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Flüchtlingsabwehr in Nordafrika (III)

Mit Gesprächen in Tunesien setzt Bundeskanzlerin Angela Merkel am 3. März ihre Verhandlungen über den Ausbau der Flüchtlingsabwehr in Nordafrika fort. Nach ihrer gestrigen Zusammenkunft mit dem ägyptischen Staatspräsidenten Abd al Fattah al Sisi und dem ägyptischen Ministerpräsidenten Sherif Ismail wird sie in Tunesien nun mit Präsident Béji Caïd Essebsi und Ministerpräsident Youssef Chahed zusammentreffen. Gegenstand der Gespräche ist unter anderem die beschleunigte Abschiebung von Tunesiern ohne gültige Aufenthaltspapiere aus der Bundesrepublik in ihr Herkunftsland. Unklar ist, ob auch die sogenannten Auffanglager für Flüchtlinge diskutiert werden, die die Bundesregierung in Tunesien zu errichten vorgeschlagen hat; der ägyptische Staatspräsident Abd al Fattah al Sisi hat gestern das Ansinnen, "Auffanglager" in Ägypten zu errichten, offiziell zurückgewiesen. Berlin arbeitet seit einigen Jahren immer enger mit Tunis in der Flüchtlingsabwehr zusammen, liefert Technologie zur Grenzabschottung und trainiert tunesische Grenzpolizisten. Ein tunesischer Offizier wird mit der Äußerung zitiert: "Bis spätestens 2020 wird an allen Grenzen Tunesiens nach deutschem Standard patrouilliert."

Projektbüro in Tunis

Unterstützung für die tunesischen Repressionsbehörden leistet die Bundesrepublik schon seit 2012. Zunächst gewährte sie Ausbildungs- und Ausstattungshilfe über die Bundespolizei. 2014 kam es zu den ersten deutschen Materiallieferungen an den tunesischen Grenzschutz; Berlin stellte 2.700 Splitterschutzwesten zur Verfügung. Nach den Terroranschlag von Sousse im Juni 2015 konnte die Bundesregierung Tunis veranlassen, gemeinsam auch umfassendere Maßnahmen zur Abriegelung der tunesisch-libyschen Grenze zu ergreifen. Ging es aus tunesischer Sicht dabei vor allem darum, die Einreise von Jihadisten aus Libyen zu unterbinden, so hatte für Berlin die Unterbrechung der Flüchtlingsroute aus Tunesien zu den Ablegestellen an der libyschen Küste einen herausragenden Stellenwert. Noch 2015 konnte die Bundespolizei ein Projektbüro in Tunis einrichten, an dem seither drei Beamte der Bundespolizei im Einsatz sind.

Nach deutschem Standard

Damit verbunden sind weitere deutsche Ausbildungs- und Ausstattungsmaßnahmen für die tunesischen Repressionsbehörden. Bereits 2015 bildeten Beamte der Bundespolizei tunesische Kollegen zu Themen wie "Grenzmanagement", "Seesicherheit", "Sprengstoffdetektion" oder "Kommunikationsüberwachung" aus. Dies wurde bald um das systematische Training tunesischer Grenzschützer nicht nur am Maritimen Trainingszentrum der Bundespolizei im holsteinischen Neustadt, sondern auch an der Kommandoschule der tunesischen Nationalgarde in Oued Zarga ergänzt. Dort lernten die Tunesier etwa, heißt es in einem Bericht, "wie man patrouilliert, wie man gefälschte Pässe erkennt und verdächtige Personen befragt, wie man Nachtsichtgeräte und Wärmebildkameras bedient".Hauke Friederichs, Caterina Lobenstein: Die gekaufte Grenze. www.zeit.de 29.10.2016.  Ein tunesischer Offizier wird mit der Äußerung zitiert: "Bis spätestens 2020 wird an allen Grenzen Tunesiens nach deutschem Standard patrouilliert."Hauke Friederichs, Caterina Lobenstein: Die gekaufte Grenze. www.zeit.de 29.10.2016.

Kontrolltechnologie

Das zur Abschottung der Grenze benötigte Gerät ist in vielen Fällen ebenfalls aus Deutschland angeliefert worden ("Ausstattungshilfe"), darunter Schnellboote zur Grenzkontrolle auf See, 3.000 Gefechtshelme, 700 Doppelfernrohre, Nachtsichtgeräte und Wärmebildkameras, eine ganze Reihe von Fahrzeugen und ein Dokumentenprüflabor.Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu, Ulla Jelpke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/6421, 19.10.2015. Zusätzlich werde "die Mobilität tunesischer Sicherheitskräfte zur libyschen Grenze durch die Beschaffung von Mannschaftswagen und mittels HESCO-Schutzsystemen für die Posten der Nationalgarde gestärkt", teilte die Bundesregierung vergangenen Sommer mit. Auch habe man "Unterstützung bei der Installation einer ortsfesten elektronischen Grenzüberwachungsanlage" an der Grenze zu Libyen zugesagt; darüber hinaus solle ein mobiles Radarsystem geliefert werden.Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/8969, 21.07.2016. Der Wert der Lieferungen beläuft sich laut Berichten auf einen zweistelligen Millionenbetrag.

"Keine Konzentrationslager"

Zusätzlich dringt Berlin seit dem Herbst darauf, sogenannte Auffanglager in Tunesien zu errichten; Flüchtlinge sollen dort Asyl in einem EU-Staat beantragen und lediglich bei Bewilligung ihres Gesuchs nach Europa reisen dürfen. Der Plan ist - damals bezogen auf Libyen - erstmals bereits im Jahr 2004 vom damaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) geäußert wordenS. dazu Festung .; im November ist sie zunächst von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) erneut aufgegriffen und Anfang Februar vom Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, bestätigt worden. Es sei an der Zeit, dass "die im Mittelmeer geretteten Flüchtlinge wieder zurückgebracht und zunächst in Nordafrika versorgt und betreut werden", äußerte Oppermann.Thomas Gutschker: Oppermann will Flüchtlinge nach Nordafrika zurückbringen. www.faz.net 05.02.2017. Bereits Ende 2016 ist bekannt geworden, dass die Bundesregierung Tunesien als Standort für die Lager bevorzugt. In der EU ist auch Libyen im Gespräch: "Es wäre richtig, Auffanglager in Libyen zu installieren", hat EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani zu Wochenbeginn bestätigt.Michael Backfisch, Jörg Quoos: Antonio Tajani: "Auffanglager dürfen keine KZs werden". www.morgenpost.de 27.02.2017. In den libyschen Flüchtlingslagern herrschen Zustände, die die deutsche Botschaft in Niger kürzlich als "KZ-ähnlich" eingestuft hat.S. dazu Rückschub in die Hölle . EU-Parlamentspräsident Tajani räumt ein: "Auffanglager dürfen keine Konzentrationslager werden."Michael Backfisch, Jörg Quoos: Antonio Tajani: "Auffanglager dürfen keine KZs werden". www.morgenpost.de 27.02.2017.

Proteste in Tunesien

Die tunesische Regierung weigert sich bislang, dem Berliner Ansinnen nach Einrichtung von "Auffanglagern" in ihrem Land zu entsprechen. Dies geschieht auch unter dem Druck der Bevölkerung. Der Umgang von Behörden, Medien und Öffentlichkeit in der Bundesrepublik mit "Nordafrikanern" ("Nafris", german-foreign-policy.com berichteteS. dazu Der Abschiebestaat . ist in dem Land nicht verborgen geblieben; unlängst kam es in Tunis zu Protesten gegen die Pläne Berlins, Tunesier schneller abzuschieben: "Tunesien ist nicht Deutschlands Abfall", hieß es auf einem Plakat.Angela Merkels heikle Reise nach Tunesien und Ägypten. www.morgenpost.de 28.02.2017. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die heute zu Gesprächen mit dem Staats- und dem Ministerpräsidenten Tunesiens in der Hauptstadt des Landes eintrifft, hat bereits am 14. Februar Ministerpräsident Youssef Chahed in Berlin empfangen. Anschließend lautete die offizielle Sprachregelung, man habe überhaupt nicht über "Auffanglager" gesprochen. Ob die tunesische Regierung ihre Weigerung, der deutschen Forderung nachzukommen, aufrechterhalten kann, das werden die heutigen Gespräche zeigen.

Quelle: www.german-foreign-policy.com vom 03.03.2017.

Fußnoten

Veröffentlicht am

07. März 2017

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