen den Kampf gegen die Besatzung unabhängig von der Frage der inneren Sicherheit betrachten. Wir dürfen nicht [der Position] folgen, [die behauptet] dass Maßnahmen gegen die Rechtlosigkeit und gegen den Verlust der Sicherheitskontrolle zu einem Bürgerkrieg führen würden. Es ist Zeit, unsere Bevölkerung mit allen Mitteln vor dem Schlimmsten zu bewahren: dass sie nämlich den legitimen Widerstand gegen die Besatzung mit dem anarchischen Gebrauch von Waffengewalt verwechselt.

Wir als [Führung] der nationalen Regierung tragen die Verantwortung für die Beendigung dieses Phänomens. […] Wir haben mehrere Maßnahmen ergriffen, um die Sicherheitsapparate zu reorganisieren. […] Aber die Ergebnisse sind aufgrund objektiver und subjektiver Ursachen, die mit dem Kontrollverlust und den Konflikten zwischen den Systemen und ihren Führungen zusammenhängen, sehr begrenzt. […] Die [palästinensische] Regierung ist entschlossen, Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und die Durchsetzung der Rechte der palästinensischen Bevölkerung zu realisieren. Deshalb müssen die Vollendung der Sicherheitsreformen und die Entwicklung der palästinensischen Sicherheitssysteme wichtigste Aufgabe bleiben. Dies muss unverzüglich und entschieden angegangen werden, damit diese Systeme ihre Funktion auch ausführen können und Sicherheit und öffentliche Ordnung erlangt werden können, um die Autorität der Gesetze zu stärken, die Rechtsstaatlichkeit zu sichern und die Anarchie zu beenden. […] Es ist notwendig, den Sicherheitssystemen klare Aufträge zu erteilen und die Basis ihrer Autorität mit größtmöglicher Transparenz und Verantwortungsbewusstsein zu definieren.”

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Anmerkungen:

1 Al-Ayyam (PA), 27. März 2004.

2 Al-Hayat Al-Jadida (PA), 28. März 2004.

3 Al-Ayyam (PA), 1. April 2004.


Quelle: Middle East Media Research Institute (MEMRI) vom 05.04.2004 und 12.04.2004.

Veröffentlicht am

14. Mai 2004

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