Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS



Suche in www.lebenshaus-alb.de
 

Deutschland hilft sich selbst

Die EU-Staaten, an führender Stelle Deutschland, nutzen Mittel der sogenannten Entwicklungshilfe zweckentfremdend zur Versorgung der in Europa angekommenen Flüchtlinge. Dies geht aus einer aktuellen Studie hervor. Demnach werden die Ausgaben etwa für die Unterbringung der Flüchtlinge dem Entwicklungsetat zugerechnet, um UN-Vorgaben zu dessen Höhe zu realisieren. Der so erreichte formelle Anstieg der Mittel geht der Studie zufolge mit einem realen Schrumpfen der Zahlungen an die am wenigsten entwickelten Länder einher. Im Fall der machtpolitisch aufstrebenden Bundesrepublik fungiert die Entwicklungshilfe zudem verstärkt als Hilfsmittel zur Durchsetzung geostrategischer Interessen sowie als Hebel zur Steigerung der Exporte in die Schwellenländer. Daneben zielt die deutsche Entwicklungspolitik nach Auskunft von Experten unmittelbar darauf ab, "den Flüchtlingszustrom zu reduzieren"; die Bundesregierung handle nach der Maxime, "Flüchtlinge von Deutschland fern zu halten".

Zweckentfremdung

Die sogenannte Entwicklungshilfe der EU wird in zunehmendem Maße zweckentfremdet. Wie eine jüngst publizierte Studie zur Zahlung von Entwicklungsgeldern "Official Development Assistance" (ODA) aller 28 EU-Staaten konstatiert, ist die Mittelvergabe an die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries, LDC) in den vergangenen Jahren zurückgegangen, obwohl die Entwicklungshilfe insgesamt formell rasch angestiegen ist.Genuine aid: EU pushes commitment up to 2052 - AidWatch Report 2017. concordeurope.org 17.10.2017. Die ODA-Aufwendungen der EU-Staaten haben demnach zwischen 2014 und 2016 um 27 Prozent zugenommen und betragen nun insgesamt 75,6 Milliarden Euro. Gleichzeitig sanken die Zahlungen an die LDCs im Jahr 2015 um 3,9 Prozent. Die Studie weist darauf hin, dass die am wenigsten entwickelten Länder auch deshalb besonders stark auf Entwicklungshilfe angewiesen sind, weil sie 86 Prozent aller Flüchtlinge weltweit beherbergen. Die gegenläufige Entwicklung - mehr ODA insgesamt, weniger ODA für die ärmsten Länder - resultiert laut den Autoren der Studie aus einer massiven Zweckentfremdung der Mittel in Europa.

Inflationierte Zahlen

Demnach werden Entwicklungshilfegelder verstärkt innerhalb der EU ausgegeben - zur Versorgung von Flüchtlingen. Wie es in der Studie heißt, sind allein im Jahr 2016 die als Entwicklungshilfe etikettierten Aufwendungen für Flüchtlinge um 43 Prozent gestiegen; dies komme einer "Inflationierung" der offiziellen Entwicklungshilfezahlen gleich.Anastasia Kyriacou: Half of new EU aid money is being spent in Europe. euobserver.com 08.11.2017. Als 2015 rund 1,5 Millionen Menschen Asyl in den OECD Ländern beantragten, hätten Deutschland, Österreich, Griechenland und Italien rund 20 Prozent ihrer formellen Entwicklungshilfe-Aufwendungen für Flüchtlinge im eigenen Land ausgegeben. Regelungen des Development Assistance Committee der OECD aus dem Jahr 1988 erlauben es tatsächlich, solche Ausgaben im ersten Jahr nach der Aufnahme der Flüchtlinge formell als Entwicklungshilfe zu buchen. Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie Oxfam kritisieren dennoch, Entwicklungshilfe solle generell nur im Ausland ausgegeben werden, um die ärmsten Menschen aus der Armut zu befreien. Von der Praxis, "für Hilfe in Drittstaaten vorgesehene Haushaltsposten zur Flüchtlingsunterbringung" im Inland zu benutzen, solle man Abstand nehmen.

Der größte Empfänger

Dabei ist die Bundesrepublik im vergangenen Jahr bei der Zweckentfremdung von Entwicklungshilfe führend gewesen. Laut Medienberichten hat Berlin die ODA 2016 gegenüber dem Vorjahr um 36 Prozent auf 23,2 Milliarden Euro erhöht - und damit formell erstmals die 1970 beschlossene entwicklungspolitische UNO-Vorgabe erreicht, wonach Industriestaaten 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Entwicklungshilfe bereitstellen sollen.Deutschland erfüllt erstmals Uno-Vorgabe. spiegel.de 11.04.2017. Nahezu die Hälfte dieser Mehrhausgaben ist demnach aber in die Flüchtlingsversorgung auf dem Territorium der Bundesrepublik geflossen. Wären diese Kosten nicht in den Entwicklungshilfeetat eingerechnet worden, hätte die deutsche ODA 2016 nur 0,52 Prozent des BIP betragen. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sprach bei der Vorstellung seiner Jahresbilanz im April 2017 dennoch von einem Erfolg: Die Zahlen belegten, dass die Bundesrepublik ihrer "wachsenden internationalen Verantwortung gerecht" werde. Hilfsorganisationen wie Save the Children sprechen hingegen von einem "Scheinerfolg". Durch die "aufgeblasene Hilfe" werde Deutschland de facto "zum größten Empfänger seiner eigenen Entwicklungsausgaben", erklärte eine Sprecherin der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung.Eva Oer: Deutschland rechnet sich hoch. taz.de 11.04.2017.

Deutsche "Soft Power"

Unabhängig davon plant Berlin auch im kommenden Jahr eine deutliche Erhöhung der ODA: Die Mittel des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sollen auf 8,7 Milliarden Euro ansteigen.Stephan Klingebiel: Deutschlands Soft Power. fr.de 22.03.2017. Die Möglichkeit dazu sei "praktisch in keinem anderen Geberland" vorhanden, da Deutschland - aufgrund seiner extremen Handelsüberschüsse - über entsprechende Haushaltsspielräume verfüge, heißt es. Durch die Anhebung der Entwicklungshilfe könne die "Soft Power" Berlins - unter diesem Begriff werden die nichtmilitärischen Machtmittel eines Staates subsumiert - in den Empfängerstaaten gesteigert werden. Die Bundesregierung hoffe, dank ihrer Entwicklungshilfe "noch stärker an der Lösung internationaler Probleme" mitwirken zu können - vor allem, weil der afrikanische Kontinent "auf der politischen Prioritätenliste der Bundesregierung heute höher als noch vor wenigen Jahren" rangiere. Bundeskanzlerin Merkel habe, heißt es, auf der Münchner Sicherheitskonferenz klargestellt, ein "enges Verständnis von sicherheitspolitischen Anstrengungen" in Afrika sei nicht ausreichend. Das "entwicklungspolitische Engagement" solle deshalb "ein zentraler Pfeiler" der - tatsächlich machtpolitisch und geostrategisch motivierten - deutschen Aktivitäten sein.

Die Interessen der Geberländer

Kritiker der gegenwärtigen internationalen Praxis der Entwicklungshilfe wie etwa Axel Dreher, Professor für Internationale Wirtschafts- und Entwicklungspolitik an der Universität Heidelberg, sehen die Interessen der Entwicklungsländer denn auch bei der konkreten Ausgestaltung der Entwicklungspolitik kaum berücksichtigt. Im Wesentlichen gehe es bei der angeblichen Hilfe um die "Interessen der Geberländer": Zum einen würden hierdurch "Märkte für die eigenen Produkte geschaffen" und "Ressourcen ausgebeutet"; zum anderen spielten immer öfter "geostrategische Motive" bei der Vergabe der Gelder eine Rolle, etwa die Errichtung von Militärstützpunkten.Marius Gerads, Julia Rosenkranz: "Entwicklungshilfe ist Etikettenschwindel". manager-magazin.de 06.01.2017. Überdies ließen sich auch das eigene diplomatische Gewicht und das eigene Image auf der internationalen Bühne durch Entwicklungshilfe stärken: "Auch das Abstimmungsverhalten bei den Vereinten Nationen wird durch die Gelder zu Gunsten der Geber beeinflusst." In Afrika spiele mittlerweile die zunehmende Konkurrenz zwischen der Bundesrepublik und der Volksrepublik China eine wichtige Rolle bei den entwicklungspolitischen Entscheidungen Berlins. Deutschland gehe es aktuell vor allem darum, "sich selbst zu helfen und den Flüchtlingszustrom zu reduzieren", urteilt Dreher: Berlin handle nach der Maxime, "Flüchtlinge von Deutschland fern zu halten". Dies sei freilich keine wirkliche Entwicklungshilfe, die ja, "wie der Name schon sagt", die Entwicklung des Empfängerlandes fördern solle.

Exportförderung

Bei alledem richtet sich die deutsche Entwicklungshilfe in hohem Maß an den Interessen der deutschen Exportindustrie aus. Entwicklungshilfe dient der Exportförderung: Im Schnitt fließen mehr Gelder in Länder und Regionen, die deutsche Waren importieren.Maike Freund: Wie Deutschland an den Armen verdient. handelsblatt.com 22.11.2012. In den Jahren 2012/13 floss beispielsweise mehr deutsche Entwicklungshilfe nach China (Platz 1) und Indien (Platz 2) als nach Afghanistan (Platz 3) oder in die Demokratische Republik Kongo (Platz 4).Profiteure der deutschen Entwicklungshilfe. faz.net 09.09.2015. Boomende Schwellenländer werden von Berlin bevorzugt mit Entwicklungshilfe bedacht, die überdies immer öfter an Kredite der staatlichen KfW gekoppelt ist. Bei etlichen Projekten der Entwicklungshilfe profitiert die Wirtschaft auch direkt. Dies ist etwa bei der Initiative "Cotton made in Africa" der Fall, die auch von Handels- und Textilunternehmen unterstützt wird (german-foreign-policy.com berichtete.S. dazu Cotton Club . Dabei werden mit Geldern der Entwicklungshilfe Lieferketten für die deutsche Wirtschaft aufgebaut. Auch bei Projekten, an denen die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) beteiligt sei, verdiene die deutsche Wirtschaft direkt mit, heißt es in Berichten: Es gebe "eben auch eine Reihe von Ländern" - etwa Indien -, "die aus rein wirtschaftlichen Interessen gefördert werden".Maike Freund: Wie Deutschland an den Armen verdient. handelsblatt.com 22.11.2012.

Quelle: www.german-foreign-policy.com vom 16.11.2017.

Fußnoten

Veröffentlicht am

25. November 2017

Artikel ausdrucken