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US-Vorwahlen: Unglaubliches Graswurzel-Momentum

Die Kandidatur von Bernie Sanders kommt einem Dammbruch gleich. Er ist als erklärter Sozialist kein belächelter Außenseiter mehr

Von Konrad Ege

Amerikaner haben keine Lust auf linkes Gedankengut und auf "Revolution" schon gleich gar nicht. Die aus dem 18. Jahrhundert reicht. Meinte man zu wissen. Senator Bernie Sanders, der demokratische Sozialist aus dem kleinen New-England-Staat Vermont, hat diese Gewissheit gekippt. Und nun driftet selbst Sanders’ Konkurrentin Hillary Clinton nach links, in ihrer Partei bekannt als Politikerin der Mitte und des vermeintlich Machbaren. Zugleich jedoch bewegt sich die frühere First Lady Richtung Nominierung zur Präsidentschaftskandidatin der Demokraten.

Viele Sanders-Fans klagen über das "Establishment", das den Aufbruch blockieren wolle; bei den großen Wahlspenden der Wirtschaft sehe man das doch, denn Sanders’ Forderungen gingen der Elite zu weit: Finanztransaktionssteuer, einen von 7,25 auf 15 Dollar angehobenen Mindeststundenlohn, höhere Steuern für die Begüterten, kein Freihandel wie gehabt, massive öffentliche Investitionen, und, oh Schreck: Auflösung von Banken, die "zu groß" seien. Zur Erklärung des Vorsprunges von Clinton reicht es freilich nicht, auf den Einfluss der Eliten zu zeigen. Im Wahlkampf wird bei den Demokraten ein komplexer Teppich sichtbar, gewebt aus Loyalitäten, Verbindlichkeiten und Hoffnungen.

Momentaufnahmen Mitte, Ende März: Die beiden Kampagnen haben unterschiedliche Zukunftspläne. Sanders konzentriert sich auf die Vorwahlen. Clinton orientiert sich zusehends Richtung Hauptwahlen im November, die "folgenschwersten Wahlen unseres Lebens", wie sie nach ihren Vorwahlerfolgen in Florida, Ohio, North Carolina, Missouri und Illinois am 15. März erklärt hat. Die USA würden einen Commander in Chief brauchen, der die Nation schütze und nicht beschäme. Sie meinte natürlich Donald Trump, den zunehmend wahrscheinlichen republikanischen Bewerber.

Sanders’ Leute werden sauer, wenn sie wittern, dass irgendjemand so tut, als sei Clintons Vorwahlsieg beschlossene Sache. Die Hälfte der Bundesstaaten habe noch gar nicht gewählt. Er sei nach wie vor "überzeugt, dass unsere Kampagne auf dem Weg ist, die Nominierung zu gewinnen", betont Sanders selbst. Und: "Gebt euch nicht mit dem Status quo zufrieden, wenn der Status quo kaputt ist."

Brennpunkt Zuccotti-Park

Bernie Sanders sagt, was er seit Jahrzehnten sagt. Doch jetzt findet er viel Gehör. Er attackiert die wachsende Ungleichheit und prangert den undemokratischen Einfluss des Geldes auf die Politik an. Sanders hat das vermeintlich schmutzige Wort "Sozialismus" hoffähig gemacht in den USA. Vor allem junge Menschen spenden Beifall; sie haben genug von der "realistischen" Warnung, Fortschritt sei nur in kleinen Dosierungen möglich. Sanders erscheint glaubwürdig, weil er sich aus offenkundig moralischen Gründen empört über die Armut im reichen Land.

Symbolkräftiger geht es kaum: Mitte März versammelten sich Wahlhelfer im Zuccotti- Park von Manhattan mit Laptop und Handy, um gemeinsam Anrufe zu tätigen und Texte zu schreiben an potenzielle Sanders-Wählerinnen und -Wähler. Im Zuccotti-Park hatte im September 2011 die Occupy-Wall-Street-Bewegung begonnen. Heute habe er das Gefühl, dass man mit Sanders "dem Ziel näherkommt, Wall Street und die großen Banken zur Verantwortung zu ziehen", meinte Charles Lenchner, einer der Telefonierer, im Rundfunkprogramm Democracy Now. Sanders habe ein "unglaubliches Graswurzel-Momentum" ausgelöst, erklärte Telefoniererin Beka Economopoulos.

Anwärterin Hillary Clinton kommt verspätet zu diesem Aufbruch. Sie will jedoch nicht der "Status quo" sein. Clinton profiliert sich gar als Freihandelsskeptikerin mit Vorbehalten zu Barack Obamas vorgeschlagenem Trans-Pacific-Partnership-Freihandelsvertrag zwölf asiatischer und amerikanischer Nationen. Sie hat das Thema hohe Studiengebühren aufgegriffen; damit geht Sanders schon lange auf die Sorgen junger Wähler ein, die über viele tausend Dollar Schulden nach dem Studienabschluss klagen. Und, so Clinton, sie wolle die staatliche Rentenversicherung Social Security "schützen und ausbauen … und nicht kürzen oder privatisieren". Mit dieser Forderung schwimmt man gegen den Strom von Experten, die in Frage stellen, ob sich die USA die Social Security in gegenwärtigem Umfang wirklich leisten können. Selbst Obama hat im Vorjahr angeboten, die Altersversorgung leicht zu kürzen.

Sanders formuliert vorsichtig, wenn er gefragt wird, ob er der "neuen" Hillary Clinton traue. "Es kommt nicht darauf an, was sie sagt", sagt Sanders im Magazin New Yorker. "Die Frage ist, was sie früher getan hat, und was sie tun wird, sollte sie Präsidentin werden … Und wir kandidieren, um zu gewinnen."

Diskussionsverlagerung nach links ist das eine, Wahlen zu gewinnen das andere. Es gewinnt, wer bei den Vorwahlen der 50 Bundesstaaten mehr als die Hälfte der Delegierten für den demokratischen Nominierungskonvent im Juli in Philadelphia bekommt. Die magische Zahl liegt bei 2.383 Stimmen. Der Stand Mitte März: Clinton 1.139 - Sanders 825. Zu den bei den Vorwahlen errungenen Delegiertenstimmen kommen rund 700 sogenannte Superdelegierte hinzu, Politiker und Parteifunktionäre der Demokraten, die in Philadelphia automatisch einen Stimmzettel bekommen. Bei diesen Gesandten aus der Partei ist Sanders im Hintertreffen: Er sitzt als Unabhängiger und nicht als Demokrat im Senat und hat sich nie um die Partei kümmern müssen. Laut New York Times ist der Stand bei den "Superdelegierten": Clinton 467 - Sanders 26.

Sanders’ Anhänger beklagen das als undemokratisch. Ihnen wird entgegengehalten, die Superdelegierten könnten ihre Meinung ändern, sollten sich die Wähler mehrheitlich für Sanders entscheiden. 2008 seien Superdelegierte von Clinton zu Obama umgestiegen. Für die Clinton-Kampagne gilt das Endorsement so vieler Prominenter als Beweis dafür, dass die Ex-Außenministerin nach Ansicht verantwortlicher Politiker die Fähigkeit hat, im Weißen Haus etwas zustande zu bringen. Es könne doch kein Zufall sein, dass Sanders von keinem seiner Kollegen im Senat unterstützt werde.

Clintons Netzwerke

Beim Sezieren der bisherigen Vorwahlergebnisse zeigen sich aus Sicht beider Kandidaten besorgniserregende Bruchstellen. Sanders’ Leute sind überwiegend jung und weiß, die Anhänger Clintons mittleren Alters und Senioren, dazu schwarz oder Latino. Junge Frauen entscheiden sich eher für Sanders, ältere mit großer Mehrheit für Clinton. Hillary hat riesige Siege eingefahren in den Südstaaten, wo Afroamerikaner bei den demokratischen Vorwahlen die Mehrheit stellen. In South Carolina erhielt Clinton 39 Delegierte, Sanders 14. In Alabama Clinton 44, Sanders 9 - und so weiter. In Florida und Texas mit zahlreichen Latino-Wählern hat Clinton ebenfalls gewonnen. Nachwahl-Befragungen zufolge erhielt Clinton in Texas 70 Prozent der Latino-Stimmen. Sanders wiederum hat seine größten Siege in Staaten mit hohem weißen Bevölkerungsanteil erkämpft - Vermont, New Hampshire, Minnesota und Kansas.

Das mit der Rasse kann die Sanders-Kampagne nur schwer verdauen, ist sie doch überzeugt, ihr Wirtschaftsprogramm diene den unteren Einkommensschichten. Und die rekrutieren sich überproportional aus Afroamerikanern und Latinos. Aber es zählen nicht nur Programme. So begann der Sender NBC eine Story über die Wahlen in Texas: "44 Jahre nachdem eine junge Hillary Clinton Amerikaner mexikanischer Abstammung im texanischen Rio-Grande-Tal für die Wahlen registriert hat, genießt sie eine überwältigende Unterstützung in dieser stark hispanischen Region."

Die Clintons (in diesem Fall Plural) haben während der Jahrzehnte als Politiker viele Beziehungen aufgebaut und Netzwerke geknüpft. Sanders sei in der Vergangenheit nie für Latino-Belange in Erscheinung getreten, sagte Dolores Huerta, die legendäre Mitbegründerin der Farmworker-Gewerkschaft und Clinton-Wahlhelferin. 2007 habe er nicht einmal für eine von Senator Ted Kennedy (er verstarb 2009) vorgelegte Einwanderungsreform gestimmt.

Durchhalten bis zum Schluss

Barack Obama findet nach wie vor viel Zustimmung in der afroamerikanischen Bevölkerung, vor allem bei Schwarzen mittleren und gehobenen Alters, die noch Zeiten erlebt haben, als ein schwarzer Präsident nicht vorstellbar war. Hillary Clinton setzt sich ganz entschlossen in Szene als Obamas rechtmäßige Nachfolgerin. Gelegentlich hat denn auch das Weiße Haus durchsickern lassen, Obama bevorzuge seine frühere Außenministerin.

Bernie Sanders habe in seinen 25 Jahren im Kongress "keine tiefen Beziehungen mit gewählten schwarzen Politikern aufgebaut", kritisiert Kevin Alexander Gray, ein eher links angesiedelter Autor. Seine Wahlkampagne werde gemanagt "von ein paar weißen Männern, die ab und zu Black-Lives-Matter-Gesprächspunkte als Sound Bites hervorbringen". In South Carolina habe Sanders einen Wahlkampf "mit schwarzen Intellektuellen aus dem Norden, ausnahmslos Männer, und mit dem Rapper Killer Mike bestritten". Diese Klage klingt überspitzt, doch sie ist nicht grundfalsch.

Alle vier Jahre, nämlich beim Präsidentschaftswahlkampf, tasten sich in den USA Scheinwerfer auf die weiße Arbeiterschicht. Ihr wird nachgesagt, sie habe sich spätestens seit den Ronald-Reagan-Jahren von der Demokratischen Partei abgewandt. Vorurteile spielen eine Rolle, doch auch bei den Demokraten sorgen sich viele Politiker mehr um Banken und die Wirtschaft als um Arbeiter - um die "working families", wie es in den Vereinigten Staaten heißt. Da sind schnell Sündenböcke gefunden, darunter die "illegalen Einwanderer". Grenzzaunbauer Trump hat einen guten Draht zu weißen Arbeitern, zu weißen Männern ohne höhere Schulbildung.

Umso mehr will Bernie Sanders einen Neuanfang machen mit den Arbeitern. So hofft das ihm gewogene Wochenmagazin The Nation: Gerade in den Industriestaaten würde Sanders’ Wirtschaftsprogramm bei "Arbeitern ankommen, weißen und schwarzen, denen der Aufschwung auf der Wall Street nichts gebracht hat". Die Vorwahlen in Michigan am 8. März schienen die These zu bestätigen. Dieser Staat im Mittleren Westen - Inbegriff des Zerfalls durch das Fabrikensterben in der früheren Autometropole Detroit und die Verhältnisse in der Stadt Flint, wo das Wasser giftig aus den Hähnen fließt und viele Kinder an Bleivergiftung leiden - hat Sanders’ Leuten Hoffnung gemacht. Clinton sollte Umfragen zufolge in Michigan haushoch gewinnen. Dann das Ergebnis: Sanders 50 - Clinton 48 Prozent. Doch schon eine Woche später gewann Clinton in Ohio, Illinois, North Carolina, Florida und Missouri. Ihr Vorsprung vergrößerte sich.

Sanders versicherte vergangene Woche im Kabelsender MSNBC, er werde weitermachen bis zum Ende der Vorwahlen im Juni, wenn es um Kalifornien, New Jersey, Montana, New Mexico und North Dakota geht. Das kann nur gut sein für die Demokratische Partei, denn sie würde sonst erdrückt von der republikanischen Schlammschlacht. Das wird auch gut sein für Hillary Clinton, denn ein Herausforderer hilft bei der Vorbereitung auf die Hauptwahlen. Manche "Sanderistas" arbeiten auf eine anhaltende progressive Bewegung hin, die der Mann aus Vermont möglicherweise auf den Weg gebracht hat.

Quelle: der FREITAG vom 20.04.2016. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

20. April 2016

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