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NATO-Einsatz gegen Flüchtlinge

Auf deutsche Initiative wird die NATO auf ihrem heute beginnenden Verteidigungsministertreffen über ihre etwaige Teilnahme an der Flüchtlingsabwehr in der Ägäis diskutieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel plädiert dafür, das Kriegsbündnis zur Unterstützung der türkischen Küstenwache und der EU-Grenzbehörde Frontex heranzuziehen. Frontex soll zur Kontrolle der griechisch-türkischen Seegrenze nach Griechenland entsandt und eventuell auch für Massenabschiebungen in die Türkei genutzt werden. Um Flüchtlinge, die auf den griechischen Inseln eintreffen, umgehend und ohne besondere Prüfung im großen Stil die Türkei abschieben zu können, hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière am vergangenen Freitag in Athen durchgesetzt, dass Griechenland die Türkei als "sicheren Drittstaat" einstuft. Die griechische Regierung hatte sich dem Ansinnen zuvor verweigert, weil es internationalem Recht zuwiderläuft. Unter der Drohung, aus dem Schengen-Raum ausgeschlossen zu werden, sah sie sich allerdings zum Nachgeben gezwungen. Ein Ausschluss Griechenlands aus dem Schengen-Raum könnte Hunderttausende Flüchtlinge in Griechenland stranden lassen.

Zum Rechtsbruch aufgefordert

Im Zentrum der Bemühungen Berlins, die Einreise von Flüchtlingen zu stoppen, steht nach wie vor die Seegrenze zwischen Griechenland und der Türkei. Gelingt es, sie zuverlässig abzuschotten, dann kann der Schengen-Raum in seinem jetzigen Umfang bestehen bleiben. Dazu ist jedoch, sofern die EU schwere Verstöße gegen internationales Recht vermeiden will, eine Kooperation mit der Türkei unumgänglich. Wie der griechische Migrationsminister Giannis Mouzalas berichtet, ist die griechische Regierung innerhalb der EU dazu aufgefordert worden, Flüchtlingsboote auf hoher See zurückdrängen zu lassen; dies ist illegal.BBC Newsnight, 27.01.2016. Selbst wenn Athen sich dazu bereit erklärt hätte, würde es nicht helfen: Geraten Flüchtlinge in Seenot - etwa dadurch, dass sie ihr Schiff versenken -, dann müssen sie von der griechischen Küstenwache gerettet und an Land in Sicherheit gebracht werden. Der Vorschlag, sie ertrinken zu lassen, ist innerhalb der EU noch nicht geäußert worden.

"Die Tore öffnen"

Über Möglichkeiten zur Kooperation mit der Türkei hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag mit Ministerpräsident Ahmet Davutoglu verhandelt. Ankara zieht es, sollte mit der EU keine Einigkeit erzielt werden, in Betracht, die türkischen Grenzen gegebenenfalls vollständig für Flüchtlinge zu öffnen. Dies geht aus einem jetzt bekannt gewordenen Papier hervor, das ein Protokoll des Gesprächs sein soll, das EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk Mitte November am Rande des G20-Gipfels in Antalya mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan führten. Insider halten das Dokument für echt. Demnach habe Erdogan wörtlich erklärt: "Wir können die Tore nach Griechenland und Bulgarien jederzeit öffnen und die Flüchtlinge in Busse setzen." Er habe einen "Deal" der EU mit der Türkei verlangt und gefragt: "Was wollen Sie mit den Flüchtlingen machen, wenn Sie keinen Deal bekommen? Die Flüchtlinge töten?"Markus Becker, Peter Müller: Erdogan soll mit Grenzöffnung gedroht haben. www.spiegel.de 09.02.2016. Tusk habe erwidert, man könne die EU für die Flüchtlinge weniger attraktiv machen. Daraufhin habe Erdogan an den in der Ägäis ertrunkenen Flüchtlingsjungen erinnert, dessen Foto kurz zuvor weltweit für Schlagzeilen gesorgt hatte, und gewarnt: "Es werden 10.000 oder 15.000 sein. Wie wollen Sie damit umgehen?"

Grenzabschottung

Vor die Aussicht gestellt, das bisherige Kernelement der Flüchtlingsabwehr - die Unterbringung von Kriegsflüchtlingen in Lagern in unmittelbarer Nähe zum Kriegsgebiet weit weg von Europa - könne dauerhaft scheitern und damit die kriegführenden EU-Staaten einem Ansturm der Kriegsopfer aussetzen, haben Berlin und Brüssel in den vergangenen Wochen die Verhandlungen mit Ankara erheblich intensiviert. Bundeskanzlerin Merkel hat am Montag zugesagt, dass das Technische Hilfswerk die türkischen Behörden bei der Versorgung von Flüchtlingen an der Grenze zu Syrien unterstützen wird. Zudem hat sie nicht ausgeschlossen, dass Ankara mehr als die bereits zugesagten drei Milliarden Euro erhält, um die Unterbringung der Flüchtlinge, Schulunterricht für Flüchtlingskinder und andere notwendige Maßnahmen durchzuführen. Darüber hinaus hat Merkel erneut die Übernahme sogenannter Flüchtlingskontingente zugesagt, um die Türkei zu entlasten. Jenseits dessen ging es jedoch vor allem um die Grenzabschottung. Wie die deutsche Kanzlerin erklärte, solle die Polizeikooperation intensiviert werden; auch solle die türkische Küstenwache künftig enger mit der EU-Grenzbehörde Frontex kooperieren. Dabei geht es auch um die sofortige Rückschiebung fast aller auf den griechischen Inseln eintreffenden Flüchtlinge in die Türkei, in die freilich Ankara einwilligen muss.

Türkei: "sicherer Drittstaat"

Den Weg dafür hat am vergangenen Freitag Bundesinnenminister Thomas de Maizière freigemacht. De Maizière setzte in Verhandlugnen mit seinem griechischen Amtskollegen Panagiotis Kouroumblis und Migrationsminister Mouzalas durch, dass Athen die Türkei als "sicheren Drittstaat" anerkennt. Die griechische Regierung hatte sich dem Ansinnen zuvor verweigert, da es internationalem Recht widerspricht: Es läuft dem Non-Refoulement-Gebot der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention zuwider; zudem hat die türkische Gesetzgebung den Flüchtlingsstatus ausschließlich für Menschen aus Europa reserviert, während Menschen aus Asien oder Afrika in der Türkei prinzipiell keinen Flüchtlingsschutz genießen.Die "türkische Lösung": EU-Präsidentschaft will Zurückweisungen in die Türkei. www.proasyl.de 29.01.2016. Die nun auf deutschen Druck erfolgte Anerkennung der Türkei als "sicherer Drittstaat" hat zur Folge, dass auf den griechischen Inseln Asylgesuche sämtlicher Flüchtlinge, die nicht über eine türkische Staatsbürgerschaft verfügen, zurückgewiesen und die Antragsteller sofort in die Türkei abgeschoben werden können. Weil EU-Kreise davon ausgehen, dass die griechischen Behörden mit den Massenabschiebungen Schwierigkeiten haben könnten, hat der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) vorgeschlagen, die Deportationen von Frontex durchführen zu lassen. "Es müssen alle gerettet werden, aber dann müssen die Menschen zurück in die Türkei geschickt werden", erklärt Faymann: "Dann wäre Frontex nicht mehr nur ein Rettungsprogramm, sondern tatsächlich auch ein Grenzschutzprogramm".Faymann: Frontex soll Flüchtlinge in Türkei schicken. orf.at 05.02.2016.

Truppen in die Ägäis

De Maizière hat angekündigt, 100 deutsche Polizisten sowie zwei Schnellboote nach Griechenland zu entsenden; sie sollen dort an den Abschottungsmaßnahmen teilnehmen und damit faktisch deren Durchführung kontrollieren. Ergänzend soll, wie Bundeskanzlerin Merkel am Montag in Ankara ankündigte, die NATO in die Flüchtlingsabwehr eingebunden werden. Berichten zufolge beruft Merkel sich dabei auf das "Strategische Konzept", das die NATO im November 2010 in Lissabon verabschiedet hat; darin wird "Menschenhandel" als mögliche "Bedrohung" für das westliche Kriegsbündnis genannt. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg teilt mit, er habe das Vorhaben "sehr ernsthaft" geprüft und darüber bereits Gespräche mit Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen geführt.Ulrike Scheffer: Mit der Nato gegen Schlepper. www.tagesspiegel.de 09.02.2016. Auf dem heute beginnenden NATO-Verteidigungsministertreffen soll Merkels Initiative sorgfältig geprüft werden. Die Kanzlerin hatte vorgeschlagen, das Kriegsbündnis könne "die Arbeit von Frontex und der türkischen Küstenwache unterstützen".Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem türkischen Ministerpräsidenten Davutoglu. Ankara, 08.02.2016.

Vom Schengen-Ausschluss bedroht

Ergänzend bereitet die EU die Abschottung der griechischen Nordgrenze vor. Dies geschieht, weil Athen sich dem Ansinnen verweigert, auf mazedonischem beziehungsweise auf bulgarischem Territorium. Mazedonien hat bereits begonnen, einen zweiten "Grenzzaun" zu errichten, um seine Grenze endgültig unpassierbar zu machen; es wird bei der Flüchtlingsabwehr von Polizisten mehrerer EU-Staaten unterstützt. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hat eine mehrtägige Südosteuropareise angetreten, um die Befestigung der Grenzen auf der gesamten "Balkanroute" weiter voranzutreiben. Bereits am Freitag hatte Wien die Entsendung von Soldaten zur Flüchtlingsabwehr nach Südosteuropa in Aussicht gestellt. Die Maßnahmen zielen darauf ab, für den Fall, dass die Abschottung der griechisch-türkischen Seegrenze scheitert, die weiterhin eintreffenden Flüchtlinge in Griechenland festzusetzen. Bundesinnenminister de Maizière wollte Ende letzter Woche in einem Interview mit der griechischen Tageszeitung Kathimerini nicht ausschließen, dass Griechenland in diesem Fall den Schengen-Raum verlassen muss.Migration talks shift onus to Turkey as de Maiziere urges Greece to ‘do its share’. www.ekathimerini.com 04.02.2016. Dann könnten Hunderttausende Flüchtlinge in dem Land stranden, das seinerseits durch die Krise extremer Verarmung ausgesetzt ist. Es drohte nichts Geringeres als eine humanitäre Katastrophe erheblichen Ausmaßes im Süden der EU.

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 10.02.2016.

Fußnoten

Veröffentlicht am

10. Februar 2016

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