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Große Anfrage zu den Folgen des sog. “Krieges gegen den Terror”

Bundestagsdebatte am 26. Januar 2017

Stellungnahme der IPPNW (Deutsche Sektion)

Am 16. November 2016 beantwortete die Bundesregierung die Große Parlamentarische Anfrage "Erfahrungen aus 14 Jahren "Krieg gegen den Terror" - Eine Bilanz in Irak, Afghanistan, Pakistan" (Bundestagsdrucksache Nr. 18/7991 vom 22. März.2016 Drucksache 18/7991 Erfahrungen aus 14 Jahren "Krieg gegen den Terror" - Eine Bilanz in Irak, Afghanistan, Pakistan .). Am 26. Januar 2017 wird die Antwort im Bundestag debattiert. Der Text umfasst 64 Seiten (und 223 Seiten Anhänge), bleibt wesentliche Antworten auf die 101 gestellten Fragen aber schuldig:

Die hier zur Debatte stehende Antwort der Bundesregierung erschreckt uns als Ärztinnen und Ärzte, da sie offenbar die Folgen des sogenannten "Krieges gegen den Terror" in seinen wirklichen Dimensionen nicht zur Kenntnis nimmt - an dem die Bundesregierung bis heute, über 15 Jahre nach seiner Ausrufung durch die US-Regierung beteiligt ist. Bereits die weit über 1 Million Toten in den ersten 10 Jahren des "Krieg gegen den Terrors", die der IPPNW-"Body Count", eine 2015 international publizierte Bestandsaufnahme, dokumentierte, bedeuten eine humanitäre Katastrophe.

Wir fordern von Bundesregierung und Bundestag die umgehende Erhebung seriöser Daten über die Folgen des Krieges durch unabhängige WissenschaftlerInnen.

Zum Irak, dem bisherigen Haupt-Schauplatz dieses Krieges, antwortet die Bundesregierung auf die Fragen Nr. 73 nach den zivilen Todesopfern und Nr. 74 nach der Gesamtzahl seiner Todesopfer de facto, dass sie sie nicht kenne."Da keine Statistik zu den Opfern von indirekten Kriegsfolgen geführt wird, wird auf die Antwort zu Frage 71 verwiesen. Unsere eigene, 2015 international publizierte Metaanalyse "Body Count" hat mehrere, aus bedeutsame Untersuchungen über die Opferzahlen ausgewertet und sich mit den wichtigsten von ihnen ausführlich befasst. Da es im kriegszerstörten Irak in der Tat keine ausreichenden offiziellen Erhebungen zu der o.g. Frage gibt (darin stimmen wir mit der Bundesregierung überein), sind zwei Ergebnisse des IPPNW "Body Count" www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/BodyCount_internationale_Auflage_deutsch_2015.pdf . von entscheidender Bedeutung:

  • Um in derart kriegszerstörten Ländern valide Opferzahlen zu erheben und zu erreichen, dass dabei auch indirekte Todesopfer erfasst werden, sind Mortalitätsuntersuchungen heranzuziehen. Wenn hierfür keine ausreichenden Daten verfügbar sind wie im Irak, sind "aktive" repräsentative Erhebungen notwendig - die im Fall des Irak von hoch-renommierten  US-WissenschaftlerInnen gemeinsam mit IrakerInnen durchgeführt wurden und zu der im Body Count genannten Größenordnung von etwa 1 Million Todesopfer bereits in den ersten zehn Kriegsjahren führten.
  • "Passive Erhebungen" hingegen (also Sammlungen mitgeteilter Opferzahlen) sind zur Beurteilung ungeeignet - sie liefern aus methodologischen Gründen Zahlen, die um Größenordnungen zu niedrig liegen. Viele Todesopfer werden in den vom sogenannten "Irak Body Count" (IBC) als Quellen ausgewerteten Medien niemals zur Kenntnis genommen. (Die Qualität des IBC besteht u.a. im Sichtbarmachen von Entwicklungen sowie der hohen Aktualität und visuellen Aufbereitung seiner Daten.)

Während die Bundesregierung die tatsächliche Zahl der Todesopfer des Krieges im Irak offenbar nicht kennt, nennt sie Flüchtlingszahlen, die durchaus interessant sind (in der Anlage zu ihrer Antwort gibt sie die Zahlen des BAMF = Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu den Asylsuchenden aus dem Irak wieder, die im Verlauf des Krieges nach Deutschland kamen und kommen). Hierbei fällt auf: Nachdem die Flüchtlinge aus dem Irak zu Beginn des "Krieg gegen den Terror" im unteren 4-stelligen Bereich lagen, sind sie in seinem Verlauf stark angestiegen und lagen 2015 bei über 31.000. Zugleich ist die sog. "Gesamt-Schutzquote" (also der Summe aus anerkannten AsylbewerberInnen + derjenigen mit offiziellem Abschiebe-Verbot) von knapp 10% auf fast 90 % gestiegen. Dies dokumentiert eine katastrophale Entwicklung der Sicherheits- und Menschenrechtslage im Irak.

Auch bezüglich Afghanistan ist die Regierungsantwort völlig unzureichend, wie ihren Antworten auf die Fragen Nr. 30 (nach den 10 häufigsten Todesursachen der afghanischen Bevölkerung), Nr. 35 und Nr. 37 (nach der Zahl der zivilen direkten und indirekten Todesopfer in Afghanistan) entnommen werden muss. Denn das Beispiel des Irak (s.o.) sowie auch Untersuchungen in anderen Kriegsgebieten zeigen, dass aktive Mortalitätserhebungen durchaus valide Erkenntnisse über die Summe von direkten und indirekten Todesopfern durch Kriege erlauben - auch bei komplexen Ursachenverflechtungen.

Im Übrigen bestätigt die Antwort der Bundesregierung die im IPPNW-"Body Count" angegebene 6-stellige Größenordnung von Todesopfern in Afghanistan indirekt aufgrund der dort genannten Opferzahlen bei den afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräften: 19.091 von ihnen seien von Januar 2013 bis einschließlich März 2016 getötet worden, heißt es in der Antwort auf Frage Nr. 17. Zusammen mit den getöteten ausländischen Kräften sind das fast 20.000 SoldatInnen. Selbst wenn man nicht die in vielen Publikationen genannte "Zivilopfer-Quote" von 90 % anwendet, sondern nur von 80% ausgeht, kommt man auf fast 100.000 Todesopfer allein in den letzten 3 Jahren des in Afghanistan bereits über 15 Jahre andauernden Krieges - also auf noch weit mehr Todesopfer als die im IPPNW-"Body Count" geschätzten 220.000 Toten bis 2013.

Zugleich zeigen die in der Anlage zur Antwort angegebenen Flüchtlingszahlen zu Afghanistan: Nach anfänglichem Abfall auf 574 Asylanträge im Jahr 2007 ist diese Zahl auf fast 32.000 im Jahr 2015 angestiegen. Zugleich blieb die sogenannte "Gesamt-Schutzquote" seit 2013 bei gut 47% stabil. Analog zum Irak muss aufgrund dieser regierungsamtlichen Zahlen auf eine erheblich verschlechterte Menschenrechts- bzw. Sicherheitslage in Afghanistan nach über 15 Jahren Krieg geschlossen werden.

Fazit: Die Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW, Trägerin des Friedensnobelpreises 1985) fordert von Bundesregierung und Bundestag die Achtung des höchsten Menschenrechts: des Rechts auf Leben. Die fortgesetzte Beteiligung am sog. "Krieg gegen den Terror" ist aus den genannten Gründen hiermit unvereinbar. Dieser Krieg und die deutsche Beteiligung daran sind daher unverzüglich zu beenden.

Quelle:  IPPNW - 24.01.2017.

Fußnoten

Veröffentlicht am

25. Januar 2017

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