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Rückschub in die Hölle

Neue Berichte über die furchtbaren Zustände in libyschen Haftzentren für Flüchtlinge belasten den informellen EU-Gipfel an diesem Freitag in Valletta. Auf dem Treffen sollen Pläne besprochen werden, die zum Ziel haben, das Ablegen von Booten mit Flüchtlingen auf dem Weg nach Europa künftig so weit wie möglich zu unterbinden. Dazu ist eine engere Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache vorgesehen, die schon jetzt im Rahmen der EU-"Operation Sophia" trainiert wird - auch von deutschen Soldaten. Die Küstenwache ist dafür berüchtigt, Gewalt gegen Flüchtlinge anzuwenden - zuweilen mit Todesfolge - und auch vor Angriffen auf Schiffe von Hilfsorganisationen nicht zurückzuschrecken.

Außerdem überstellt sie aufgegriffene Flüchtlinge in Haftzentren an Land. Seit Jahren ist bekannt, dass die Flüchtlinge in diesen Haftzentren nicht nur furchtbaren Lebensbedingungen ausgesetzt sind, sondern auch regelmäßig vom libyschen Wachpersonal erniedrigt, verprügelt, in die Zwangsarbeit verkauft und vergewaltigt werden. Immer wieder kommt es zu Morden an Internierten. Ein am Wochenende in kurzen Passagen bekannt gewordener Bericht der deutschen Botschaft in Niger nennt die Verhältnisse in den Haftzentren "KZ-ähnlich". Beschließt die EU am Freitag den geplanten Ausbau der Kooperation mit der Küstenwache, dann ist mit einem deutlichen Anstieg der Zahl in libyschen Haftzentren internierter und gequälter Flüchtlinge zu rechnen.

Gequält, vergewaltigt, verkauft

Die furchtbaren Zustände in den Haftzentren, in denen Flüchtlinge in Libyen über teilweise lange Zeiträume willkürlich festgehalten werden, sind im Grundsatz seit Jahren bekannt. Die Hafträume - gewöhnlich stark verschmutzt, schlecht belüftet, oft ohne sanitäre Einrichtungen, zuweilen mit blutverschmierten Wänden - sind regelmäßig krass überbelegt, manchmal so extrem, dass die Flüchtlinge nur im Sitzen schlafen können. Entsprechend breiten sich Krankheiten aus. In vielen Lagern leiden die Internierten an Mangelernährung; in Lagern in Tripolis deckt die Nahrung nur 35 Prozent der notwendigen Kalorien, zeitweise werden überhaupt keine Lebensmittel oder lediglich ungenießbares Trinkwasser bereitgestellt. Die medizinische Versorgung ist unzureichend oder gar nicht vorhanden.

Gewalt durch das Wachpersonal gehört zum Alltag; die Flüchtlinge werden bespuckt, geschlagen und getreten, gelegentlich auch zu Tode geprügelt oder erschossen. Vor allem Frauen, aber auch Männer sind regelmäßigen Vergewaltigungen ausgesetzt. Oft erpressen Wächter von den Familien der Internierten Geld für deren Freilassung; immer wieder verkaufen sie Flüchtlinge in die Zwangsarbeit. All dies trifft nicht nur auf die zahllosen irregulären Haftzentren zu, die Milizen, Schmuggler oder lokale Machthaber unterhalten, sondern auch auf die offiziellen Einrichtungen des Department for Combatting Illegal Migration (DCIM), das dem "Innenministerium" der von der EU protegierten "Einheitsregierung" untersteht.S. dazu Lager für Europa (II) . Berichte finden sich unter anderem auf www.irinnews.org, bei Amnesty International und Human Rights Watch oder im jüngsten Bericht der Vereinten Nationen: United Nations Support Mission in Libya, Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: "Detained and Dehumanised". Report on Human Rights Abuses against Migrants in Libya. 13 December 2016.

Mord mit Ankündigung

Über die menschenverachtenden Zustände in den libyschen Haftzentren ist in den letzten Jahren immer wieder berichtet worden - von Journalisten wie dem Briten Tim Westcott, der zeitweise für die UN-Nachrichtenagentur IRIN tätig war, von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch und von den Vereinten Nationen.S. dazu Lager für Europa (II) . Berichte finden sich unter anderem auf www.irinnews.org, bei Amnesty International und Human Rights Watch oder im jüngsten Bericht der Vereinten Nationen: United Nations Support Mission in Libya, Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: "Detained and Dehumanised". Report on Human Rights Abuses against Migrants in Libya. 13 December 2016.

Am Wochenende sind nun zusätzlich Auszüge aus einer diplomatischen Korrespondenz der deutschen Botschaft in Niger bekannt geworden, die nicht nur an das Auswärtige Amt, sondern auch an andere deutsche Ministerien und an das Bundeskanzleramt geschickt worden sein soll. Das Dokument fasst Schilderungen von Flüchtlingen zusammen, die den Haftzentren entkamen und von den katastrophalen Verhältnissen dort sowie von der Gewalt berichteten, die dort herrscht. Unter dem Titel "Rückkehr aus der Hölle" beschreibt die Korrespondenz "allerschwerste, systematische Menschenrechtsverletzungen" bis hin zu Folter, Vergewaltigungen und Morden; in einem der Haftzentren werden laut Augenzeugen wöchentlich fünf Flüchtlinge erschossen, "mit Ankündigung und jeweils freitags, um Raum für Neuankömmlinge zu schaffen", wie es in dem Botschaftsschreiben heißt. Die Vorwürfe sind, heißt es, nicht nur durch Zeugenaussagen, sondern auch durch Handyfotos und -videos belegt. In einer durchaus unüblichen Formulierung beschreibt die Botschaft Berlins in Niger die Verhältnisse in den libyschen Haftzentren als "KZ-ähnlich".Manuel Bewarder, Alfred Hackensberger, Christoph B. Schiltz: "Wir sind weniger wert als Hunde". www.welt.de 29.01.2017.

Der Hilfssheriff der EU

Berlin und die EU sind insofern involviert, als sie eng mit der libyschen Küstenwache kooperieren. Hintergrund ist, dass die Schiffe der EU-"Operation Sophia", die unweit der libyschen Küste kreuzen, Bootsflüchtlinge zwar an Bord nehmen, sie aber nicht nach Libyen zurückschieben dürfen: Dies wäre ein allzu offener Bruch internationalen Rechts. Deshalb bemüht sich die EU, die libysche Küstenwache in die Lage zu versetzen, ihrerseits möglichst viele Flüchtlinge aufzugreifen und sie an Land zurückzubringen. Dort liefert die Küstenwache sie üblicherweise in die Haftzentren ein.

Damit all dies in Zukunft effizienter geschehen kann, hat die EU beschlossen, im Rahmen ihrer "Operation Sophia" die libysche Küstenwache systematisch zu trainieren. Die Maßnahmen haben im Oktober 2016 begonnen; die Bundeswehr ist daran beteiligt. Die EU-Trainingsmaßnahmen sollen in Zukunft laut Berichten auch an Bord von acht Patrouillenbooten durchgeführt werden, die Italien der libyschen Küstenwache zur Verfügung stellt.Gerardo Pelosi: Italy and Libya sign accord to combat immigration, human trafficking. www.italy24.ilsole24ore.com 10.01.2017.

Die EU-Kommission hat nun weitere Schritte vorgeschlagen, die auf dem informellen EU-Gipfel am Freitag in der maltesischen Hauptstadt Valletta zur Debatte stehen. Demnach soll Brüssel 3,2 Millionen Euro bereitstellen, um unter anderem die Küstenwachen der Mittelmeerstaaten zu vernetzen; dann könnten nicht nur die italienische Küstenwache, sondern auch die EU-"Operation Sophia" und die EU-Behörde Frontex mit ihrer "Operation Triton" Libyens Küstenwache unmittelbar zu den ablegenden Flüchtlingsbooten dirigieren, deren Insassen dann sofort zurück an Land gebracht und in die Haftzentren überstellt würden. Die EU wäre die unerwünschte Einwanderung über das Mittelmeer zu einem erheblichen Teil los.Niklaus Nuspliger: Brüssel sucht nach einem libyschen Deal. www.nzz.ch 25.01.2017.

Beschossen und versenkt

Zu der Tatsache, dass damit eine noch höhere Zahl an Flüchtlingen in den Haftzentren interniert würde und dort furchtbaren Lebensbedingungen, Folter und Mord ausgesetzt wäre, kommt hinzu, dass gegen die libysche Küstenwache ebenfalls gravierende Vorwürfe erhoben werden. Menschenrechtsorganisationen berichten, Flüchtlinge würden von Mitgliedern der Küstenwache immer wieder verprügelt, beschossen oder anderweitig gequält.S. dazu Lager für Europa (II) . Dokumentiert sind mehrere Angriffe der Küstenwache auf Boote verschiedener Hilfsorganisationen, darunter "Ärzte ohne Grenzen"; teilweise setzte das libysche Personal dabei sogar Schusswaffen ein.Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/10245, 09.12.2016.

Am 21. Oktober 2016 endete der Angriff eines libyschen Küstenwachschiffs mit der Versenkung eines Flüchtlingsboots; dabei kamen bis zu 30 Flüchtlinge zu Tode.Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/10245, 09.12.2016. Nach wie vor nicht aufgeklärt ist der Beschuss eines Fischerboots durch ein libysches Schiff im Oktober 2013. Das Fischerboot, das rund 200 Flüchtlinge an Bord hatte, sank; einige Überlebende sind sich sicher, der tödliche Beschuss sei von einem Schiff der libyschen Küstenwache ausgegangen.S. dazu Lager für Europa (II) .

Europas Erfolge

Fern davon, lediglich ein hässliches Detail der deutsch-europäischen Libyenpolitik zu sein, gilt die Flüchtlingsabwehr als zentrales Motiv Berlins und der EU, nicht nur die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache zu suchen, sondern darüber hinaus eine "Einheitsregierung" in Tripolis zu installieren.S. dazu Vor der dritten Niederlage . Diese wird zwar von den maßgeblichen Kräften im Land nicht anerkannt und in zunehmendem Maße bekämpft; sie wird aber benötigt, um mit Libyen zumindest dem Anschein nach völkerrechtlich gültige Vereinbarungen über die gemeinsame Flüchtlingsabwehr treffen zu können. Maßgebliche Verantwortung dafür trägt - in seiner Funktion als Sonderbeauftragter der Vereinten Nationen für Libyen - der deutsche Diplomat Martin Kobler. Kobler hat im Mai letzten Jahres das Haftzentrum Abu Salim besichtigt, das dem DCIM und also dem "Innenministerium" der von ihm protegierten "Einheitsregierung" untersteht. Er hat nach dem Besuch eingeräumt, er sei "entsetzt" über die Lebensbedingungen dort.S. dazu Lager für Europa (II) . Glaubt man dem jüngsten Bericht der Vereinten NationenUnited Nations Support Mission in Libya, Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights: "Detained and Dehumanised". Report on Human Rights Abuses against Migrants in Libya. 13 December 2016., dann hat sich seither nichts daran geändert.

Erfolge erzielen Berlin und die EU zwar nicht bei der Humanisierung der katastrophalen Verhältnisse in Libyen, dafür aber bei Training und Ausrüstung der libyschen Küstenwache zur Flüchtlingsjagd.

Quelle: www.german-foreign-policy.com vom 31.01.2017.

Fußnoten

Veröffentlicht am

31. Januar 2017

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