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Michael Schmid: “Kanzlerin verleugnet Krieg in Afghanistan und diskriminiert afghanische Flüchtlinge als ‚Wirtschaftsflüchtlinge’”

Redebeitrag bei der Kundgebung zum Antikriegstag 2017: Keine Abschiebungen ins Kriegsland Afghanistan am 1. September in Gammertingen

Am Antikriegstag nahmen an einer Kundgebung in Gammertingen (Landkreis Sigmaringen) rund 30 Menschen nahmen teil. Am 1. September 1939 überfielen deutsche Nazi-Truppen Polen. Damit wurde der grausame und brutale 2. Weltkrieg begonnen, der 60 bis 70 Millionen Menschen den Tod brachte. Bei der Kundgebung wurde dieser Opfer gedacht sowie der Opfer der weiteren über 250 seitherigen Kriege. Es wurde aber auch dagegen protestiert, dass sich Deutschland entgegen dem Vermächtnis, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen soll, inzwischen wieder an zahlreichen Kriegen in aller Welt beteiligt. Heftig kritisiert wurde ebenfalls die aktuelle gigantische Aufrüstung der NATO einschließlich der Bundeswehr. Deutlichen Widerspruch erntete eine menschenverachtende Politik, die vor dem Krieg Geflüchtete wieder in ein Kriegsland wie Afghanistan abschiebt. Es wurde ein umfassender Abschiebestopp nach Afghanistan und eine konkrete Bleibeperspektiven für afghanische Geflüchtete gefordert.

Wir dokumentieren die Rede von Michael Schmid vom Veranstalter "Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V."

Von Michael Schmid

Liebe Freundinnen und Freunde,

heute vor 78 Jahren, am 1. September 1939, überfielen deutsche Nazi-Truppen Polen. Mit diesem Überfall wurde der 2. Weltkrieg begonnen. Ein Krieg, der erst 6 Jahre später zu Ende gebracht wurde. Ein grausamer, brutaler Krieg, der 60 bis 70 Millionen Menschen den Tod brachte. Welches unendliche Leid hinter diesen Zahlen steht, ist uns wahrscheinlich nur schwer vorstellbar. Aber jeder einzelne Tote hat unendliches Leid verursacht. Dazu kommen die vielen Verletzten und die vielen Flüchtlinge, die es ja auch damals gab.

Nach Ende des 2. Weltkriegs haben alle Friedenshoffnungen getrogen. Seit 1945 war die Welt lediglich 26 Tage ohne Krieg. Nach Berechnungen der Arbeitsgruppe Kriegsursachenforschung an der Universität Hamburg gab und gibt es seither weit über 250 Kriege und bewaffnete Konflikte. Alleine im Jahr 2016 sind 32 Kriege und bewaffnete Konflikte geführt worden. Viele zig Millionen Menschen sind in diesen Kriegen getötet, unendlich viele Menschen sind zerstümmelt, zerfetzt, traumatisiert worden, haben ihr Hab und Gut, ihre Heimat verloren, mussten also flüchten. Kriege sind eine wesentliche Ursache dafür, dass Menschen fliehen.

Seit 60 Jahren wird der 1. September von Friedensorganisationen und Gewerkschaften im Gedenken an den verbrecherischen 2. Weltkrieg als Antikriegstag begangen. "Nie wieder Krieg" lautete damals das Motto, das auch heute aktuell ist.

Dieses Jahr gibt es anlässlich des Antikriegstages bundesweit über 160 Veranstaltungen. Schön, dass wir uns auch hier in unserer kleinen Stadt auf der Schwäbischen Alb versammeln und der Opfer dieses 2. Weltkriegs gedenken sowie der Opfer der seitherigen Kriege. Ich möchte einladen zu einem kurzen Schweigen für all die Menschen, die von diesen Kriegen betroffen waren und sind, also den Toten, Verletzten, Traumatisierten und den Geflüchteten, die ihre Heimat wegen diesen Kriegen verlassen mussten.

(Schweigeminute)

Nach dem 2. Weltkrieg sollte von deutschem Boden aus nie wieder Krieg ausgehen. Fast 80 Jahre später ist die Bundeswehr jedoch wieder in der ganzen Welt in Kriege und Konflikte involviert: in Afghanistan, in Mali, in Syrien und in vielen weiteren Ländern. Für die nähere Zukunft ist durch die Bundesregierung eine gigantische Aufrüstung geplant. Obwohl die Ausgaben fürs Militär schon in den vergangenen Jahren kräftig gestiegen sind, plant die Bundesregierung eine Steigerung von derzeit 37 Mrd. Euro auf 62 bis 70 Mrd. Euro bis 2024. Ich kann jetzt hier nicht weiter darauf eingehen, möchte aber zumindest feststellen: Frieden geht anders! Die Welt wird nicht durch immer höhere Militärausgaben friedlicher, im Gegenteil!

Ich komme jetzt auf einen Krieg zu sprechen, an dem die Bundeswehr seit 2001 beteiligt ist. In Afghanistan herrscht seit 1978 Krieg. also seit 40 Jahren. Und seit 2001, seit 16 Jahren, führen dort die USA und die NATO einen "Krieg gegen den Terror". Mit diesem Krieg wurde in Afghanistan unglaubliches Leid und Zerstörung angerichtet.

Und ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht. Die Taliban erleben eine Renaissance und beherrschen große Teile des Landes. Deutschland und andere westliche Staaten arbeiten mit einer korrupten und autoritären Regierung zusammen, die sich auf Warlords stützt, abweichende Meinungen bekämpft und Minderheiten drangsaliert.

Die Vereinten Nationen zeichnen in ihrem Bericht für das erste Halbjahr 2017 ein verheerendes Bild. Sie sprechen von einem anhaltenden "extremen Leid" für die Bevölkerung in einem "hässlichen Krieg". Die zivilen Opferzahlen seien auf einem "Rekordniveau". Der Krieg hat die sozialen und wirtschaftlichen Grundlagen der Gesellschaft zerstört. Gewalt, Willkür und Terror bestimmen den Alltag. Millionen Menschen sind auf der Flucht vor dem Krieg. Allein in diesem Jahr sind nach UN-Angaben zwischen dem 1. Januar und dem 22. August 212.439 Afghanen heimatlos geworden. Sie fliehen allerdings fast ausschließlich im eigenen Land. Nur ein kleiner Teil der Millionen Geflüchteten aus Afghanistan ist in den vergangenen Jahren auch bis nach Deutschland geflohen - sogar bis nach Gammertingen.

Afghanistan ist nicht sicher. Sicher ist nur, dass die Sicherheitslage in Afghanistan unübersichtlich ist und sich noch weiter verschlechtern wird, nachdem US-Präsident Trump angekündigt hat, den Krieg wieder zu verschärfen, also die Truppen wieder aufzustocken, weil er den Krieg gewinnen möchte.

Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig  schätzt dies folgendermaßen ein:

"Für die Afghanen wird die neue US-Strategie zunächst eine weitere Eskalation des Krieges bedeuten. Den Krieg werden mehr westliche Soldaten aber nicht gewinnen. Sie können höchstens verhindern, dass die Taliban ihre territoriale Kontrolle - die nach US-Angaben mit etwa 40 Prozent seit 2001 nie so groß war wie heute - und damit ihre parallelen Regierungsstrukturen weiter ausdehnen.

Aus Erfahrungen ist bekannt, dass eine Eskalationsstrategie zu mehr zivilen Opfern führt. Deren Zahl, von der UNO registriert, stieg auf ein Rekordniveau von 1.662 im ersten Halbjahr 2016 - Dunkelziffer unbekannt. Das stärkt die Gegner der afghanischen Regierung."

Hintergrund für Trumps Kurswechsel dürfte sein, dass er sich vom korrupten Präsidenten Afghanistans, Ashraf Ghani, hat überzeugen lassen, dass Afghanistan eines der rohstoffreichsten Länder sei, in dem US-Konzerne riesige Geschäftsmöglichkeiten hätten. Das meldete die "New York Times" bereits am 27. Juli 2017.

Tatsächlich gibt es in Afghanistan große Vorräte an den begehrten Seltenen Erden, an Gold, Silber, Kupfer, Kobalt, Eisen, Chrom, Uran, Bauxit und vielen andern Metallen. Und damit nicht genug: Im Norden sind auch große Vorräte an Erdöl und Erdgas gefunden worden.

In einem Gespräch mit Angestellten der CIA habe es Präsident Trump bedauert, so die "New York Times", dass die USA so viele Truppen aus dem Irak zurückgezogen hätten, ohne sich vorher das Erdöl zu sichern. Es gelte doch "die alte Regel", dass "dem Sieger die Beute gehöre."

Ich rede jetzt immer vom Krieg in Afghanistan. Allerdings haben es deutsche Bundesregierungen seit 2001 zumeist vermieden, das Wort "Krieg" im Zusammenhang mit Afghanistan in den Mund zu nehmen. Stattdessen wurde von einem "Stabilisierungseinsatz" geredet. Eine Ausnahme bildete zwischendurch der damalige Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg, der den Krieg in Afghanistan tatsächlich Krieg nannte.

Die Verleugnung, dass es sich um einen Krieg handelt, hat Auswirkungen auch in Bezug auf geflüchtete Menschen aus Afghanistan. In einem aktuellen Interview mit der taz hat z.B. Kanzlerin Angela Merkel gesagt:

"Wir sollten nicht die einfache Botschaft senden, dass Millionen Menschen zum Beispiel aus Afghanistan bei uns eine neue Heimat finden, sosehr ich auch Verständnis für wirtschaftliche Not habe." (taz, 28.08.2017)

Die Kanzlerin sieht also in afghanischen Flüchtlingen ausschließlich "Wirtschaftsflüchtlinge". Den Krieg erwähnt sie nicht. Es ist empörend, Afghanen einfach als "Wirtschaftsflüchtlinge" zu diskriminieren und den Krieg am Hindukusch auszublenden!

Obwohl die Lage in Afghanistan absolut katastrophal ist und wohl noch schlimmer wird, hat Deutschland im Dezember 2016 damit begonnen, Menschen, die vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohen sind, abzuschieben. Das ist skandalös!

Ende Juli hat nun das Auswärtige Amt eine neue "Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag vom 31. Mai 2017" vorgenommen. Ergebnis: Obwohl es sich um einen der weltweit intensivsten und am längsten anhaltenden Kriege handelt, findet das Auswärtige Amt die Bedrohungslage für einheimische Zivilisten "niedrig". Das gelte "im Vergleich zu Risikogruppen" selbst in von Taliban kontrollierten Gebieten. Als "Risikogruppe" stufen die Verfasser vor allem sich selbst ein. Vorrangige Ziele der Taliban seien "ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter", dann folgen Angehörige der afghanischen Regierung und Streitkräfte - in dieser Reihenfolge. Zivilisten kämen vor allem dann zu Schaden, wenn sie bei Kämpfen zwischen die Fronten gerieten. Dafür sei das Risiko gering. Sollten also Zivilisten doch mal "ausnahmsweise versehentlich getötet werden", dann hat unser Bundesinnenminister ja zumindest einen Trost für sie: Die  "normale Bevölkerung"  in  Afghanistan sei "zwar  Opfer",  aber  "nicht  Ziel  der  Taliban", und das sei ein "großer  Unterschied". Über eine solche unglaubliche Äußerung und so viel Zynismus kann man nur noch den Kopf schütteln!

Dass über in Afghanistan Gefahr lauert, sobald man den Flughafen in Kabul verlässt, weiß auch die deutsche Regierung. Deshalb macht man sich auch Sorgen um Polizisten, sollten diese als Begleitung eingesetzt werden, wenn einzelne afghanische Geflüchtete mit Linienflügen wieder zurück nach Kabul deportiert werden, berichtet die "Süddeutschen Zeitung" am 29. August ("Sorge um Polizisten bei Abschiebe-Flügen").

Vergangene Woche gab es Befürchtungen, dass diese Woche aus Deutschland wieder eine Sammelabschiebung nach Kabul starten könnte. Diese Befürchtungen haben sich zum Glück nicht bestätigt. PRO ASYL schrieb am vergangenen Freitag:

"Aus verlässlichen Quellen verlautet: Es wird in der kommenden Woche keine Sammelabschiebung nach Kabul geben. Das ist von deutscher und afghanischer Seite bestätigt.

Allerdings läuft eine Abfrage des Bundesinnenministeriums (BMI) bei den Bundesländern. Man kann unterstellen, dass das BMI gern noch aus symbolischen Gründen eine größere Gruppe von Afghanen vor der Bundestagswahl abschieben möchte.

Es gibt Hinweise, dass das BMI zunächst einmal die Passagiere des für den 31.5. geplanten und dann abgesagten Abschiebungsfluges im Auge hat und diese bei der afghanischen Regierung avisieren wird."

Also die Annahme, die Sache mit den Abschiebungen hätte sich erledigt, erweisen sich mehr als trügerisch.

Und nachdem das Auswärtige Amt seinen neuen Lagebericht zu Afghanistan vorgelegt hat, entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nun wieder über Asylanträge von afghanischen Geflüchteten.

Dazu schreibt PRO ASYL:

"PRO ASYL bewertet den vom Auswärtigen Amt (AA) vorgelegten Bericht zur Lagebeurteilung für Afghanistan als unbrauchbar. Das Thema wird verfehlt: Der Bericht liefert z.B. kaum Informationen, ob und unter welchen Umständen Verfolgte in anderen Landesteilen Schutz finden könnten (‘inländische Fluchtalternativen’), wovon das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ausgeht."

Die Behauptung von Bundesinnenminister de Maizière, dass dieser Bericht relevante Fakten liefere, um Entscheidungen wieder zu ermöglichen, ist falsch. Und wenn der Innenminister behauptet, der Bericht liefere Fakten, die Abschiebungen rechtfertigen, dann ist das eine krasse Fehleinschätzung.

Doch Innenminister de Maizière möchte weiter abschieben, um das Signal zu senden: Deutschland nimmt nicht alle Flüchtlinge auf und schickt sie auch zurück. Bei dieser Haltung stören natürlich Details über die Lage in Afghanistan nur. Und so werden Fakten geschönt, verdreht, weggelassen und es wird gelogen, was das Zeug hält!

Ich halte es für zynisch und unverantwortlich, Menschen nach Afghanistan und damit in den Krieg zu deportieren. Es muss endgültig Schluss damit sein, Menschen in eine für sie lebensbedrohliche Situation zu bringen.

Deshalb:

  • Wir fordern einen umfassenden Abschiebestopp nach Afghanistan und eine konkrete Bleibeperspektiven für afghanische Geflüchtete!
  • Wir fordern "Einhaltung und Verwirklichung der Menschenrechte!" -  "Nie wieder Krieg!" - "Frieden schaffen ohne Waffen"

Wenn wir wollen, dass es einen endgültigen, generellen Abschiebestopp in das Kriegsland Afghanistan gibt und eine konkrete Bleibeperspektiven für afghanische Geflüchtete, dann sollten wir uns selber weiter engagieren und versuchen, entsprechenden Einfluss auf die Politik zu nehmen.

Unsere Solidarität ist ebenfalls erforderlich, um die hier bei uns lebenden afghanischen Geflüchteten nicht alleine ihrem Schicksal zu überlassen. Ich hoffe, dass wir alle in der je uns eigenen Weise weitermachen - sowohl mit Protesten und dem Versuch der Einflussnahme auf politische Entscheidungen, als auch bei alltäglicher Unterstützung und Begleitung der Menschen aus Afghanistan. Und das gilt natürlich auch in Bezug auf geflüchtete Menschen aus den vielen anderen Ländern, die hier bei uns sind.

Michael Schmid ist Geschäftsführer und Referent für Friedensfragen bei Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Veröffentlicht am

03. September 2017

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