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Gleichgewicht des Schreckens

Nordkorea: Das Kim-Regime beseelt die Überzeugung, als Atommacht mit den USA auf Augenhöhe verkehren zu können

Von Lutz Herden

Es gibt kein größeres Übel, als den Feind zu unterschätzen. Die Sentenz wird dem nordkoreanischen Staatsgründer Kim Il-sung zugeschrieben. Mag es zutreffen oder nicht - jedenfalls gründet seine Chuch’e-Ideologie auf solchem Gebot, wenn sie die Triade von politischer Souveränität, wirtschaftlicher Selbstversorgung und militärischer Eigenständigkeit als unverzichtbar für die Volksrepublik in Korea beschreibt. Das Ende der 80er Jahre aufgelegte Nuklearprogramm spiegelt dieses Streben nach Autarkie und Unangreifbarkeit.

Seither beschäftigt diese Herausforderung die internationale Gemeinschaft. Die besteht allerdings nicht, wie oft behauptet, darin, dass man es mit einem unberechenbaren Regime zu tun hätte und allein auf dessen Irrationalität Verlass sei. Tatsächlich hält Pjöngjang an einem hohen Standard seiner Waffensysteme fest, um politisch zu überleben, Hilfsprogramme zu nutzen und sich benötigte Ressourcen zu verschaffen. Dies gelang etwa 1994, als in Genf nordkoreanische Emissäre mit der damaligen US-Regierung einen Rahmenvertrag aushandelten, der vorsah, dass ökonomischer Beistand auch dann gewährt bleibe, wenn das Atomprogramm definitiv eingestellt sei.

Sonnenscheinpolitik

Ein Forum, um solchen Interessenabgleich zu steuern, waren ab 1996 die Vier-Parteien-Gespräche mit den beiden koreanischen Staaten, den USA und China. Sie führten freilich nie dazu, das Junktim - atomare Abrüstung gegen ökonomische Aufrüstung - so zu verankern, dass es für alle Zeit unumstößlich war. Feindschaft und Misstrauen zwischen den USA und Nordkorea überlagerten die Verhandlungen auch dann, als sie ab 2002 durch die Teilnahme Russlands und Japans in Sechs-Parteien-Gespräche übergingen.

Inzwischen spricht einiges dafür, dass Nordkorea seinem Ziel, eine atomar bestückte Langstreckenrakete des Typs Taepodong-2 im Arsenal zu haben, die Alaska und damit US-Territorium erreicht, näher kommt. Wer nachvollziehen will, warum das Regime Kim Jong-uns so handelt, muss dessen strategische Verwundbarkeit in Betracht ziehen, die nicht zuletzt völkerrechtlich bedingt ist. Zwischen Nord- und Südkorea wurde nach dem Korea-Krieg (1950-1953) nie ein Friedensvertrag geschlossen. Nach wie vor gilt allein das Abkommen über den Waffenstillstand von 1953. Zwar haben dieses Dokument Nordkorea und die USA, aber keine südkoreanischen Politiker unterschrieben. Streng genommen ist zwischen Süden und Norden der Kriegszustand nur ausgesetzt. Ein fragiles Provisorium, da durch die vier Kilometer breite Waffenstillstandszone von Panmunjeom nicht allein eine provisorische Grenze am 38. Breitengrad verläuft. Die Demarkationslinie trennt verfeindete Staaten und Systeme.

In Pjöngjang wie Seoul war man sich der damit verbundenen Risiken stets bewusst. Beim Gipfel zwischen dem nordkoreanischen Führer Kim Jong-il und dem südkoreanischen Präsidenten Roh Moo-hyun Anfang Oktober 2007 in der demilitarisierten Zone wurde deshalb eine "Friedenserklärung" vereinbart. Sie folgte der Intention, beide Seiten müssten den Waffenstillstands- durch einen Friedensvertrag ersetzen. Das Treffen vor knapp zehn Jahren war ein letzter Versuch, die "Sonnenscheinpolitik" zu retten, die Ende der 90er Jahre für mehr als einen Hauch an Entspannung gesorgt hatte. Davon geprägt war die erste Begegnung zwischen Staatschefs aus Nord- und Südkorea - Kim Jong-il und Kim Dae-jung - seit Ende des Korea-Krieges. Seoul hatte vor diesem Gipfel im Jahr 2000 die "Sonnenscheinpolitik" als Ensemble folgender Prinzipien definiert: Die Wiedervereinigung ist ein Fernziel. Sie darf nur auf friedlichem Wege erfolgen und keine Einverleibung des Nordens durch den Süden sein. Für militärische Aktionen des Nordens gibt es keine Akzeptanz. Bilaterale Koexistenz braucht wirtschaftliche Kooperation.

So gehörte es zu den Ergebnissen des 2000er Gipfels, dass man sich auf eine gemeinsam unterhaltene Sonderwirtschaftszone in Kaesong einigte. Südkorea sagte Investitionen für den Bau von Leichtwasserreaktoren im Norden zu. Pjöngjang erlaubte Besuche zwischen nord- und südkoreanischen Familien, die seit Jahrzehnten ohne Kontakt waren. Nur blieb dieses Tauwetter von militärischen Spannungen überschattet. Weder verminderten die USA ihre Truppenpräsenz im Süden, die 30.000 Mann der United States Forces Korea, noch wurde auf die alljährlichen Frühjahrsmanöver mit der südkoreanischen Armee verzichtet, noch feindselige Rhetorik gegenüber Pjöngjang vermieden. Präsident Bush setzte nach 9/11 das nordkoreanische Regime auf die Liste der "Schurkenstaaten", die wie der Iran und der Irak Saddam Husseins eine "Achse des Bösen" bildeten. Für Kim Jong-il, den damaligen Präsidenten Nordkoreas, Bestätigung genug, gegenüber den USA nicht auf Vertrauen, sondern auf Stärke zu setzen. Ein Verhältnis auf Augenhöhe schien nur möglich, wenn man sich auf nukleare Schlagkraft stützen konnte.

Präventivschlag

Die Obama-Administration, deren "strategische Geduld" mit Pjöngjang eher dem Eingeständnis gleichkam, keine Strategie zu haben, setzte auf die innere Erosion des kommunistischen Systems. Es werde an den Sanktionen zerbrechen, wenn der Druck von außen hoch bleibe.

Als vor drei Monaten die neue US-Administration antrat, schien es nicht abwegig, einen veränderten Umgang zwischen Pjöngjang und Washington zu erwarten, da Donald Trump außenpolitisch reservierter erschien als sein Vorgänger. Wie er nun jedoch die Nordkorea-Frage angeht, gibt mindestens ebenso viel Anlass zur Sorge wie das Nuklearprogramm Kim Jong-uns, zumal mit der Gewaltoption in einer Weise gespielt wird, dass sich Trump mit seinem Aufmarsch - so kreuzt der Flugzeugträger USS Carl Vinson vor Nordkorea - selbst unter Druck setzt. Dennoch wird ihm Pjöngjang keinen Schritt entgegenkommen, sich stattdessen an die Maxime halten: Vor einem Angriff bietet der erklärte Wille den besten Schutz, im Ernstfall an Waffen einzusetzen, was zur Verfügung steht. Vermutlich wird die nordkoreanische Führung um so kompromissloser agieren, je länger die Krise dauert, wie der offenbar misslungene Raketentest vom 15. April zeigt. Schließlich beglaubigt das Verhalten der USA, was die Propaganda dem eigenen Volk ständig beibringt: Man lebt unter der permanenten Bedrohung durch Amerika und muss sich zur Wehr setzen. Das heißt, ist die Gefahr eines US-Präventivschlags kaum zu überschätzen, gilt Gleiches für den zu erwartenden Gegenschlag. Es ist wenig wahrscheinlich, dass die US-Armee in der Lage ist, alle unterirdischen Anlagen, Kommandostäbe, mobilen Abschussbasen und Materialien zu zerstören. Niemand sollte glauben, das Regime würde kollabieren. Solange sie handlungsfähig bleiben, haben die politische Führung und die Armee außerordentliche Trümpfe in der Hand. Dicht bevölkerte Metropolen Südkoreas wie Seoul, Busan, Incheon oder Daegu sind für nordkoreanische Raketen erreichbar.

Auch China bleibt nicht untätig und hat nach dem US-Luftschlag gegen Syrien sofort Truppen an die Grenze zu Nordkorea verlegt. Vor dem Treffen zwischen Staatschef Xi Jinping und Trump Anfang des Monats in Mar-a-Lago hatte Letzterer den Nationalen Sicherheitsrat angewiesen, Optionen zu sondieren, die man gegenüber Pjöngjang habe. Von der Tendenz her wurde ein noch härterer Sanktionskurs favorisiert und empfohlen, China auf mehr Distanz zu den Partnern in Pjöngjang einzuschwören. Auch wurde erwogen, Japans und Südkoreas Raketenabwehr aufzustocken, was Peking wegen der strategischen Balance in der Region kategorisch ablehnt.

Selbst wenn sich China dazu bewegen ließe, neutral zu bleiben, falls Nordkorea angegriffen wird, hat es (wie Südkorea) kein Interesse an einem Failed State vor der eigenen Haustür, geschweige denn an einem von außen betriebenen regime change in Pjöngjang. Der müsste durch ein Besatzungsregime abgesichert werden und wäre keine Gewähr gegen einen Bürgerkrieg, der massenhaft Flüchtlinge über die Grenzen treibt - nach China wie Südkorea. Ganz abgesehen davon, dass sich Peking US-Truppen an die eigene Grenze geholt hätte.

Womit Trump bestenfalls rechnen kann: dass sich die chinesische Führung darauf einlässt, Nordkorea vom Einfrieren seines Nuklearprogramms zu überzeugen, indem sie Garantien für das Regime und die territoriale Integrität des Landes übernimmt. Letzten Endes aber wird kein Weg daran vorbeiführen, Nordkorea mit den Sicherheiten zu versorgen, die es über seine Kernwaffen erzwingen will - Eigenständigkeit, Teilhabe am Weltmarkt, ein Nichtangriffspakt mit den USA und Südkorea. Pjöngjang könnte im Gegenzug zum offiziellen Verzicht auf einen nuklearen Erstschlag genötigt werden. Bewirken lässt sich das nur über mühsame und langwierige Verhandlungen.

Als Präsidentenbewerber hat Donald Trump zuweilen nonchalant extemporiert, er könne sich mit "Mister Kim" zu einem Hamburger treffen. Und dann werde man schon sehen. Er hätte es versuchen sollen.

Quelle: der FREITAG vom 21.04.2017. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

23. April 2017

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