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Europa tappt in die TTIP-Falle

Von Norbert Häring

TTIP ist tot. Die USA haben keine Lust mehr darauf, weil sie dafür Kompromisse eingehen müssten. Aber noch eine Weile wird so getan werden, als wolle man TTIP reanimieren und doch noch abschließen. Denn das lenkt die Gegner so schön von der viel größeren Gefahr ab, die es jetzt zu verhindern gälte: dem bereits ausverhandelten CETA-Abkommen mit Kanada.

Man durfte sich wundern, über die Berichterstattung bei Tagesschau und Co. über die "Anti-TTIP"-Demonstration in Hannover und die anschließenden TTIP-Leaks. Anders als bei der viel größeren Demonstration in Berlin im Oktober, wurde Hannover nicht totgeschwiegen oder kleinberichtet. Mit der Ausnahme von Spiegel Online, die irgendwie den Schuss nicht gehört hatten und die gleichen Manipulationstechniken anwendeten wie bei der Berlin-Demo, berichteten die großen Medien weitgehend neutral und nach journalistischen Maßstäben sachgerecht über die Demonstration. Dass nicht nur gegen TTIP, sondern auch gegen dessen Pendant CETA demonstriert wurde, wurde selten erwähnt. Das lässt sich journalistisch halbwegs mit der geringeren Bekanntheit von CETA erklären, ist aber ein durchaus wichtiges Versäumnis, wie wir noch sehen werden.

Und dann kamen die TTIP-Leaks und man durfte sich weiter wundern. Da veröffentlicht Greenpeace die amerikanische Verhandlungsposition und es kommt kein lautes Wort des Protests von der dortigen oder unserer Regierung. Dabei hatte die US-Regierung, darauf bestanden, dass Parlamentarier in Brüssel und Berlin nur unter demokratieunwürdigen Bedingungen in TTIP-Leseräumen Einblick in die Dokumente nehmen durften, über die sie später abstimmen sollten. Man könne den Parlamentariern ja nicht trauen, dass alles für sich behalten würden, was sie da lasen. Und nun durfte Greenpeace tagelang ungehindert am Brandenburger Tor! einen gläsernen Leseraum für diese ach so geheimen Dokumente aufstellen, bevor das schließlich doch noch unterbunden wurde. Irgendwie erweckte das doch sehr stark den Eindruck, dass die USA gar nichts (mehr) gegen diese Leaks hatten.

Gibt man "Tagesschau.de" und "TTIP"in eine Suchmaschine ein, so wird man in diesem Eindruck bestätigt, nicht nur durch die völlige Abwesenheit eines Berichts über US-Proteste oder wenigstens Indignation. Stattdessen ein Bericht der US-Korrespondentin , wonach TTIP in Washington eigentlich kein großes Thema sei.

Den ersten Teil der Aufklärung des Rätsels erhält man, wenn man "Tagesschau.de" und "CETA" als Suche eingibt. Dort gibt es nämlich seit langem nichts mehr mit Substanz. Bestenfalls, und auch das sehr selten, wird CETA nebenher mitgenannt. Der letzte Beitrag von Substanz stammt von August 2014. Er hieß: "Freihandelsabkommen mit Kanada Auf dem Weg in die Paralleljustiz." Jemand hatte den bereits ausverhandelten CETA-Vertrag dem ARD-Hauptstadtbüro zugespielt und dieses hatte ihn veröffentlicht. Die Hauptstadtkorrespondentin machte im zugehörigen Video kein großes Geheimnis um die Quelle, sprach von großem Unbehagen in Berlin darüber, dass hier etwas ausverhandelt worden sei, was weder die Parlamentarier, noch die zuständigen Regierungsmitglieder (Sigmar Gabriel) kennten.

Danach schloss sich für die ARD irgendwie das "Window of Opportunity" um über CETA zu berichten. Dabei kann dies Comprehensive Economic and Trade Agreement mindestens so viel Schaden anrichten wie TTIP, vor allem in Europa. Aber es gibt ja noch die Satire-Formate des ZDF. Eines davon, die Heute Show , lieferte am 18. September 2015 den zweiten Teil der Erklärung (aus einem Bericht auf Stern.de):

"So ist CETA, das Freihandelsabkommen mit Kanada, bereits ausverhandelt. Die Verträge sehen tatsächlich private Schiedsgerichte vor, mit denen deutsches wie europäisches Recht umgangen werden kann. Sobald CETA ratifiziert sei, so Welke, könne jeder US-Konzern, der ein winzige Filiale in Kanada erhält, Deutschland verklagen."

Die USA-Konzerne haben, wenn es CETA gibt aber kein TTIP, fast alle Vorteile von TTIP ohne die Nachteile, etwa in Form von verstärkter europäischer Konkurrenz daheim. Denn so ziemlich jedes große US-Unternehmen macht in Kanada Geschäfte und hat dort eine Tochter, oder kann sie bei Bedarf gründen. Damit können US-Unternehmen alle Klagerechte und Privilegien nutzen, die CETA in Europa bietet. Sie können vor speziellen Investorengerichten europäische Regierungen oder Städte auf Schadensersatz verklagen, etwa wenn öffentliche Ausschreibungen nicht transatlantisch stattfinden, oder wenn ein Unternehmen wie Monsanto (Canada Inc.) in Europa sein umstrittenes Glyphosat (Roundup) nicht mehr genehmigt bekommt, oder Kellogg (Canada Inc.) Cornflakes aus genmanipulierten Mais (von Monsanto) nicht verkaufen darf. Die kanadischen Ableger der US-Konzerne bekommen Gelegenheit, sich vorab zu jedem Gesetzesvorhaben zu äußern, der sie betreffen könnte (und diese per Androhung einer Klage verhindern). Sie können gegen jede europäische Regulierung klagen, die nicht auf einer Positivliste der erlaubten Liberalisierungsausnahmen schon bei CETA-Vertragsabschluss enthalten ist. Doch umgekehrt bleiben ohne TTIP die US-Staaten und Städte frei, die allermeisten europäischen Unternehmen von staatlichen Aufträgen fern zu halten.

Kein Wunder, dass die US-Regierung lieber gar kein TTIP haben möchte als ein TTIP mit irgendwelchen Zugeständnissen an die Europäer. Denn bei einem TTIP mit Kompromissen ist aufgrund der inzwischen diskutierten Maßnahmen gegen das sogenannte Treaty-Shopping nicht von vorneherein klar, dass US-Konzerne sich über ihre Töchter in Kanada die günstigeren CETA-Regeln in Anspruch nehmen können. Das Investorengericht könnte sagen, dass - etwa wenn Monsanto klagt - der US-europäische-Aspekt den kanadisch-europäischen dominiert und im Fall von Regelkonflikten nach den eventuell restriktiveren TTIP-Regeln urteilen.

Die in den TTIP-Leaks deutlich gewordene kompromisslose Haltung der US-Regierung zeigt klar, dass für die USA gilt: CETA plus restriktives TTIP ist schlechter als CETA und gar kein TTIP. Für die Europäer ist das natürlich umgekehrt. CETA und kein TTIP ist der Super-Gau. Das erklärt die Verzweiflung der deutschen Industrie, die in bizarren (weil an Orwells "1984" erinnernden) Aktionen von Lobbyorganisationen wie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft in Hannover deutlich wurde.

Die TTIP-Leaks hatten den einen schönen Effekt für die US-Seite, dass es eine unvernünftige deutsche Bevölkerung zu sein scheint, die für das absehbare Scheitern der TTIP-Verhandlungen verantwortlich sein wird, und nicht etwa Desinteresse und Kompromisslosigkeit der US-Regierung. Der zweite schöne Effekt ist, dass sich hinter der Aufregung um diese Leaks und dem langgezogenen Todeskampf von TTIP sehr gut verstecken lässt, was in Sachen CETA vor sich geht. Das ist nämlich einiges - was man nicht denken würde, wenn man die fast inexistente Medienberichterstattung zum Maßstab nähme.

Am Freitag tagt der Europäische Ministerrat für Auswärtiges in Brüssel um zu beschließen, wie es mit CETA weitergehen soll. Im Raum steht die Möglichkeit, dass der Ministerrat im Oktober die vorläufige Anwendung von CETA beschließt, auch ohne die eventuell nötige Ratifizierung durch nationale Parlamente. Wenn es nach der Kommission geht, will man versuchen, die nationalen Parlamente zu umgehen. Das wäre möglich, wenn es sich bei CETA nicht um ein sogenanntes "gemischtes Abkommen" handeln würde, sondern um eines, das allein in die Kompetenz der EU fällt. Der Rat wird sich am Freitag dazu positionieren müssen, wie er zu der rechtlich fragwürdigen Haltung der Kommission steht. Es werden schwierige Beratungen werden, da in Belgien die Region Wallonien und der wallonische Teil von Brüssel der belgischen Regierung die nötige Genehmigung verweigern wollen, CETA zu unterschreiben. Auch in anderen Ländern gibt es starke Vorbehalte.

Man sieht, es gäbe viel zu berichten. Aber zum Glück gibt es ja den TTIP-Zombie, über dessen Zuckungen man stattdessen aufgeregt rapportieren kann. Und die Bürgerinitiativen und Organisationen, die erfolgreich gegen TTIP Front gemacht haben, stehen nun vor dem Dilemma, dass sie den Begriff TTIP, den sie erfolgreich mit negativer Bekanntheit aufgeladen haben, zugunsten des erst noch bekannt zu machenden Bösewichts CETA fallen lassen müssten, um CETA aus dem TTIP-Schatten der Aufmerksamkeit zu holen. Das fällt sicher nicht leicht, ist aber wohl unvermeidlich.

Dr. Norbert Häring ist Ökonom und Wirtschaftsjournalist. Er betreibt das Blog "Geld und mehr" .

Quelle:  NachDenkSeiten - 10.05.2016. Eine Vervielfältigung oder Verwendung des Textes in anderen elektronischen oder gedruckten Publikationen ist unter Berücksichtigung der Regeln von Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial möglich.

Veröffentlicht am

10. Mai 2016

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