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Die Ölspur von Bush zu Sharon

Von Conn Hallinan - Counterpunch / ZNet Deutschland

Auf den ersten Blick ergibt George Bushs Rückendeckung für Ariel Sharons Landnahme in den besetzten Gebieten wenig Sinn. Der Plan, den Gaza-Streifen aufzugeben und zugleich den größten Teil der Westbank auf Dauer zu annektieren, ist fast einhellig verurteilt worden.

Er hat Wut in der arabischen Welt ausgelöst, in der, dem ägyptischen Präsidenten und US-Verbündeten Honsi Mubarak zufolge, “ein nie da gewesener Hass auf die Amerikaner besteht.”

Der außenpolitische Sprecher der Europäischen Union, Brian Cowen, erklärte: “Die EU wird nur eine Änderung der Grenzen von vor 1967 anerkennen, die von den Betroffenen vereinbart wurde.”

52 ehemalige hohe britische Diplomaten haben in einem Brief die Unterstützung des Premierministers Tony Blair für Washington in dieser Sache für “einseitig und rechtswidrig” erklärt und vorausgesagt, dass sie “noch mehr israelisches und palästinensisches Blut kosten wird.” Ein Leitartikler der Financial Times nannte den Brief “die schärfste Rüge, die das außenpolitische Establishment je einer britischen Regierung erteilt hat.”

Die USA bemühen sich verzweifelt um internationale Ablösung im Irak. Warum sollte jetzt das Weiße Haus ein Übriges tun und Verbündete vor den Kopf stoßen?

Die häufigsten Erklärungen lauten:

Der Einfluss der Israel-Lobby und der Versuch der Republikaner, jüdische Wähler und Geld von den Demokraten abzuwerben; eine Verneigung der Bush-Regierung vor ihrem christlich-protestantischen Flügel, der fanatisch für Israel eintritt, weil er überzeugt ist, dass die Wiederkehr des Herrn naht.

Ohne Frage hat die Gunst der Evangelikalen bei der Regierung hohe Priorität, und bestimmt würden die Republikaner gern die traditionelle jüdische Unterstützung für die Demokraten beschneiden. Aber diese Erklärung unterstellt, in der Außenpolitik ginge es um Wähler und Gott.

Bush hat sicher einen Vorsprung bei den Evangelikalen. Was Israel anlangt, besteht aber praktisch kein Unterschied zwischen Republikanern und Demokraten. Wenn überhaupt, sind unter letzteren mehr Falken.

Es gibt eine einfachere Erklärung für die Haltung des Weißen Hauses, eine, die sie vier Monate nach Amtsantritt verbreitete. Im Mai 2001 empfahl die National Energy Policy Development Group von Vizepräsident Dick Cheney, der Präsident möge “der Energiesicherheit Priorität in Handel und Außenpolitik einräumen.”

Die Empfehlung kam nicht aus heiterem Himmel, und die Republikaner haben die Idee nicht entwickelt. Der jüngste Schritt der Ölfirmen und der US-Streitkräfte nach Mittelasien ist ein treffendes Beispiel. Es war Präsident Bill Clinton, nicht George W. Bush, der diese Strategie ausgearbeitet hat. Nicht die Republikaner haben Halliburton und Cheney in die Kaspische Region gebracht, sondern der Clinton-Berater Richard Morningstar, jetzt einer der Viehtreiber von John Kerry.

Eine Heerschar späterer Schwergewichte der Bush-Regierung folgte Cheney. Condoleezza Rice half Chevron Texaco Bohrrechte in den Tengiz-Ölfeldern von Kasachstan zu sichern. James Baker, der für Bush den Großen Florida-Wahldiebstahl durchzog, half British Petroleum, in die Region vorzustoßen.

Wenn’s um Öl geht, hört Parteipolitik an der US-Küste auf. Und wenn es um Öl geht, geht es um den Nahen Osten.

Die Ölförderung in den USA, in Mexiko und der Nordsee nimmt ab. Eine Studie der schwedischen Universität Uppsala legt nahe, dass die Reserven weit geringer sein könnten als die 18 Billionen Barrel, von denen die Industrie gegenwärtig ausgeht. Wenn die neue Zahl von 3,5 Billionen Barrel zutrifft, wird die Weltförderung irgendwann zwischen 2010 und 2020 anfangen zu sinken. 1

Da die meisten Öl-Geologen glauben, dass nur noch wenige Felder, wenn überhaupt welche, unentdeckt sind, dürfte die Abnahme anhalten.

Demnach könnte der Ölpreis von jetzt 41,65 Dollar je Barrel - ein Sprung von 32 Dollar seit 1997 - kein vorübergehender Ausschlag sein. Die Ölpumpen der Welt fahren auf Hochtouren, aber eine Verknüpfung aus Wirtschaftswachstum und Knappheit an Investitionsmitteln haben das Angebot knapp gehalten. Nur während der iranischen Revolution und dem Iran-Irak-Krieg kostete Öl mehr.

Bei einem voraussichtlichen Anstieg des US-Verbrauchs um ein Drittel in den nächsten zwanzig Jahren - zwei Drittel davon werden 2020 Importöl sein - dreht sich alles um die Reserven. Die Masse davon liegt im Nahen Osten. Die Golfstaaten Saudi-Arabien, Irak, Vereinigte Arabische Emirate und Kuwait besitzen 65 Prozent der Weltreserven, nahezu 600 Milliarden Barrel. Zum Vergleich die US-Reserven: etwas unter 23 Milliarden. 2

Wer über diese Reserven verfügt, hat die Weltwirtschaft praktisch in der Hand. Stellen Sie sich vor, die USA würden ihre Macht im Nahen Osten und ihren wachsenden Einfluss in Mittelasien dafür nutzen, der explodierenden chinesischen Wirtschaft die Ölzufuhr zu drosseln.

China verbraucht augenblicklich nur acht Prozent des Weltöls, sein Verbrauch wächst aber um 37%.

Wenn jemand das Szenario für paranoid hält, so lese er die West-Point-Rede von Präsident Bush aus dem Juni 2002 nach. Sie besagt eindeutig, dass die USA den Auftritt “gleichrangiger Wettbewerber” auf der Welt nicht dulden werden.

Das ist es, was Cheneys Energy Policy Group meinte, als sie “Energiesicherheit” zum Eckpfeiler der US-“Handels- und Außenpolitik” erklärte.

Was hat das mit Israel und den besetzten Gebieten zu tun?

Israel hat zwar kein Öl, aber es ist der stärkste Spieler im Nahen Osten. Auf dem großen Schachbrett der Ölpolitik stehen den US-Plänen zur Beherrschung der Ölreserven im Nahen Osten nur noch zwei Steine im Wege: Syrien und Iran.

Hier kommt Ariel Sharon ins Spiel.

Sharons Regierungskoalition brennt auf einen Kampf mit Syrien und dem Iran. Die Israelis haben Syrien Ende letzten Jahres bombardiert, und führende Mitglieder der Sharon-Regierung haben sich angewöhnt, den Iran zu bedrohen.

Kabinettminister Gideon Ezra hat damit gedroht, den in Damaskus ansässigen Hamas-Führer Khaled Meshaal zu ermorden, und Sharon sprach die gleiche Drohung gegen Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah aus. Am 11. Mai 2005 hat die Bush-Regierung wirtschaftliche Sanktionen gegen Syrien verhängt.

Die Sharon-Regierung ist auf Streit mit dem Iran ebenso versessen. Der israelische Stabschef, Generalleutnant Moshe Ya’alon sagt, er hoffe, internationaler Druck auf den Iran werde dessen Entwicklung von Atomwaffen aufhalten, fügt aber unheilvoll hinzu: “Ist das nicht der Fall, so werden wir die Alternative erwägen.”

Neokonservative in der Bush-Regierung zielen schon lange auf den Iran. Richard Perle, ehemaliges Mitglied des Verteidigungsrats, und David Frum vom neokonservativen Weekly Standard verfassten “An End to Evil”, das zum Sturz der “terroristischen Mullahs des Iran” aufruft. Michael Ledeen vom einflussreichen American Enterprise Institute führt an: “Teheran ist eine Stadt, die nur auf uns wartet.”

Dem irischen Journalisten Gordon Thomas zufolge haben die USA bereits Raketen auf iranische Kraftwerke in Natanz und Arak gerichtet. Ein israelischer Geheimdienstler sagte der Financial Times: “Es könnte ein Wettlauf darum werden, wer zuerst den Knopf drückt - wir oder die Amerikaner.”

Wenn Syrien und/oder Iran vom Brett verschwinden, bedeutet das Matt.

Die Amerikaner können sich schwer einen weiteren Krieg im Nahen Osten leisten, aber die Israelis könnten überzeugt werden, das Feld zu übernehmen. Ist Sharon freie Hand auf der Westbank geben die Gegenleistung für einen eventuellen amerikanisch unterstützten israelischen Angriff auf die letzten beiden Länder in der Region mit einem gewissen Anschein von Unabhängigkeit?

Natürlich ist die Welt kein Schachbrett, und die Steine tun nicht immer, was sie sollen.

Sharon könnte tatsächlich einen Krieg mit Syrien oder dem Iran anfangen, aber nicht weil die Israelis der Bush-Regierung den Speer tragen. Der “Groß-Israel”-Block hat seine eigenen strategischen Interessen, die gegenwärtig gerade mit den amerikanischen übereinstimmen.

Sharon indes ist kaum ein zuverlässiger Verbündeter. Während des ersten Golfkrieges tat er sein Bestes, um die Koalition gegen den Irak zu sabotieren, denn er fand, ein Sieg könnte verwendet werden, um Israel zu Konzessionen in den besetzten Gebieten zu drängen.

Auch sind nicht alle Israelis an Bord. Die jüngste Mordrunde hat zur Wiederbelebung der Friedensbewegung beigetragen. Sie brachte am 17. Mai 2005 in Tel Aviv 120.000 Menschen auf die Straße.

Manche Israelis sind unglücklich über das, was sie aus der Westbank werden sehen. “Sharon hat Washington dazu gedrängt, einen beschleunigten Prozess der Bildung eines bilateralen Staates Israel zu akzeptieren, der auf Apartheid beruht”, sagte Meron Benvenisti, früherer stellvertretender Bürgermeister von Jerusalem, dem britischen Guardian.

Anderen ist bei der Unterstützung durch die christlichen Evangelikalen unbehaglich. Rabbi David Rosen, dem internationalen Direktor für interreligöse Angelegenheiten des Jerusalemer Büros des American Jewish Committee zufolge, unterstützen die Evangelikalen “einige der extremsten politischen Positionen in der israelischen Gesellschaft.”

Eine dieser “extremen Positionen” ist der Plan, den islamischen Felsendom auf dem Tempelberg in Jerusalem abzureißen und dort den von den Römern zerstörten jüdischen Tempel wieder aufzubauen, eine Vorbedingung, wie die Evangelikalen glauben, für die Wiederkehr des Herrn.

Zur Zeit sind das amerikanische Streben nach der Verfügungsgewalt über die Masse der Weltölreserven und das der Sharonregierung nach einem Groß-Israel und der Ausschaltung regionaler Rivalen vereinbar. Andererseits, wenn Israel den US-Interessen in die Quere kommt, dann werden Sie sehen, wie schnell die Lobby und die Wiedergeborenen kalt gestellt sind.

Die Krise im Nahen Osten ist kein Clash of Civilizations, noch gar entert eine sogenannte “jüdische Lobby” mit christlichen Fundamentalisten zusammen die amerikanische Außenpolitik. It’s business as usual.

Conn Hallinan ist Verwaltungsleiter an der University of California in Santa Cruz.

Anmerkungen des Übersetzers:

1 Laut Uppsala Hydrocarbon Depletion Study Group, UHDSG: Gesicherte und geschätzte Weltreserven an Gas und Öl in Barrel-Äquivalenten. CNN Graham Jones, October 2, 2003 www.cnn.com/2003/WORLD/europe/10/02/global.warming/ .

2 Gemeint sind nur “gesicherte” Ölreserven. Die Angaben in der Literatur sind sehr unterschiedlich.

Quelle: ZNet Deutschland vom 14.07.2005. Übersetzt von: Thomas Immanuel Steinberg .

Veröffentlicht am

17. Juli 2005

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