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USA: Mehr als ein Attentat

Der Mörder von Charleston war zwar ein Einzeltäter. Aber der Rassismus in Politik und Gesellschaft hat System

Von Konrad Ege

Wie konnten sie "passieren", die Morde an neun schwarzen Menschen in der Emanuel-African-Methodist-Episcopal-Kirche in Charleston im Staat South Carolina? Abgründe taten sich auf von Hass und Gewalt, verwurzelt in einer rassistischen Vergangenheit, die im weißen Amerika oft verfälscht und geschönt wird. Dieses historische Versagen verbaut den Weg zum besseren gesellschaftlichen Miteinander.

Die Opfer hießen Cynthia Hurd, Susie Jackson, Clementa Pinckney, Tywanza Sanders, Sharonda Coleman-Singleton, Ethel Lance, DePayne Middleton-Doctor, Myra Thompson und Daniel Simmons. Der in Untersuchungshaft sitzende 21-jährige weiße Tatverdächtige ließ keine Zweifel an seinen Motiven. "Ihr vergewaltigt unsere Frauen, und ihr nehmt überhand in unserem Land. Ihr müsst weg", hat er laut einer Zeugin in die Kirche gerufen. Der Täter schoss bei einer Bibelstunde; er soll erst gezögert haben, weil die Versammelten so nett waren zu ihm.

Wahlkampf mit Steckbrief

Doch Entsetzen allein vereint nicht. Barack Obama machte einen resignierten Eindruck, als er - wieder einmal nach einem Schusswaffenmassaker - tröstende Worte suchte. Angehörige der Ermordeten haben dem mutmaßlichen Täter verziehen. Die Schusswaffenlobby tritt gegen "überstürzte Maßnahmen" zur Waffenkontrolle ein. Und der republikanische Präsidentschaftsanwärter Rick Perry meint, Präsident Obama nutze "Unfälle" wie diesen. "Er mag es nicht, wenn Amerikaner Schusswaffen haben", so Perry auf der konservativen Plattform Newsmax. Im Fox-Fernsehen haben Reporter versucht, die Morde als Angriffe auf den christlichen Glauben zu deuten.

Ein "verrückter Junge" eben, der Täter, sagt der Senator aus South Carolina, Lindsey Graham, wie Perry ein republikanischer Präsidentschaftsbewerber. Die Sache habe keine darüber hinausgehende Bedeutung.

Nikki Haley, Gouverneurin von South Carolina, verlangt die Todesstrafe, als könnte man das Geschehen ausmerzen oder sühnen durch den Tod eines weiteren Menschen. Wenn es irgendwie geht, muss die Verantwortung für die Tat auf den Täter allein fallen, ohne gesellschaftlichen Kontext. Mit rassistischen Thesen haben Republikaner oft gepunktet. Meist nicht offen, aber so, dass es die Ihrigen verstanden.

Das Spiel mit dem Image vom gefährlichen und haltlosen Schwarzen zieht sich durch die US-Politik. Präsident Richard Nixon hatte seine "schweigende (d. h. weiße) Mehrheit", Ronald Reagan seine schwarze "Sozialhilfekönigin", die sich vom Staat aushalten lasse. George H. W. Bush machte 1988 Wahlkampf mit dem Steckbrief-Foto eines afroamerikanischen Mörders, dem sein demokratischer Rivale, der Gouverneur Michael Dukakis, zu einem Wochenendurlaub vom Knast verholfen hatte. Und Sarah Palin, bis 2009 Gouverneurin von Alaska, sprach vom "wirklichen Amerika", das sie vertrete. Ihre Tea Party stellte die Staatsbürgerschaft des ersten afroamerikanischen Präsidenten der USA in Frage. Zahlenmäßig geht diese Rechnung der Rechten immer weniger auf. Obama gewann bekanntermaßen, ohne auf die Mehrheit der weißen Stimmen angewiesen zu sein.

"Wenn Sie einen weißen Mann aus der Unterschicht überzeugen, dass er besser ist als der beste farbige Mann, merkt er es nicht, dass Sie ihm die Tasche ausräumen", sagte 1960 der spätere demokratische Präsident Lyndon B. Johnson (im Amt 1963-1969) nach Angaben seines Mitarbeiters Bill Moyers. Der Texaner Johnson, aufgewachsen in einfachen Verhältnissen, der 1964 die Bürgerrechtsgesetze unterschrieb, wusste, wie viele seiner Landsleute ticken. Er war überzeugt: Mit rassistischen Appellen kann man bewirken, dass manche Menschen gegen ihre eigenen sozialen Interessen handeln.

Die Wurzeln des amerikanischen Rassismus liegen in der Sklaverei. Amerika hat nie Wiedergutmachung geleistet und nie um Verzeihung gebeten. Es gab keine Versöhnungskommission. Millionen Afrikaner wurden nach Nordamerika verschleppt, ohne je menschenwürdig behandelt zu werden. Die Gründerväter der Vereinigten Staaten waren "Besitzer" von Deportierten aus Afrika. Der Niederlage der Südstaaten mit ihrem System der Sklaverei im Bürgerkrieg (1861-1965) folgten apartheidartige Gesetze. Die Nachfahren der befreiten Sklaven warten noch heute auf die "40 Acres Land (16 Hektar) und ein Maultier", die ihnen versprochen waren. 160.000 Hektar Acker entlang der Küste von Charleston nach Florida sollten an schwarze Familien vergeben werden, ordnete der siegreiche General William Sherman 1865 an. Es ist nie passiert.

Schon einmal niedergebrannt

Vielerorts im Süden werden die Erinnerungen an den Bürgerkrieg von weißen Bürgern bis heute nostalgisch verzerrt. Die Vorfahren, heißt es, hätten tapfer gekämpft für Unabhängigkeit, Ehre und Lebensart. Straßen werden nach den Generälen der Südstaaten benannt. Deren Flagge, das Symbol rassistischer Herrschaft, weht noch heute auf dem Gelände des Kapitols von South Carolina in der Stadt Columbia.

Dabei hat Charleston eine sehr spezielle Geschichte. Im Hafen der Stadt kam Historikern zufolge im 19. Jahrhundert etwa die Hälfte der in die USA verschleppten Afrikaner an. Auf den Reisfeldern von South Carolina war der Bedarf an Arbeitskräften übermäßig groß. Charleston war eine der reichsten Städte der USA und South Carolina 1860 der erste Bundesstaat, der sich von den Vereinigten Staaten lossagte: Der neue Präsident Abraham Lincoln hatte die Sklaverei als monströse Institution verurteilt. Daraufhin stieg South Carolina aus.

Die Emanuel-African-Methodist-Episcopal-Kirche in Charleston wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegründet. Einer der daran Beteiligten war der Afrikaner Denmark Vesey, der als freier Mann in South Carolina lebte. 1822 wurde Vesey festgenommen als Anstifter eines Sklavenaufstandes. Er habe Anhänger gewonnen durch das Predigen der biblischen Freiheitsgeschichte vom Auszug der Israeliten aus Ägypten, hieß es im Gerichtsbericht über seinen Prozess. Der Aufstand wurde verraten, bevor er ausbrechen konnte. Vesey und 34 angebliche Mitverschwörer wurden gehenkt. Weiße brannten die Kirche nieder. Erst Ende des 19. Jahrhunderts baute man sie wieder auf.

Wo der Massenmörder von Charleston seine Weltsicht herhat? So schwierig ist die Antwort auf diese Frage nicht.

Quelle: der FREITAG vom 25.06.2015. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konrad Ege und des Verlags.

Veröffentlicht am

26. Juni 2015

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