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Andreas Buro: Friedensbewegung in gewalttätigen Zeiten globalen Wandels

Von Andreas Buro

Die globale Machtverschiebung durch den Aufstieg der sogenannten Mittelmächte (BRICS)BRICS=Brasilien, Russland, Indien; China, Südafrika., die eine gemeinsame Politik entwickeln wollen, kennzeichnen die Epoche. Glaubten sich die USA im Weltmaßstab zwischen 1990 und 2010 fast absolut dominierend, so verlieren sie zunehmend diese beherrschende Stellung trotz riesiger Militärausgaben. Die von den USA geführten Kriege - Serbien/Kosovo, Afghanistan, Irak, Libyen und jetzt noch in Syrien - waren wenig erfolgreich. Washington verlagert sein militärisches Schwergewicht in den pazifischen Raum.

EU-Europa ist nicht mehr so wichtig, es sei denn in Bezug auf die Abschreckungskonstellation gegenüber Russland, denn das nukleare Abschreckungssystem zwischen West und Ost hat das Ende der Sowjetunion überlebt. Allerdings hat es sich erheblich verschoben. NATO-Osterweiterung, Kündigung des ABM-Vertrages durch die USA, Weiterentwicklung der Raketenabwehr und Stationierungsabsichten durch den Westen. Das alles spielt eine große Rolle im Konflikt um die Krim und die Ukraine.

Das Militärpotential EU-Europas ist im Vergleich zu den USA gering

Eine Weltmachtrolle kann EU-Europa, trotz markiger Gauck-Präsidenten-Worte, mangels Masse nicht spielen. Die Außenpolitik Deutschlands versucht deshalb, die Beziehungen zu den USA als potenzieller Schutzmacht zu erhalten. Gleichzeitig kann sie kein Interesse daran haben, in die kriegerischen Abenteuer der USA hineingezogen zu werden. Um diese These zu illustrieren: Struck wollte noch unsere Freiheit am Hindukusch verteidigen, um als Partner der USA dabei zu sein (Bush sen.: "Germany is partner in leadership"). Westerwelle hatte aber in Libyen kein Interesse, ernsthaft mitzumachen. Und auch heute  verweigert die Bundesregierung freilich nicht diverse Zuarbeiten, etwa die Waffenlieferungen an die irakischen Kurden oder in andere Konfliktherde plus Ausbildung und logistische Unterstützung von US-Operationen in Deutschland.

Eine ansatzweise eigenständige Politik lieferten Merkel und Hollande in Minsk ab. Vorsichtshalber hatte Merkel sich die Genehmigung von Obama geben lassen. Parallel lief in den USA eine Diskussion über mögliche Waffenlieferungen an Kiew, während die Kanzlerin jegliche Waffenlieferungen ausschloss und sich sehr für eine politische Lösung des Konflikts einsetzte.

Wenn meine These zutrifft, die EU und BRD könnten mangels Potenzialen keine globale militärgestützte Politik führen, dann macht die verstärkte Zuwendung zu Diplomatie und friedlichen Lösungen durchaus Sinn, obwohl die Regierung in Berlin deshalb keineswegs pazifistisch geworden wäre. Dazu passt gut Steinmeiers jüngste Ankündigung, eine neue Abteilung im Auswärtigen Amt einzurichten, die sich mit Prävention, Stabilisierung und Nachsorge von Konflikten beschäftigen soll. Er hat wohl nicht explizit von Ziviler Konfliktbearbeitung (ZKB) gesprochen, doch seine Bemerkung, wer nur einen Hammer habe, für den sei jedes Problem ein Nagel, verweist doch auf ZKB als einer stärker zu nutzenden Möglichkeit.

Deutschland hat enorme ökonomische Vorteile durch die Globalisierung

Um diese zu erhalten, bedarf es möglichst rechtlich gesicherter internationaler Verhältnisse. Dazu taugt militärische Drohung wenig. In der interessanten Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik und dem German Marshall Fund of the United States https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/projekt_papiere/DeutAussenSicherhpol_SWP_GMF_2013.pdf ., die aus der Friedensbewegung heftig kritisiert wurde, ergibt sich für mich eine Bestätigung. Dort werden die Staaten der Welt in drei Gruppen eingeteilt. Die erste besteht aus den westlich-kapitalistischen, selbstverständlich guten Staaten. Die zweite aus den vielen jetzt aufsteigenden Ländern, mit denen man über Verhandlungen zu einem Einverständnis über globale Regelungen kommen müsse. Nur die dritte Gruppe sei wirklich böse. Ihnen sei nur militärisch beizukommen. Zu dieser Gruppe zählen - man höre und staune - Nord-Korea, Venezuela, Iran und Syrien. Signalisiert diese Feststellung nicht eine Ausrichtung auf Verhandlungen?

Die wichtige Neuausrichtung der Friedensbewegung besteht für mich darin, diese hier angedeutete Entwicklung zur Kenntnis zu nehmen und dann die Kräfte in Gesellschaft und Politik zu unterstützen, die bereit sind oder seien könnten, diese Umorientierung auf nicht-militärische Konfliktbearbeitung zu fördern. Ich halte Minsk II für einen wichtigen Versuch, wie immer er ausgeht. Um nicht missverstanden zu werden: das heißt nicht, Kritik an Waffenentwicklung, Rüstungsexport, Militärstrategien usw. einzustellen. Es gilt aber zu begreifen, dass sich hier eine strategische Chance eröffnet, zivile Konfliktbearbeitung voranzutreiben. Dabei müssen wir allerdings auf aberwitziges Verhalten in der US-Politik gefasst sein. Die Präsidentschaftswahlen werden tiefe Wunden in die Bemühungen um friedenspolitische Lösungen schlagen. Der aktuelle Kampf um das Verhältnis der USA zu Iran ist heute schon ein Warnzeichen dafür.

Gefährliche neue Kampffelder

Die BetreiberInnen konfrontativer Politik ersinnen ständig neue Möglichkeiten gegenseitiger Bedrohung und Bekämpfung. In dieser Hinsicht hat die Friedensbewegung m. E. viel zu wenig wahrgenommen, was im Bereich des Cyber War vorbereitet und auch schon praktiziert wird (Stutnex-Angriff auf iranische Nuklearanlage). Hier geht es nicht nur um Industriespionage, sondern um Angriffsmöglichkeiten größten Ausmaßes. Da die Aufwendungen hierfür im Vergleich zu den bisherigen Rüstungskosten relativ gering sind, versuchen sehr viele Staaten, Cyber-War-Kapazitäten aufzubauen. Die USA sind wieder führend daran beteiligt. Legitimiert werden solche Anstrengungen mit dem Argument, man müsse sich gegen Cyber-Angriffe schützen können. Man kennt das täuscherische Argument aus allen Rüstungswettläufen.

Unsere Alternative die zivile Konfliktbearbeitung

Die Kooperation für den Frieden (Kofrie) hat sich in den letzten Jahren sehr für die Alternative der zivilen Konfliktbearbeitung (ZKB) eingesetzt. Das bleibt nach wie vor eine vorrangige Aufgabe. Dabei haben wir aber auch gelernt, welche Schwierigkeiten damit verbunden seien können, und zwar besonders dort, wo die Konfliktpartner nicht auf Frieden, sondern auf das Erreichen ihrer Ziele durch Gewaltanwendung ausgerichtet sind. Syrien ist ein typischer Fall hierfür, wo äußere Interessen ohne Rücksicht auf die Bevölkerung gewaltsam verfolgt werden. Die Schlacht um Kobane ist ein weiterer Fall. Soll man doch Waffen liefern, um Massenmord zu verhindern? Kann Friedensbewegung nur für die Aufnahme von Flüchtlingen plädieren und humanitäre Hilfe organisieren? Der Appell "Die Waffen nieder" erweist sich als unzureichend. Die Bemühungen im Fall Kobane, eine Aussöhnung zwischen Ankara und den Kurden zustande zu bringen, zeigen in die richtige Richtung. Dafür tut die Friedensbewegung recht viel, ohne bisher allerdings die strategischen Ziele der Türkei und der NATO-Staaten verändern zu können.

Kriegerische Auseinandersetzungen werden durch die Propagierung von Feindbildern vorbereitet

Seit 1990 schalten die Bundesrepublik und die anderen NATO-Staaten vom kommunistischen Feindbild auf den terroristischen Islam um. Terroristen sind natürlich immer die Anderen mit ihren asymmetrischen Kampfformen. Die westlichen high-tech-Kampfformen, die weit mehr Opfer kosten, sind selbstverständlich nicht terroristisch. Die Friedensbewegung gerät leicht in Gefahr, die Terrorismusanklage zu übernehmen, ohne deutlich zu machen, dass Krieg notwendig terroristisch ist, von welcher Seite er auch immer geführt wird. Das kleine Adjektiv "terroristisch" ist für uns gefährlich, denn der gewaltsame islamische Kampf dürfte keine Episode von marodierenden Banden sein, sondern hat vermutlich einen tiefen historischen Hintergrund, der auf rücksichtsloser westlicher Kolonial- und Imperialpolitik beruht.

Erstaunliche Leistungen der Friedensbewegung

Viele der Vorwürfe gegen die deutsche Friedensbewegung beruhen auf Unkenntnis oder auf grundsätzlicher Feindschaft. Die oft gehörte Formel, der Pazifismus habe versagt, denn er habe z.B. den Krieg in Syrien nicht verhindern können, ruft die Frage hervor, ob  denn die PazifistInnen die Politik, die zu diesem Krieg geführt hat, bestimmt hätten? Trotzdem müssen wir solche unredlichen Argumente in ihrer Wirkung ernst nehmen. Dem ähnlich diffamierenden Vorwurf, Putin-Versteher zu sein, entgegne ich, viel gefährlicher seien die Nicht-Putin-Versteher.

Überschaue ich die letzten 60 Jahre der Arbeit der deutschen Friedensbewegung, so erkenne ich viele Aufs und Abs der Mobilisierung und der Mühen der Ebene, in denen eine mitreißende Mobilisierung nicht möglich war. Durchgängig konnte die wichtige Infrastruktur erhalten und ausgebaut werden, die Erfahrungen und Expertise bewahren und weitergeben konnte. Wenn ich mich erinnere, wie wir 1960 von Braunschweig mit 24 Personen den ersten Ostermarsch begannen und wie Ende der 60er Jahre Hunderttausende aus der ganzen Bundesrepublik dabei waren, so sehe ich eine stattliche Bilanz sozialer Lernprozesse. Wenn ich die Feindlichkeit gegen uns aus der Zeit des Höhepunkts des West-Ost-Konflikts erinnere und heute sehe, dass Kriegsdienstverweigerung etwas Wohlanständiges in unserer Gesellschaft ist und die überwiegende Mehrheit kriegerische Interventionen ablehnt, dann klopfte ich uns gerne auf die Schulter: Gut gemacht! Wer glaubt denn, dass soziale Lernprozesse schnell verlaufen? Da heißt es Kurs halten und sich nicht irritieren lassen, wenn Leute erklären, sie seien die neue Friedensbewegung. Wer in der deutschen Friedensbewegung in Anerkennung ihrer Grundsätze mitarbeiten will, ist willkommen. Eine neue Friedensbewegung kann ich jedoch nicht erkennen.

Allerdings hat die Friedensbewegung Hausaufgaben zu machen

  1. Die Organisierung sozialer Lernprozesse beruht nicht zuletzt auf den vielen örtlichen Gruppen, die eigenständige Veranstaltungen machten, Aufrufe verfassten und Arbeitskreise organisierten. Dieser örtliche Bereich muss reaktiviert werden. Das sollte ein wichtiges Thema für Diskussionen und Erprobungen werden.Siehe Buro, Andreas:  Die lokalen Friedensgruppen wieder aktivieren - ein Vorschlag .
  2. Eine weitere Hausaufgabe liegt in der Modernisierung unserer Kommunikation. Fast alle Publikationen erscheinen nur alle zwei oder drei Monate. Das führt nicht zu einer lebendigen Diskussion. Gewiss gibt es technische und finanzielle Grenzen. Doch die Computerwelt ermöglicht sicher weit mehr. Wo finden sich Arbeitgruppen, die an dieser Problematik arbeiten und Vorschläge unterbreiten?
  3. Eine dritte Hausaufgabe sehe ich in der Verbesserung der Zusammenarbeit mit anderen sozialen Bewegungen. Soziale Fragen, Klimaauswirkungen, wirtschaftliche Strukturen, Gender-, Militär-, Flüchtlings- und Friedensprobleme verzahnen sich immer mehr und bedürfen abgestimmter Vorgehensweisen zur Bewältigung konkreter Querschnittsaufgaben. Sollte die Kofrie vielleicht eine spezielle Gruppe bilden, die sich darum bemüht?
  4. Viertens sollte die Friedensbewegung einen Katalog von Forderungen zusammenstellen, die der jetzigen Regierung zumutbar sind und mit deren Erfüllung sie ihre Friedensbereitschaft unter Beweis stellen könnte. So zum Beispiel die erhebliche Erhöhung der Mittel für ZKB. Ein spezielles Projekt könnte der Aufbau eines international zugänglichen Mediationszentrums sein, das diskrete Dialoge zwischen Kontrahenten ermöglicht. Deutschland sollte hierfür die Initiative ergreifen. Dies wäre für frühzeitige Prävention und Deeskalation von Konflikten von großem friedenspolitischem Nutzen. Friedenswillen würde sie ferner beweisen, wenn sie auf die Modernisierung der Atomwaffen in Büchel verzichtet, die Anschaffung von Drohnen widerruft, die nukleare Teilhabe in der NATO kündigt und Rüstungsexporte in Drittstaaten unterlässt.

Der Glaube an das friedensstiftende Militär ist längst zu Grabe getragen. Ein Paradigmenwechsel zu ziviler Konfliktbearbeitung ist geboten. Wir gehen sicherlich unruhigen Zeiten entgegen. Es gibt auf fast allen Ebenen vieles neu zu bedenken und zu tun.

Andreas Buro ist u. a. friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie und des "Monitoring-Projekts: Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt- und Kriegsprävention".

Quelle: FriedensForum 3/2015.

Fußnoten

Veröffentlicht am

21. Mai 2015

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