Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Gewaltfreie Aktionen in unserer Zeit anhand aktueller Beispiele

Im Rahmen eines Gandhi-Wochenendes vom 04.-06.11.2016 in Lahr, das in Kooperation von Friedensforum, NABU und ev. Kirchengemeinden Lahr veranstaltet wurde, zeigte Klaus Schramm Beispiele gewaltfreier Aktionen in den Politik-Feldern Atomenergie, Atomwaffen und Klimaschutz auf. Er berichtete von den Sitzblockaden gegen CASTOR-Transporte im Wendland, von den beiden Besetzungen des Braunkohle-Tagebaus in nordrhein-westfälischen Garzweiler und in der Lausitz, von gewaltfreien Aktionen am rheinland-pfälzischen Atomwaffen-Standort Büchel und vom gewaltfreien Kampf der US-amerikanischen Plowshare-Bewegung.

Zu Beginn des ersten Teils seines Vortrags erläuterte Klaus Schramm in wenigen Stichworten, warum der Salzstock Gorleben nicht als Endlager für hochradioaktiven Atom-Müll geeignet ist.

Von Klaus Schramm

  • Das ehemalige Kali- und Salz-Bergwerk Asse II wurde ab 1965 von der Bundesregierung als Versuchs-Endlager eingerichtet. Es diente nach offiziellen Angaben dem Zweck, die Einlagerung von radioaktivem Müll in Salz zu testen und so letztlich den Beweis für die Tauglichkeit des Salzstocks Gorleben als atomares Endlager zu liefern. ExpertInnen des industrienahen ‘Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit’, hatten über viele Jahre hin behauptet, die Langzeitsicherheit von Asse II sei gewährleistet und ein ehemaliges Salzbergwerk sei "absolut sicher". Im Jahr 2007 wurde bekannt, dass bereits seit 1988 Wasser in die Stollen von Asse II eindringt. Der Zufluss hat sich auf insgesamt zwölfeinhalb Kubikmeter pro Tag ausgeweitete. Über Jahre hin war die Tatsache von Seiten des Betreibers geleugnet worden. Dabei war vor Ort schon lange bekannt, dass die beiden benachbarten Schächte Asse I und Asse III bereits abgesoffen waren. Von dem weniger als zehn Kilometer entfernten Salzbergwerk Hedwigsburg war nach einem Wassereinbruch nur noch ein wassergefüllter Krater übrig geblieben.
  • Stichwort: "Deckgebirge". Mit diesem geologischen Fachbegriff wird eine Gesteins- oder Tonschicht bezeichnet, die den Salzstock nach oben gegen die grundwasserführenden Schichten abschirmt. Eine der wichtigsten Anforderungen, die ursprünglich als unabdingbar für die Auswahl zu einem Endlager angesehen wurden, galt, dass das Lager trocken sein müsse und keinen Kontakt zum Grundwasser aufweisen dürfe. Als eine der wesentlichen Anforderungen an ein atomares Endlager galt daher ein Mehrbarrieren-System. Es wurde aber festgestellt, dass ein eiszeitlicher Gletscher über den Gorlebener Salzstock hinweggehobelt und dabei einen großen Teil des Deckgebirges zerstört hat, so dass der tektonisch nach oben aufgewölbten Hut des Salzstocks in Verbindung mit grundwasserführenden Schichten steht.
  • Stichwort: "unverritzt". Auch hierbei handelt es sich um einen geologischen Fachbegriff. Eine der ursprünglich genannten unbedingten Anforderungen an einen Salzstock, der als Atommüll-Endlager geeignet wäre, besagte, dieser dürfe nicht bereits - etwa durch Bohrungen - Kontakt mit der Biosphäre haben. Nun ist der Gorlebener Salzstock jedoch mehrfach angebohrt. Der Salzstock reicht unter der Elbe hindurch, ins ehemalige DDR-Gebiet. Bei einer auf DDR-Gelände im Jahr 1969 vorgenommenen Tiefbohrung in den Salzstock kam es zu einer schweren Explosion von Erdgas, bei der ein Arbeiter getötet und mehrere schwer verletzt wurden. Auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) räumt ein, dass mit Erdgas-Vorkommen zu rechnen ist.

Dies sind nur drei von etlichen gewichtigen Argumenten, die dagegen sprechen, dass der Gorlebener Salzstock als Atommüll-Endlager geeignet wäre.

Die CASTOR-Transporte nach Gorleben begannen im April 1995 - zunächst mit nur einem CASTOR-Behälter.

I. Sitzblockaden gegen CASTOR-Transporte im Wendland

Im März 1997 gab es die ersten positiven Erfahrungen mit einer gut vorbereiteten gewaltfreien Blockade-Aktion im Wendland.

In Dannenberg blockierten rund 9.000 Menschen 52 Stunden lang die Transportstrecke. Die Polizei benötigte neun Stunden, um die Straße zu räumen. Die Bilder vom Aufeinandertreffen staatlicher Gewalt und der kraftvollen Gewaltfreiheit der BlockiererInnen gingen um die Welt. Dies trug dazu bei, dass unter der "schwarz-gelben" Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl und der damaligen sogenannten Umwelt-Ministerin Angela Merkel kein weiterer CASTOR-Transport nach Gorleben durchgeführt wurde.

Als sich im Jahr 2000 abzeichnete, dass unter "Rot-Grün" die CASTOR-Transporte nach Gorleben wieder aufgenommen würden, organisierte ‘X-tausendmal-quer’ in ganz Deutschland Trainings in gewaltfreier Aktion. Diesen - meist an einem Wochenende über einen ganzen Tag veranstalteten - gewaltfreien Trainings wurden von eigens ausgebildeten Leuten durchgeführt.

In einer der ersten Ankündigungen zu solchen Trainings in gewaltfreien Blockaden hieß es:

"Diese große Aktion mit X-tausend Menschen muss gründlich geplant werden. Auch die einzelnen TeilnehmerInnen sollten sich nicht erst kurz vor dem Transporttag damit beschäftigen, was auf sie zukommt. Gute persönliche Vorbereitung, am besten in einer Gruppe, ist notwendig, damit keine/r alleine planlos Platz nehmen muss. Zivilcourage und Selbstsicherheit sind lernbar. Mut wächst aus Erfahrung. Erfolgreiches Blockieren ist organisierbar, wenn mensch rechtzeitig anfängt, sich zu kümmern. Deshalb bieten wir zur Vorbereitung von "X-tausendmal quer - überall" Trainings in Gewaltfreier Aktion an.

Die Castor-Blockade soll eine Mitmach-Blockade werden. Letztendlich werden nur dann X-tausende auf Straße oder Schiene gehen, wenn alle die verbleibende Zeit bis zum nächsten Castor-Alarm nutzen, um im ganzen Bundesgebiet in vielen gesellschaftlichen Gruppen für die Teilnahme an der Aktion zu werben. Die ganze Aktion wird in möglichst basisdemokratischen, dezentralen und für alle offenen Strukturen vorbereitet. Sie kann nur gelingen, wenn sich viele an der Verbreitung dieses Aufrufs, an der konkreten Aktions-Vorbereitung, an der Finanzierung der Kampagne und an den vielfältigen organisatorischen Aufgaben beteiligen."

Unter einem Training in gewaltfreier Aktion dürft ihr Euch kein theoretisches Seminar mit Vorträgen über verschiedene Aspekte der Gewaltfreiheit und deren Grundlagen vorstellen. Um die Theorie geht es meist nur kurz in einer Einführung. In der Hauptsache besteht das Training in gemeinsamen praktischen Übungen und Rollenspielen - gelegentlich getrennt in zwei Gruppen, bei denen die eine den Part der Polizei übernimmt. Dies hilft dabei, sich auch in die Person eines Polizisten / einer Polizistin besser hineinversetzen zu können. Es geht dabei auch beispielsweise darum: Wie gehe ich mit meiner Angst um? Wie reagiere ich, wenn ich angefasst, getragen, wenn ich auf den Boden geworfen werde? Wie gehe ich damit um, wenn ich Aggressivität bei mir selbst spüre?

Die Bildungs- und Begegnungsstätte ‘Kurve Wustrow’ im Wendland hat zur Beschreibung der von ihr angebotenen Trainings für gewaltfreie Aktion folgende Fragen formuliert:

  • was bedeutet aktive Gewaltfreiheit?
  • wie kannst du gewaltfreie Aktionsformen sinnvoll umsetzen?
  • was solltest du im Vorfeld bedenken?
  • wie kannst du innerhalb der Gruppe schnell gemeinsame Entscheidungen treffen?
  • wie kannst du mit Wut und Angst in der Gruppe umgehen?
  • was ist gesetzlich erlaubt und was verboten?
  • welche gewaltfreien Handlungsmöglichkeiten hast du bei einer polizeilichen Räumung?
  • wie schützt du dich vor Verletzungen?
  • wie kannst du deeskalierend handeln?
  • wie kannst du mit Festnahme, Gewahrsam oder Anzeige umgehen?

Trainings in gewaltfreier Aktion werden beispielsweise auch von der ‘Werkstatt für gewaltfreie Aktion, Baden’ angeboten. Diese kann über ihr Büro in Freiburg oder übers Internet kontaktiert werden.

‘X-tausendmal-quer’ hatte für März 2001 in Absprache mit anderen Widerstandsgruppen aus dem Wendland - beispielsweise der ‘Bäuerlichen Notgemeinschaft’, die Trecker-Blockaden der Landstraßen organisierte - die Bahnlinie zwischen Lüneburg und Dannenberg übernommen. Diese Bahnstrecke ist für den Transport der CASTOR-Behälter auf Spezial-Waggons vorgesehen und wird rechtzeitig vor dem Transport-Termin von den Behörden für den öffentlichen Schienen-Verkehr gesperrt. Am Streckenpunkt Windisch Evern bereitete ‘X-tausendmal-quer’ die Aktionsform der großen gewaltfreien Sitzblockade auf den Schienen vor. Dort gab es - im von der Polizei geforderten Abstand zur Schienenstrecke - ein Aktions-Camp von ‘X-tausendmal-quer’. Die TeilnehmerInnen hatten sich in Kleingruppen auf die Sitzblockade vorbereitet. Zum Grundkonsens gehörte, sich nicht mit Gewalt gegen das Wegtragen von den Schienen zu wehren.

Am 12. Februar 2001 hatten die Umweltverbände Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und ROBIN WOOD in Berlin gemeinsam mit X-tausendmal quer und den Bürgerinitiativen Ahaus und Lüchow-Dannenberg der Einladung des sogenannten Umweltministers Jürgen Trittin zu einem Gespräch über die bevorstehenden CASTOR-Transporte eine Absage erteilt. Die Atommülltransporte stünden bereits fest und es gebe keinen Verhandlungsspielraum mehr.

Renate Backhaus, atompolitische Sprecherin des BUND-Bundesvorstands sagte: "Die Castor-Transporte von La Hague nach Gorleben dienen nicht dem Atomausstieg, sondern sorgen im Gegenteil für den Weiterbetrieb der gefährlichen Atomreaktoren. Deshalb müssen wir diese Transporte verhindern. Wir lassen uns auch von einer rot-grünen Bundesregierung nicht unsere Proteste gegen den Atom-Nonsens verbieten und rufen alle auf, sich daran zu beteiligen. Für uns ist und bleibt der sofortige Ausstieg aus der Atomkraft unabdingbar."

Hier einige Impressionen von den CASTOR-Blockaden im November 2006:

Samstag, 11. November

1 Uhr 25 - Französische Anti-Atom-AktivistInnen halten den CASTOR-Zug bei Serqueux für 1 Stunde und 40 Minuten auf. Sie hatten Strohpuppen und ein Transparent auf den Gleisen platziert. Von rund 10 DemonstrantInnen werden 5 festgenommen.

Später zwei weiteren Aktionen: Laut Polizei wurden Netze auf die Schienen geworfen. Gegen 8 Uhr morgens hat der CASTOR-Zug bereits rund 2 Stunden Verspätung zum veröffentlichten Fahrplan.

13 Uhr - Lokwechsel in Conflans: über 3 Stunden Verspätung.
Die französische Polizei ist sehr nervös und verteilt falsche Informationen.

Die Situation im Wendland

Entlang der Straßen stehen an fast jedem Haus und Hof die gelben Kreuze in Form eines X - oft zwei Meter hoch. Häufig ist das Anti-CASTOR-X auch in Fenstern zu sehen. Die oft bis an den Horizont reichenden Kolonnen von Polizei-Einsatzwagen (VW-Bullys oder sogenannte Wannen) auf den Landstraßen prägen das Bild eines Landes im Besatzungszustand. Eine Frau an der Kasse eines Supermarkts in Dannenberg spricht BesucherInnen, die mit süddeutschem Akzent auffallen, an und dankt für die Unterstützung gegen den CASTOR. Gemeindesäle beider christlicher Konfessionen stehen für DemonstrantInnen offen, dutzende Schlafsäcke und Rucksäcke sind bereits für die Übernachtung deponiert, Kaffee und Verpflegung werden auf Spendenbasis angeboten.

Fast ohne Ausnahme zeigt sich die wendländische Bevölkerung den auswärtigen DemonstrantInnen gegenüber gastfreundlich. Die Polizei bekommt dagegen nicht selten zu hören: "Wir sind friedlich, aber nicht zu jedem freundlich. Ihr seid hier nicht erwünscht."

13 Uhr in Gorleben - Die Auftaktkundgebung beginnt. 7000 bis 8000 Menschen nehmen teil. Die Demo zieht in Begleitung von rund 200 Treckern zum Zwischenlager Gorleben. Das Wetter ist nicht so kalt wie in den vorangegangenen Jahren und zwischen gelegentlichen Schauern klart der Himmel während der Demo auf und die Sonne zeigt sich.

"Der Druck von der Straße gegen ein unverantwortbares Endlager im maroden Gorlebener Salzstock wird nicht aufhören", erklärt ein Sprecher der BI Umweltschutz Lüchow Dannenberg. "Wir fordern die Bundesregierung auf, den Standort endlich zu schließen. Die Polizei darf nicht zur Durchsetzung rein finanzieller Interessen der Atomindustrie auf die Bevölkerung gehetzt werden!"

Sonntag, 12.11.06

10 Uhr 09 - CASTOR erreicht Lüneburg. Dort muss er umrangiert werden für die letzte Schienenstrecke bis Dannenberg
10 Uhr 42 - CASTOR verlässt Lüneburg
11 Uhr 30 - Zur "Stuhlprobe" in Dannenberg werden von der Polizei nur 100 Leute zugelassen. Im vergangenen Jahr hatten sich über 150 Mitglieder der "Grauen Zellen", einer Gruppe von Atomkraft-GegnerInnen über 60, bei dieser Aktion beteiligt.
12 Uhr 02 - CASTOR bei Dahlenburg
12 Uhr 21 - CASTOR fährt bei Oldendorf unter der Brücke durch. Die Strecke ist ab Lüneburg durch durchgehende Polizeiketten nördlich und südlich entlang des Gleises gesichert.
12 Uhr 33 - CASTOR steht kurz hinter der Oldendorfer Brücke bei Bahn-Kilometer 199
12 Uhr 48 - Robin-Wood-AktivistInnen befinden sich auf Bäumen beim Bahnhof Leitstade. Zwei von ihnen haben sich an einem quer über den Schienen gespannten Seil mit Sicherungsgurten fixiert.
13 Uhr 43 - Der CASTOR setzt sich wieder in Bewegung
13 Uhr 52 - Bei Harlingen können BlockiererInnen immer wieder auf die Schienen gelangen. Sie werden von der Polizei immer wieder herunter getragen.
13 Uhr 58 - Der Polizei gelingt es, die AktivistInnen von Robin Wood abzuseilen. Der CASTOR-Zug passierte die Stelle erst, nachdem die AktivistInnen aus dem Seil geholt waren; seine Weiterfahrt verzögerte sich um etwa zwei Stunden.
14 Uhr 50 - CASTOR bei Harlingen - kurzer Stop
Auf der restlichen Schienenstrecke, die streckenweise von doppelten Polizeiketten gesichert ist, kann der CASTOR nicht mehr aufgehalten werden. Die Polizei geht punktuell völlig ohne Anlass und ruppig vor: Polizeiketten werden ohne die sonst auch bei Blockaden vorgeschriebenen Ankündigungen vorgeschoben und DemonstrantInnen unter Schubsen zur Eile gedrängt. Hierbei kommt es jedoch glücklicherweise nicht zu Verletzungen. Der CASTOR-Zug erreicht Dannenberg gegen 15 Uhr 30. Allein für die Strecke zwischen Wörth bis nach Dannenberg benötigte er mehr als 20 Stunden. Einige Stunden mehr als 2005.

CASTOR-Zug bei Dannenberg

Der erste CASTOR-Behälter wird zwischen 16 Uhr und 16 Uhr 45 verladen. Es ist damit zu rechnen, dass der Straßentransport auf Tiefladern noch in der Nacht gegen 23 Uhr beginnt.

Bei einer Kundgebung in Splietau freute sich die BI Umweltschutz Lüchow Dannenberg über die vielen verzögernden Protest-Aktionen entlang der CASTOR-Schienenstrecke. Bis Sonntag abend nahm die Polizei nach Auskunft des Amtsgerichts Dannenberg - zuständig für die gesamte Region - nur insgesamt vier Personen in Gewahrsam. Dies steht in deutlichem Gegensatz zu der anfänglich von der Polizei beklagten "Härte des diesjährigen CASTOR-Protests". Davon wurden zwei nach richterlicher Anhörung, zwei andere nach Einfahrt des Zuges in die Umladestation Dannenberg freigelassen. Und: So wenige Ingewahrsamnahmen gab es bei keinem der bislang 10 CASTOR-Transporte nach Gorleben seit 1995.

Montag, 13.11.06

In der Nacht von Sonntag auf Montag konnte die Bäuerliche Notgemeinschaft vier erfolgreiche Ankett-Aktionen realisieren. Es begann in Klein Gusborn an der Südstrecke. Auf der Esso-Wiese in Dannenberg hatte es gerade noch geheißen, es sei sinnvoll, sich nach Klein Gusborn zu begeben - dort sei eine Aktion zu erwarten. Dort angekommen, konnte zunächst lediglich die Polizei dabei beobachtet werden, wie sie - offenbar ebenfalls informiert - im Dunkeln tappte. Doch plötzlich befand sich am Ortseingang eine gelbe Pyramide mitten auf der Straße. Die Bauern hatten diesmal nicht Trecker eingesetzt, sondern Gabelstapler, mit denen sie die Pyramiden - auch auf der Nordstrecke bei Langendorf - auf die Straße hievten und dort mit speziellen Dübeln in Windeseile verankerten. Zugleich ketteten sich insgesamt zwölf Mitglieder der Bäuerlichen Notgemeinschaft an, die Arme tief in die gelben Beton-Pyramiden gesteckt.

Der Startschuss für die Ankett-Aktionen kam aus Klein Gusborn. Dort stand die erste Pyramide um 19 Uhr 22 auf der Landesstraße 256. In Langendorf tauchte der gelbe Klotz, verziert mit den Firmenlogos der vier Energie-Konzerne und AKW-Betreiber E.on, RWE, Vattenfall und EnBW kurz nach 21 Uhr auf. "Wie aus dem Nichts", wie es ein Polizist formulierte. Die letzte der drei Pyramiden, die in Splietau, stand gegen Mitternacht auf der Straße, wie die anderen verziert mit einem kleinen, grünen Modell-Trecker auf der Spitze.

Bei der Durchsetzung des CASTOR-Transports nach Gorleben im Jahr 2006 waren wie im vorangegangenen Jahr allein in Niedersachsen 16.000 BeamtInnen im Einsatz - für die Interessen der Atom-Industrie. Der Einsatz kostete das Land Niedersachsen erneut rund 20 Millionen Euro. Wichtig ist es festzuhalten, dass der Widerstand gegen die CASTOR-Transporte nach Gorleben in den Jahren 2001 bis 2006 stark zugenommen hat. Auffallend war besonders die große Zahl jugendlicher TeilnehmerInnen. Im Herbst 2010 mit dem sogenannten Ausstieg aus dem Atom-Ausstieg bestätigte sich das Motto "Atom-Ausstieg ist Handarbeit!" Es wird immer deutlicher, dass nur so ein Ausstieg aus der Atomenergie nach dem Vorbild Italiens und Österreichs auch in Deutschland herbeigeführt werden kann.

II. Gewaltfreie Besetzungen des Braunkohle-Tagebaus Garzweiler im August 2015

Was viele Menschen nicht wissen: Die Verstromung von Braunkohle ist die eine der klimaschädlichsten überhaupt. Pro Kilowattstunde erzeugtem Strom bläst ein Braunkohle-Kraftwerk 1.228 Gramm des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre. Selbst ein Steinkohle-Kraftwerk liegt mit 938 Gramm CO2 pro Kilowattstunde deutlich darunter. Kohle wird in Deutschland mit jährlich rund 13 Milliarden Euro ähnlich hoch wie Atomenergie (11 Milliarden Euro pro Jahr) subventioniert - die erneuerbaren Energien dagegen wurden in den vergangenen Jahren mit Hilfe einer beispiellosen Kampagne in den Mainstream-Medien verleumdet und für die Strompreis-Erhöhungen verantwortlich gemacht.

Eine Studie im Auftrag von drei großen deutschen Umweltschutz-Organisationen aus dem Jahr 2014 belegt: Unter den ersten fünf europäischen Kraftwerken mit dem höchsten Ausstoß von Kohlendioxid befinden sich vier deutsche Braunkohle-Kraftwerke - Neurath und Niederaußem des Energie-Konzerns RWE sowie Jänschwalde und Boxberg des Energie-Konzerns Vattenfall.

Und laut einer im Jahr 2013 von Greenpeace veröffentlichten Untersuchung gehen rund 3.100 vorzeitige Todesfälle in Europa auf das Konto deutscher Kohlekraftwerke.

Allein für den Braunkohle-Tagebau Garzweiler in Nordrhein-Westfalen mussten bereits 7.600 Menschen in 12 Ortschaften umgesiedelt werden. Für weitere fünf Orte im Raum Erkelenz mit 1.600 EinwohnerInnen ist die Umsiedlung ebenfalls beschlossen.

In der Lagerstätte Garzweiler II liegen in bis zu 210 Metern Tiefe insgesamt 1,3 Milliarden Tonnen Braunkohle. Rund 40 Millionen Tonnen pro Jahr will RWE dort noch bis 2045 abbaggern.

Im August 2015 gelang dem Bündnis ‘Ende Gelände’ mit der neuen Aktionsform der Besetzung eines Braunkohle-Tagebaus ein großer Erfolg. Ein Mitglied des RWE-Betriebsrats schildert: "Rund 70 Aktivisten kletterten am Tagebaurand hinunter, liefen auf die Bagger zu. Polizisten konnten einige aufhalten, andere kamen durch. Von der anderen Seite an den Förderbändern näherte sich eine weitere Gruppe mit etwa 30 Menschen."

Am Samstag, 15. August 2015, in der Frühe, hatten viele hundert Menschen versucht auf das nicht eingezäunte, weitläufige Gelände des Braunkohle-Tagebaus Garzweiler II zu gelangen. Im Internet und auf Flugblättern hatten UmweltaktivistInnen zuvor dazu aufgerufen, sich für den Kohle-Ausstieg zu engagieren. "Ende Gelände" hieß die Aktion, mit denen mehrere Organisationen dazu aufriefen, die Bagger zu stoppen.

Einige Impressionen vom Aktionstag:

10:00 - Die Polizei hat die beiden Blockaden erreicht. Während zwei Kletter-AktivistInnen die Sicht genießen, diskutiert die Polizei ihr Vorgehen.
10:30 -Die Räumung der zweiten Blockade hat begonnen. Mittlerweile sind 10 Polizei-Kleinbusse vor Ort und die Polizei hat die Stelle abgeriegelt. Die beiden Personen, welche die BlockiererInnen versorgt haben, wurden von der Blockade weggeführt.
10:40 - Vier Menschen haben sich mit Lock-ons festgekettet und verzögern so die Räumung.
11:40 - In der Nähe des Ortes Borschemich haben rund 80 AktivistInnen einen Schaufelradbagger blockiert. Sie planen länger zu bleiben. Eine Hundertschaft ist auf dem Weg zur Blockade.
12:00 - Vor dem blockierten Schaufelradbagger haben sich 15 Menschen mit Lock-ons angekettet.
Insgesamt sind etwa 60 Menschen vor dem Bagger und 20 im Loch neben ihm. Die Polizei hält sich zurück, lässt aber niemanden ohne Presseausweis zur Blockade.
12:30 - Neun AktivistInnen haben es auf den Bagger geschafft. Außerdem gibt es Sambamusik bei der Blockade
13:00 - Es gibt die ersten Bilder von den Blockaden der Kohlezüge.

Laut Guido Steffen, Pressesprecher bei RWE, liefen am Samstag Mittag nur vier von sechs Baggern im Tagebau Garzweiler.

Zunächst sprach die Polizei von rund 250 Personen im Tagebau, am Samstagabend wurde die Zahl dann auf 600 erhöht. Am Sonntag, als die offizielle Zahl bekanntgegeben wurde, stand fest, dass es 805 Menschen in den Tagebau geschafft hatten. 797 Strafanzeigen wurden gestellt. Tatsächlich hatten sich über tausend Menschen an der gewaltfreien Aktion beteiligt. An einzelnen Stellen ging die Polizei - sobald sie sich unbeobachtet wähnte - gewaltsam gegen die AktivistInnen vor. Mona Bricke, Pressesprecherin des Aktions-Bündnisses ‘Ende Gelände’ erklärte dazu: "Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Polizei mit Stöcken und Tränengas auf die Demonstranten losgegangen ist. Es gab mehrere Verletzte." Wolfgang Spelthahn, der Landrat von Düren der die Verantwortung für den Polizeieinsatz in Garzweiler trägt, hatte übrigens sein RWE-Aufsichtsrats-Mandat erst Ende Juli niedergelegt - nach eigener Aussage, um einem Interessenkonflikt vorzubeugen.

Die Besetzung des Braunkohle-Tagebaus in der Lausitz

Vom 13. bis 16. Mai 2016 fand in der Lausitz unter dem Titel "Ende Gelände" die zweite Massen-Blockade eines Braunkohle-Tagebaus statt. Die Lausitz ist eine Region im Süden Brandenburgs und im Osten Sachsens.

Seit 1962 erfolgt der Braunkohle-Tagebau im Lausitzer Braunkohle-Revier an der Grenze der Bundesländer Brandenburg und Sachsen auf einer Fläche von 90 Quadratkilometern. Bis heute wurden 136 Ortschaften vernichtet und einmalige Naturlandschaften gingen für immer verloren.

Vom Aussterben bedrohte Arten wie etwa die Rotbauchunke werden in der Lausitz unter Beihilfe der Parteien-Politik durch den Braunkohle-Abbau ausgelöscht.

Bei der "Sanierung" der durch den Braunkohle-Abbau entstandenen Mondlandschaften werden - etwa in Brandenburg - die Gruben mit Wasser gefüllt und hübsch anzusehende Seen zurückgelassen, die allerdings so stark übersäuert sind, dass darin kein Fisch überlebt.

Nachdem immer offenkundiger wird, dass die Versprechen der PolitikerInnen auf dem Klima-Gipfel COP21 in Paris im vergangenen Jahr - ebenso wie bei den vorangegangenen zwanzig Klima-Gipfeln - nur wieder leere Versprechungen waren, stellt sich für immer mehr Menschen die Frage, wie die weitere Zerstörung unseres Planeten durch den unverminderten Ausstoß von Klimagasen verhindert werden kann. Die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre in Deutschland zeigt, dass allein durch den Ausbau der erneuerbaren Energien keine - Null - Reduktion der Kohle-Verstromung und des Ausstoßes an Kohlendioxid erreicht werden kann. Das zeigt die offizielle Statistik.

"Wenn wir die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels verhindern wollen, dann müssen wir jetzt aus der Kohle aussteigen," sagt Hannah Eichberger von ‘Ende Gelände’. "Die Dringlichkeit der Lage erfordert ein starkes Signal. Deshalb wählen wir zivilen Ungehorsam als Aktionsform. Unsere Aktion ist so gestaltet, dass auch Menschen ohne Aktions-Erfahrung teilnehmen können. Dabei hat die Sicherheit aller Beteiligten und der Mitarbeiter im Tagebau höchste Priorität."

Bereits am Sonntag, 15. Mai, konnten die mehr als 3.500 AktivistInnen am Braunkohle-Kraftwerk Schwarze Pumpe einen großartigen Erfolg feiern:
Den Abschluss einer 24-stündigen Blockade. Sowohl der Abbau der Braunkohle konnte durch die Besetzung der gigantischen Schaufelrad-Bagger gestoppt als auch das Kraftwerk vom Kohle-Nachschub getrennt werden.

"Das Aktions-Wochenende hat alle unsere Erwartungen übertroffen," sagte Hannah Eichberger. Mehr als 3.500 Menschen aus etwa 12 Ländern waren auf dem Klimacamp. Freitag und Samstag haben sich jeweils mehr als 2.000 Menschen an der Aktion zivilen Ungehorsams beteiligt und haben so gezeigt, dass sie den Kohle-Ausstieg selbst in die Hand nehmen. Mindestens drei Schienen-Verbindungen, über die Braunkohle zum Kraftwerk Schwarze Pumpe transportiert wird, konnten blockiert werden. Allerdings war es einer Spezial-Einheit der Polizei am Nachmittag gelungen, eine Blockade per Beton-Block, die die Umwelt-Organisation Robin Wood organisiert hatte, mit schwerem Gerät zu beseitigen. Da die Polizei hierbei jedoch die Schienen zersägte, konnte die Werksbahn weiterhin keine Kohle über diese Strecke transportieren.

Nach Angaben der OrganisatorInnen verlief die Aktion weitgehend ruhig, gut organisiert und besonnen. Die beteiligten Gruppen hatten sich intensiv auf die Aktion vorbereitet. In einem Aktions-Konsens vereinbarten sie, entschlossen die Kohle-Infrastruktur zu blockieren, aber keine Menschen zu gefährden. Eichberger: "Der Aktions-Konsens war sämtlichen Bezugsgruppen bewusst und wurde auch in angespannten Situationen und bei großer Übermüdung beeindruckend konsequent umgesetzt." Viele hatten die Nacht außerhalb ihrer Zelte in der Kälte verbracht, um die Blockade volle 24 Stunden aufrechtzuerhalten.

III. Gewaltfreie Aktionen gegen die Atomwaffen im rheinland-pfälzischen Büchel

Immer wieder muss daran erinnert werden, dass das Überleben der Menschheit an einem seidenen Faden hängt, solange weltweit Atomwaffen abschussbereit vorgehalten werden. Entgegen all seinen Versprechungen stellte US-Präsident Barack Obama insgesamt 80 Milliarden US-Dollar für die Modernisierung der US-amerikanischen Atomwaffen zur Verfügung. Zwanzig Atombomben mit einer Sprengkraft von 600 Hiroshima-Bomben befinden sich nach wie vor - entgegen einem Beschluss des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2010 - im rheinland-pfälzischen Büchel. Die Bundeswehr übt den Abwurf der Bomben im Rahmen der nuklearen Teilhabe der NATO.

Im August 2008 demonstrierten 2000 Menschen in Büchel. 26 DemonstrantInnen wurden nach Polizeiangaben vorläufig festgenommen - darunter auch drei Belgier, denen es bei einer gewaltfreien Aktion gelungen war, den von Feldjägern bewachten Zaun des Militärgeländes zu überwinden. "Dies ist die bisher größte Protestaktion am Atomwaffenstützpunkt Büchel und ein großartiger Erfolg für die Friedensbewegung", bilanzierte Sven Hessmann, Sprecher des Bündnisses "Im Irak gesucht - in Büchel gefunden."

Unter anderen sprach 2006 in Büchel der Psychoanalytiker und Friedensaktivist Horst Eberhard Richter. Er zeigte sich enttäuscht über die Zahl der TeilnehmerInnen. Der damals 85-Jährige, der sich schon an den großen Friedensdemonstrationen der 1980er Jahre beteiligt hatte, stellte eine Forsa-Umfrage vor, die die Ärzteorganisation IPPNW in Auftrag gegeben hatte. Demnach sind 84 Prozent der deutschen Bevölkerung der Meinung, dass die Bundesregierung umgehend für die Beseitigung der Atombomben sorgen sollte, die auf deutschem Boden zum Einsatz durch Bundeswehr-Tornados bereit liegen.

Wie schon gesagt: Im Jahr 2010 gab es einen entsprechenden Beschluss des Deutschen Bundestags - rein deklamatorisch und ohne jede reale Konsequenz. Ende März - Anfang April 2016 fand in Washington ein Internationaler Nuklear-Gipfel statt. Die Bundesregierung ließ auch diese Gelegenheit verstreichen, von der US-Regierung den Abzug der Atomwaffen zu fordern.

Im Jahr 2013 wurde der Atomwaffen-Standort Büchel 24 Stunden lang blockiert. Von Sonntag, 11. August 2013, 11:55 Uhr bis Montag 12 Uhr fanden vor den Toren des Militär-Areals Sitzblockaden und Konzerte statt. Vor dem Südtor spielte ‘Lebenslaute’, ein klassisches Orchester mit Chor auf.

Mit Schlafsäcken und Strohballen hatten rund 200 Friedens-AktivistInnen vor den Toren des Atomwaffen-Standorts Büchel übernachtet und 24 Stunden lang alle 8 Tore des Militär-Areals blockiert. Ihr Ziel ist der Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland und deren Vernichtung. Mit einer Abschluss-Veranstaltung vor dem Haupttor wurde die Aktion am Montagmittag beendet.

Die Blockaden wurden von der Bundeswehr weitestgehend geduldet. Kein Fahrzeug konnte auf das Gelände fahren oder es verlassen. Am Montagmorgen um 6:30 Uhr sperrte die Polizei die Durchgangsstraße an einem kleinen Fußgängerzugang - dem Tor Nummer 6 - ab, umstellte die BlockiererInnen, und geleitete die mit 4 Reisebussen angereisten SoldatInnen durch die Tür auf das Gelände. "Wir Friedensaktivistinnen und -aktivisten haben die Bundeswehrsoldaten gewaltfrei gezwungen, ihren Einsatzort durch die Hintertür zu betreten", sagte Roland Blach, Koordinator der Kampagne ‘atomwaffenfrei.jetzt’.

"Nachdem die Bundesregierung den politischen Willen des Bundestags nach einem Abzug der Atomwaffen aus Büchel nicht umgesetzt hat, greifen wir zum Mittel des zivilen Ungehorsams", begründet Xanthe Hall, Sprecherin der Kampagne ‘atomwaffenfrei.jetzt’ die Aktion.

In diesem Jahr fand eine "20-Wochen-Aktions-Präsenz" in Büchel vom 26. März bis zum 9. August statt.

Die ersten Aktionen waren kleinere Mahnwachen auf und neben einem nahen Kreisverkehr. Im Laufe der 20 Wochen fanden rund 15 Sitzblockaden statt. Es gab etliche Personalien-Feststellungen durch die Polizei, aber nur wenige Räumungen. Die letzte Blockade fand am Abschlusstag, dem 9. August, vor der Haupteinfahrt statt, im Anschluss an die dortige Gedenkveranstaltung zum Atombombenabwurf auf Nagasaki 71 Jahre zuvor. Damit wurde auch das diesjährige 10tägige Fasten für eine atomwaffenfreie Welt beendet. Während der Abschluss-Blockade gab es in ca. 300 Meter Entfernung eine weitere Aktion des zivilen Ungehorsams, als ein Loch in den Militärzaun geschnitten wurde. Der Zaunschnippler stellte sich der Polizei und damit einer Anklage wegen Sachbeschädigung. Anklagen wegen Nötigung bei den Blockaden sind hingegen nicht zu erwarten.

Das Amtsgericht Cochem sandte am 10. Oktober einen Strafbefehl über eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 15 Euro (ersatzweise 15 Tage Haft) wegen Sachbeschädigung an denjenigen, der am Nagasaki-Gedenktag mit einem Bolzenschneider ein Loch in den Militärzaun geschnitten hatte. Der Angeschuldigte legte am 20. Oktober per Einschreiben Einspruch gegen den Strafbefehl ein und teilte dem Gericht mit, wegen der nun anstehenden Hauptverhandlung könne von seiner Seite auf die Ladung von Zeugen verzichtet werden, da er die Sachbeschädigung - wie im Strafbefehl beschrieben - einräumt. Es gehe ihm mit dem Einspruch vielmehr darum, vor Gericht zu erklären, dass seine - von ihm zu keinem Zeitpunkt bestrittene - Handlung nicht rechtswidrig war.

IV. Der gewaltfreie Kampf der Plowshares-AktivistInnen in den USA

Am 28. Juli 2012 gegen halb zwei Uhr morgens starteten die katholische Nonne Megan Rice, 85 Jahre, Michael Walli, 63 Jahre, und Gregory Boertje-Obed, 59 Jahre, ihre Aktion auf einem Parkplatz am Rande von Oak Ridge, Tennessee. Es sollte die größte Sabotage-Aktion in der Geschichte des US-amerikanischen Atomwaffen-Programms werden.

Monatelang hatten sie sich darauf vorbereitet. Ihr Handwerkszeug: Taschenlampen, zwei Bolzenschneider, drei kleine Hämmer, eine weiße Rose, sechs Farb-Spraydosen, drei Protest-Banner, Kerzen, Streichhölzer, Bindfäden, Bibeln, ein selbstverfasstes Manifest, einen selbstgebacken Laib Brot, Gurkensamen und sechs Baby-Flaschen mit dem Blut anderer Atomwaffen-GegnerInnen.

Vom Parkplatz aus laufen sie in einen Wald und stehen bald am Fuße einer Hügelkette. Auf der anderen Seite: Der Y-12 National Security Complex, die einzige Produktions- und Lagerstätte für atomwaffenfähiges Uran des US-Militärs.

Die Anlage war schon Teil des "Manhattan-Projekts", bei dem unter Leitung von Robert Oppenheimer die erste Atombombe entwickelt und gebaut wurde.

Megan Rice, Michael Walli und Gregory Boertje-Obed gehören zum Plowshares-Mouvement - zu deutsch: Pflugschar-Bewegung - der rund 80 überwiegend katholische ChristInnen angehören. Darunter befinden sich etliche Nonnen und Priester. Seit mehr als 30 Jahren brechen sie in Atomwaffen-Depots und andere nukleare Militär-Anlagen ein, um gegen den Wahnsinn des angedrohten globalen Selbstmordes zu protestieren und diesem zugleich aktiv und gewaltfrei entgegenzutreten. Ihre erste Aktion fand am 9. September 1980 statt.

Der Einbruch in den Y-12 National Security Complex war die 94. Aktion des Plowshares-Mouvement.

Der Begriff Plowshare - also Pflugschar - geht auf eine Stelle in der Bibel, im Buch über den Propheten Micha, zurück. Dort heißt es im 4 Kapitel: "Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Lanzen zu Winzersicheln machen. Kein Volk wird gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden fortan nicht mehr lernen, Krieg zu führen."

In Jesaja Kapitel 2, Vers 2 bis 4 taucht die Verheißung über die weltweite Konversion der Waffen fast wortgleich auf.

Ab 1980 wurde das Zitat zum Symbol staatsunabhängiger Abrüstungsinitiativen in der DDR, das auch Teile der westdeutschen Friedensbewegung übernahmen.

Auf halber Höhe der Hügelkette erreichten die drei einen Stahlzaun, den sie ohne große Anstrengungen mit dem Bolzenschneider durchtrennen konnten. In der Ferne hörten sie einen Hund bellen. Auf einen Angriff von Wachhunden hatten sie sich mit Bedacht nicht vorbereitet, denn sie wollten auch keinem Tier Gewalt antun. Sie hatten sich bewusst dagegen entschieden, Pfefferspray mitzunehmen. Glücklicherweise verstummte das Bellen.

Nach einer halben Stunde erreichten sie bereits das Ziel ihres Aufstiegs und blickten auf eine hell erleuchtete Stadt. Nicht selten wird der Y-12 National Security Complex auch als "die geheime Stadt" bezeichnet. Sie gilt als Hochsicherheits-Gebiet.

Nach eigenen Aussagen waren sich die drei in diesem Moment unschlüssig, ob sie ihr Vorhaben nicht besser abbrechen sollten. Dann sah Gregory Boertje-Obed die leuchtend weiße Halle - so groß wie ein Fußballfeld - Wachtürme an allen vier Ecken. Sie wussten: In dieser Halle lagern 400 Tonnen hochangereichertes Uran, das für den Bau weiterer 10.000 Atombomben reicht.

Drei weitere Zäune liegen zwischen den dreien und der Halle. Als Gregory ein Loch in den ersten Zaun zu schneiden beginnt, ertönt - - - keine Sirene. Der darauffolgende Zaun ist mit Bewegungsmeldern und Ultraschall-Kameras ausgestattet. Ein Schild informiert sie darüber, dass Eindringlinge erschossen werden dürfen. Auf den Wachtürmen sitzt Sicherheitspersonal mit Maschinengewehren. Auch nachdem sie diesen Zaun durchtrennt haben, geschieht nichts. Als kurz darauf auch der letzte Zaun durchtrennt ist, sind sie am Ziel. Sie öffnen die Babyflaschen und vergießen das Blut an der weißen Wand der Halle.

Sie legen die weiße Rose davor auf den Boden. Dies soll an Sophie und Hans Scholl erinnern, die rund 80 Jahre vor ihnen gewaltfreien Widerstand im Nazi-Deutschland leisteten. Mit den kleinen Hämmern beginnen sie, symbolisch die Mauer der Halle zu beschädigen. Michael Walli sprüht die verabredeten Zeilen an die Wand: "Arbeitet für den Frieden, nicht für den Krieg."

Morgens gegen halb fünf kommt der Wagen eines Sicherheitsdienstes vorbei. Ein Fahrer öffnet das Seitenfenster und fragt: "Was macht ihr hier?"

Fünf Minuten später erscheint ein Offizier mit schusssicherer Weste. Er zwingt die drei, sich auf den Boden zu legen und fesselt sie mit Kabelbindern.

Monate später kommt es zur Gerichtsverhandlung. Megan Rice, Michael Walli und Gregory Boertje-Obed plädieren auf "unschuldig". Eine außergerichtliche Einigung, die ihnen womöglich das Gefängnis erspart hätte, aber einem Schuldeingeständnis gleichgekommen wäre, lehnen sie ab.

Der Staat zeigt sich unerbittlich. Die Anklage gegen die drei lautet: Landfriedensbruch - es handelt sich also beim Y-12 National Security Complex um eine Friedenszone - und weiter: "absichtliche und heimtückische Eigentumsbeschädigung" sowie Sabotage wegen der "Absicht, die Verteidigungsfähigkeit der USA zu verletzen, zu beeinträchtigen oder zu verhindern".

Ihr Verteidiger weist das Gericht darauf hin, dass es den dreien darum gegangen sei, ein großes Verbrechen, die Vernichtung der gesamten Menschheit in einem Atomkrieg, zu verhindern. Das weist der Richter zurück. Sie berufen sich auf die Grundsätze des Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunals: Wer sich bewusst ist, dass die eigene Regierung Verbrechen begeht, hat das Recht und die Pflicht, Widerstand zu leisten.

Am 8. Mai 2013 fällt eine Jury des US-District-Gerichts von Knoxville, Tennessee, das Urteil: Schuldig in allen Punkten der Anklage. Der Richter legt das Strafmaß fest: Drei Jahre für Megan Rice, jeweils fünf für Michael Walli und Gregory Boertje-Obed. Außerdem sollen sie 52.953 US-Dollar Schadensersatz zahlen.

Der Staatsanwalt hatte doppelt so lange Haftstrafe gefordert, aber der Richter fühlte sich - wie er in seiner Urteilsbegründung sagte, nicht ganz wohl dabei, "gute Leute" hinter Gitter zu stecken. "Ich kann auch nicht beurteilen, ob Ihre Ansichten über Atomwaffen richtig oder falsch sind," sagt er selbst und räumt damit indirekt ein, dass er an jenem 8. Mai nicht als Richter sondern als Handlager fungierte.

Am 16. Mai 2015 wurden die Drei vorzeitig aus der Haft entlassen - nach rund zwei Jahren.

Oft wird den Dreien heute vorgehalten: "Keine einzige Atombombe wurde seit eurer Aktion verschrottet!" Megan Rice antwortet: "Ich werde niemals aufgeben. Es muss einfach gemacht werden."

Veröffentlicht am

03. Dezember 2016

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