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Das Prinzip Abschreckung

Trotz der vollkommen unzulänglichen Umverteilung von Flüchtlingen aus Griechenland in wohlhabendere EU-Staaten reduziert Berlin seine Übernahmen weiter und ermöglicht nach längerer Pause sogenannte Dublin III-Abschiebungen nach Athen. Bis Ende vergangener Woche sind genau 18.418 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien in andere EU-Staaten ausgeflogen worden; Brüssel hatte zunächst angekündigt, bis September dieses Jahres rund 160.000 Flüchtlinge in der EU umzuverteilen. Die Bundesrepublik, die bislang nur 4.478 von den 27.536 Flüchtlingen einreisen lassen hat, die sie gemäß EU-Schlüssel aus Griechenland und Italien willkommen heißen soll, reduziert Berichten zufolge gegenwärtig ihre Übernahmen. Dabei sind die Lebensverhältnisse für Flüchtlinge in Griechenland nach wie vor katastrophal. Amnesty International etwa hat kürzlich in einer "Urgent Action" auf die "fürchterlichen Bedingungen" hingewiesen, unter denen mehr als 1.000 Flüchtlinge in drei Lagern im Athener Stadtteil Ellinikó dahinvegetieren müssen. Auch die Versorgung von Flüchtlingen außerhalb der Lager sei "mehr als notdürftig", bestätigt Dorothee Vakalis von der Hilfsorganisation NAOMI in Thessaloniki im Gespräch mit german-foreign-policy.com. Trotzdem hat das Bundesinnenministerium im März die Dublin III-Abschiebungen nach Griechenland, die 2011 nach einer Intervention des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte untersagt worden waren, wieder zugelassen.

Minimale Umverteilung

Der aktuelle Stand bei der Umverteilung von Flüchtlingen aus Griechenland und Italien in andere EU-Staaten ist nach wie vor desaströs. Hatte die EU zunächst zugesagt, rund 160.000 Flüchtlingen die Übersiedlung zu ermöglichen, so wurden bislang nur 98.255 Menschen einem Aufnahmeland zugeteilt - theoretisch. Sichere Zusagen von EU-Mitgliedstaaten liegen nur für 28.713 Flüchtlinge vor. Tatsächlich aufgenommen wurden - Stand: 12. Mai - exakt 18.418 Personen. Deutschland, das laut EU-Schlüssel 27.536 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien willkommen heißen soll, hat bislang lediglich 4.478 ins Land geholt; um bis September dieses Jahres die vorgesehene Zahl zu erreichen, müssten in den kommenden Monaten mehr als 23.000 Flüchtlinge übernommen werden. Viele Mitgliedstaaten verzeichnen noch desolatere Zahlen. So hat Schweden statt der von Brüssel vorgesehenen 3.766 lediglich 39 Flüchtlinge aus den südlichen Mitgliedstaaten aufgenommen, Kroatien 49 von 968, Bulgarien 29 von 1.302, die Slowakei 16 von 902, Tschechien 12 von 2.691. Polen und Ungarn haben noch keinen einzigen Flüchtling aus Griechenland und Italien akzeptiert. EU-Migrationskommissar Dimítris Avramópoulos hat nun Vertragsverletzungsverfahren gegen Warschau und Budapest in Aussicht gestellt, sollten sie sich den EU-Beschlüssen weiterhin verweigern. Polens Ministerpräsidentin Beata Szydlo kündigt Widerstand an.

Drastisch reduziert

In dieser Situation bremst laut Berichten nun auch die Bundesrepublik die Flüchtlingsübernahme aus Griechenland, obwohl sie sie eigentlich rasant ausweiten müsste. In Griechenland sorgt derzeit ein Bericht der Zeitung Efimerída ton Sintaktón ("Zeitung der Redakteure") für Unruhe, laut dem Deutschland seit dem 1. April nur noch 70 Flüchtlinge pro Monat im Rahmen der Familienzusammenführung einreisen lassen will. Zwar werde das offiziell nicht bestätigt; doch werde "von ganz unterschiedlichen Quellen" bereits "eine drastische Reduzierung der Übernahme aus Griechenland in die Bundesrepublik" vermeldet, berichtet Dorothee Vakalis von der Flüchtlings-Hilfsorganisation NAOMI im nordgriechischen Thessaloniki im Gespräch mit german-foreign-policy.com.S. dazu Flüchtlinge in Griechenland . Zwar sei vieles "noch unklar"; doch sorgten die Berichte "schon jetzt für große Unsicherheit, nicht nur bei den betroffenen Familien, die jetzt noch mehr Angst um ihre Zukunft haben, sondern auch bei den vielen Unterstützenden". Von den rund 16.000 Flüchtlingen im Norden Griechenlands hätten über 8.000 ein Recht auf Familienzusammenführung, ein großer Teil von ihnen in die Bundesrepublik; bei vielen nehme jetzt die Furcht dramatisch zu, "über Jahre hin getrennt von ihrer Familie und nur notdürftig versorgt in Griechenland leben zu müssen".

Kakerlaken und Ratten

Dabei leben die Flüchtlinge nicht nur in den Lagern auf den griechischen Inseln ("Hot Spots"S. dazu Das Leiden des Anderen .), sondern auch auf dem griechischen Festland nach wie vor in katastrophalen Verhältnissen. Erst vor kurzem hat Amnesty International in einer "Urgent Action" darauf aufmerksam gemacht, dass zum Beispiel in drei Lagern im Athener Stadtteil Ellinikó mehr als tausend meist afghanische Flüchtlinge, unter ihnen viele Kinder, seit mehr als einem Jahr "unter fürchterlichen Bedingungen" leben müssen - in Zelten, in denen sie "in miserablen hygienischen und sanitären Verhältnissen mit unzulänglichen Toiletten und Duschen und begrenzter Privatsphäre" dahinvegetieren, geplagt von Kakerlaken und Ratten.Urgent Action: Refugees at Great Risk Due to Unsafe Camps. 24.04.2017. Helfer berichteten "von schweren psychischen Problemen wie etwa Depressionen, Ängsten und Suizidversuchen", konstatiert Amnesty International: "Alle verlieren in Ellinikó den Verstand", wird eine geflohene Frau zitiert. Frauen litten zudem besonders darunter, dass sie Belästigungen und dem Risiko sexualisierter Gewalt ausgesetzt seien - nicht zuletzt, weil die griechischen Sicherheitsbehörden sich nicht um die Lager kümmerten; zudem schüfen nicht abschließbare Toiletten, Duschen und Zelte die Möglichkeit für Übergriffe. "Viele Frauen leben in konstanter Furcht, attackiert zu werden", berichtet Amnesty.Urgent Action: Refugees at Great Risk Due to Unsafe Camps. 24.04.2017.

In den Wahnsinn getrieben

Desolat ist die Lage allerdings auch für Flüchtlinge, die die Lager verlassen und in Wohnungen ziehen konnten. Schon "die alltägliche Versorgung mit Nahrungsmitteln" sei "mehr als notdürftig", berichtet Dorothee Vakalis: Pro Person stünden 150 Euro im Monat zur Verfügung - "nicht nur für Lebensmittel, sondern auch Hygieneartikel, Kleidung, unter Umständen Busfahrten. Davon kann selbst in Griechenland niemand menschenwürdig leben." Auch die medizinische Versorgung sei miserabel. "Theoretisch" gebe es inzwischen zwar ein Gesetz, "das auch Menschen ohne Krankenversicherung eine Grundversorgung zuspricht"; in der Praxis besäßen die Krankenhäuser, durch die von Berlin und Brüssel oktroyierten Kürzungsdiktate ausgezehrt, "gar nicht die personellen und auch nicht die medizinischen Mittel", um eine angemessene Betreuung zu leisten. Flüchtlinge würden nicht behandelt, sondern mit schmerzstillenden Mitteln ruhiggestellt; an teure Hilfen "wie Zahnersatz oder Brillen" sei "überhaupt nicht zu denken", erklärt Vakalis - "ganz zu schweigen von einer angemessenen Traumabehandlung und psychotherapeutischer Hilfe".S. dazu Flüchtlinge in Griechenland . In Verbindung mit der quälenden Unsicherheit über die Zukunft trieben die desaströsen Verhältnisse "manche geradezu in den Wahnsinn". Dahinter stecke, urteilt Vakalis, "eine politische Absicht" - "das Streben nach Abwehr und Abschreckung".

Abschieben erlaubt

Ungeachtet der für sie fürchterlichen Lebensbedingungen in Griechenland können Flüchtlinge nun wieder gemäß der Dublin III-Verordnung dorthin abgeschoben werden, sofern sie von dort aus in andere EU-Staaten, etwa in die Bundesrepublik, eingereist sind. Dublin III-Abschiebungen waren nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 21. Januar 2011 allgemein ausgesetzt worden; in dem Urteil hatte es geheißen, Flüchtlinge seien in Griechenland menschenunwürdigen Haft- und Lebensbedingungen ausgesetzt und dürften nicht zwangsweise dorthin zurückverbracht werden. Die EU hat nun in einer rechtlich nicht bindenden Stellungnahme vom 8. Dezember 2016 empfohlen, die stark kritisierten Dublin III-Abschiebungen wieder aufzunehmen. Das Bundesinnenministerium hat der Empfehlung am 15. März umgehend Rechnung getragen und Dublin III für Griechenland auf nationaler Ebene wieder in Kraft gesetzt. Ausgenommen sind lediglich "vulnerable", also besonders verwundbare Personen - vor allem etwa unbegleitete Jugendliche. Alle anderen dürfen grundsätzlich überstellt werden - in Verhältnisse, die menschenunwürdig sind.

Quelle: www.german-foreign-policy.com vom 18.05.2017.

Fußnoten

Veröffentlicht am

20. Mai 2017

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