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Nachruf: Ulli Thiel hat sein Leben dem Kampf um den Frieden gewidmet

Der Friedensaktivist Ulli Thiel ist am 10. April 2014 verstorben. Mit einem Nachruf bei der Trauerfeier am 16. April würdigte Arno Neuber vom Friedensbündnis Karlsruhe Ulli Thiels lebenslanges Engagement für den Frieden. Dabei ging er insbesondere auf dessen Aktivitäten in seiner Heimatstadt Karlsruhe ein.

Von Arno Neuber

Liebe Sonnhild, liebe Familie von Ulli,
liebe Freunde,
liebe Trauergäste!

Ulli Thiel war das Gesicht, das Herz und die Seele der Friedensbewegung in Karlsruhe.
Keine Aktion des Friedensbündnisses, keine Sitzung ohne ihn.

Wenn wir die Bilder der letzten Jahre aus unserem Gedächtnis abrufen, sehen wir Ulli mit Megafon auf dem Marktplatz.
Ulli am Infostand.
Ulli mit dem gelben VW-Bus, der eine Kolonne von Radlern auf Friedenstour anführt.
Ulli mit dem umgehängten Friedenstauben-Schild, das bei keiner Friedensaktivität fehlte.
Ulli, der die Leiter hält, während die Kriegsstraße in "Nein-zum-Krieg-Straße" umbenannt wird.
Ulli, der zeigt, wie man mit Blumen auf der Rosette im Pflaster vor dem Rathaus ein Peace-Zeichen legt.

Charakteristisch für einen Menschen ist das, was selbstverständlich für ihn ist.
Ulli trug die Materialkiste selber zum Kundgebungsort. Wenn wir mehr oder weniger pünktlich zur Mahnwache erschienen, hatten Ulli und Sonnhild schon Transparente bereitgelegt, Stellschilder aufgebaut.
Die Unterschriftenliste war da, an Stift und Schreibunterlage war gedacht. Am Tisch hing ein Schild: "Hier unterschreiben."
War die Aktion beendet, zerstreuten sich die Aktiven. Ulli und Sonnhild packten das Friedensmaterial zusammen. Alles hatte seinen Platz und seine Ordnung. Es war Vorbereitung getroffen für die nächste Aktion.

Bei den letzten Sitzungen des Friedensbündnisses wurde es uns schmerzlich bewusst:
Da war immer jemand gewesen, der all die tausend Kleinigkeiten stillschweigend erledigt hat, die auch eine Friedensaktion braucht, um zu funktionieren.
Da war immer jemand gewesen, der all die Beschlüsse, die wir so fleißig fassten, auch zur realen Tat werden ließ.

Woran erkennt man einen großen Menschen?
Er spürt, was alle Leute spüren.
Aber: Er spürt es genauer.

Er sieht, was alle Leute sehen.
Aber: Er sieht dahinter.

Er macht, was alle Leute machen.
Aber: Er macht es konsequenter.

Ein großer Mensch will, was alle Leute wollen.
Aber: Er will es für alle.

Frieden schaffen für alle Menschen.
Frieden schaffen ohne Waffen.

1999 war das Jahr, in dem ich Ulli und Sonnhild näher kennen lernte.
Sechs Tage die Woche standen wir gegenüber dem Marktplatz, am Durchgang zum Schloss, hielten Mahnwache gegen den Jugoslawien-Krieg.
Der öffentliche Druck war enorm. Eine Regierung aus SPD und Grünen hatte die Bundeswehr in einen Kriegseinsatz geschickt.
Grüne Abgeordnete, die als MitstreiterInnen der Friedensbewegung in den Bundestag eingezogen waren, stimmten für den Kriegseinsatz.
Der grüne Außenminister brach mit dem Konsens der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!
Jetzt sollte Krieg geführt werden, um angeblichen Faschismus zu stoppen.

Die Kriegspropaganda war monströs. Die Verwirrung bei vielen Friedensaktivisten groß.
So war die Gruppe, die sich Abend für Abend zur Mahnwache einfand, nicht sehr groß. Aber sie war stark. Stark in ihrer Überzeugung, dass man mit Bombenangriffen auf serbische Städte keinen Frieden schafft.
Stark in ihrer Solidarität. Stark in ihrem Durchhalten, auch wenn es Unverständnis, Gleichgültigkeit, Beschimpfungen und einmal auch eine Messerattacke abzuwehren galt.
Ulli und Sonnhild waren immer dabei in diesen Wochen und Monaten, als Menschen unterschiedlicher politischer und religiöser Überzeugungen zusammen standen und zusammen wuchsen zu einem wirklichen Karlsruher Friedensbündnis.

Am 11. September 2001 telefonierte ich mit Sonnhild. Der Terroranschlag auf das World Trade Center erschütterte uns.
Ich wollte nicht stumm bleiben, wollte etwas tun mit meiner Trauer und mit meiner Wut. Was aber sagen, angesichts dieses Verbrechens?
Ulli riet zum stillen Mahnen. Für Flugblätter und Reden wird später Zeit sein. Und wir fanden die richtige Losung für unsere Mahnwache: Terror nicht mit Gegenterror beantworten!

Im Jahre 2003 war Ulli die treibende Kraft für zahllose Aktionen gegen den drohenden Irak-Krieg. Er spürte, dass unser Friedensbündnis zwar ein aktiver Kern des Protestes war, dass diesmal aber die Stimmung gegen den Krieg viel breiter in der Gesellschaft verankert war. Es gab die Chance, mehr Menschen für Friedensaktionen zu gewinnen, neue Bündnisse zu schmieden.
Mit seinen Kontakten, mit seinen Erfahrungen, mit seinem Ansehen war Ulli die geschätzte Persönlichkeit, die unterschiedlichste Gruppen zusammenführen, unterschiedlichste Herangehensweisen bündeln und unterschiedlichste Interessen ausgleichen konnte.
Neben vielen anderen Aktionen, ist die große Menschenkette vom Mühlburger bis zum Durlacher Tor in die Geschichte Karlsruhes eingegangen. Sie war Ullis Idee und sie war seine organisatorische Leistung.
Und wir waren uns bewusst, dass wir am 22. März 2003 in unserem beschaulichen Karlsruhe
Teil einer viel größeren Kette waren. Einer Kette, die sich rund um den Globus spannte. Millionen Menschen von Athen bis Melbourne, von Brüssel bis Kairo hatten sich ganz ohne Marschbefehl von oben auf den Weg gemacht, um ihren Protest und Widerstand gegen diesen Krieg auf die Straße zu tragen.

So haben wir Geschichte gemacht und Ulli hat uns geholfen und gezeigt, wie man sie macht.

Bei all den Aktionen bleibt oft wenig Zeit, geht manches verloren, manchmal vergessen wir unsere eigene Geschichte.
Mit der Veranstaltungsreihe "Zeitzeugen der Friedensbewegung" hat Ulli ein Format geschaffen, das auf Bewahren unserer Geschichte, auf Lernen aus unseren Erfolgen und Misserfolgen und auf Mut machen für neue Herausforderungen gerichtet ist.

Ein Thema, das Ulli besonders am Herzen lag, war die Vision einer Welt, die frei ist von Atomwaffen.
Dass seit vielen Jahren am 6. August in Karlsruhe der Opfer des Atombombenabwurfs auf Hiroshima gedacht wird, ist sein Verdienst.
Viel Kraft hat er bis zuletzt eingesetzt, damit auch die Stadt Karlsruhe sich der Initiative "Bürgermeister für den Frieden (Mayors for Peace)" anschließt, die heute in Deutschland 411 Städte vereint und der weltweit 5.860 Städte angehören.
Wir werden diese Aktion in Ullis Sinne weiter tragen und sind uns sicher, dass neben vielen Nachbarstädten bald auch Karlsruhe dieser Initiative, die die Bürgermeister von Hiroshima und Nagasaki gegründet haben, beitreten wird.

Das Wertvollste, das der Mensch besitzt ist das Leben. Es wird uns nur einmal geschenkt. Ulli hat es dem Großartigsten gewidmet, das man sich denken kann - dem Kampf um den Frieden.
Dafür sage ich, sagen wir von ganzem Herzen: Danke Ulli!

Es wird die Zeit kommen, da Menschen nicht mehr verstehen, warum in unserem Zeitalter Kinder an Hunger oder fehlender ärztlicher Betreuung sterben müssen, während Heerscharen von Wissenschaftlern an immer perfekteren Tötungsmaschinen forschen und Industrielle und Kapitalanleger daran verdienen.

Es wird die Zeit kommen, da Menschen nicht mehr verstehen, was Massenvernichtungswaffen sind, was "gezielte Tötungen" per Joystick waren, wozu Kriege geführt wurden.

Dann wird man noch davon lesen, dass es zu dieser Zeit Menschen gab, die dem Wahnsinn widerstanden,
die für eine andere Welt kämpften,
die sich dabei manchmal stritten, die auch Verzweiflung kannten, die trotzdem weiter machten - und die manchmal sogar Spaß hatten.
Dann wird man von Ulli Thiel lesen, von Sonnhild, von ihren Freunden und MitstreiterInnen.

Danke, Ulli!

Veröffentlicht am

21. April 2014

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