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Leonardo Boff: Wer Brasilien im In- und Ausland beschämt

Von Leonardo Boff

Es ist ein Bestandteil der heutigen Fußballkultur, dass manche Fußballspieler und Schiedsrichter ausgebuht werden sowie etwaige anwesende Regierungsmitglieder. Doch was hier an Beleidigungen, Flüchen und Obszönitäten auch von Kindern gehört werden konnte, hat es im brasilianischen Fußball bisher noch nicht gegeben. Sie richteten sich an die höchste Autorität des Landes, Präsidentin Dilma Roussef, die sich im hinteren Bereich der offiziellen Tribüne befand.

Diese beschämenden Beleidigungen konnten nur von der Klasse der Leute stammen, die im Land immer noch anzutreffen ist, nämlich den „Weißesten der A-Klasse, die sich durch einen Mangel an Erziehung und eine sexistische Haltung auszeichnen“, wie die Soziologin Ana Thurler vom Zentrum für feministische Forschung kommentiert.

Wer sich etwas mit der Geschichte Brasiliens auskennt oder Gilberto Freyre, José Honorio Rodrigues und Sérgio Buarque de Hollanda gelesen hat, kann diese Gruppen sofort identifizieren. Es handelt sich um Teile unserer Elite, die weltweit konservativste, die weit hinter dem globalen Zivilisationsprozess zurückbleibt, wie Darcy Ribeiro sie gewöhnlich bezeichnete; Eliten die vor 500 Jahren an den Hebeln des Staates saßen und gierig von diesem profitierten, während sie den Bürgern und Bürgerinnen deren Rechte verwehrten, um sich ihre Privilegien zu sichern. Diesen Eliten ist es immer noch nicht gelungen, das Große Haus aus dem Kopf zu bekommen, das sich ihnen eingeprägt hat, noch haben sie den Pranger vergessen, an dem die schwarzen Sklaven geschlagen wurden. Nicht nur ihre Münder sind schmutzig, nein, sie sind schmutzig, weil ihre Gedanken schmutzig sind. Sie sind antiquiert und befinden sich immer noch in den Paradigmen der Vergangenheit, als sie ein Leben in Luxus und Geltungskonsum führten wie zur Zeit der Renaissancefürsten.

In der harschen Sprache des Capistrano de Abreu, unserem bekanntesten Historiker, der selbst Mulatte ist, hat die Mehrheit der Elite schon immer das brasilianische Volk „immer wieder kastriert und ausbluten lassen“. Und das tun sie noch heute. Ohne einen Sinn für Grenzen und voller Arroganz meinen sie, jegliche Beleidigung herausschreien und sich respektlos den Autoritäten gegenüber verhalten zu können.

Das Geschehene zeigte den Brasilianern und der Welt, welche Art von Elite es noch immer in Brasilien gibt. Sie beschämten uns im In- und Ausland. Das Volk ist nicht unwissend, ungebildet oder schamlos, wie es oft von ihnen behauptet wird. Wenn hier jemand schamlos, ungehobelt, ungebildet und unwissend ist, dann sind es diejenigen, die so etwas über das Volk behaupten. Dies sind zumeist die selbständigen Reichen, die von Finanzspekulation leben und Abermillionen Dollar im Ausland, in ausländischen Banken oder Steueroasen haben.

Präsidentin Dilma brachte dies schön zum Ausdruck: „Das Volk handelt nicht so; das Volk ist zivilisiert und äußerst großzügig und gebildet.“ Das Volk mag schon einmal jemanden ausbuhen, und viele tun das. Doch das Volk beleidigt nicht eine Frau mit chauvinistischen und dreisten Ausdrücken, insbesondere nicht die Frau, die das höchste Amt des Landes innehat. Voll Ernsthaftigkeit und einem spürbaren Sinn für Würde antwortete Dilma diesen ungehobelten Gruppen: „Ich habe schier unerträgliche physische Gewalt ertragen, und nichts konnte mich von meinem Weg abbringen.“ Sie nahm damit Bezug auf die Folter, die sie durch die Diener des Staatsterrors ertragen musste, der seit 1968 in Brasilien herrschte. In der Rede, die sie später im Fernsehen hielt, stellte sie unter Beweis, dass nichts sie von ihrem Kurs abbringen oder sie schrecken kann, denn sie lebt für andere Werte und strebt danach, der Größe unseres Landes gewachsen zu sein.

Diese beschämende Tat wurde von der Mehrheit der Analysten und von denen, die öffentlich auftreten, zurückgewiesen. Allerdings war die Reaktion ihrer beider Stellvertreter im Amt erbärmlich. Sie benutzten fast dieselben Ausdrucksweisen und waren auf einer Linie mit den groben elitären Gruppen. „Sie erntet, was sie säte“, sagte einer. Ein anderer meinte, sie verdiene die Beleidigungen, die man ihr an den Kopf wirft. Nur Kleingeister und solche, denen der Sinn für Würde abgeht, können so reagieren. Und das sind diejenigen, die das Schicksal des Landes in die Hände nehmen wollen. Mit einer solchen Einstellung! Wir sind den mittelmäßigen Regierungsstil leid, der nur weiterhin wie Hühner am Boden scharrt und nicht in der Lage ist, wie ein Adler die Flügel auszubreiten und sich in die Höhe zu schwingen, wie wir es gemäß der Größe unseres Landes verdienen.

Ein Freund aus München, der gut Portugiesisch versteht, war von den Beleidigungen erschüttert und sagte: “Nicht einmal zu Nazizeiten wurden Autoritäten auf diese Weise beleidigt.” Vielleicht kennt er nicht die Geschichte, die wir durchleben mussten, die Art von elitistischen Gruppen, die weiterhin dominieren, und die anmaßende Weise, wie sie sich Gehör verschaffen. Sie sind die Hauptverantwortlichen dafür, dass wir sozial, kulturell und ethisch unterentwickelt sind. Sie beschämen uns in einer Weise, die wir wirklich nicht verdienen.

Leonardo Boff ist Theologe und Philosoph; Mitglied der Erd-Charta Kommission

Quelle:  Traductina , 24.06.2014.

Veröffentlicht am

26. Juni 2014

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