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Blindgänger des Kalten Krieges

Die Russische Föderation will nicht als Partner schlechthin, sondern als Großmacht anerkannt sein - und das nicht nur innerhalb des postsowjetischen Raumes

Von Lutz Herden

Was ist passiert? Eigentlich das Naheliegende und Absehbare. Russland verhält sich heute so, wie es vom Westen seit 1990 behandelt worden ist - als potenzieller Gegner, nicht als erwünschter Partner. Nur würde es zu kurz greifen, das demonstrative, teils aggressive Selbstbewusstsein der russischen Führung als lange gärende Revanche zu deuten und zu sagen, damit habe man rechnen müssen. Dazu musste es wegen der Russland nach dem Ende der Sowjetunion zugefügten Demütigungen irgendwann kommen.

Tatsächlich war es nach 1990 nicht ausgemacht und schon gar kein unaufhaltsamer Vorgang, Russland stets von Neuem zu bedeuten - der Gegner aus dem bipolaren bleibt auch ein Gegner im multipolaren Zeitalter. Handelt es sich doch um eine unberechenbare postsowjetische Macht, auf die man nicht anders reagieren kann als durch die Osterweiterung der NATO, mit der die strategische Balance in Europa gravierend verändert wurde.

Es hat nicht an Warnungen, teils Bitten aus Moskau gefehlt, im gegenseitigen Verhältnis nicht nur mehr Respekt,  sondern auch Verständnis für die Interessen einer Großmacht walten zu lassen. Vergeblich.

Putin im Bundestag

Seit dem Aufritt von Premier Dmitri Medwedjew am Wochenende auf der Sicherheitskonferenz in München und seiner Aussage vom "neuen Kalten Krieg" erinnert man sich plötzlich wieder einer Rede von Wladimir Putin, die Anfang Februar 2007 am gleichen Ort vor dem gleichen Gremium gehalten wurde. Russlands Präsident sprach seinerzeit davon, dass der Kalte Krieg "manchen Blindgänger hinterlassen" habe. Er beklagte den nach wie vor "hypertrophen Gebrauch von Gewalt", der zu einer "Sturmflut aufeinander folgende Konflikte in der Welt" führe. Diese Flut werde durch die dominante Politik der USA ausgelöst, die auf Weltherrschaft gerichtet sei.

Neun Jahre vor Putins "Münchner Signal" hatte es eine vergleichbare Botschaft gegeben. Sie galt in diesem Fall dem  Deutschen Bundestag, in den Putin am 25. September 2001 während seines Antrittsbesuches als Staatschef der Russischen Föderation geladen war. Gleich zu Beginn einer Rede huldigte er dem Gastgeber und sagte: "Ich erlaube mir die Kühnheit, einen großen Teil meiner Ansprache in der Sprache von Goethe, Schiller und Kant …, zu halten."

Was folgte, war keine Klage über einen "neuen Kalten Krieg", sondern über die Hinterlassenschaft des "alten" und der Befund: "Wir leben weiterhin im alten Wertesystem. Wir sprechen von Partnerschaft, haben aber in Wirklichkeit noch immer nicht gelernt einander zu vertrauen." (Beifall des Auditoriums vermerkt dazu das Protokoll.)

Gegen Ende seines Vortrag kam Putin auf die Vision vom "Gemeinsamen Europäischen Haus" zu sprechen, "in welchem Europäer nicht in östliche und westliche, in nördliche und südliche geteilt werden. Solche Trennungslinien bleiben aber erhalten und zwar deswegen, weil wir uns bis jetzt noch nicht endgültig von vielen Stereotypen und ideologischen Klischees des Kalten Krieges verabschiedet haben. Heute müssen wir mit Bestimmtheit und endgültig erklären: Der Kalte Krieg ist vorbei." (Wieder Beifall laut Protokoll)

Wogen glätten

Ist er offenbar doch nicht. In Moskau hat man sich korrigiert, wie der Premierminister zu verstehen gab.

Als im Tagungshotel "Bayerischer Hof" die Erregung darüber noch nicht abgeflaut war, wurde die Konferenz vom Telefonat zwischen Obama und Putin überrascht. In der gegebenen Situation kam diese Verständigung einem Eingeständnis gleich - an Russland führt in der Syrien-Krise kein Weg mehr vorbei, um die Geschehnisse nicht eskalieren zu lassen, sondern stattdessen irgendwann in ein Stadium zu überführen, in dem sich eine diplomatische Lösung finden lässt. Und Obama hat Putin den Gefallen getan, dies als Realpolitiker anzuerkennen.

Was zudem auffiel, das war ein offenkundiges Bemühen der Gastgeber in München, nach der Medwedjew-Rede die Wogen zu glätten. Sowohl Außenminister Steinmeier als auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz oder der Konferenzvorsitzende Wolfgang Ischinger schienen um Entdramatisierung bemüht. Warum auch nicht? Deutschland hat allen Grund zu der Hoffnung, dass ein konfrontatives Verhältnis mit Moskau schrittweise überwunden wird. Es ist von den Konsequenzen sehr viel unmittelbarer betroffen als andere westliche Verbündete, nicht zuletzt die USA.

Noch immer kann allein die Lage in der Ukraine außer Kontrolle geraten. Man denke an die Zeit Mitte der 80er Jahre, als nukleare Mittel- bzw. Kurzstreckenraketen in beiden deutschen Staaten stationiert wurden, die damit für den Konfliktfall zum nuklearen Gefechtsfeld bestimmt wurden.

Nur hat München eben auch gezeigt, dass sich Russland heute nicht mehr ohne Weiteres als Partner zurückgewinnen lässt. Es will mehr, es will als Großmacht mit entsprechenden Interesse anerkannt sein.

Quelle: der FREITAG vom 15.02.2016. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

16. Februar 2016

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