Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS



Suche in www.lebenshaus-alb.de
 

Blutiges Bündnis (I)

Saudi-Arabien kann bei der Unterdrückung seiner Opposition, die am Wochenende in einer Massenexekution kulminiert ist, deutsche Repressionstechnologie und von der deutschen Polizei vermittelte Fähigkeiten nutzen. In den vergangenen Jahren hat die Bundesregierung die Lieferung von Produkten zur Telekommunikationsüberwachung im Wert von mehr als 18 Millionen Euro an Riad genehmigt. Das Bundeskriminalamt hat unter anderem für den saudischen Geheimdienst GID eine Schulung zur Terrorismusbekämpfung durchgeführt. Als "Terrorismus" definiert Saudi-Arabien auch nicht gewaltförmigen Protest der stark diskriminierten schiitischen Minderheit im Land. Die Bundespolizei bildet in einem offiziellen Projekt, das der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble im Mai 2009 formal abgesegnet hat, saudische Grenzschutz-Offiziere aus. Berichten zufolge werden dabei auch der Umgang mit Sturmgewehren sowie das Vorgehen gegen Demonstranten trainiert. Involviert war zumindest zeitweise auch die saudische Religionspolizei. Die Repressionskooperation ist eingebunden in eine umfassende ökonomische Zusammenarbeit, die deutschen Unternehmen großen Absatz und Milliardenaufträge garantiert. Vor allem aber folgt sie strategischen Zielen der Berliner Mittelostpolitik.

Erschossen oder enthauptet

Nach der Massenhinrichtung vom Wochenende halten die internationalen Proteste gegen die blutige Repression in Saudi-Arabien an. In dem Land sind am Samstag 47 Menschen durch Erschießung oder Enthauptung exekutiert worden, darunter überwiegend Mitglieder von Al Qaida, von denen zahlreiche wegen mörderischer Terroranschläge verurteilt wurden, aber auch vier Aktivisten der schiitischen Opposition, darunter der überaus populäre Prediger Nimr Bakir al Nimr. Al Nimr galt als einer der einflussreichsten Anführer der saudischen Schiiten, einer Minderheit, die schon seit Jahrzehnten über ihre Diskriminierung in Saudi-Arabien klagt; die saudische Staatsreligion, der Wahhabismus, ist weitgehend mit dem Salafismus identisch, derjenigen Strömung des Islam, die auch dem Jihadismus von Zusammenschlüssen wie dem "Islamischen Staat" (IS/Daesh) zugrunde liegt und die die Schiiten als "Gottlose" behandelt. Die Massenhinrichtung hat im Iran wie auch in den schiitisch geprägten Teilen der arabischen Welt zu breiten Protesten geführt, die noch anhalten und durchaus weiter eskalieren können. Im Westen, der jahrzehntelang überaus eng mit Riad kooperiert hat und bis heute mit den saudischen Herrschern kooperiert, sind peinlich berührte, aber folgenlose Distanzierungen von der Exekution insbesondere von Al Nimr zu vernehmen.

Paradies für staatliche Voyeure

Saudi-Arabien, dessen blutige innere Repression nach dem Exzess vom Wochenende international scharf angeprangert wird, ist in den vergangenen Jahren systematisch mit deutscher Repressionstechnologie ausgestattet worden - dies auch mit behördlicher Unterstützung. Das Außenwirtschaftszentrum Bayern, das von den Industrie- und Handelskammern (IHK) und den Handwerkskammern des Bundeslandes getragen wird, berichtete schon 2007, es fördere die Expansion von "Sicherheits"-Unternehmen etwa nach Saudi-Arabien. Die Außenwirtschaftsagentur Germany Trade and Invest (GTAI) warb damals für Exporte von Überwachungsgerät auf die Arabische Halbinsel mit dem Hinweis, dort müssten beim Einsatz von Repressionstechnologie "keinerlei juristische oder administrative Hindernisse" überwunden werden; "der Golfraum" könne "gewissermaßen als Paradies für staatliche Voyeure bezeichnet werden". Es gehe "aus Sicht der Obrigkeit in den Golfstaaten" nicht nur darum, "erhebliche ausländische Bevölkerungsanteile" - die zahllosen Arbeitsmigranten vor allem aus Südasien - "zu erfassen, zu kanalisieren und auch zu kontrollieren"; man wolle darüber hinaus "die eigene Bevölkerung aus politischen Gründen im Auge behalten".Sicherheitstechnik am Golf gefragt. www.bfai.de 25.01.2007. Germany Trade and Invest firmierte damals noch als Bundesagentur für Außenwirtschaft (bfai). S. dazu Boomdiktaturen . Im Jahr 2007 genehmigte die Bundesregierung die Ausfuhr von Produkten zur Telekommunikationsüberwachung im Wert von 18,254 Millionen Euro nach Saudi-Arabien.

Internetspionage

Verlässliche Angaben über die Ausfuhr sonstiger, bis 2015 noch nicht genehmigungspflichtiger Produkte der Repressionstechnologie nach Saudi-Arabien liegen nicht vor. Einem Bericht zufolge umfassen die deutschen Lieferungen verschiedene Technologien, die auch zur Unterdrückung der liberalen respektive der schiitischen Opposition genutzt werden können. So sollen "IMSI-Catcher zur flächendeckenden Überwachung des Mobilfunks" sowie "Systemlösungen und Software zur Erfassung und Auswertung von E-Mails, Internettelefonie und Kommunikationsplattformen wie Twitter, WhatsApp und Facebook" an die saudischen Repressionsbehörden verkauft worden sein. Zu den Lieferanten habe zum Beispiel das Münchner Unternehmen Rohde und Schwarz gehört.Deutsche Firmen lieferten Abhörtechnik an Saudi-Arabien. vorab.bams.de 08.02.2015. Ob die Lieferungen in einem Zusammenhang mit zwei Lehrgängen zum Thema "Internetkriminalität im Terrorismus-Bereich" stehen, die das Bundeskriminalamt für saudische Behörden abhielt - geschult wurden im Oktober 2009 Mitarbeiter des Innenministeriums in Riad sowie des Geheimdiensts GID (General Intelligence Directorate) -, ist nicht bekannt.Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan Korte, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die Linke. Deutscher Bundestag, Drucksache 17/13185, 22.04.2013.

Strategische Partnerschaft

Bekannt ist hingegen, dass das größte in Deutschland verzeichnete Geschäft mit Saudi-Arabien in Sachen Überwachungstechnologie wohl nicht ohne staatliche Unterstützung zustande gekommen wäre. Als der deutsch-französische Airbus-Konzern 2009 den Auftrag erhielt, die saudischen Außengrenzen auf der gesamten Länge von etwa 9.000 Kilometern mit modernstem Gerät hochzurüstenS. dazu Wasser als Waffe und Stabile Verhältnisse ., begann die Bundespolizei zeitgleich mit einem langfristig angelegten Projekt zur Ausbildung saudischer Grenzer, von dessen Zustandekommen Riad den Auftrag an Airbus abhängig gemacht hatte. Die Maßnahme wurde am 27. Mai 2009 vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble in Riad per Unterschrift unter eine Vereinbarung über die "Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich" formalisiert. Offiziellen Angaben zufolge werden saudische Grenzschutz-Offiziere auf Feldern wie "Personalführung" oder "polizeiliche Entscheidungsprozesse" geschult. Vor Ort eingesetzte Beamte beklagten allerdings schon vor Jahren, ihre Aufgaben gingen deutlich darüber hinaus; sie umfassten etwa auch Waffentraining.Panzer, Polizisten, Probleme. www.stern.de 13.07.2011. Im September wurde berichtet, allein zwischen April und Juni 2015 seien 19 Bundespolizisten in Saudi-Arabien im Einsatz gewesen. Das Bundesinnenministerium erklärt dazu: "Die deutsche Unterstützung bei der Modernisierung des saudi-arabischen Grenzschutzes ist Teil einer strategischen Partnerschaft im Sicherheitsbereich".Andreas Maisch: Warum deutsche Polizisten Saudi-Arabien dienen. www.welt.de 07.09.2015.

Vorgehen gegen Demonstrationen

Dabei zeigten Recherchen schon vor Jahren, dass sich das Projekt keineswegs auf den saudischen Grenzschutz beschränkt und sogar Techniken vermittelt, die zur Unterdrückung der Opposition geeignet sind. So berichtete das ARD-Magazin Fakt im Juni 2012, bei den Ausbildungsmaßnahmen seien nicht nur Grenzschützer, sondern auch saudische Geheimdienstoffiziere zugegen. Zudem arbeiteten Religionspolizisten in dem Projekt mit. Diese hätten einen festen Platz im saudischen Grenzregime; sie entschieden etwa mit, wie man mit an den Grenzen festgenommenen Personen verfahre. Zudem werde nicht nur mit Sturmgewehren trainiert - möglicherweise mit den Modellen G3 und G36, für die Saudi-Arabien von der Bundesrepublik eine Lizenz zur Produktion erhalten hatS. dazu Mit dem G36 gegen das G3 .; man übe auch den "Umgang mit sogenannten Großlagen wie Demonstrationen". Fakt zitierte einen Projektmitarbeiter mit der Aussage, Kollegen seien sogar persönlich bei Hinrichtungen zugegen gewesen.Sandro Poggendorf, Marcus Weller: Saudische Religionspolizei in deutsches Grenzsicherungsprojekt eingebunden. Fakt 26.06.2012. Darüber hinaus warnten Menschenrechtsorganisationen schon vor Jahren, auch der Einsatz der von Airbus gelieferten Repressionstechnologie sei nicht in jedem Fall "auf die unmittelbaren Grenzen beschränkt"; es bestehe "ein hohes Missbrauchsrisiko".Mathias John: Waffen für Arabien. www.amnesty.de August 2011.

Lukrative Geschäfte

Wie wenig sich die deutsch-saudische Zusammenarbeit in puncto Repression von der allgemeinen ökonomischen Kooperation zwischen Berlin und Riad trennen lässt, zeigen exemplarisch Bauprojekte deutscher Architekten. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Saudi-Arabien sind eng. Deutsche Firmen verkaufen jährlich Produkte im Wert von rund neun Milliarden Euro in der Golfdiktatur und haben dort lukrative Aufträge erhalten. Die Deutsche Bahn beispielsweise ist am Bau einer Hochbahn in Riad beteiligt gewesen und ist aktuell in den Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke involviert.S. dazu Expansion und Kollaps . Siemens beschäftigt mehr als 2.000 Mitarbeiter in Saudi-Arabien und trägt unter anderem zum Bau zweier U-Bahn-Linien in Riad bei. Der deutsche Architekt Albert Speer ist bereits von 1977 bis 1980 an den Planungen für den Bau des Diplomatenviertels in der Hauptstadt sowie des saudischen Außenministeriums beteiligt gewesen. Zu seinen "Lieblingsprojekten" zählt er ausdrücklich den Bau eines Gerichtskomplexes im Zentrum von Riad.Lieblingsprojekte. www.albert-speer.de/werk/. Es handelt sich um das Gebäude, in dem der schiitische Prediger Nimr Bakir al Nimr im November 2014 zum Tod durch Enthauptung verurteilt wurde.Abbas Baker: Königreich der Unterdrückung. www.taz.de 09.03.2015.

Die deutsch-saudische Repressionskooperation dient nicht nur ökonomischem Profitstreben, sie folgt vor allem strategischen Zielen der Berliner Mittelostpolitik.

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 05.01.2016.

Fußnoten

Veröffentlicht am

05. Januar 2016

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von