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Zu Gast bei Freunden (II)

Mit einem Brandanschlag auf eine bewohnte Flüchtlingsunterkunft, einem Sprengstoffanschlag auf das Auto eines Flüchtlingsunterstützers und der Massenbelagerung eines Flüchtlingsheims hat die jüngste Welle rassistischer Gewalt in Deutschland am Wochenende eine neue Qualität erreicht. Nur durch glückliche Umstände kam es bei den Attentaten in den vergangenen Tagen nicht zu Todesopfern. Gleichzeitig steigt die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsheime dramatisch an und hat im ersten Halbjahr 2015 bereits den Stand des Gesamtjahres 2014 erreicht. Beobachter warnen seit Jahren, dass sich Initiativen gegen Flüchtlingsheime immer fester vor Ort verankern und immer mobilisierungsfähiger werden. Das politisch-mediale Establishment liefert den Kampagnen gegen Flüchtlinge, die im vergangenen Winter mit den "Pegida"-Demonstrationen erstmals Zehntausende auf die Straße bringen konnten, regelmäßig die vermeintliche Legitimation - mit rassistischen Klischees wie etwa im Rahmen der Debatte um Publikationen des SPD-Politikers Thilo Sarrazin oder mit abfälligen Äußerungen über Migranten. Letztere werden immer noch getätigt, obwohl die Gewalt gegen Flüchtlinge eskaliert.

Potenziell tödlich

Mit einem Brandanschlag auf eine bewohnte Flüchtlingsunterkunft, einem Sprengstoffattentat und einer Massenbelagerung eines Flüchtlingsheims hat die Welle rassistischer Gewalt, die seit geraumer Zeit in Deutschland anschwillt, am Wochenende eine neue Qualität erreicht: Sie umfasst nun auch Attacken, bei denen es nur durch glückliche Umstände nicht zu Todesopfern kam.

Brandanschlag

In der Nacht von Samstag auf Sonntag zündeten unbekannte Täter an einer Wohnungstür im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses in Brandenburg an der Havel eine mit Benzin getränkte Zeitung an. Nur durch Zufall bemerkte eine 24-jährige Bewohnerin den Brandgeruch rechtzeitig und konnte dafür sorgen, dass das Feuer gelöscht wurde. Die Täter flüchteten unerkannt. Zum Tatzeitpunkt schliefen die 24-Jährige und ihre zwei Töchter im Alter von zwei und fünf Jahren in der Wohnung.Alexander Fröhlich: Brandanschlag auf Flüchtlingswohnung. www.tagesspiegel.de 27.07.2015. Der Brandanschlag ist der erste seit längerer Zeit, der sich gegen eine bewohnte Flüchtlingsunterkunft richtete und leicht mit dem Tod der Opfer hätte enden können. Zuvor sind in diesem Jahr insbesondere Unterkünfte in Brand gesteckt worden, die jeweils in Kürze von Asylsuchenden bezogen werden sollten, aber noch leer standen. Dabei ist die Anzahl der Anschläge in diesem Jahr dramatisch gestiegen. Wurden 2014 laut offiziellen Angaben 203 Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte registriert, so zählten die Behörden im ersten Halbjahr 2015 bereits 202 Übergriffe, darunter 22 Gewaltdelikte, zu denen Brandstiftung und Körperverletzung gehören. Weil es im behördlichen Alltag immer wieder zu Nachmeldungen nach Ablauf der ersten Frist kommt, ist schon für das erste Halbjahr 2015 letztlich mit einer höheren Zahl zu rechnen.

Sprengstoffattentat

In der Nacht von Sonntag auf Montag zündeten zudem in der Kleinstadt Freital unweit Dresden ebenfalls unbekannte Täter einen Sprengsatz am Auto eines Kommunalpolitikers, der vor Ort allgemein für seinen Einsatz für Flüchtlinge bekannt ist. In Freital wird seit Ende 2014 zu einem Ableger der berüchtigten Dresdner "Pegida"-Demonstrationen mobilisiert; unter dem Namen "Frigida" ("Freital gegen die Islamisierung des Abendlandes") gehen Demonstranten dort seit mehr als einem halben Jahr gegen Flüchtlinge auf die Straße. Freital ist in den vergangenen Wochen in die Schlagzeilen geraten, weil die Agitation gegen Migranten dort immer heftiger eskalierte und in systematische Angriffe auf ein Flüchtlingsheim mündete; Beobachter sprachen von einer Pogromstimmung, die sich auch gegen Unterstützer der Flüchtlinge richtete. So wurde etwa der Lokalpolitiker Michael Richter (Die Linke), dessen Auto jetzt durch einen Sprengsatz schwer beschädigt wurde, schon im Wahlkampf zur Bürgermeisterwahl am 7. Juni wegen seiner Solidarität mit Asylsuchenden heftig attackiert. Der jetzige Oberbürgermeister Uwe Rumberg (CDU) wurde hingegen ins Amt gewählt, nachdem er öffentlich "Sanktionen gegen pöbelnde und gewalttätige Asylbewerber" gefordert und erklärt hatte: "Auch eine Willkommenskultur hat irgendwo ihre Grenzen."Matthias Meisner, Lars Radau: "Vergleiche mit Hoyerswerda sind angebracht". www.tagesspiegel.de 23.06.2015.

Massenbelagerung

In der Ortschaft Mainstockheim unweit Würzburg wird ein Flüchtlingsheim umgehend geräumt, nachdem mehrere hundert Deutsche es unter Gewaltdrohungen belagert hatten. Bereits am vergangenen Donnerstag seien Einheimische mit Baseballschlägern und Fahrradketten an der Unterkunft erschienen, heißt es in Berichten; am Wochenende hätten schließlich bis zu 300 Ortsansässige, teilweise mit Messern sowie Schlagwerkzeugen bewaffnet, das Flüchtlingsheim umstellt. Die Polizei, die das Gebäude sichern musste, sprach von einer "aufgeheizten Stimmung".Olaf Przybilla: Flüchtlingsheim wird nach Übergriffen geräumt. www.sueddeutsche.de 27.07.2015. Die Flüchtlinge, die in Mainstockheim untergekommen waren, werden nun an andere Orte verbracht. Einen Angriff auf eine Zeltstadt, in der Flüchtlinge untergebracht werden sollten, hatte es bereits am Freitagabend in Dresden gegeben. Nach einer NPD-Demonstration, die sich gegen Flüchtlinge richtete, attackierten NPD-Anhänger die Zeltstadt mit Flaschen und Steinen; von den Angriffen betroffen waren auch Helfer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), die gerade dabei waren, die Zelte aufzubauen. Die improvisierte Unterkunft soll rund 1.100 Flüchtlinge aus Syrien beherbergen, die sich, kaum dem dortigen Bürgerkrieg entronnen, nun in Dresden mit deutschen Neonazis konfrontiert sehen.

Eine neue Dimension

Vor einer eskalierenden Welle rassistischer Gewalt in Deutschland warnen Fachleute schon lange. Bereits 2013 konstatierten Beobachter, dass einzelne lokale Initiativen gegen Flüchtlinge über längere Zeit nennenswerten Zulauf verzeichnen konnten - und dass sich Neonazis an ihnen beteiligten.S. dazu Willkommen in Deutschland . 2014 verzeichneten Experten "sowohl hinsichtlich der Häufigkeit" als auch bezüglich "des Mobilisierungsgrades" lokaler Initiativen gegen Flüchtlinge, aber auch bei "der akuten Bedrohungslage" im Vergleich zur Lage 2013 "eine neue, alarmierende Dimension".Svenna Berger, Frank Metzger: Bedrohliche Allianzen. monitor (rundbrief des apabiz e.v.) Nr. 67, Dezember 2014. Ende 2014 starteten die "Pegida"-Demonstrationen, die wöchentlich bundesweit Zehntausende zu Kundgebungen gegen Flüchtlinge auf die Straßen brachten. Sie wurden gezielt von Kräften der extremen Rechten unterstützt. Die Massenagitation bildet den Hintergrund für die GewalteskalationS. dazu Einmalige Abschreckung ., die schon im vergangenen Jahr zu beobachten war und in den letzten Tagen eine neue Qualität erreicht hat.

Tabubrüche und Stimmungsmache

Dabei wäre die Massenagitation nicht denkbar ohne eine Reihe von Tabubrüchen und die gezielte Stimmungsmache gegen Flüchtlinge im politischen Establishment und in den deutschen Leitmedien. In den Jahren 2009 und 2010 etwa wurden Publikationen des SPD-Politikers und damaligen Bundesbank-Vorstandsmitglieds Thilo Sarrazin, der sich abfällig über türkische und arabische Migranten äußerte und ein "Juden-Gen" entdeckt haben wollte, breit promotet. Politiker vor allem aus CDU und CSU benutzten die Kampagne, um einen angeblich "überdurchschnittlich hohen Anteil von Ausländern bei der Gewaltkriminalität" zu beklagen, während der heutige SPD-Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel über Sarrazins Publikationen äußerte: "Vieles, was er darin beschreibt, erleben wir ja. Ist doch gar keine Frage".S. dazu Elite gegen Unterschicht und Herrschaftsreserve . 2013 kritisierte der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, eine Polit-Kampagne gegen "Armutsmigranten" aus Osteuropa, die "ausschließlich als Roma" identifiziert und "pauschal kriminalisiert" würden. An der Kampagne beteiligten sich zahlreiche prominente Politiker, darunter die Innenminister mehrerer Bundesländer wie auch des Bundes.S. dazu Das Ende der Freizügigkeit und Grenzen dicht! (II) .

Schnellstmöglich abschieben

Stimmung gegen Flüchtlinge wird bis heute gemacht - obwohl Kritiker regelmäßig warnen, dies trage dazu bei, die rassistische Gewalt eskalieren zu lassen. Mehrfach hat etwa der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer einen "massenhaften Asylmissbrauch" heraufbeschworen. Seehofer will nun für diejenigen Flüchtlinge, deren Asylanträgen die Behörden keinerlei Aussicht auf Erfolg einräumen, Aufnahmelager in unmittelbarer Nähe zu Bayerns Außengrenzen errichten lassen, um sie nach Ablehnung ihres Antrags schnellstmöglich abschieben zu können. Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Aydan Özoguz (SPD), hält den Vorstoß für diskutabel und erklärt, dies sei "durchaus eine Idee".Nicht nur Kritik an Bayerns Asyl-Idee www.tagesschau.de 23.07.2015. In Bayern heißt es, zu diesem Zweck könnten durchaus auch Zeltstädte errichtet werden. Die abfällige Behandlung von Flüchtlingen ist neues Wasser auf die Mühlen derjenigen, die gegen Asylsuchende auf die Straßen gehen. Die aufgeheizte Stimmung wiederum begünstigt rassistische Gewalt.

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 28.07.2015.

Fußnoten

Veröffentlicht am

28. Juli 2015

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