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Die “Bombe Satans”

Leseprobe aus der Werkausgabe des Mescheder Schriftstellers Georg D. Heidingsfelder (1899-1967)

Vor einem halben Jahrhundert starb im Sauerland der Publizist Georg D. Heidingsfelder (1899-1967), der während der Adenauer-Ära 1949-1963 als linkskatholischer Nonkonformist und Mitstreiter Reinhold Schneiders in Erscheinung getreten ist. Ein Artikel aus seiner Schreibwerkstatt, veröffentlicht Mitte Juni 1953, zog eine zweimalige Vernehmung bei der Kripo "wegen Staatsgefährdung und Beleidigung des Bundeskanzlers" nach sich. Heidingsfelders Kernthemen waren die Soziale Frage, die Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus und der Frieden. Seine Ablehnung von Militarismus, Wiederbewaffnung, Wehrpflicht und Atombomben-Theologie fiel kompromisslos aus. Zuletzt konnte er fast nur noch in Blättern veröffentlichen, die als "kryptokommunistisch" galten. Die Verweigerung gegenüber der katholischen Einheitsfront hinter Adenauers Remilitarisierung führte zu großen Anfeindungen im eigenen kirchlichen Milieu. Zuspruch kam indessen von Heinrich Böll. Der brotlos gewordene Mescheder Schriftsteller versuchte schließlich, als Fabrikarbeiter seine Familie zu ernähren. In diesem Sommer ist nun eine zweibändige Gesamtausgabe seiner publizistischen Arbeiten erschienen (überall auch im Buchhandel bestellbar):

GEORG D. HEIDINGSFELDER (1899-1967):

Gesammelte Schriften. Band 1.
Eine Quellenedition zum linkskatholischen Nonkonformismus der Adenauer-Ära.
Norderstedt: BoD 2017 - ISBN: 978-3-7431-3416-4
(Paperback; 400 Seiten; Preis: 13,90 Euro)
https://www.bod.de/buchshop/gesammelte-schriften-band-1-georg-d-heidingsfelder-9783743134164

Gesammelte Schriften. Band 2.
Eine Quellenedition zum linkskatholischen Nonkonformismus der Adenauer-Ära.
Norderstedt: BoD 2017 - ISBN: 978-3-7448-2123-0
(Paperback; 428 Seiten; Preis: 13,99 Euro)
https://www.bod.de/buchshop/gesammelte-schriften-band-2-georg-d-heidingsfelder-9783744821230

 

Konrad Adenauer betrachtete bekanntlich sogenannte "taktische Atomwaffen" als eine bloße "Weiterentwicklung der Artillerie". Als 1959 ein berühmter Jesuit dem Griff des Bundeskanzlers nach der Bombe mit geradezu gotteslästerlichen "Argumenten" Rückendeckung gab, meldete sich Heidingsfelder mit folgendem Beitrag zu Wort (Leseprobe aus der Werkausgabe):

Da steht der Verstand still (1959)

Von Georg D. Heidingsfelder

Friedrich Nietzsche hat vorausgesagt, daß eine Stunde kommen würde, in der die Nonkonformisten sich "freiwillig ins Irrenhaus" begeben. Diese Stunde ist nun da. Was sollte denn (außer dem Selbstmord) einem Nonkonformisten auch anderes übrig bleiben, als sich freiwillig im Irrenhaus internieren zu lassen, nachdem er den Vortrag des Jesuitenpaters Gustav Gundlach, Professors der Moraltheologie in Rom, in der Aprilnummer der "Stimmen der Zeit" [Jahrgang 1959] gelesen hat? Da wird unter dem Thema: "Die Lehre Pius XII. vom modernen Krieg" dies dargelegt:

"Worauf beruht denn eigentlich die Vorstellung, daß der atomare Krieg nicht absolut unsittlich sei? Die Waffe ist nicht in sich unsittlich. Das kann man von keiner sagen. Aber es fragt sich, ob das menschliche Tun, nämlich die Anwendung der Waffe, unsittlich ist. Hier ist wenigstens in der Moraltheologie auf sehr allgemeine Grundsätze zurückzugehen, nämlich auf jene über das sittliche Handeln. Wann ist eine Handlung nach der Lehre der Moraltheologen innerlich unsittlich? Die Handlung ist innerlich unsittlich, wenn sie Elemente enthält, die in sich schon der sittlichen Ordnung widersprechen. Das kann man von der Anwendung einer Waffe - auch der Atomwaffe - nicht behaupten. Ihre Elemente, die uns die Physik und die Chemie entwickeln, sind auch in ihrer Zusammensetzung in sich indifferent. Es ist nichts an dieser Handlung, was an sich schon aus den Elementen des Geschehens heraus die Handlung in Widerspruch zur Sittenordnung stellte. Wenn das der Fall wäre, dann könnte selbst Gott der Herr nicht von der Atombombe, auch seinem Geschöpf, Gebrauch machen. Das wird wohl keiner behaupten. Also bleibt nur ein anderes übrig, was eine sittliche Handlung innerlich unsittlich macht, nämlich wenn das Recht zum Handeln fehlt. Und jeder Handlung und Auswirkung der Person stellt sich die Frage, ob die Person die rechtliche Befugnis zu diesem Handeln hat. Das gehört zum inneren Umstand jeglichen Handelns. Die Befugnis kann nach der Lehre des Heiligen Vaters da sein; es ist absolut nicht ausgeschlossen, daß irgend ein Fall eintritt, wo die atomare Waffe einzusetzen ist, um das Recht zu verteidigen […]
Sogar für den möglichen Fall, wo nur noch eine Manifestation der Majestät Gottes und seiner Ordnung, die wir als Menschen ihm schulden, als Erfolg bliebe, ist Pflicht und Recht zur Verteidigung allerhöchster Güter denkbar. Ja, wenn die Welt untergehen sollte dabei, dann wäre das auch kein Argument gegen unsere Argumentation. Denn wir haben erstens sichere Gewißheit, daß die Welt nicht ewig dauert, und zweitens haben wir nicht die Verantwortung für das Ende der Welt. Wir können dann sagen, daß Gott der Herr, der uns durch seine Vorsehung in eine solche Situation hineingeführt hat oder hineinkommen ließ, wo wir dieses Treuebekenntnis zu seiner Ordnung ablegen müssen, dann auch die Verantwortung übernimmt."

Soweit der hochwürdige Jesuitenpater Gustav Gundlach, Professor der Moraltheologie an der Gregoriana in Rom.

Das Erste, was ich nach dieser Lesung an mir feststellte, war das Stillstehen des Verstandes. Es ging das, was er gelesen hatte, über seine Fassungskraft. Er stand stiller als ein preußischer Grenadier, den das Kommando "Stillgestanden!" chloroformiert hat. Nachdem er so eine Weile stillgestanden hatte, servierte ihm das Gedächtnis Nietzsches Voraussage. Und er folgerte: Du gehörst eben ins Irrenhaus, da dich die Argumentation eines berühmten Professors lahmlegt. Einer muß ja schließlich verrückt sein: Du oder der Professor. Und da ein Moralprofessor der berühmtesten Universität des Christlichen Abendlandes unmöglich verrückt sein kann, so ist doch unabweisbar: Laß dich freiwillig ins Irrenhaus sperren, bevor sie dich holen! Das ist das letzte Verständige, was dein Verstand produzieren kann.

In dieser verzweifelten Situation kam mir vor Augen, was die Professoren Dr. Seidelmayer und Dr. Rauhut (jener in der "Welt ohne Krieg", dieser in der "Stimme der Gemeinde" vom 1. Mai) zu des römischen Professors Vortrag geschrieben haben. Siehe da, da waren ja zwei katholische Universitätsgelehrte, die dem römischen Professor auch nicht zu folgen vermochten. Und sie sind nicht ins Irrenhaus gegangen! Daraus vermeinte ich armseliger Durchschnittsverstand die Folgerung ziehen zu dürfen, daß vielleicht die Stunde für den Nietzscheschritt doch noch nicht gekommen sei. Aber fest blieb nichtsdestoweniger in meinem armen Verstand stehen: Einer von beiden, die da gegeneinanderstehen, muß verrückt, das heißt der Wahrheit entrückt, in Verwirrung geraten sein.

So las ich noch ein paar Mal, was da zu lesen stand. Erstens: daß die Welt ohnehin untergeht, es also eine ganz untergeordnete Frage ist, wie sie untergeht; zweitens: daß wir keinerlei Verantwortung für den Untergang haben, auch wenn wir selbst ihn herbeiführen. Denn siehe: Gott selbst hat uns in diese Situation hineinmanöveriert, damit wir so seine Zeugen seien. ER könnte ja doch wohl jederzeit von der Atombombe Gebrauch machen, zumal er sie ja doch mitgeschaffen hat. Also muß auch der Mensch, der vollkommen sein will wie ER (und so ist es doch geboten!), die Möglichkeit haben, Atombomben zu schmeißen, wenn zum Beispiel das allerhöchste Gut des Glaubens selber zu verteidigen ist.

Und wenn ich dies noch tausendmal lese, "verkraften" werde ich es nie. Denn wenn selbst der Verstand dazu ausreichen würde (was bei mir offenbar nicht der Fall ist), so wäre da immer noch eine Instanz, über die ich nicht hinwegkäme: das Gewissen - das gewiß weiß, daß das, was da steht, nie und nimmer die Wahrheit sein und zur Seligkeit, zum Heile, führen kann. Dummer Verstand und irrendes Gewissen - das wird die Diagnose sein, die mir vom römischen Professor gestellt werden müßte.

Wie dumm muß auch ein Verstand sein, der nicht einmal dies einzusehen vermag: daß es unsittliche Waffen überhaupt nicht gibt! Er muß so dumm sein, wie der der Gattin des Geheimrats Dr. Haber, des Erfinders des Giftgaskrieges, die sich das Leben nahm, als sie erkannte, was da ihr hochgelehrter Herr Gemahl zusammenbraute. Ein solcher Verstand kann ja nicht einmal dies einsehen: daß "die Chemie" und "die Physik" als indifferente Kräfte Chlorgasflaschen bauen oder auch H-Bomben! Als ob das Element Chlor oder Uran in sich unsittlich wären! Wenn sie sich zur Chlorgasgranate oder zur A-Bombe zusammenfügen, so ist das doch ein völlig neutraler, sittlich indifferenter Vorgang, der mit Chemikern und Physikern aber auch gar nichts zu tun hat! Man nennt diese Zusammenfügungen "Waffen", aber das ist doch sittlich, moraltheologisch betrachtet, ein wertindifferenter Name für elementare Zusammenfügungen, weiter nichts - gar nichts. Die Sittlichkeit kommt erst ins Spiel, wenn diese Zusammenfügungen der Physik und der Chemie angewendet werden, wenn damit "gehandelt" wird. Und auch dann ist allein die Unterscheidung entscheidend: ob der Zweck (z. B. die Glaubensverteidigung) diese Mittel heiligt oder nicht. Wer den Glauben verteidigt, der hat aber allemal das Recht des Handelns (mit Chlor oder Uran) für sich. Also sei er ganz getrost, auch wenn die Welt, die ohnehin nicht ewig ist, untergeht: er hat recht gehandelt.

Der wahre Christ höre doch um Gotteswillen nicht auf solche unzuständige Leute ohne Verstand, wie etwa den verstorbenen Reinhold Schneider, der da zu schreiben wagte: "Es geht nicht darum, ob die Waffen angewendet werden oder nicht; das Erfinden, das Herstellen, das Denken der Waffen ist Sünde."

Darüber, was Sünde ist, befindet die Moraltheologie, nicht irgendwer. Und erster Repräsentant dieser Theologie ist Pater Professor Dr. Gundlach von der Gregoriana in Rom. Roma locuta, causa finita! - Rom hat gesprochen, die Sache ist entschieden - gilt auch hier, umsomehr als der Pater Professor nichts anderes darlegt, als was der Papst selbst dargelegt hat! Wer’s nicht fassen kann, der gehe nun ins Irrenhaus, denn anders verwirrt er nur die Christenheit! Wir brauchen klare Linien, klare "Fronten" gegenüber der Satansfront des Bolschewismus. Solche Fronten vermag allein der jesuitische Generalstab (Chef: Pater Gundlach, Ia: Pater Hirschmann in Frankfurt) aufzurichten. Das katholische Volk weiß das ebensogut wie die deutschen Bischöfe. Der wahrhaft gehorsame katholische Christ weiß es seit 1933, daß der Jesuitenpater Dr. Stonner in Würzburg damals die allein seligmachende Parole ausgegeben hatte, als er sagte: "Der Katholik steht immer da, wo seine Führer stehen."

Ich werde vielleicht doch Friedrich Nietzsches Rat befolgen.

Veröffentlicht am

21. Juli 2017

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