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Iran: Das Zentrum macht Karriere

Diejenigen, die die Wahl zu einer Farce erklärten, wurden eines Besseren belehrt. Doch jetzt vom Sieg der Reformer zu sprechen, ist auch übertrieben

Von Torsten Wöhlert

Obwohl die Iraner beim Urnengang am 26. Februar nur eine eingeschränkte Wahl hatten, fällt das Votum erstaunlich klar aus. Nicht nur die hohe Beteiligung, auch die Ergebnisse belehren all jene Kritiker eines Besseren, die das Votum vorschnell als Farce abqualifiziert haben. Natürlich stand das politische System der Islamischen Republik nicht zur Wahl. Wer seine Erwartungen auf diese Ebene schraubt, reißt zwangsläufig jede Messlatte.

Irreführend ist ebenso, vom Wahlsieg der Reformer zu sprechen. Deren Kandidaten waren vielerorts vom Wächterrat aussortiert worden. Stattdessen kamen gemäßigte Bewerber zum Zug, die dem moderaten Zentrumslager um Präsident Hassan Rohani zugeordnet werden. Dessen Position ist mit den Wahlen - auch denen zum Expertenrat - zunächst gestärkt. Nicht direkt, sondern mittelbar, da die Wähler mit ihrer Stimme vor allem ein Votum gegen die sogenannten Hardliner abgegeben haben. Deren radikales Islamverständnis wird nach Jahren relativ uneingeschränkter Machtausübung unter Ex-Präsident Ahmadinedschad mehrheitlich ebenso in Frage gestellt. Gleiches gilt für die wirtschafts- und sozialpolitischen Eckpfeiler ihrer Klientelpolitik zugunsten ärmerer Bevölkerungsschichten - den sogenannten Entrechteten.

Dass auf die Abstimmung nun ein Kurswechsel folgt, ist nicht ausgemacht. Trotz der Verluste in Exekutive und Legislative halten Hardliner weiter Schlüsselpositionen in der Judikative, in den mächtigen religiösen Stiftungen wie im Militär- und Sicherheitsapparat.

Zwar neigen Rohani und der mit ihm verbündete Ex-Präsident Haschemi Rafsandschani derzeit zu den Reformkräften. Aber das Bündnis bleibt taktisch motiviert und fragil. Im Kern geht es den Zentristen darum, die konservative Mehrheit des politisch-religiösen Establishments aus der langjährigen, einseitigen Liaison mit den Hardlinern zu befreien und so die tradierte Machtbalance zwischen radikalen, konservativen und Reformkräften in der Islamischen Republik wiederherzustellen. Es bleibt ihr wichtigstes Ziel, das System zu stabilisieren und die Macht für den schiitischen Klerus zu sichern. Rafsandschani steht wie kein zweiter Repräsentant der klerikalen Elite dafür, dass diese Politik auch auf einem soliden Fundament aus wirtschaftlichen Eigeninteressen basiert und vielerlei taktische Allianzen hervorbringen kann. Wie Ex-Staatschef Mohammed Chatami mit seiner Reformagenda kaltgestellt wurde, als die von ihm inspirierte "grüne Revolution" 2009 den Status quo der Islamischen Republik zu sprengen drohte, so werden nun die Radikalen in die Schranken gewiesen.

Die Rohani-Regierung wird an den von ihr geweckten Erwartungen gemessen werden: mehr gesellschaftliche Liberalität und individuelle Freiheiten; aber auch wirtschaftlicher Aufschwung, Jobs und Chancen für die junge Generation. Deren Zukunftserwartung könnte in den Händen moderater Zentrumspolitiker vorerst sogar besser aufgehoben sein als bei den Reformern.

Mit einer Nachbarschaft, die von radikalen Gegensätzen und Verwerfungen geprägt ist, hätte eine moderat regierte Islamische Republik gute Voraussetzungen, sich als ausgleichende Regionalmacht zu etablieren - und davon politisch und ökonomisch zu profitieren. Mit dem Wahlergebnis hat sich Präsident Rohani eben dafür ein Mandat verschafft. Wie weit es ihn trägt, hängt davon ab, wie die Rendite des Nuklearabkommens verteilt wird.

Quelle: der FREITAG vom 03.03.2016 Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

06. März 2016

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