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Al Qaida-Kommandeur: “Wir kämpfen an der Seite der USA”

Bereits 1916, als die Staatsgrenzen Syriens und seiner Nachbarstaaten gezogen wurden, war die Region ein Spielball der Großmächte. Hundert Jahre später liegt das Land in Trümmern. Jens Wernicke sprach - anlässlich neuer Beweise von vor Ort - mit dem Publizisten und ehemaligen Medienmanager Jürgen Todenhöfer zur Lage in Syrien und der Verantwortung auch und insbesondere des Westens hierfür. Wie zuvor bereits Karin Leukefeld berichtet auch Todenhöfer von einem gezielt betriebenen Wirtschafts- und Stellvertreterkrieg des Westens gegen Syrien, der zunehmend zum Exitus des syrischen Staates führe, die Bevölkerung in den Hungertod treibe und bereits 11 Millionen Syrer auf die Flucht getrieben hat.

Herr Todenhöfer, gestern Abend veröffentlichten Sie ein Video vom syrischen Bürgerkrieg im Internet, dem gar nicht genug Aufmerksamkeit zuteilwerden kann. Worum geht es konkret - und wie kam es dazu?

Es war mein siebter Besuch im syrischen Bürgerkrieg. 13 Tage waren wir dort. Mit Worten lässt sich das Ausmaß der Zerstörungen und des Leids auf beiden Seiten kaum noch beschreiben. Mein Sohn Frederic ist daher gerade dabei, drei Kurzfilme vorzubereiten. Den ersten haben wir gestern veröffentlicht. Ein Interview mit einem Al Qaida-Kommandeur in Aleppo. Aufgenommen vor 10 Tagen in einem Steinbruch im Niemandsland von Aleppo. 200 Meter vor den Linien der Al Qaida Filiale Jabhat Al Nusra.

Er berichtet offen über seine Geldgeber Saudi-Arabien, Katar und Kuweit und seine leicht eingeschränkte Dankbarkeit gegenüber den USA, über die Ablehnung jeder säkularen Lösung und die Forderung eines "Islamischen Staats" , über die Ablehnung des Waffenstillstands, der Hilfskonvois und vieles mehr.

Im zweiten Film werden wir übrigens das überwiegend von der Regierung bis aufs letzte Haus zerstörte Daraya, Straßenszenen und Zerstörungen in Homs und Aleppo zeigen. Es sind schockierende Bilder.  In unserem dritten Video erzählt dann eine Sexsklavin des IS-Emirs von Raqqa ihre Geschichte.

Was können Sie uns über diesen Al Qaida Kommandanten sagen?

Wir haben die Identität des Mannes genau recherchieren können und wissen praktisch alles über ihn. Das Interview wurde über einen Rebellen aus Aleppo arrangiert. Ich habe seit Jahren Kontakte zu syrischen Rebellen. Es fand außerdem an einem Ort in unmittelbarer Sicht-und Schussweite von Jabhat al Nusra statt, den nur ein Mitglied von Al Nusra gefahrlos erreichen konnte.

Seine Kämpfer waren teilweise nicht maskiert, d.h. leicht identifizierbar. Ein Teil seiner Aussagen wurde darüber hinaus kurz darauf vom Jabhat Al Nusra-Mufti von Aleppo fast wörtlich bestätigt, andere Voraussagen über das Desinteresse der Rebellen an einem Waffenstillstand und an den internationalen Hilfskonvois haben sich ebenfalls bestätigt. Genauso wie seine Vorhersagen über geplante militärische Aktivitäten in mehreren Städten Syriens. All das spricht für die Authentizität des Mannes.

Eigentlich sagt er ja auch nichts Neues. Er bestätigt lediglich voller Stolz und Selbstbewusstsein, was Friedensfreunde schon lange vermuteten. Trainierte Mitglieder der Medienabteilung von Al Qaida hätten sich wahrscheinlich vorsichtiger ausgedrückt. Genau deshalb wollte ich mit einem Kämpfer, einem Kommandeur sprechen.

Konkret gab der Kommandeur etwa Folgendes zu Protokoll:

"Auch Amerika hat seine Meinung über uns geändert. Eigentlich waren der "IS" und wir eine Gruppe. Aber der "IS" wurde entsprechend den Interessen der großen Staaten wie etwa Amerika für politische Zwecke benutzt. Und von unseren Prinzipien weggelenkt. Die meisten seiner Führer arbeiten mit Geheimdiensten zusammen, das ist uns klargeworden. Wir, die "Al Nusra-Front", haben unseren Weg. Sie waren früher mit uns, sie waren unsere Unterstützer. (…)

Ja, die USA unterstützen die Opposition, aber nicht direkt. Sie unterstützen die Länder, die uns unterstützen. Aber wir sind mit dieser Unterstützung noch nicht zufrieden. Sie sollten uns mit hochentwickelten Waffen unterstützen. (…)

Nein, die Raketen wurden uns direkt gegeben. Sie wurden an eine bestimmte Gruppe geliefert. Als die Castello-Road gesperrt war und wir belagert wurden, hatten wir Offiziere aus der Türkei, Katar, Saudi-Arabien, Israel und Amerika hier."

Wir sprechen also weniger von einem Bürger-, denn einem Stellvertreterkrieg, der von den mächtigsten Staaten der Welt, allen voran den USA, massiv angefeuert wird?

Ja, die Mächte, die im Hintergrund die Strippen ziehen, also vor allem Saudi-Arabien, Iran, die USA und Russland, haben eine viel größere Schuld als die direkten Akteure des syrischen Bürgerkriegs. Den Hintermännern dieses Krieges geht es um die Ausdehnung ihres Einflusses im Mittleren Osten. Die Syrer sind da nur Marionetten, die von Saudi-Arabien, Iran, den USA und Russland hin- und herbewegt werden.

Weder die syrische Regierung noch die Rebellenführer wollen zur Zeit Frieden. Auch die Rebellen in Aleppo nicht. Und auch die Mächte im Hintergrund wollen nicht wirklich Frieden. Wir müssen daher den Druck auf beide Seiten, die Regierungs- und die Rebellenseite, erhöhen. Und vor allem auf die USA und Russland. Syrien wird sonst untergehen. Wir dürfen das nicht zulassen.

Der Krieg in Syrien kann und wird nur durch Verhandlungen beendet werden. Am Ende werden alle Seiten massive Zugeständnisse machen müssen. Alle beteiligten Staaten müssen so schnell wie möglich wirkliche Verhandlungen über das Beenden des Krieges führen, anstatt zu versuchen, es auszukämpfen. Am Ende leidet darunter fast nur das syrische Volk. Es zahlt den höchsten Preis für den Krieg. Doch das scheint vielen Politikern in Wirklichkeit völlig egal zu sein.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Jürgen Todenhöfer studierte Rechts- und Staatswissenschaften und wurde 1970 Mitglied der CDU und 1972 Richter an der Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern. Ende 1972 zog er bei vorgezogenen Bundestagswahlen in den Deutschen Bundestag ein, wo er bis 1990 vertreten war. Nach längerer politischer Abstinenz ging er erst nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wieder in die Öffentlichkeit. Zum Afghanistankrieg und zu den amerikanischen Plänen einer Irak-Offensive meldete er sich kritisch zu Wort und sprach sich für diplomatische Lösungen aus. Er veröffentlichte zahlreiche Bestseller, in deren Zentrum der Einsatz für Frieden durch Verhandlungen steht. 2003 schrieb er "Wer weint schon um Abdul und Tanaya?". In "Andy und Marwa" (2005) schildert Todenhöfer zwei Schicksale des Irak-Krieges. Es folgten die Bestseller "Warum tötest du, Zaid?" (2008) und "Teile dein Glück" (2010) sowie "Du sollst nicht töten" (2013). Am 27. April 2015 erschien sein aktuelles Buch "Inside IS" im C. Bertelsmann-Verlag.

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Quelle:  NachDenkSeiten - 27.09.2016. Eine Vervielfältigung oder Verwendung des Textes in anderen elektronischen oder gedruckten Publikationen ist unter Berücksichtigung der Regeln von Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial möglich. Dieser Beitrag ist auch verfügbar als Audio-Podcast .

Veröffentlicht am

02. Oktober 2016

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