Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Der Deutsche Bundestag hat am Donnerstag ein Gesetz zur Erleichterung von Abschiebungen und zur Ausweitung von Abschiebehaft beschlossen. Das Gesetz erlaubt es unter anderem, Flüchtlinge in Abschiebehaft zu nehmen, wenn sie auf ihrer Flucht Geld an Schleuser gezahlt haben; ohne die Dienste von Schleusern ist allerdings die Flucht nach Europa kaum noch möglich. Auch wird es wieder gestattet, Flüchtlinge zu internieren, die aus einem anderen EU-Land in die Bundesrepublik eingereist sind; dies hatte der Bundesgerichtshof letztes Jahr untersagt. Das Gesetz ist Teil der vielfältigen Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung unerwünschte Migranten aus Deutschland fernhalten will. Anfang vergangener Woche ist etwa der EU-Militäreinsatz im Mittelmeer gestartet worden, der sich offiziell gegen Schleuser richtet, aber faktisch jegliche Flucht aus Nordafrika nach Europa unmöglich machen kann. Flüchtlinge aus Südosteuropa sucht Berlin gegenwärtig mit einer Medienkampagne abzuschrecken. Befeuert von Parolen einflussreicher Politiker gegen Flüchtlinge, eskaliert zur Zeit die Gewalt unter anderem gegen Flüchtlingsheime. Allein seit dem vergangenen Wochenende wurden zwei fast bezugsfertige Flüchtlingsunterkünfte in Brand gesteckt.

Zur Abschiebung inhaftiert

Das "Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung", das der Bundestag am heutigen Donnerstag beschließen wird, sieht insbesondere eine Erleichterung der Abschiebung von Flüchtlingen und eine Ausweitung der Abschiebehaft vor. Demnach soll in Zukunft unter anderem in Abschiebehaft genommen werden können, wer "zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge für einen Schleuser aufgewandt hat"; das trifft zwangsläufig auf eine hohe Anzahl von Flüchtlingen zu. Auch kann interniert werden, wer seine Identität per "Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten" verschleiert; dies wiederum richtet sich potenziell gegen alle, die ohne ihre Papiere fliehen mussten. Insbesondere werden in Zukunft auch Flüchtlinge wieder in Abschiebehaft genommen werden können, die aus einem anderen EU-Staat in die Bundesrepublik eingereist sind. Dies hatte der Bundesgerichtshof in einem Beschluss vom 26. Juni 2014 untersagt. Das neue Gesetz ermöglicht die Internierung etwa von Flüchtlingen, die über Ungarn oder Italien nach Deutschland gekommen sind, erneut.Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/4097, 25.02.2015. Wer von den Behörden abgeschoben worden ist, erhält zudem eine Einreisesperre von bis zu zehn Jahren.

Mit Kriegsschiffen gegen Flüchtlinge

Die heute zur Abstimmung stehende Gesetzesänderung ist dabei nur ein Teil umfassender Bemühungen Berlins, Flüchtlinge von Deutschland, nach Möglichkeit sogar von der EU insgesamt fernzuhalten. Zu den Großprojekten, die dazu in die Wege geleitet worden sind, gehört insbesondere der Einsatz von Kriegsschiffen im Mittelmeer, mit denen - so lautet die offizielle Begründung - Schleuser bekämpft werden sollen. Freilich könnte ohne die Dienste von Schleusern kaum ein Flüchtling über das Mittelmeer in die EU gelangen. Der EU-Militäreinsatz ist offiziell am Montag vergangener Woche gestartet worden: Am 22. Juni gaben die EU-Außenminister grünes Licht für die erste Phase von "EU NAVFOR Med", die der militärisch-geheimdienstlichen Beschaffung von Informationen aller Art über die Flüchtlingsbewegungen in Nordafrika und auf dem Mittelmeer gewidmet ist. In ihrem Rahmen sollen unter anderem Flugzeuge, Drohnen und U-Boote eingesetzt werden. Berlin hat den Tender "Werra" und die Fregatte "Schleswig-Holstein" für die Intervention abgestellt.

Nicht anerkannt

Zu den Maßnahmen, die Berlin ergriffen hat, gehört nicht zuletzt eine Kampagne in Albanien. Aus dem Land, in dem das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen 280 Euro im Monat beträgt und die Arbeitslosigkeit offiziell bei fast 20 Prozent liegt, sind in jüngster Zeit zahlreiche Menschen in die Bundesrepublik geflohen. Bereits im April haben mehrere albanische Fernsehsender sich für Interviews mit dem deutschen Botschafter Hellmut Hoffmann zur Verfügung gestellt, der dem Publikum erklärte, in Deutschland könne man "kein Asyl aus wirtschaftlichen Gründen" beantragen; Albaner hätten deshalb dort "praktisch keine Aussicht auf Anerkennung" eines Asylantrags. Vor kurzem hat die deutsche Botschaft ergänzend eine Anzeigenkampagne in den bedeutendsten Zeitungen Albaniens gestartet. In Inseraten wird dabei unter der Überschrift "Kein Wirtschaftsasyl in Deutschland" erklärt, es gebe "skrupellose Geschäftemacher", die "aus Profitgier Märchen über Asylgewährung, Arbeitsstellen und Wohnungen in Deutschland verbreiten".Matthias Meisner: Warnung vor "Wirtschaftsasyl" in Deutschland. www.tagesspiegel.de 25.06.2015. Tatsächlich würden "die Suche nach Arbeit, Armut oder Krankheit" in der Bundesrepublik als Asylgründe "nicht anerkannt". Die Anzeige weist allerdings ausdrücklich darauf hin, dass "Akademiker und qualifizierte Fachkräfte in einzelnen Berufen" in Deutschland durchaus gesucht würden.Matthias Meisner: Warnung vor "Wirtschaftsasyl" in Deutschland. www.tagesspiegel.de 25.06.2015. Allen anderen empfiehlt der Botschafter: "Ruinieren Sie … nicht durch Aufgabe ihrer Lebensgrundlage an Ihrem Wohnort die Zukunft Ihrer Kinder! Nach Ihrer Rückkehr nach Albanien wird Ihre Situation nur noch schwieriger sein."

"Asylmissbrauch"

Gleichzeitig heizen einflussreiche deutsche Politiker Ressentiments in der Bevölkerung gegen Flüchtlinge an. Bereits im Januar hatte der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) in Bezug auf muslimische Migranten geäußert: "Der Islam gehört nicht zu Sachsen."Karsten Kammholz, Claus Christian Malzahn: "Der Islam gehört nicht zu Sachsen". www.welt.de 25.01.2015. Der sozialpolitische Sprecher der sächsischen CDU-Landtagsfraktion, Alexander Krauß, schloss sich jetzt mit der Forderung nach drastischen Repressalien gegen Flüchtlinge an: "Wer keine Papiere hat oder seinen Namen vergessen hat, sollte sofort im Gefängnis untergebracht werden. … Ein Aufenthalt hinter Gittern fördert die Gedächtnisleistung enorm."Wie stark ist die Koalition beim Thema Asyl? www.mdr.de 30.06.2015. Vergangene Woche hat sich nun auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) zu Wort gemeldet. Seehofer beklagte "extrem hohe[…] Zahlen beim Asylmissbrauch aus Balkan-Staaten" und erklärte: "Die Rückführung abgelehnter Asylbewerber muss noch stärker stattfinden als bisher." Der CSU-Politiker verlangt: "Mehr Balkan-Staaten müssen zu sicheren Drittstaaten erklärt werden, in die wir dann schneller abschieben können."Seehofer zu Asyl: Merkel hat ernste Lage erkannt. www.merkur.de 25.06.2015. "Für Serben, Montenegriner, Mazedonier, Bosnier und Albaner" müsse die Visumspflicht wieder eingeführt werden.

Gewalt gegen Flüchtlinge

Die Äußerungen erfolgen in einer Phase dramatisch zunehmender Angriffe auf Flüchtlinge und auf Flüchtlingsunterkünfte. Verzeichneten die deutschen Behörden im Jahr 2013 offiziell bereits 55 Angriffe auf Flüchtlingsheime, waren es 2014 schon 170 - ein Anstieg auf das Dreifache. Allein im ersten Halbjahr 2015 wurden laut offiziellen Angaben 150 Attacken auf Flüchtlingsheime verübt, beinahe um die Hälfte mehr als im Vorjahr. Dabei können Flüchtlingsorganisationen eine noch höhere Zahl an Angriffen nachweisen. Demnach kam es bereits 2014 neben 36 Brandstiftungen zu 211 anderen Übergriffen, etwa mit Steinen und Sprengsätzen, während im selben Jahr mindestens 81 Flüchtlinge persönlich attackiert wurden. Die Amadeu Antonio Stiftung, die sich dem Kampf gegen rechte Gewalt verschrieben hat, listet für 2014 außerdem nicht weniger als 292 flüchtlingsfeindliche Kundgebungen auf.Rassistische Gewalt gegen Flüchtlinge nimmt dramatisch zu. mut-gegen-rechte-gewalt.de 30.06.2015. In diesem Jahr wurden bereits elf Brandanschläge gezählt - zuletzt in der Nacht von Samstag auf Sonntag im sächsischen Meißen und am frühen Montagmorgen im schleswig-holsteinischen Lübeck.Chronik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle. mut-gegen-rechte-gewalt.de 30.06.2015. Unabhängige Fachstellen, die Opfer rechter Gewalt beraten, verzeichneten für 2014 mit Blick auf die Gesamtbevölkerung allein in den sechs Ost-Bundesländern (Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) sogar 457 rassistisch motivierte Gewalttaten - rund 30 Prozent mehr als 2013."Ein Ende der Welle rassistischer Gewalt ist nicht absehbar". mut-gegen-rechte-gewalt.de 27.04.2015.

Kein Ende absehbar

Über die Aggressionen gegen Flüchtlinge und Migranten, deren Täter sich durch die staatliche Flüchtlingsabwehr und durch einschlägige Äußerungen von Politikern in ihren Absichten bestätigt fühlen können, hat bereits im Frühjahr eine Vertreterin des "Bundesverbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt" illusionslos erklärt: "Ein Ende der Welle rassistischer Gewalt ist nicht absehbar"."Ein Ende der Welle rassistischer Gewalt ist nicht absehbar". mut-gegen-rechte-gewalt.de 27.04.2015. Dabei werden die Verhältnisse, die Menschen erst auf die Flucht zwingen, in zahlreichen Fällen von der Außenpolitik der Bundesrepublik, die die Flüchtlinge fernzuhalten sucht, mitgeprägt. german-foreign-policy.com berichtet in der kommenden Woche.

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 02.07.2015.

Fußnoten

Veröffentlicht am

03. Juli 2015

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