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Frau von der Leyen ist aus dem Häuschen: Aufrüstung mit Anti-Trump-Argumenten

Von Mohssen Massarrat - Kommentar

Die deutsche Verteidigungsministerin, Frau von der Leyen, ist in letzter Zeit regelrecht aus dem Häuschen. In jedem Interview verkündet sie mit fröhlicher Mine, "es ist jetzt ganz klar, wir müssen die Verteidigungsausgaben erhöhen." Tatsächlich kann sie jetzt mit machtvollen Argumenten aus den USA im Gepäck in Merkels Kabinett um einen dickeren Anteil aus dem Haushaltskuchen schachern. Man kann - sollte von der Leyen im Kabinett die Kanzlerin und alle anderen auf ihre Seite ziehen - schon jetzt erraten, an welcher anderen Stelle Finanzminister Schäuble kürzen würde, um seine schwarze Null zu halten: aller Wahrscheinlichkeit nach bei den Sozialleistungen.

Was ist aber geschehen und warum glaubt die Verteidigungsministerin, endlich mit einer satten Steigerung der Militärausgaben punkten zu können? Donald Trump hat nämlich bis jetzt keine Gelegenheit ausgelassen, um den Europäern mit der Neuaufteilung der Lasten in der Nato zu drohen. Auf diese Drohung glaubt die Verteidigungsministerin, mit mehr Geld für die Rüstung reagieren zu müssen, um die militärische Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten, so die Argumentation der Verteidigungsministerin und ihre Kollegen von anderen EU Staaten, zu reduzieren.

Weniger Abhängigkeit von den USA? Gut so. Wie sollten aber bitteschön Deutschland und Europa ihre militärische Abhängigkeit von den USA verringern? Etwa indem man anfängt, mit mehr Panzern, Flugzeugen, Fregatten und mit mehr Soldaten aufzurüsten? Wie umfangreich sollten dann diese Aufrüstung und die Kosten dafür sein, damit die angebliche militärische Unabhängigkeit erreicht wird? Ist sich die Verteidigungsministerin überhaupt darüber im Klaren, mit welch unausgegorenen Ideen sie daherkommt? Oder hält sie ihre Kabinettskollegen und -kolleginnen und die Öffentlichkeit für so wenig intelligent, dass sie meint, im Nebel der Unwissenheit stochern zu können.

Das gegenwärtige transatlantische "Sicherheitssystem" vorausgesetzt, wäre ein bisschen Aufrüstung, um die militärische Abhängigkeit zu reduzieren, genau so absurd wie ein bisschen Schwangerschaft. Denn solange Deutschland und Europa sich Pentagons Bedrohungsanalyse - Europa würde durch die russischen Nuklearwaffen bedroht - zu eigen machen, und solange sie vor diesem Hintergrund in das nordatlantische "Sicherheitssystem", einschließlich der nuklearen Waffensysteme, eingebettet sind, können sie beide, Europa und Deutschland, ihre militärische Abhängigkeit so gut wie überhaupt nicht verringern, selbst wenn sie ihre Militärausgaben verdoppelten.

Die Aufrüstungspläne der Verteidigungsministerin und manche ihrer EU-Mitstreiter enden also "sicherheitspolitisch" in nichts anderem als in einer Sackgasse - einer ziemlich teuren sogar. Sie können ausschließlich die Kassen der euro-amerikanischen Rüstungsindustrie füllen. Vielleicht stammt ja auch Trumps Idee mit seiner Drohung aus dem Umfeld des US-militärisch-industriellen Komplexes, weil man dort die EU-politische Elite vielleicht für so Amerika-hörig und es deshalb für möglich hält, dass sie auf diesen Trick hereinfällt. Sollte aber Frau von der Leyen und die Bundesregierung eine echte "sicherheitspolitische" Reduzierung deutscher Abhängigkeit wirklich wollen, dann gäbe es dazu durchaus effektivere Wege, die im Grunde auch keinen Cent kosteten:

Erstens sollten die 20 US-Atombomben, die immer noch in Deutschland stationiert sind, vom deutschen Territorium ganz abgezogen werden. Denn diese auf russische Städte programmierten Atombomben haben einzig die Funktion, von der russischen Seite als eine substanzielle nukleare Bedrohung der Nato, die vom deutschen Boden ausgeht, wahrgenommen zu werden, weshalb sie auch gezwungen ist, auf dem russischen Territorium ein entsprechendes nukleares Potenzial, das gegen deutsche Städte gerichtet ist, aufzubauen. Möglicherweise haben wir in Deutschland noch nicht wahrgenommen, dass wir mit diesen Atombomben ohnehin nicht mehr Sicherheit einhandelten, sondern uns buchstäblich zur nuklearen Geisel der USA gemacht haben. Ein Abzug dieser Atombomben könnte also Deutschland und ganz Europa von den nuklearen Fesseln befreien, die Deutschland mit Bedacht auferlegt wurden und Russland zur Aufrüstung entsprechender Systeme veranlassten. Ein Abzug der US-Atombomben müsste eigentlich auch Trump entgegen kommen, der seine Bereitschaft öffentlich kundgetan hat, mit Russland zu kooperieren.

Zweitens wäre es nicht nur möglich, sondern endlich an der Zeit, von Seiten Deutschlands und der EU die Aufnahme von Abrüstungsverhandlungen zwischen Nato und Russland anzuregen, die vor vielen Jahren leichtfertig und mit fadenscheinigen Begründungen seitens der Nato abgebrochen wurden. Auch ein solches Ansinnen müsste eigentlich bei Trump auf offene Ohren stoßen, wenn ihm die Reduzierung der US-Ausgaben für die Nato wirklich ein Herzensanliegen ist.

Drittens kann auch die alte Idee des gemeinsamen europäischen Hauses, die bereits von der KSZE anvisiert und von Gorbatschow vehement in den Vordergrund künftiger Ost-West-Beziehungen gestellt worden war, wieder aufgegriffen werden. Hätten wir nicht deutlich mehr Sicherheit in Europa und sogar bei geringerem finanziellen Aufwand, wenn die EU die Idee einer gemeinsamen europäischen Sicherheit ins Spiel brächte und auch sehr ernsthaft mit Russland darüber streiten würde, um eine Abrüstung der nuklearen Bedrohungspotenziale in Europa vorerst auf ein Niveau zu reduzieren, das eine nukleare Bedrohung von allen Seiten, weder von der russischen noch von der europäischen, ausschlösse? Diese und weitere Ideen zu einer Verringerung der militärischen Abhängigkeit der EU von den USA berühren zwar transatlantische Tabus, hinter denen sich in Wahrheit jedoch die Interessen des militärisch-industriellen Komplexes verbergen. Sie aber trotzdem jetzt in Frage zu stellen, wäre ein Gebot der friedenspolitischen Vernunft. Wenn nicht jetzt, wann denn?

Dieser Text wird hier mit freundlicher Genehmigung von Mohssen Massarrat veröffentlicht.

Veröffentlicht am

11. Dezember 2016

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