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Hammer ohne Sichel

Kommentar Russlands Stabilität

Von Karl Grobe

Russlands Stabilität hat einen Personennamen: Wladimir Putin. Und umgekehrt: Putins Popularität entspringt der Stabilität, der Antwort auf eine lange Jahrzehnte unerfüllte Sehnsucht.

Die Rückschau erklärt vieles. Unter den letzten Generalsekretären der kommunistischen Regierungspartei, dem vergreisenden Leonid Breschnew und seinen beim Amtsantritt schon todkranken Nachfolgern, stagnierte die Sowjetunion und löste sich unter Michail Gorbatschow vollends auf. Die Regierungszeit des ersten russischen Präsidenten, Boris Jelzin, war durch zweierlei gekennzeichnet: raubkapitalistische Aneignung der Ressourcen durch eine Schar bedenkenloser Oligarchen und einen äußeren Schein von Demokratie, der parodistische Züge trug, woran übrigens das Verständnis für Demokratie schwer erkrankte.

Da schien der starke und stärker werdende Mann an der Spitze gerade recht zu kommen, die Verkörperung des starken Staates, der die Macht "vertikal" von oben nach unten organisiert und Russland einen führenden Platz in der Welt wieder erkämpft. Ins kollektive Bewusstsein drängt sich Nostalgie, die Erinnerungen an die Sowjetunion mit solchen an die Zaren-Großmacht mischt.

Den Abgang der drei Ostseerepubliken, der Ukraine und der drei Kaukasus-Staaten haben Ideologen und führende Politiker nicht verschmerzt. Georgien, das in russischer Sicht falsch gewählt hat, wird durch die Förderung separatistischer Bestrebungen in Südossetien und Abchasien destabilisiert. Der Ukraine, so inkompetent sich deren Mächtige auch verhalten haben mögen, zeigte der Kreml im vergangenen Winter, wo der Hammer (jetzt ohne Sichel) hängt. In zweien der drei Ostseerepubliken wird die große russischsprachige Minderheit ab und an gegen die Regierungen mobilisiert. Es sind Versuche und Manöver; doch auch wenn sie wie bisher fehlschlagen, lassen sie den alten Imperialismus durchschimmern.

Der bedient sich starker Trümpfe: Erdöl, Erdgas, seltene Metalle. Rohstoffe sind strategische Waffen, wie Putin weiß. Seine Bevollmächtigten setzen sie ein. Kein anderer als der Staatstrust Gasprom darf Erdgas exportieren und - aus Zentralasien auf den Weltmarkt - transportieren; in Kiew sind die Folgen gut bekannt. Über den Wink mit dem fernöstlichen Zaunpfahl - zahlt der Westen nicht, liefern wir eben an China und Japan - lohnt sich auf dem kommenden Petersburger G-8-Treffen auch dann zu diskutieren, wenn die Drohung technisch realitätsfern ist. Energiesicherheit ist ja ein Hauptthema.

Dieses Thema birgt eine Falle. Die zusehends in der Hand der Staatsapparatschiks konzentrierten Rohstoffkonzerne leiden Mangel an Kapital; sie wünschen fremde Investitionen, aber keine fremde Kontrolle. Um einen aus der frühen DDR stammenden Satz abzuwandeln: Es muss alles kapitalistisch aussehen, aber wir müssen alles unter Kontrolle haben. Das Geschäft ist nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch, dies vor allem.

Putin und die Putinisten sind berechenbare Geschäftspartner, wenn das Politische in der Rechnung enthalten ist. Eben da sind sie misstrauisch gegen alles, was sich ihrer Kontrolle entziehen könnte. Den Nicht-Regierungs-Organisationen nimmt ein Gesetz voller bürokratischer Fallstricke den Bewegungsraum, zumal solchen, die Zugang zu fremder Valuta haben. Die entscheidenden Massenmedien laufen an der Leine der Staatsmacht. Der von Putin jetzt zugestandene Raum zur Meinungsäußerung für die Opposition wird eng genug bleiben. Wahlen unabhängiger Direktkandidaten wird es nicht mehr geben, weil es keine Direktkandidaten mehr gibt, und vor den Parteien, die Proporzmandate erringen können, stehen hohe Zulassungshürden.

Kurz, die putinistische Demokratie ist sehr gelenkt im Rahmen der Gesetze und weist eine Reihe von Defiziten auf. Sie sind der Preis der gegenwärtigen Stabilität Russlands. Fallen aber die günstigen Außenbedingungen - die hohen Ölpreise - perspektivisch weg, ist die Stabilität nicht mehr zu finanzieren. Dann bleibt die "Machtvertikale" übrig, der starke Staat, der im Namen Putins den Hammer führt, ohne die ideologische Sichel nötig zu haben.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 03.07.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Karl Grobe.

Veröffentlicht am

03. Juli 2006

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