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Kein Schritt vorwärts, drei zurück: Die alten und neuen Präsidenten Georgiens, Kirgistans und Usbekistans

Von Andrea Berg

Askar Akajew war einmal ein Überraschungssieger. Am 27. Oktober 1990 - in Moskau regierte noch Michail Gorbatschow - wählte der Oberste Sowjet der Kirgisischen Sozialistischen Sowjetrepublik einen neuen Präsidenten. Und weder der aus dem Süden kommende Absamat Masalijew noch der aus dem Norden stammende Apas Dschumagulow konnten sich durchsetzen. Eine Mehrheit votierte für den politisch kaum erfahrenen Physiker Askar Akajew und tat dies offenbar in der Annahme, ihn leichter manipulieren zu können als andere.

Diese Rechnung sollte nicht aufgehen. Nur ein Jahr später, im Oktober 1991, wird Akajew mit 46 Jahren kurz vor der Selbstauflösung der UdSSR zum Staatsoberhaupt der Republik Kirgistan gewählt und regiert das Land 14 Jahre lang. Anfang der neunziger Jahre hofiert ihn die internationale Gemeinschaft - ähnlich wie den Georgier Michail Saakaschwili heute - als “Hoffnungsträger”, der für Demokratie und marktwirtschaftliche Reformen bürgt. Zur “Belohnung” für einen pro-westlichen Kurs wird Kirgistan 1998 immerhin als bisher einziger postsowjetischer Staat Zentralasiens in die Welthandelsorganisation (WTO) aufgenommen.

Um den zeitweiligen Sympathiebonus für die Akajews und Saakaschwilis im Westen zu verstehen, erscheint ein weiterer Umstand von Belang: Beide suggerierten beziehungsweise suggerieren einen Generationswechsel innerhalb der herrschenden Elite - Akajew verkörperte den rationalen Wissenschaftler, der sich wohltuend vom “asiatischen Despoten” und “Bonzen” in der zentralasiatischen Nachbarschaft unterschied. Saakaschwili galt nach dem Sturz seines einstigen Gönners Schewardnadse als Sinnbild des jungen, westlich ausgebildeten Juristen, der fließend Englisch und Französisch spricht.

Zwischenzeitlich ist der Kirgise Akajew zur Abdankung gezwungen worden, und sein Fall lässt erneut erkennen, wie westliche Wahrnehmungsraster zu falschen Schlüssen führen können. Askar Akajew blieb bis zuletzt dem Modell (post)sowjetischer Macht verhaftet und damit dem Anspruch, als autoritär herrschender Staatschef den Willen des Volkes zu repräsentieren. Diese Spielart von Machtphilosophie betrachtet die Bevölkerung als homogene, unberatene Masse, die es auf den rechten Weg zu führen gilt, ohne dabei allzu große Spielräume für die Artikulation eigener Interessen einzuräumen. Der Herrscher empfindet sich als Verkörperung sowohl weltlicher als auch ideologischer Macht - er ist Vater der Nation, aber weder personell noch institutionell rechenschaftspflichtig. Um so mehr muss der “Patron” einer sozialen Verantwortung gerecht werden, die durchaus mit der Fürsorgepflicht des Staates zu Sowjetzeiten vergleichbar ist. In Georgien ebenso wenig wie in Kirgistan oder auch Usbekistan ließ sich diese Maxime von “Kooptation statt Partizipation” nach 1991 aufrechterhalten. Zu groß war die Armut in einzelnen Landesteilen, zu offensichtlich die Bereicherung der Präsidentenclans und ihrer Entourage, zu demütigend die täglich erfahrene Rechtlosigkeit für die einfachen Menschen.

Michail Saakaschwili distanzierte sich 2002 von dieser Herrschaftspraxis und trat von seinem Amt als Justizminister unter dem Präsidenten Schewardnadse zurück. Er gründete eine Oppositionspartei und ergriff nach den irregulären Parlamentswahlen Ende 2003 die Chance, sich an die Spitze des Protestes zu setzen. Im Januar 2004 wurde er zum neuen Präsidenten gewählt. Seither ist das Land gespalten in den Anhang Schewardnadses und die Gefolgschaft des jetzigen Amtsinhabers. Wie der seine Macht konsolidiert und den Regierungsapparat von Getreuen Schewardnadses säubert, erinnert mehr an die Gebaren eines “Patrons” als die Umgangsformen eines demokratischen Politikers. Ähnlich stellt sich die Lage in Kirgistan dar, wo die vergangenen Wochen gezeigt haben, dass nur ein Teil der Bevölkerung die Absetzung Akajews und (vorläufige) Machtübernahme durch den früheren Premier Kurmanbek Bakijew am 24. März 2005 befürwortet.

Bei Usbekistan hingegen ist nach den jüngsten Eruptionen der Eindruck zu revidieren, dass - wie bisher des öfteren geschehen - zwei Schritte vor und einer zurück getan wurden. Vielmehr geht es derzeit keinen Schritt vorwärts und drei zurück. Beim Aufstand in Andijan vor drei Wochen blieb überdies vollends ausgeblendet, dass sich Präsident Karimow nicht nur von der islamischen Opposition, sondern gleichfalls vom Machtkampf der Regionen herausgefordert sieht. Am einflussreichsten sind dabei Samarkand und Taschkent, gefolgt vom Fergana-Tal und von Buchara. Die mächtigsten Familien aus diesen Gebieten sind in der Administration Karimows präsent und bekleiden hohe Regierungsposten. Der äußerste Westen - Chiwa und Karakalpakstan - sowie der äußerste Süden - Kaschkadarja und Surchandarja - sehen sich hingegen in Taschkent unzumutbar schlecht platziert. Dass dieser regionale Zwist die Erosion des Machtapparates nicht aufhalten, sondern eher beschleunigen wird, liegt auf der Hand.

Andrea Berg ist Islamwissenschaftlerin am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg IFSH .

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 22 vom 03.06.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Andra Berg sowie dem Verlag.

Veröffentlicht am

03. Juni 2005

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