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Die frohe Botschaft - Oder: Die Idee einer Weltverfassung

Wer die Menschenrechte ernst nimmt, stellt die bestehenden Verhältnisse radikal in Frage

Von Thomas Gebauer

Was wie eine Selbstverständlichkeit erscheint, kann dennoch auf Unverständnis stoßen. Die große und längst international kodifizierte Idee, dass alles Bemühen um Gesundheitsförderung im Recht der Menschen auf Gesundheit verankert ist, gehört zu diesen Gewissheiten, die keineswegs von allen geteilt werden. Zu erfahren ist das beispielsweise in Gesprächen mit Ministerialbeamten, Klinikdirektoren und selbst den Mitarbeitern der Genfer Weltgesundheitsorganisation (WHO). Wer da den menschenrechtlichen Kontext von Gesundheit betont, kann rasch Kopfschütteln ernten. Da gelten solche Betrachtungen als abgehoben, ohne jeden Wert für die politische Praxis. Da ist Gesundheit allein das Ergebnis von ärztlichem Handeln, genau so, wie es in den medizinischen Curricula gelehrt wird.

Selbstverständlich umfasst das Bemühen um Gesundheit auch die Bekämpfung von Krankheiten. Gesundheit aber auf kuratives Handeln beschränken zu wollen, führt in die Irre. Bereits in der Gründungsakte der WHO aus dem Jahr 1946 steht, dass Gesundheit mehr ist als die Abwesenheit von Krankheit. Gesundheit, so die Definition der WHO, ist der "Zustand des vollständigen physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens". Nicht allein die Sicherung des nackten Überlebens steht im Zentrum von Gesundheit, sondern die Ermöglichung eines würdevollen, eines guten Lebens, auf das alle einen Rechtsanspruch haben.

Systemrelevantes "human capital"

Wie bedeutend die menschenrechtliche Verankerung von Gesundheit ist, wird dann deutlich, wenn sie missachtet wird. Wenn etwa, wie vor einigen Jahren ein junger CDU-Politiker forderte, dass alte Leute keine Hüftprothesen mehr bekommen sollen, weil sich die damit verbundenen Ausgaben nicht mehr lohnen würden. Wer so denkt, sieht in Gesundheit keinen Wert an sich, nichts, auf das alle ein Recht hätten, sondern die Voraussetzung für einen möglichst reibungslosen Produktionsprozess. Nicht mehr die Förderung eines würdevollen Lebens ist aus dieser Perspektive mehr das Ziel von Gesundheitspolitik, sondern der bloße Erhalt menschlicher Arbeitsfähigkeit, die Sicherung jenes systemrelevanten "human capital", wie es in der Managersprache heute so entlarvend heißt. Fast noch erschreckender als solche Reden aber ist, dass ihnen öffentlich kaum widersprochen wird. Die Behauptung, es gebe nicht genügend Ressourcen, um allen Menschen den Zugang zum höchst möglichen Standard an Gesundheit zu eröffnen, verfängt offenbar. Deutlich wird, wie sehr im herrschenden Diskurs die Idee der Universalität von Rechten von ökonomischen Nützlichkeitserwägungen verdrängt worden ist. Und das ist auch der Grund, warum es kein philosophischer Schnickschnack ist, auf Gesundheit als Menschenrecht zu bestehen. Es ist die Voraussetzung dafür, um Gesundheit tatsächlich in dem umfassenden Sinne zu begreifen, wie die WHO sie definiert hat.

Ein Blick in die beiden UN-Menschenrechtspakte aus dem Jahr 1966 und deren spätere Kommentierung genügt, um jeder Rechtfertigung von gesundheitlichen Ungleichheiten den Boden zu entziehen. Es ist eine allerdings frohe Botschaft, die von den Menschenrechtspakten ausgeht. Eine, die die Verwirklichung eines würdevollen Lebens nicht an eine imaginäre Instanz delegiert, sondern im Hier und Jetzt fordert. Sie verpflichten die Staaten, alles zu unternehmen, um die Menschenrechte unverzüglich zu realisieren und dabei von Anfang an niemanden zu diskriminieren.

Das gilt auch und gerade für die sozialen Rechte, die keineswegs nur gutgemeinte Absichten darstellen, die man vielleicht einmal in ferner Zukunft angehen könnte. Selbst wenn es die jeweiligen Umstände eines Landes nicht zulassen, von einem auf den anderen Tag allen Menschen beispielsweise den höchst möglichen Standard an Gesundheit zu ermöglichen, sind die Staaten doch gehalten, unverzüglich überzeugende Strategien und Aktionspläne vorzulegen, wie die Gesundheit der Menschen geschützt und gefördert werden kann.

Und allerdings gäbe es Möglichkeiten, unmittelbar aktiv zu werden. Für das Verbot gesundheitsgefährdender Arbeitsbedingungen, für den Schutz einer gesunden Umwelt, für den Zugang zu ausreichender Ernährung und essentiellen Arzneimitteln, für all das bedarf es keiner zusätzlichen Ressourcen, sondern allein politischer Entscheidungen, die schon heute getroffen werden können. Aufgabe einer menschenrechtsorientierten Gesundheitspolitik ist nicht, festzulegen, wer Pillen, Prothesen und Behandlungen bekommen soll oder wer nicht, sondern jede Form von billigend inkaufgenommener Gesundheitsgefährdung zu skandalisieren und umgehend für Abhilfe zu sorgen.

Prinzip der Nicht-Diskriminierung

Das Menschenrecht auf Nicht-Diskriminierung gehört zu den Prinzipien, die sich durch alle Menschenrechte ziehen. Es kann ohne Abstriche unverzüglich realisiert werden - auch im eigenen Land. Es ist beschämend, dass Deutschland immer wieder vom Genfer UN-Menschenrechtsrat gerügt wird, weil es einzelne Bevölkerungsgruppen, seien es Alte, schlechter Verdienende, Migranten oder Asylbewerber von einer umfassenden gesundheitlichen Versorgung ausschließt oder mit Minimalleistungen abspeist. Die Menschenrechte sind keine abstrakten Rechte, sondern Ergebnis von konkreten gesellschaftlichen Aneignungsprozessen. Die große Bedeutung, die dabei dem Verlangen der Menschen zukommt, ist exemplarisch an der Treatment Action Campaign erkennbar, mit der südafrikanischen Aids-Aktivisten das Unrecht anprangerten, dass ausgerechnet diejenigen, die am dringendsten den Zugang zu antiretroviralen Medikamenten brauchten, davon ausgeschlossen waren. Es war der Protest auf der Straße, dem sich Menschen in aller Welt, nicht zuletzt Zigtausend von Studierenden an US-amerikanischen Universitäten angeschlossen haben, der schließlich die Ungleichheit aufzubrechen half, um Aids-Therapien auch denen zukommen zu lassen, die sie sich sonst nie hätten leisten können.

Das Terrain, auf dem sich die Ausgestaltung der Menschenrechte heute ereignet, ist noch immer umkämpft. Eine Ausweitung ist genauso möglich, wie die Aushöhlung bereits "realisierter" Rechte. Derart sind die Menschenrechte Programm und Maßstab zugleich für die gesellschaftliche Entwicklung. Nimmt man sie ernst, dann verweisen sie auf ein Gesellschaftsmodell, das die bestehenden Verhältnisse radikal in Frage stellt. In den Menschenrechten ist nicht nur die Idee individueller Freiheits- und Ermöglichungsrechte angelegt, sondern auch die Vorstellung eines Gemeinwesens, das diese Rechte für alle garantiert.

Es ist die Idee einer Gesellschaft, die sich, statt auf Ausgrenzung und wachsende Ungleichheit, auf die Prinzipien gegenseitiger Anerkennung, Nicht-Diskriminierung und Solidarität gründet. Eine Gesellschaft, die nicht nur die Armut der einen reduzieren will, um die Privilegien der anderen zu sichern, sondern die das Recht auf ein würdevolles Leben für alle im Blick hat. Dieser Begriff von Universalität geht weit über das Abfedern der Not einzelner hinaus. Wer für das Recht auf Gesundheit streitet, kann sich nicht mit ein paar Hilfen für besonders Bedürftige, mit "Basic Survival Kits", die gerade mal das Überleben sichern, zufrieden geben. Das betonten zuletzt auch die Bewohner guatemaltekischer Dörfer, die sich - zu den künftigen globalen Entwicklungszielen befragt - nicht nur die Unterstützung für Schwangere, Kinder oder andere besondere Zielgruppen erhoffen, sondern Schritte in Richtung eines "buen vivir" (Gutes Leben) für alle, zu dem auch der Zugang zum höchst möglichen Standard an Gesundheit zählt.

Die Verwirklichung eines solchen Menschenrechtsverständnisses lässt sich nicht an den Markt delegieren. Sie verlangt den Aufbau gesellschaftlicher Institutionen, die über Mechanismen des Umverteilens für den notwendigen Solidarausgleich sorgen. Nur als Mitglied solidarisch verfasster Gemeinschaften können Menschen ihre Rechte in Anspruch nehmen. Nur so gelingt es, den Zugang zu einzelnen Rechten, und sei es zu Hüftprothesen oder Aids-Präparaten, sicherzustellen und nicht zu einer Frage privater Kaufkraft oder volkswirtschaftlicher Nützlichkeitserwägungen zu machen.

Mit der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte scheint die Idee einer Weltverfassung auf, die über alle Grenzen hinweg jene Prinzipien definiert, die allen Menschen, egal an welchem Ort der Welt, ein würdevolles Leben garantierten könnte.

Thomas Gebauer ist Geschäftsführer von medico international

Quelle: medico international - medico-rundschreiben 04/2013.

Veröffentlicht am

09. Dezember 2013

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