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Taliban-Offensive - Wer stoppt jetzt die Logik des Krieges?

Von Otmar Steinbicker

Das Signal war spektakulär: 18 Stunden lang beschossen 36 Taliban-Kämpfer das strengstens gesicherte Regierungs- und Botschaftsviertel in Kabul. Gleichzeitig griffen Taliban-Kämpfer in weiteren drei Provinzen des Landes an. Ihre Botschaft: Die Taliban beginnen ihre Frühjahrsoffensive, sie sind präsent und sie sind stark.

Sind sie wirklich so stark, wie es scheint? Gewisse Zweifel sind angebracht. Koordinierte Offensiven in vier Provinzen gleichzeitig, das ist zumindest bisher nicht die Handschrift der eher mit einfachen Waffen kämpfenden Aufständischen. Das sieht eher nach professioneller Arbeit des pakistanischen Geheimdienstes ISI aus. Wenn sich diese Befürchtung bewahrheitet, dann ist das ein gefährliches Signal für alle, die nach einer ernsthaften Friedenslösung suchen.

Die jetzt begonnene und wohl noch keineswegs beendete Frühjahrsoffensive der Taliban folgt der eigenen Logik des Krieges. Da heißt es vor allem, militärische Stärke zu zeigen, aber da heißt es auch, eindrucksvolle Bilder für die Fernsehanstalten zu inszenieren, um Punkte im psychologischen Krieg zu gewinnen. Schließlich steht Ende des Monats der NATO-Gipfel in Chicago an, auf dem das weitere Vorgehen der Allianz in Afghanistan beraten wird.

Die NATO zeigt sich absolut konzeptionslos. Einerseits heißt es, die Kampftruppen werden bis Ende 2014 abgezogen. Dann will man aber auch über 2014 hinaus militärisch präsent bleiben. Dann heißt es wiederum für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanische Regierung werde deren Armee kräftig aufgestockt, ausgebildet und bewaffnet, damit sie nach dem Abzug der NATO allein erfolgreich gegen die Taliban kämpfen kann. Doch dann gibt Afghanistans Verteidigungsminister laut "New York Times" vom 10. April bekannt, die afghanische Armee werde bis Ende 2014 von 352.000 Mann (Planzahl für Ende 2012) auf rund 230.000 Ende 2014 reduziert! Von den derzeit vor allem von den USA aber auch von Deutschland rasch aufgestellten Milizen, die zum Teil aus bisherigen Taliban-Kämpfern rekrutiert wurden, wie die FAZ am 11.02.2012 meldete, ist dort keine Rede mehr. Die Frage, was aus den Entlassenen wird, die nichts anderes gelernt haben als zu kämpfen und zu töten, steht offen im Raum. Das Gefahrenpotential, das diese Männer in einem sich abzeichnenden Bürgerkrieg darstellen, ist nicht zu übersehen! Niemand kann prophezeien, auf welche Seite sie sich mitsamt ihren Waffen dann schlagen - im Zweifel wohl auf die am besten bezahlte.

Von Friedensgesprächen ist derzeit auf keiner Seite mehr die Rede. Die mit viel Pressegetöse und wilden Spekulationen verbundenen Gespräche rund um das vermeintliche Taliban-Büro in Katar, deren Zustandekommen die Bundesregierung als diplomatische Leistung reklamierte, sind geplatzt. Ein bereits fast ausgehandelter gegenseitiger Gefangenenaustausch, bei dem auch einige ehemalige Taliban-Führer aus Guantanamo freigelassen werden sollten, scheiterte letztlich an den USA. Die Taliban, die sich bereits mehrfach in der Vergangenheit von den USA im Hinblick auf Gesprächsbereitschaft getäuscht sahen, haben einmal wieder mehr jegliches Vertrauen in den Westen verloren.

Also regiert wieder die Logik des Krieges! Die Frühjahrsoffensive nimmt ihren Lauf mit der vagen Aussicht, die militärischen Positionen und damit auch vermeintlich die Ausgangspositionen bei möglichen Gesprächen und Verhandlungen zu verbessern. Denn eines scheinen zumindest die Taliban zu wissen: Die Fortführung des Krieges wird keine Lösung für Afghanistan bringen. Der Schlüssel für eine Lösung liegt in Gesprächen auf unterschiedlichen Ebenen!

Da geht es um Gespräche zwischen den unterschiedlichen Konfliktparteien in Afghanistan und da gibt es mehr als nur die Karzai-Regierung auf der einen und die Taliban auf der anderen Seite. Da geht es auch um Gespräche über ein Ende der Kämpfe, da müssen dann unbedingt ISAF und die Taliban einbezogen sein, damit ein Waffenstillstand vereinbart und Perspektiven für Abzug und Demobilisierung entwickelt werden können. Da geht es auch um eine Loslösung der Taliban vom pakistanischen Geheimdienst ISI - eine Grundvoraussetzung für eine ernsthafte afghanische Lösung. Dass neben Pakistan und Iran auch andere Nachbarstaaten, die Großmächte und auch die Weltgemeinschaft Interessen im Hinblick auf eine Friedenslösung haben, erfordert eine weitere Gesprächsebene.

Doch diese Notwendigkeiten sind allen Beteiligten bekannt. Die wichtigste Frage ist jetzt: Wer macht einen Schritt in Richtung Aufnahme Erfolg versprechender Friedensgespräche? Der NATO-Gipfel in Chicago? Die Taliban? Oder sendet die traditionelle afghanische Zivilgesellschaft ein deutliches Signal an die Konfliktparteien?

Die Logik des Krieges hat ihre eigene Dynamik. Sie geht in die entgegengesetzte Richtung!

Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de .

Quelle:  www.aixpaix.de , 16.04.2012.

Veröffentlicht am

17. April 2012

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