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Besetzen und abschotten (II)

Mit Gesprächen zur Flüchtlingsabwehr in Addis Abeba beendet die deutsche Kanzlerin am heutigen Dienstag ihre jüngste Afrikareise. Äthiopien, mit dem Deutschland seit Jahren eng kooperiert, betätigt sich nicht nur als militärischer Stellvertreter vor allem der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik in Ostafrika; es beherbergt darüber hinaus eine dreiviertel Million Flüchtlinge, die Berlin an der Weiterreise in Richtung Europa hindern will. Diesem Ziel dient unter anderem ein Projekt zum "Migrationsmanagement", das die bundeseigene Entwicklungsagentur GIZ in ganz Ostafrika durchführt. TV-Recherchen zeigen, dass das Projekt vor allem der Hochrüstung der ostafrikanischen Grenzen mit modernster Überwachungstechnologie dient; auch sollen mit EU-Mitteln geschlossene Flüchtlingslager gebaut werden, Hafträume inklusive. Äthiopien ist in das Programm einbezogen worden, obwohl seine Regierung die Opposition des Landes schon seit Jahren brutal niederhält: Allein seit Ende vergangenen Jahres haben die äthiopischen Repressionskräfte rund 500 Demonstranten getötet; Anfang des Monats sind bei einer von ihnen ausgelösten Massenpanik bis zu 700 Menschen ums Leben gekommen. Während Bundeskanzlerin Merkel heute in Addis Abeba mit Ministerpräsident Hailemariam Desalegn konferiert, eskalieren die Proteste unkontrolliert weiter. Die Regierung hat am Sonntag den Ausnahmezustand verhängt.

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Deutsche Präsenz

Bevor Kanzlerin Merkel in der Nacht zum heutigen Dienstag in Addis Abeba eingetroffen ist, hat sie am gestrigen Montag Vereinbarungen mit dem nigrischen Staatspräsidenten Mahamadou Issoufou zum Ausbau der Militärkooperation und der Flüchtlingsabwehr getroffen. So wird die Bundesrepublik - als flankierende Maßnahme zur Einrichtung eines Militärstützpunkts in Niamey - den Ausbau des dortigen Flughafens fördern. Darüber hinaus wird sie der nigrischen Armee Lkws liefern und Beratung bei der Ausbildung nigrischer Soldaten leisten. Um Flüchtlinge zu stoppen, stellt Deutschland Niger im kommenden Jahr zehn Millionen Euro zur Verfügung; damit sollen insbesondere Fahrzeuge und Kommunikationstechnik beschafft werden, die für den Kampf gegen den in der Region überaus regen Handel mit Drogen und Waffen sowie gegen den Transport von Flüchtlingen benötigt werden. Für das nordnigrische Agadez, ein Zentrum jeglicher Art von Handel und Migration, hat die Kanzlerin 17 Millionen Euro zum Ausbau von Infrastruktur und Bildungseinrichtungen zugesagt. Insgesamt verbindet die Bundesregierung die Stationierung deutscher Soldaten mit einer weiteren Abschottung gegen Flüchtlinge sowie einem deutlichen Ausbau der deutschen Präsenz. Dies entspricht der Ankündigung, die bislang exklusive Stellung Frankreichs in seinen ehemaligen Kolonien zu brechen.S. dazu Besetzen und abschotten (I).

Pufferstaaten

Am heutigen Dienstag wird die deutsche Kanzlerin die Politik der Abschottung gegen Flüchtlinge weiter vorantreiben - in Addis Abeba. Äthiopien fungiert seit Jahren de facto als militärischer Stellvertreter der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik in Ostafrika; es trägt im Rahmen der weitgehend EU-finanzierten Somalia-Truppe der Afrikanischen Union (AU), AMISOM, zur Kontrolle des Küstenstaates am Horn von Afrika bei und begleitet im Rahmen dreier UN-Einsätze (UNAMID, UNMISS, UNISFA) die von Berlin und Washington betriebene Abspaltung des Südsudan von Sudan.S. dazu Massaker ohne Folgen . Darüber hinaus wird Äthiopien nun auch als Pufferstaat zur Flüchtlingsabwehr ausgebaut. In dem Land leben derzeit rund eine dreiviertel Million Flüchtlinge; die zentrale Fluchtroute aus dem weithin zerstörten Somalia führt über äthiopisches Territorium. Berlin hat bereits rund 70 Millionen Euro bereitgestellt, um die Flüchtlinge zum Verbleib in Äthiopien zu bewegen. Das Land ist darüber hinaus nun in ein Projekt der bundeseigenen Entwicklungsagentur GIZ (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) eingebunden worden, das sämtliche Staaten Ostafrikas umfasst und ein "verbessertes Migrationsmanagement" erreichen soll. Das Projekt, das auf drei Jahre angelegt ist und von Berlin mit sechs, von Brüssel mit 40 Millionen Euro finanziert wird, soll vor allem die Flüchtlingspolitik der ostafrikanischen Staaten vereinheitlichen und Institutionen stärken, "die Menschenhandel verfolgen können", teilt die GIZ mit.Verbessertes Migrationsmanagement. www.giz.de.

Flüchtlingslager mit Hafträumen

Wie die Stärkung staatlicher Institutionen zwecks Verhinderung von Menschenhandel in Ostafrika vor sich geht, lassen Recherchen des Fernsehmagazins "Report Mainz" erkennen. Demnach sieht ein Projektplan der EU unter anderem die Lieferung von Grenzkontrolltechnologie wie Kameras und Scanner an ostafrikanische Staaten vor. Die sudanesische Regierung bemüht sich in diesem Kontext zudem um den Aufbau einer Datenbank mit biometrischen Angaben; damit gewonnene Erkenntnisse will sie bei Bedarf der EU zur Flüchtlingsabwehr übermitteln. In dem EU-Projektplan ist laut "Report Mainz" auch der Bau von Flüchtlingslagern enthalten - einschließlich Hafträumen. Den Recherchen zufolge war zumindest zeitweise auch eine deutsche Delegation in die Verhandlungen involviert. Ein Leiter der sudanesischen Migrationsbehörde wird mit der Aussage zitiert: "Eine der großen Zielsetzungen, die wir mit der deutschen Delegation besprochen haben, ist folgende: Die Flüchtlinge sollen in abgeriegelten Lagern sein, wo sie mit allen Hilfsleistungen versorgt werden und in denen sie auch an für sie generierten Projekten teilnehmen können. Das Hauptziel ist, dass die Flüchtlinge das neue Lager nicht verlassen. All das haben wir vollständig vereinbart mit der deutschen Delegation."Staatliche deutsche Entwicklungshilfeagentur koordiniert brisantes Grenzschutzprojekt mit Sudan und Eritrea. Pressemitteilung von "Report Mainz", 14.05.2016.

Aufgegriffen und abgeschoben

Zu welchen Folgen die Ausrüstung ostafrikanischer Staaten mit Grenzkontrolltechnologie führen kann, lässt sich einem Pressebericht von Anfang Juni entnehmen. Demnach wurden 442 Eritreer im Sudan aufgegriffen und umstandslos in ihr Herkunftsland zurücktransportiert. Laut Angaben des UNHCR zählten zu ihnen mindestens sechs Personen, die als Flüchtlinge anerkannt waren.Johannes Dieterich: EU-Deals mit Afrikas Diktatoren. www.fr-online.de 01.06.2016. Von der EU wird Khartum dem Bericht zufolge mindestens 40 Millionen Euro erhalten, um das "Management der Flüchtlingsströme" noch stärker als bisher zu optimieren. Die Mittel seien für biometrisches Gerät, für Fahrzeuge und für "den Bau zweier geschlossener Flüchtlingslager" vorgesehen, heißt es; die Flüchtlingslager sollen in den beiden sudanesischen Bundesstaaten Gadaref und Kassala errichtet werden, die an Eritrea grenzen.

Brutale Repression

In Äthiopien, das Kanzlerin Merkel heute besucht, kommt derlei Unterstützung einer Regierung zugute, die seit Jahren immer enger mit der Bundesrepublik kooperiert, die zugleich jedoch brutal gegen die Opposition des Landes vorgeht. Bereits 2005 töteten die äthiopischen Repressionskräfte rund 200 friedliche Demonstranten, die gegen eine gefälschte Parlamentswahl protestierten, und sperrten tausende, womöglich sogar zehntausende Oppositionelle in Lager. Seitdem ist es immer wieder zu mörderischer Repression gekommen; Gefangene wurden und werden regelmäßig gefoltert. Kritische Journalisten müssen mit ihrer Inhaftierung rechnen; seit der Verabschiedung eines "Anti-Terror-Gesetzes" im Jahr 2009 stehen, wie "Reporter ohne Grenzen" mitteilt, faktisch schon "auf Berichte über die Aktivitäten der Opposition" lange Haftstrafen.Äthiopien. www.reporter-ohne-grenzen.de. S. auch Massaker ohne Folgen . Auch die illegale Hinrichtung missliebiger Personen ist dokumentiert. Breite Unruhen, die Ende letzten Jahres begannen, sind erneut blutig niedergeschlagen worden; bis zum Sommer waren bereits rund 500 getötete Demonstranten zu beklagen. Einer Massenpanik, die äthiopische Militärs am 2. Oktober bei einem traditionellen Erntedankfest der Oromo-Bevölkerungsgruppe auslösten, fielen bis zu 700 Menschen zum Opfer. Die Regierung streitet die hohe Zahl an Toten ab.

Im Ausnahmezustand

In den vergangenen Tagen sind die Proteste nun weiter eskaliert. Oromo-Aktivisten haben sich laut Angaben äthiopischer Exiloppositioneller darauf verlegt, Fabriken regierungsnaher Besitzer sowie in ausländischem Besitz befindliche Betriebe, die auf unrechtmäßig enteignetem Land errichtet wurden, zu beschädigen oder ganz zu zerstören. Damit soll die Wirtschaft empfindlich geschwächt werden, um den Druck auf die Regierung zu erhöhen.Paul Schemm: Ethiopia imposes state of emergency as unrest intensifies. www.washingtonpost.com 10.10.2016. Die Regierung wiederum hat am Sonntag den Ausnahmezustand ausgerufen und ein hartes Einschreiten gegen die Proteste angekündigt. Während Bundeskanzlerin Merkel heute in Addis Abeba mit dem äthiopischen Ministerpräsidenten Hailemariam Desalegn über weitere Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr spricht, droht die Lage im Land gänzlich außer Kontrolle zu geraten. Genau davor hatten äthiopische Oppositionelle immer gewarnt. Berlin hingegen hat sich dadurch nie davon abhalten lassen, die stetige Repression der äthiopischen Regierung mit immer engerer politischer Kooperation zu honorieren.

Quelle: www.german-foreign-policy.com vom 11.10.2016.

Fußnoten

Veröffentlicht am

13. Oktober 2016

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