Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS



Suche in www.lebenshaus-alb.de
 

Obama in Kabul: Nach dem Wahlkampf in den Bürgerkrieg?

Von Otmar Steinbicker

Ort und Zeit für seine Rede hatte US-Präsident Obama geschickt ausgewählt: Pünktlich zum Jahrestag der Tötung von Osama bin Laden reiste Obama nach Kabul, unterzeichnete gemeinsam mit dem afghanischen Präsidenten Karzai eine strategische Partnerschaft, die eine Stationierung von US-Truppen am Hindukusch bis 2024 vorsieht und hielt anschließend eine Wahlkampfrede für sein heimisches Publikum zur Medien-Primezeit in den USA. Der Tenor: Wir beenden erfolgreich den Krieg gegen Al Kaida und bringen unsere Truppen nach Hause.

Obama weiß, was die Wähler in den USA hören wollen. Rund 70 Prozent wollen laut Umfragen inzwischen ein Ende des Krieges und den Truppenabzug aus Afghanistan. Für sie will Obama den Helden spielen, der Al Kaida besiegt und die siegreichen Truppen nach Hause führt. Mit einem Frieden für Afghanistan hat das Ganze leider nichts zu tun. Da hätte er schon vor einem Jahr auf Kommentatoren u.a. der "Washington Post" hören sollen, die ihm damals rieten, nach dem Tod von Bin Laden kurzerhand den Sieg über Al Kaida auszurufen und den Truppenabzug zu verkünden.

Stattdessen sollen jetzt bis zu 20.000 US-Soldaten nach Aussagen amerikanischer Regierungsvertreter auch nach 2014 noch in Afghanistan bleiben, wenn die ISAF-Kampftruppen längst abgezogen sein sollen. Das ist der Kern des Vertrages, den Obama mit Karzai unterzeichnete. In Afghanistan verbleiben sollen die berüchtigten Spezialtruppen, die zum Ärger der Afghanen vor allem nachts als Killerkommandos durch Land ziehen. Und auch der Drohnenkrieg soll weitergehen. Der Chefberater des Präsidenten für Terrorismusbekämpfung, John Brennan, hatte ihn am Montag als ethisch gerechtfertigt dargestellt.

Aber auch Verhandlungen mit den Taliban kündigte Obama an. "Mit Unterstützung der afghanischen Regierung führt meine Administration direkte Verhandlungen mit Vertretern der Taliban-Bewegung", erklärte der Präsident in seiner Rede. Sie müssten nur die Beziehungen zu Al Kaida abbrechen, auf Gewalt verzichten und die afghanischen Gesetze einhalten. "Diejenigen Taliban-Mitglieder, die nicht auf einen Dialog eingehen wollen, bleiben nach wie vor Ziel von Schlägen seitens der afghanischen Sicherheitskräfte und des internationalen Militärkontingents" - so einfach ist das!

Neu ist das keineswegs. Die Taliban hatten sich bereits Ende 2009 öffentlich von Al Kaida distanziert und es gab unterschiedliche Gesprächsrunden, an denen US-Vertreter und Taliban-Führer teilnahmen. So diskutierten NATO-Offiziere und Taliban-Führer im Juli und August 2010 in Kabul über den realistischen Versuch einer Übergangslösung für eine Provinz im Osten Afghanistans, wo eine gemeinsame Regierung aus Taliban- und Karzai-Vertrauten installiert werden sollte. Im Falle des Funktionierens wäre hier ein Modell für ganz Afghanistan entstanden, zumindest aber hätten beide Seiten ernsthafte Erfahrungen im Dialog sammeln können. Doch zu ernsthaften Verhandlungen ist es nicht gekommen, weil die US-Regierung in letzter Konsequenz nie dazu bereit war. Stattdessen brach der damalige Oberkommandierende, US-General Petraeus die Erfolg versprechenden Gespräche ab und führte das gezielte Töten von Taliban-Kommandeuren ein, das er heute als Chef der CIA, die den Drohnenkrieg führt, fortsetzt.

Das Ergebnis: An die Stelle alter, erfahrener Kommandeure, die wissen, dass der Krieg in einer Sackgasse steckt und nur durch Verhandlungen beendet werden kann, rückten junge Heißsporne nach, die erst noch in der gerade begonnenen Frühjahrsoffensive lernen müssen, dass militärische Gewalt keinen Frieden schaffen kann. Es mehren sich die Hinweise, dass diese jungen Nachwuchs-Kommandeure inzwischen die noch bis Ende 2011 mehrfach bekundete Verhandlungsbereitschaft der Taliban-Führung ernsthaft schwächen. Die Petraeus-Taktik ist in der Sackgasse gelandet!

Obamas Wahlkampfrede mag in den Ohren mancher Wähler in den USA gut klingen. Sie macht aber für kritische Beobachter deutlich, dass mit ernsthaften Initiativen vor den Präsidentschaftswahlen in den USA kaum zu rechnen ist. Was danach geschieht, ist offen.

Und die NATO? Macht sie bis dahin weiter brav mit? Nicht wenige Beobachter schielen jetzt auf das Ergebnis der französischen Präsidentschaftswahl am Sonntag. Sollte Hollande gewinnen und am Montag - wie versprochen - einen vorzeitigen Abzug der französischen Truppen aus Afghanistan bekannt geben, dann glauben manche, brechen die Dämme und es gibt einen Wettlauf der NATO-Staaten, wer am ersten aus dem Kriegsgebiet heraus ist.

Aber auch das wäre noch nicht der Frieden in Afghanistan, sondern möglicherweise nur der Start in einen neuen blutigen Bürgerkrieg. Die Truppen dafür stehen bereit: Nicht nur die afghanische Armee und die Taliban, auch von US-Armee und NATO (einschließlich Bundeswehr) aufgestellte Milizen und ein Heer von rund 100.000 nach US-Plänen zu entlassenden afghanischen Soldaten, die sich dann als Söldner verdingen müssen - für wen auch immer!

Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de .

Quelle:  www.aixpaix.de , 02.05.2012.

Veröffentlicht am

07. Mai 2012

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von