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Besonders ausführlich, wenn sich die Bahn AG erneut verweigern sollte

Konzernvertreter der Deutschen Bahn AG und der Initiative “Elftausend Kinder” werden Anfang Juli zu Gesprächen über ein angemessenes Gedenken an die Deportationsopfer der Deutschen Reichsbahn aufeinandertreffen. Dies bestätigt das Bundesverkehrsministerium, das die Gespräche moderieren soll, auf Anfrage dieser Redaktion. Die Zusammenkunft beendet den Boykott der Bahn AG, deren Vorstandsvorsitzender zwei Jahre versucht hatte, die Forderungen nach einer Wanderausstellung über elftausend jüdische Kinder und deren Schienentransporte in die NS-Vernichtungslager zu ignorieren. Insgesamt etwa drei Millionen Menschen wurden von dem Vorgängerunternehmen der Berliner Bahn AG nach Sobibor, Buchenwald oder Auschwitz geschleust.

Bereits im Vorfeld des Treffens kommt es zu kontroversen Stellungnahmen der Beteiligten. Gemeinsam mit der Pariser Opferorganisation um Beate und Serge Klarsfeld (“Fils et Filles des Déportés Juifs de France”, FFDJF) verlangt die deutsche Initiative “Elftausend Kinder” die grundsätzliche Freigabe sämtlicher Bahnhöfe, um an die NS-Deportierten auf den Stationen ihrer letzten Reise zu gedenken. Wie es auf der Gegenseite heißt, werde man “unrealistische” Planungen zurückweisen und sei allenfalls zu einem “symbolischen Gedenken” bereit. Sollte sich die Bahn AG diese Position zu Eigen machen, “ist eine eskalierende Auseinandersetzung unausweichlich”, kündigen Zeichner eines Briefes an den Vorstandsvorsitzenden Mehdorn an. In einer aktuellen Umfrage unter den Förderern der Initiative “Elftausend Kinder” spricht sich die überwältigende Mehrheit für das ungehinderte Gedenken an den früheren Deportationsbahnhöfen aus und will Einschränkungen nicht hinnehmen. “An dieses Mandat werden wir uns halten”, kündigt die Sprecherin der Initiative an. german-foreign-policy.com veröffentlicht den Text der Umfrage.

Zu dem Treffen, das am 10. Juli im Berliner Verkehrsministerium stattfinden soll, ist auch der Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan J. Kramer, eingeladen. Er hatte im März an sämtliche Bundestagsabgeordnete geschrieben und auf die noch immer anhaltende Sperrung der deutschen Publikumsbahnhöfe aufmerksam gemacht.Siehe dazu Weichenstellung Wegen des verweigerten Gedenkens an die elftausend ermordeten jüdischen Kinder kam es daraufhin zu empörten Stellungnahmen aus Fraktionen des Berliner Parlaments. Zugleich fanden in mehreren Städten neue Demonstrationen gegen den Boykott des Bahn-Vorstands statt, der sämtliche Gesprächsangebote der Ausstellungsinitiatoren seit Juli 2005 zurückweist und schriftliche Appelle bislang nicht beantwortete.Siehe dazu Elftausend Kinder und Konzernspitze der Bahn AG: Unversöhnlich Die öffentlichen Interventionen und beabsichtigten Regelverstöße (darunter nicht genehmigte Gedenkveranstaltungen auf Bahnhofsgelände in mehr als zehn Städten) wurden in den vergangenen Wochen um Behelfsausstellungen in Stuttgart, Karlsruhe und Weimar ergänzt.Siehe auch Aufwand nicht zumutbar Weitere provisorische Darstellungen mit Exponaten über das Schicksal der elftausend deportierten Kinder, über die Reichsbahntäter und die Kontinuität ihres Wirkens in der späteren Bundesrepublik werden im Juli in Oldenburg und anschließend in Schwerin eröffnet. Anfragen von Bürgerinitiativen, die für Ausstellungen auf ihren örtlichen Bahnhöfen eintreten, liegen aus mehr als zehn Städten vor. Nach übereinstimmenden Einschätzungen im Bundesverkehrsministerium sowie im Konzernvorstand der Bahn AG war diesem Druck nicht länger auszuweichen. Zu dem ungewöhnlichen Treffen am 10. Juli entsendet der Vorstandsvorsitzende Hartmut Mehdorn deswegen seinen persönlichen Bevollmächtigten (Hermann Graf von der Schulenburg), erfährt german-foreign-policy.com aus Berlin. Schulenburg wird vom Vorstandsvorsitzenden der Bahn AG überall dort eingesetzt, wo das Unternehmen den Anschein aristokratischer Wohlanständigkeit erwecken und den Blick auf seine tatsächliche Geschichte trüben will.

Kategorisch

Auf französischer Seite werden Beate und Serge Klarsfeld für die Pariser Opferorganisation “Fils et Filles des Déportés Juifs de France” (FFDJF) teilnehmen. FFDJF hatte mit Hilfe des staatlichen Bahnunternehmens SNCF auf 18 französischen Deportationsstationen an die elftausend Kinder erinnern können, die zwischen 1942 und 1944 von der Deutschen Reichsbahn “in den Osten” verbracht wurden. Die mehrtägige Fahrt führte ab Paris unter anderem über Saarbrücken, Karlsruhe, Frankfurt am Main, Leipzig und Dresden, um in Auschwitz zu enden.Siehe dazu Angemessen, würdig, entschlossen Unter den Ermordeten befanden sich auch mehrere hundert Kinder deutscher und österreichischer Emigranten. Zwar war ihnen die Flucht aus dem Großdeutschen Reich gelungen, jedoch wurden sie von den vorrückenden Berliner Okkupanten eingeholt und ebenso wie ihre französischen und polnischen Leidensgefährten mit der Deutschen Reichsbahn in den Tod befördert. Vor dem Hintergrund dieses Massenverbrechens, an dem das Vorgängerunternehmen der heutigen Bahn AG unmittelbar beteiligt war, lehnt es FFDJF kategorisch ab, der Kinder ausschließlich in musealer Umgebung und fernab der Orte des kriminellen Geschehens zu gedenken. Wie Beate Klarsfeld zuletzt bei Veranstaltungen in Stuttgart und Karlsruhe unterstrich, dürften Fotos und Dokumente der Kinder den Alltagsreisenden der Bahn AG nicht länger vorenthalten werden - “sie gehören in die Publikumsbereiche aller relevanten Bahnhöfe”.Beate Klarsfeld bei der Eröffnung der Behelfsausstellung “Elftausend jüdische Kinder - Mit der Reichsbahn in den Tod” am 2. Juni in Karlsruhe.

Mandat

Um sich für die bevorstehenden Gespräche mandatieren zu lassen, hat die Initiative “Elftausend Kinder” sämtliche Mitunterzeichner eines “Offenen Briefes” angeschrieben, in dem die Öffnung der deutschen Publikumsbahnhöfe für das Ausstellungsgedenken erstmals gefordert worden war Offener Brief vom 15. Januar 2005 - inzwischen weit über 400 Organisationen und Einzelpersonen. In dem Anschreiben heißt es, man habe der Initiative in den vergangenen Tagen signalisiert, “dass die Freigabe mehrerer Bahnhöfe nicht in Frage komme. Ein einziger Bahnhof, auf dem der Deportierten symbolisch gedacht wird, müsse ausreichen (…). Bevor wir in die kommenden Gespräche mit der Bahn AG gehen, möchten wir Sie um Ihr Mandat bitten (…):

a) Die Initiative soll sich mit der Freigabe eines einzigen Bahnhofs begnügen

b) Die Initiative sollte auf Freigabe sämtlicher Bahnhöfe der früheren Transporte (etwa zehn) für die Wanderausstellung bestehen.”

Verpflichtend

Fast ausnahmslos verlangen die Mitunterzeichner, dass die Wanderausstellung möglichst vielen Reisenden zugänglich gemacht werden soll - nur einer von 150 wäre mit einer symbolischen Präsentation auf einem einzigen Bahnhof einverstanden, teilt die Sprecherin der Initiative “Elftausend Kinder”, Tatjana Engel, auf Anfrage mit. Das Mehrheitsvotum wird von mehreren Stadt- und Gemeinderatsfraktionen (so in Erlangen und Freiburg) ebenso geteilt wie von einer ganzen Verlagsbelegschaft (Münster), mehreren Betriebsräten (Frankfurt am Main, Stuttgart), mehreren Sprechern von Studentenausschüssen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Wie die Sprecherin hervorhebt, befinden sich unter den Befürwortern einer umfassenden Wanderausstellung auch Petenten aus der Schweiz, der Tschechischen Republik, aus Großbritannien und Israel. “Es hat uns besonders gefreut, dass ein Beiratsmitglied der Deutsch-Arabischen Gesellschaft das uneingeschränkte Gedenken an die elftausend jüdischen Kinder zu seiner Sache macht - vielleicht ohne zu wissen, dass unter den Deportierten mindestens eine kinderreiche Familie aus dem muslimischen Nordafrika war… Das Mandat, das uns in diesen Tagen von vielen erteilt wird, ist verpflichtend; daran werden wir uns ohne Wenn und Aber halten.”

Verantwortung

Unabhängig vom Ausgang der kommenden Gespräche kündigen Initiativgruppen für den Herbst Veranstaltungen an, auf denen die Verstrickung der Deutschen Reichsbahn in die NS-Massenverbrechen genauer beleuchtet werden soll. “Das Gedenken an die Opfer wäre nicht vollständig, würden wir ihre Peiniger, die Täter, mit Schweigen übergehen”, sagt Hans-Christoph Stoodt, Pfarrer in Frankfurt am Main und einer der Initiatoren der Aktivitäten in Hessen. “Die Täter haben in den Strukturen der deutschen Nachkriegsgesellschaft, auch im Bahnbereich, Karriere gemacht und bis zum Beginn der 1990er Jahre unter uns gelebt. Dass sie unentdeckt bleiben konnten, ist auch unsere Verantwortung. Wir werden ihr nachkommen - besonders ausführlich, wenn sich die Bahn AG erneut verweigern sollte.”

Quelle: www.german-foreign-policy.com/de vom 29.06.2006

Fußnoten

Veröffentlicht am

04. Juli 2006

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