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Nestflucht nach Algier

Frankreich: Emmanuel Macron würde sich als Präsident für die einst in Algerien begangenen Verbrechen entschuldigen

Von Sabine Kebir

Obwohl Frankreich und Algerien allein wegen der 130 Jahre währenden Kolonialzeit enge kulturelle, vor allem wirtschaftliche Kontakte unterhalten, gelten Besuche französischer Präsidenten in Algier noch immer als heikel. Der Grund: Die Ex-Kolonialmacht ist bis heute nicht bereit, sich offiziell für ihre Verbrechen aus der Zeit des Unabhängigkeitskrieges zwischen 1954 und 1962 zu entschuldigen. Das könnte sich ändern, sollte Emmanuel Macron das anstehende Präsidentenvotum gewinnen. Vorerst rollte man ihm in Algier den roten Teppich aus, als er dort Mitte Februar zu einem Besuch eintraf. Man könnte das als kühne Einmischung in den französischen Wahlkampf auslegen, zum Skandalon des Auftritts von Macron wurde aber dessen Statement vor der Presse: "Die Kolonisation ist Teil der französischen Geschichte. Sie war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, eine wahrhafte Barbarei. Und sie ist Teil einer Vergangenheit, mit der wir offen umgehen müssen, indem wir uns bei denen entschuldigen, gegen die wir uns so verhalten haben."

In Frankreich brach umgehend ein Proteststurm los, bei dem sich Marine Le Pen zurückhielt, während sich François Fillon, Macrons Rivale im bürgerlichen Lager, exponierte. Dessen zunächst gute Aussichten sind zusammengeschmolzen, seit bekannt wurde, dass er als Abgeordneter sowohl die Ehefrau als auch seine Kinder als parlamentarische Mitarbeiter scheinbeschäftigt hat, was ihm inzwischen ein Verfahren wegen veruntreuter öffentlicher Gelder von über einer Million Euro einbrachte.

Fillon warf Macron vor, noch im Vorjahr behauptet zu haben, die Kolonisation habe sowohl schlechte wie gute Seiten besessen. Daraus ergibt sich nicht zwingend ein Widerspruch zu Macrons jetzigen Äußerungen, wohl aber ist Fillons Absicht zu erkennen, sich des Beistands der Veteranenverbände der einstigen Kolonialarmee zu versichern. Diese protestierten zusammen mit den Vereinen der Harkis, der seinerzeit in Algerien für Folter und Mord rekrutierten Hilfstruppen, am lautesten gegen Macron. Der dürfte den kalkulierten Affront auch deshalb gesucht haben, um Stimmen von Franzosen mit algerischen Wurzeln zu gewinnen, die wollen, dass Frankreich ihr Herkunftsland wirklich respektiert.

51 Prozent der Franzosen sollen Macrons Ansicht teilen, dass in Algerien Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt wurden, und eine Entschuldigung für überfällig halten. Dennoch sah sich der Präsidentschaftskandidat nach dem Algier-Trip gezwungen, beim Auftritt vor Veteranen in Toulon zu beteuern, er habe sie mit seiner Erklärung nicht verletzen wollen und respektiere ihre aus Kriegszeiten stammenden Traumata. Widerrufen wolle er freilich nicht. Ohne diese Verstöße gegen elementare Menschenrechte anzuerkennen, könne man keine Zukunft bauen. Der Kandidat schloss seine Rechtfertigung mit der berühmten doppelzüngigen Aussage Charles de Gaulles: "Je vous ai compris!" (Ich habe euch verstanden), die dieser am 4. Juni 1958 in Algier vor Tausenden von Algerienfranzosen getroffen hatte. Die glaubten damals, der General werde nun alles tun, um den Kolonialstatus Algeriens zu erhalten. In Wirklichkeit hatte de Gaulle längst eingesehen und beschlossen, dass ein Rückzug unvermeidlich war. Offen ausgesprochen wurde das nicht, weil Militärs der Kolonialarmee einen Staatsstreich vorbereiteten. Um bei Frankreichs Soldaten die bereits durch den verlorenen Indochinakrieg stark beschädigte Ehre nicht weiter zu verletzen, ließ de Gaulle zu, dass sich der Krieg noch weitere vier Jahre hinschleppte.

Alibi Kolonialzeit

In Algerien stehen im Frühjahr Parlamentswahlen an, bei denen die beiden größten Parteien - Front de Libération Nationale (FLN) und Rassemblement National Démocratique (RND) - konkurrieren. Ahmed Ouyahia, ein ehemaliger Premier, jetzt Chef der RND, machte sich beim Urteil über Macrons Geständnis den Unmut vieler Algerier zu eigen, dass die Kolonialzeit noch immer als Rechtfertigung vieler Missstände im Land herangezogen wird. Der richtige Umgang mit der eigenen nationalen Erinnerung sei wichtiger als Entschuldigungen der alten Kolonialmacht. Die Beziehungen mit ihr würden weit mehr davon bestimmt, wie stark und unabhängig ihr das heutige Algerien gegenübertrete.

Quelle: der FREITAG vom 15.03.2017. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

15. März 2017

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