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Belastungsprobe Energiepolitik: Kuhhandel in Vorbereitung

Anfang April will die Koalition über ein Gesamtkonzept für die Strom- und Brennstoffversorgung entscheiden. Die Kanzlerin stellt sich erst einmal über die Konflikte

Von Annette Jensen

Offiziell herrscht erst mal Ruhe. Regierungschefin Angela Merkel hat die Vorbereitung des Energiegipfels Anfang April Wirtschaftminister Michael Glos (CSU) und seinem Umweltkollegen Sigmar Gabriel (SPD) übertragen. “Über Tagesordnung und Teilnehmerkreis wird die Kanzlerin dann selbst entscheiden”, stellt ihr Sprecher klar.

Glos hatte zuvor versucht, die Federführung ganz für sich zu reklamieren. So hoffte er, energiepolitisch die Rolle rückwärts zu schaffen. Die Förderung von Sonnen- und Windenergie gehöre auf den Prüfstand, die Atomkraft dürfe nicht aus “ideologischen Gründen” auslaufen. Nur mit einer AKW-Verlängerung sei die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, so seine Behauptung. Merkel, bekanntermaßen ein AKW-Fan, setzte dagegen auf Deeskalation und bestätigte, dass der Koalitionsvertrag einen Ausstieg aus dem Ausstieg nicht vorsehe. Etwas kleinlaut räumte Glos´ Sprecher vergangene Woche ein: “Der Minister sieht ein, dass man beim Atomthema Mehrheiten braucht, und die gibt es anscheinend zur Zeit nicht.” Zumindest bis zu den Landtagswahlen Ende März will Merkel das Thema erst einmal hintanstellen. Klar ist indessen, dass die Energiepolitik zu einem der strittigsten Punkte der Koalition werden dürfte. Die Vorstellungen liegen weit auseinander - und die Zuständigkeiten sind zwischen zwei Ministerien aufgeteilt.

Die SPD verteidigt den Atomkonsens mit großer Verve, die auch Grüne erstaunt. Fällt sie jetzt doch noch um, gäbe sie inzwischen eine zentrale politische Position auf - und würde dadurch in der großen Koalition noch unkenntlicher als sowieso schon. Die permanenten Nadelstiche von Christdemokraten wie Hessens Ministerpräsident Roland Koch, der sogar für AKW-Neubauten plädiert, haben die Position innerhalb der SPD verstärkt, auf jeden Fall am Ausstieg festzuhalten. Und Umweltminister Gabriel koffert zurück. Er hat angekündigt, die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) ins Land zu holen, um die deutschen Aufsichtsbehörden überprüfen zu lassen. Dass der IAEA die föderalistische Struktur nicht passt, ist seit längerem bekannt - auch wenn sie sich auf Nachfrage nicht dazu äußern mag.

Die großen Energiekonzerne haben das gleiche Ziel wie Glos, gehen aber in puncto Öffentlichkeitsarbeit genau den umgekehrten Weg wie der Minister. Bis vor kurzem hatten sie versucht, das Thema klein zu halten - wohl vor allem, um die Haltung der SPD nicht weiter zu verfestigen. Eine akute Entscheidungssituation gibt es zur Zeit schließlich nicht: Erst Anfang 2008 muss RWE den Reaktor Biblis A abschalten, bis zum Ende der Legislaturperiode werden dann noch Neckarwestheim 1, Brunsbüttel und Biblis B fällig. Längere Wartungspausen oder eine Reduzierung der Produktion könnten die Abschaltungen allerdings auch hinauszögern - schließlich ist die hergestellte Strommenge jedes Meilers die entscheidende Größe. Außerdem könnten Biblis B und Brunsbüttel noch ganz legal Strommengen von bereits vom Netz genommenen Reaktoren übernehmen und so in die nächste Legislaturperiode hinübergerettet werden.

Doch vor ein paar Tagen ging RWE nun doch in die Offensive. Vor Bundestagsabgeordneten erklärte Vorstandsmann Jan Zilius, sein Unternehmen werde wahrscheinlich eine Verlängerung des 1.300 Megawatt-Reaktors Biblis A im Umweltministerium beantragen. Damit hatte fast niemand gerechnet: Schließlich hatte RWE im Atomkonsens seine Verpflichtung zur aufwändigen Nachrüstung des Pannenmeilers durch den Hinweis auf die bald endende Laufzeit vermeiden können. “Biblis A und B haben nicht einmal eine unabhängige und gebunkerte Notstandswarte, um die Anlage in einem echten Störfall fahren zu können”, hatte Gabriel noch kurz vor dem Auftritt des RWE-Mannes im Spiegel erklärt. Warum er zustimmen sollte, dass Strommengen neuerer Anlagen auf solche Reaktoren übertragen werden könnten, sei nicht nachzuvollziehen, so Gabriel.

Angesichts dieser Gemengelage ist schwer abzuschätzen, was beim Energiegipfel Anfang April herauskommen wird. Offizielles Ziel ist es, ein “energiepolitisches Gesamtkonzept” mit “ausgewogenem Energiemix” festzulegen, so wie es im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurde. Wie widersprüchlich das Papier ist, wird schon daran deutlich, dass neben dem Dissens über den Atomausstieg auch ein Ausbau der “Forschung zum sicheren Betrieb von Kernkraftwerken” vereinbart wurde. Möglicherweise wird die unentschiedene Position aus dem Koalitionsvertrag fortgeschrieben. Es könnte aber auch sein, dass eine Seite nach deutlichen Ergebnissen bei den Landtagswahlen die Oberhand gewinnt. Darüber hinaus ist entscheidend, wer überhaupt zum Gipfel eingeladen wird. Geschäftsführer Milan Nitschke vom Bundesverband Erneuerbare Energien ist guten Mutes, dass er dazugehört. Schließlich habe Umweltminister Sigmar Gabriel vor kurzem versichert, dass diesmal auch Vertreter der Wind-, Biomasse- und Solarenergie mit am Tisch sitzen sollen. Die Erneuerbaren können inzwischen immerhin mit einem Wirtschaftswachstum von über zehn Prozent, einem Umsatz von 15 Milliarden Euro und 20.000 neuen Jobs im vergangenen Jahr auftrumpfen. Bei Altkanzler Gerhard Schröder fanden Energiegipfel dagegen stets unter Ausschluss der Alternativen statt: Nur Vertreter der vier großen Energiekonzerne, des BDI und eines energiefressende Betriebs wie zum Beispiel die Norddeutsche Affinerie wurden damals ins Kanzleramt gebeten.

Auch Angela Merkel hatte vor der Wahl keinen Zweifel gelassen, wen sie als entscheidend für die Energieversorgung ansieht. Im Sommer hatte sie eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten noch selbst proklamiert - und dafür die Zusage sinkender Strompreise von den großen Vier erhofft; schließlich sind die Meiler aus den siebziger Jahren längst abgeschrieben und heute reine Gelddruckmaschinen. Doch die Konzernmanager hatten Angela Merkel schnöde auflaufen lassen. Nach dem Wahldesaster im September ließ sie das Thema dann fallen und akzeptierte sogar, dass die Umweltarbeitsgruppe erstaunlich grüne Positionen im Koalitionsvertrag unterbringen konnte. Auch betonte sie die Notwendigkeit, einen sparsamen Energieeinsatz fördern zu wollen. Damit ist sie ganz auf Linie des Parlamentarischen Staatssekretärs Michael Müller (SPD), der eine mittelfristige Senkung des Energiebedarfs um 20 Prozent anstreben will. Mehrere ihrer Parteifreunde ersinnen dagegen eifrig Strategien, wie die SPD-Front geknackt werden kann nach dem Motto: Tausche AKW-Laufzeiten gegen eine zusätzliche Förderung von Windparks in der Nordsee.

So wird der Energiegipfel zum Machtpoker, bei dem die Konfliktlinie nicht nur zwischen den Koalitionspartnern verläuft, sondern auch zwischen Merkels parteiinternen Feinden und der Kanzlerin. Eines ist deshalb immerhin sicher: Er wird spannend.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 07 vom 17.02.2006. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Annette Jensen und des Verlags.

Veröffentlicht am

22. Februar 2006

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