Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Die Abriegelung des Mittelmeers

Die EU soll zur Flüchtlingsabwehr das Mittelmeer vollständig abriegeln und dort aufgegriffene Flüchtlinge unmittelbar in ihre Herkunftsländer zurückschieben. Dies fordert - in einer Art Radikalisierung des von Berlin durchgesetzten EU-Abschiebepakts mit Ankara - der österreichische Außenminister Sebastian Kurz. Kurz stellt zudem die Genfer Flüchtlingskonvention zur Debatte und schlägt für die Unterbringung nicht unmittelbar abschiebbarer Flüchtlinge "Insellösungen" nach australischem Vorbild vor. Demnach sollen alle ohne Visum in die EU gelangten Flüchtlinge in Haftzentren etwa auf Lesbos oder auf Lampedusa festgehalten werden; mit ihrer illegalen Einreise hätten sie ihren "Anspruch auf Asyl in Europa verwirk[t]", erklärt Kurz. Protest kommt aus Libyen; dort kündigt der von außen installierte "Premierminister" Fayez al Sarraj an, sein Land werde ausgereiste Flüchtlinge nicht wieder aufnehmen. Unterdessen erreicht die Zahl der Flüchtlinge, die bei der Fahrt über das Mittelmeer ertranken, einen neuen Höchststand: Laut Zählungen der International Organization for Migration (IOM), einer Organisation, die selbst in die globale Flüchtlingsabwehr eingebunden ist, kamen auf dem Weg von Nordafrika nach Europa in der Zeit von Januar bis Mai 2016 mindestens 2.443 Menschen zu Tode - mehr denn je zuvor.

"Seegrenzen sind kontrollierbar"

Flüchtlinge, die aus Nordafrika nach Europa gelangen wollen, sollen in Zukunft ausnahmslos auf dem Mittelmeer aufgegriffen und sofort in ihre Herkunftsstaaten zurückgeschoben werden. Dies fordert der österreichische Außenminister Sebastian Kurz. Ziel müsse demnach eine komplette Abriegelung der Seegrenze nach australischem Vorbild sein. "Australien zeigt: Seegrenzen sind kontrollierbar", erklärt Kurz.Kurz-Plan: "So stoppen wir den Sturm auf Europa!" www.krone.at 04.06.2016. Um die Grenzabschottung zu perfektionieren, dringt der Minister auf den Aufbau gemeinsamer "Grenzschutzkorps", die aus den Streitkräften und Polizeieinheiten der EU-Staaten zusammenzustellen seien. Für sämtliche Flüchtlinge, die von den "Grenzschutzkorps" abgefangen würden, müsse gelten: "Wer illegal versucht, nach Europa durchzukommen, soll seinen Anspruch auf Asyl in Europa verwirken."Kurz: Rettung aus Seenot ist kein Ticket nach Europa. diepresse.com 05.06.2016. Kurz behauptet, dies sei mit der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar, "weil wir es hier mit Flüchtlingsströmen aus sicheren Drittländern zu tun haben, wo bereits keine Verfolgung mehr droht". Zu den angeblich "sicheren" Drittländern, aus denen Flüchtlinge nach Europa zu fliehen suchen, zählen gegenwärtig neben der Türkei etwa ÄgyptenS. dazu Von Lagern umgeben . und Libyen. Der österreichische Außenminister geht allerdings auch zur Genfer Flüchtlingskonvention auf Distanz: Man müsse "aussprechen …, dass Regelungen in dieser Konvention aus einer ganz anderen Zeit kommen".Kurz: Rettung aus Seenot ist kein Ticket nach Europa. diepresse.com 05.06.2016. Damit wird - wenn auch noch implizit - eine zentrale Grundlage des globalen Flüchtlingsschutzes erstmals öffentlich für die EU zur Debatte gestellt.

Westliche Werte

Australiens Flüchtlingsabwehr, auf die Kurz sich bezieht, wird seit Jahren weltweit scharf kritisiert. Die australische Marine fängt Flüchtlingsboote schon auf dem Meer systematisch ab; die Flüchtlinge werden nicht ins Land gelassen, sondern in Haftlager in Papua-Neuguinea oder Nauru deportiert. Die Zustände dort sind berüchtigt; immer wieder kommt es unter den inhaftierten Flüchtlingen zu Unruhen, Hungerstreiks, Selbstverstümmelungen und Suiziden. Selbst wer als asylberechtigt anerkannt wird, darf nicht nach Australien einreisen, sondern hat die Wahl, entweder in Nauru respektive in Papua-Neuguinea zu bleiben oder nach Kambodscha umzuziehen, mit dem Australien eigens dazu ein Abkommen geschlossen hat. Kambodscha gehört zu den ärmsten Ländern Asiens; die Vereinten Nationen führen es in ihrem Weltentwicklungsbericht aktuell auf Platz 143 von 188. Papua-Neuguineas Oberstes Gericht hat im April das australische Haftlager in dem Land für verfassungswidrig erklärt.Gericht erklärt australisches Flüchtlingslager für illegal. www.zeit.de 26.04.2016. Zur Begründung hieß es, es verstoße gegen wichtige Menschenrechtskonventionen, Menschen, die sich nichts zuschulden kommen lassen hätten, willkürlich zu inhaftieren. Australiens Oberstes Gericht hatte seinerseits im Februar geurteilt, die Masseninhaftierung von Flüchtlingen stehe nicht im Widerspruch zur australischen Verfassung. Das Land wird, anders als Papua-Neuguinea, gemeinhin der "westlichen Wertegemeinschaft" zugerechnet.

Insellösungen

Wie Australien setzt auch Österreichs Außenminister ergänzend zur Abriegelung der Seegrenze auf "Insellösungen"Kurz-Plan: "So stoppen wir den Sturm auf Europa!" www.krone.at 04.06.2016.: Flüchtlinge, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht sofort in ihr Herkunftsland zurückgeschoben werden könnten, sollten "in einem Asylzentrum untergebracht und versorgt werden, idealerweise auf einer Insel".Kurz: Rettung aus Seenot ist kein Ticket nach Europa. diepresse.com 05.06.2016. Genutzt werden könnten beispielsweise die EU-"Hotspots" auf Lesbos oder Lampedusa. Bei den "Hotspots" handelt es sich um Einrichtungen, aus denen das UN-Flüchtlingshilfswerk und weltweit tätige Hilfsorganisationen sich mittlerweile zurückgezogen haben, weil die EU sie in Flüchtlings-Haftanstalten umgewandelt hat.S. dazu Die europäische Lösung . "Wer auf einer Insel wie Lesbos bleiben muss und keine Chance auf Asyl hat, wird eher bereit sein, freiwillig zurückzukehren, als jemand, der schon eine Wohnung in Wien oder Berlin bezogen hat", erläutert Minister Kurz. Der Plan, Flüchtlinge per Abschreckung fernzuhalten oder zur "freiwilligen" Rückkehr zu bewegen, ist in der Bundesrepublik schon lange bekannt. Bereits 1982 hatte ihn der damalige Ministerpräsident Baden-Württembergs, Lothar Späth, erklärt: "Die Buschtrommeln werden in Afrika signalisieren - kommt nicht nach Baden-Württemberg, da müsst ihr ins Lager." "Das Lager soll nicht einladend wirken", hatte der hessische Innenminister Ekkehard Gries damals über ein bundesdeutsches Flüchtlingscamp geäußert, "sondern Scheinasylanten abschrecken. Auch das ist gemeint …: lagermäßige Unterbringung, Zugangskontrollen und Ausgangsbeschränkung - ganz klar!"Bernd Mesovic: Der ganz normale Schrecken - Sammellager für Flüchtlinge. In: Pro Asyl (Hg.): Tag des Flüchtlings 2001. S. 26-28. Hier: S. 26. Tatsächlich beginnen die Flüchtlingslager in Griechenland inzwischen ähnlich zu wirken; german-foreign-policy.com berichtet am morgigen Dienstag.

Protest aus Libyen

Protest gegen den jüngsten Amoklauf in der EU-Flüchtlingsabwehr kommt aus Libyen. Dort hat der unter deutschem Druck von außen gegen den Willen der gewählten Regierung installierte "Premierminister" Fayez al SarrajS. dazu Massenabschiebung als Modell und Von Lagern umgeben . unlängst mit den EU-Außenministern vereinbart, eine libysche "Küstenwache" von der EU aufbauen zu lassen, die das Ablegen von Flüchtlingsbooten künftig vollständig unterbinden soll.EU weitet Libyen-Einsatz aus. www.zeit.de 23.05.2016. Dass die EU darüber hinaus auch auf dem Mittelmeer aufgegriffene Flüchtlinge in das umfassend ruinierte Bürgerkriegsland Libyen zurückschieben will, nimmt Al Sarraj jedoch nicht hin. "Wir werden nicht akzeptieren, dass die EU Migranten zu uns zurückschickt", wurde er am gestrigen Sonntag zitiert: "Sie können nicht bei uns leben."Libyen wehrt sich gegen Rückführung von Flüchtlingen. www.faz.net 05.06.2016.

Mehr Tote denn je

Während Politiker aus der EU die Abriegelung des Kontinents im Sinne der deutschen Flüchtlingsabwehr weiter vorantreiben und dabei erstmals offen die Genfer Flüchtlingskonvention zur Debatte stellen, erreicht die Zahl der im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge einen neuen Höchststand. Laut Angaben der International Organization for Migration (IOM), die ihrerseits die deutsch-europäische Flüchtlingsabwehr ebenso wie die Lager Australiens in Papua-Neuguinea und Nauru unterstützt, sind vom 1. Januar bis zum 31. Mai mindestens 2.443 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer nach Europa ums Leben gekommen - 600 mehr als von Januar bis Mai im vergangenen Jahr. Dabei sind die mutmaßlich mehrere hundert Flüchtlinge noch nicht mitgezählt, die am Freitag ertranken, als ihr Boot unweit Kretas kenterte. Im Jahr 2015 hatte die IOM im Mittelmeer insgesamt 3.770 Tote gezählt, fast 500 mehr als 2014 (3.279 Tote). Für dieses Jahr wäre demnach mit einer weiteren Steigerung zu rechnen. Wie die IOM-Statistik zeigt, kamen in den ersten fünf Monaten dieses Jahres weltweit 2.780 Menschen auf der Flucht zu Tode. Zählt man zu den Todesopfern im Mittelmeer die insgesamt 23 Flüchtlinge hinzu, die der IOM zufolge an den EU-Ostgrenzen beim Einreiseversuch verstarben, dann verantwortet die deutsch dominierte EU mit ihrer Grenzabschottung fast 89 Prozent aller Flüchtlingstode weltweit.

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 06.06.2016.

Fußnoten

Veröffentlicht am

06. Juni 2016

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