Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Feinstaub: Blauer Dunst in großen Städten

Seit Anfang des Jahres gelten strengere Grenzwerte. Die Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen München hat einen Aufmerksamkeitseffekt erreicht

Von Michael Jäger

Es ist wieder einmal eine verschärfte EU-Richtlinie in Kraft getreten. Jedes Mal ist es spannend, was dann passiert: Wenn es um die Messung von Dioxinwerten auf Hühnerhöfen geht - oder um die Einführung des Emissionshandels - oder, wie diesmal, um Rußpartikel, die im Autoverkehr entstehen und die zu gefährlichen Krankheiten führen können. In allen Fällen müssten Unternehmer ihre Produktionspolitik ändern. Der nationale Gesetzgeber hätte ihnen das vorzuschreiben. Stattdessen beobacht man immer wieder: Die Unternehmer lassen sich von der EU nicht dreinreden - sie können auf die Unterstützung der Regierungen in Bund und Ländern zählen - wenn doch etwas geschehen muss, werden alle Zusatzkosten auf die Endverbraucher abgewälzt. Positiv schlägt zu Buche, dass die Bürger durch die Häufung der Fälle auf den antiökologischen Trend der Gesellschaftsentwicklung aufmerksam werden könnten.

So weit ist es immer noch nicht gekommen, aber im Fall der Rußpartikel werden sie aus natürlicher Selbstliebe hellhörig. Der “Feinstaub” stellt für jeden Einzelnen ein Gesundheitsrisiko dar. Je kleiner die Partikel sind, die besonders durch darin enthaltene Metallverbindungen gefährlich sind, desto tiefer dringen sie in die Lungenbläschen ein, desto länger bleiben sie in der Lunge, desto größer ist das Risiko von Entzündungen. Man schätzt, dass Jahr für Jahr zwischen zehn- und neunzehntausend Menschen in Deutschland durch Ruß-Abgase vorzeitig sterben. Eine landesweite Zunahme von Ruß um zehn Mikrogramm pro Kubikmeter Luft erhöht die Sterblichkeit an Herz- und Atemwegserkrankungen um 9, an Lungenkrebs um 14 Prozent. Nun können sich viele Bürger sagen, sie gehörten ja nicht zu den besonders gefährdeten Risikogruppen, den Alten etwa oder den Rauchern. Aber betroffen ist aus ganz anderen Gründen auch die Selbstliebe der Autokäufer. Die wollen nämlich gekaufte Autos nach ein paar Jahren weiterverkaufen können. Wie, wenn ihnen nur Autos ohne Rußfilter angeboten werden, die der Gesetzgeber vielleicht in ein paar Jahren verbietet, weil er doch verpflichtet ist, die EU-Richtlinie umzusetzen? So geraten die Unternehmer unter Nachfragedruck.

Eine EU-Vorschrift, alle Staaten müssten Programme der Luftreinhaltung ausarbeiten, gibt es seit 1996, ein Bundesimmissionsschutzgesetz, das den Kommunen erlaubt, bei zu hoher Luftbelastung Verkehrsverbote auszusprechen, schon seit 1990. Seit 2002 sind sie zur Aufstellung von Luftreinhalteplänen verpflichtet. Die Richtlinie, um die es jetzt geht, wurde 1999 von der EU beschlossen und 2000 in deutsches Recht umgewandelt. Sie schreibt vor, dass die jährliche Durchschnittsbelastung einer Kommune bei höchstens 40 Mikrogramm Ruß liegen darf. Zu einer Belastung von mehr als 50 Mikrogramm darf es an jährlich höchstens 35 Tagen kommen. Man sieht zunächst, dass die Autoindustrie viel Zeit hatte, sich dem gesetzgeberischen Trend anzupassen. Da das Rußproblem überwiegend bei Dieselfahrzeugen entsteht, hätte der wichtigste Lösungsweg darin bestanden, solchen Fahrzeugen Rußfilter einzubauen. Die entsprechende Technik gilt als ausgereift. Geschehen ist aber noch nichts. Die Politik hätte es vorschreiben können, sie tat es nicht.

Jetzt aber schlägt die Richtlinie Wellen. Sie ist auf ihre Art ein politisches Meisterstück, vor allem durch die Regel der 35 Tage. Diese Regel führt dazu, dass die Öffentlichkeit sich ein Bild von der Belastungs-Dramatik machen kann: Zu Ostern schon, also nach gerade einmal einem Vierteljahr, trat München in den 36. Tag überhöhter Rußwerte ein. Etliche andere Städte werden die Grenze sehr bald überschreiten. In Stuttgart wurde sie schon am 13. März überschritten, was aber jetzt erst bekannt wurde. Wie man so etwas bekannt macht, zeigt die Deutsche Umwelthilfe: Sie hat gegen die Stadt München Klage eingereicht. Genauer gesagt, ermöglicht sie betroffenen Bürgern die Klage, da es in dieser Frage kein Verbandsklagerecht gibt. Das ging durch die Medien, die das Problem freilich oft so darstellen, als sei da einmal ein Tag mit besonders viel Ruß gewesen.

Die Richtlinie hat noch mehr interessante Implikationen. Warum macht sie das Feinstaubproblem an den Kommunen fest? Wollte man den Urhebern viel guten Willen unterstellen, so könnte man annehmen, es sei ihnen um die Belebung der Lokalen Agenda 21 gegangen, jenes Projekts der Umweltkonferenz von Rio, das die kommunalen Verwaltungen verpflichten sollte, in Zusammenarbeit mit den Bürgern Umweltpläne zu beschließen. Was böte sich mehr für eine solche Zusammenarbeit an als das Rußproblem, das jeden Bürger unmittelbar bedroht? Doch von der Lokalen Agenda ist in diesen Tagen überhaupt keine Rede; der Deutsche Städtetag beklagt sich nur, er wolle nicht für Versäumnisse der Industrie und des Gesetzgebers haftbar gemacht werden. Nun, wahrscheinlich hat auch die EU nicht an die Lokale Agenda gedacht. Eher wollte sie auf eine räumliche Verteilung der Rußbelastung hinwirken. Denn es ist klar, wenn der Rußabbau Aufgabe der einzelnen Kommune ist, wird diese den Ruß nach außen verlagern, wo er dann auch nicht verschwindet. Indem sie zum Beispiel Fahrverbote verhängt. Werden Einkaufsstraßen von solchen Verboten betroffen, so kann das zum Auszug der Einkaufsorte auf die grüne Wiese führen, und die Autos fahren dann dorthin und stoßen dort die Rußpartikel aus. Darauf weisen jetzt viele Kommunalpolitiker hin, die sich gegen die Richtlinie wehren. Sie wollen nicht zur Naturzerstörung im Umland beitragen, sagen sie. Aber für die Maßnahme spricht, dass bei ihrer Umsetzung mehr Bürger am Leben blieben, weil die bloße Belastungsverteilung überall, wenigstens in den nächsten Jahren noch, zur Unterschreitung des Grenzwerts führen könnte. Außerdem könnten die Kommunen ja auch den öffentlichen Nahverkehr ausbauen. Aber der wird ständig verteuert und legt so den Umstieg aufs Auto nahe.

Ja, und was geschieht nun? Die Klage der Umwelthilfe hat einen Aufmerksamkeitseffekt erreicht, zu mehr kann sie nicht führen. Bestenfalls werden die Kommunen gerichtlich zu Aktionsplänen angehalten, die sie ohnehin längst hätten vorlegen müssen. Die Politiker schieben sich die Schuld wieder einmal gegenseitig zu, so dass sie alle nichts zu tun brauchen. Die Kommunen wollen, dass die Länder die Kfz-Steuer für Autos mit eingebautem Filter senken. Die Länder fürchten die Steuerausfälle und verlangen vom Bund Kompensation. Der Bund weist das zurück. Bleibt die Industrie: Vom Staat wie immer nicht in die Pflicht genommen, fürchtet sie doch die Nachfrage, die auf Autos mit Filtern drängt. Das führt dazu, dass sie nun plötzlich ganz schnell solche Autos anbieten kann, Mercedes-Benz zum Beispiel schon ab dem Sommer. Aber dann sollen die Käufer einen Aufpreis zahlen: beim VW Passat 565 Euro, bei BMW 580 Euro, beim Opel Astra 750 Euro. Wie sagte doch kürzlich der Bundespräsident: In einer Ordnung der Freiheit sind Staatsregeln schädlich, aber Preisbildungsfreiheit muss herrschen.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 14 - 08.04.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Michael Jäger und Verlag.

Veröffentlicht am

10. April 2005

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von